Index
E3R E19103000;Norm
32003R0343 Dublin-II Art17;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. B. Trefil LL.M., über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Februar 2006, Zl. 261.929/1-X/28/06, betreffend § 32a Abs. 1 iVm § 24a Abs. 8 Asylgesetz 1997 (Mitbeteiligter: B in H), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
Der Mitbeteiligte, (dem angefochtenen Bescheid zufolge) ein Staatsangehöriger von "Serbien und Montenegro", brachte am 2. Mai 2005 einen Asylantrag ein.
Mit Bescheid des Bundesasylamtes (BAA) vom 18. Juni 2005 wurde der Antrag gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurückgewiesen, ausgesprochen, dass für die Prüfung des Antrages gemäß Artikel 9 Abs. 4 "der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden kurz: Dublin-Verordnung) Deutschland zuständig sei, und der Mitbeteiligte gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Deutschland ausgewiesen.
Mit dem angefochtenen Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 7. Februar 2006 wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des BAA gemäß § 32a Abs. 1 iVm § 24a Abs.8 AsylG stattgegeben und dieser Bescheid behoben.
Begründend stellte die belangte Behörde fest, das BAA habe am 6. Mai 2005 ein Informationsersuchen gemäß Art. 21 der Dublin-Verordnung an Deutschland gerichtet, welches am 7. Mai 2005 zugestellt worden sei. Am 2. Juni 2005 sei beim BAA das Antwortschreiben vom 13. Mai 2005, eine Auskunft "gem. Art. 15 DÜ/Art. 21 DublinII", eingelangt. Am 7. Juni 2005 habe das BAA an Deutschland ein Ersuchen auf Wiederaufnahme des Mitbeteiligten gerichtet, welches am selben Tage zugestellt worden sei. Am 14. Juni 2005 (somit innerhalb der Frist des Art. 21 Abs. 5 der Dublin-Verordnung) sei beim BAA die am selben Tag per Fax übermittelte Zustimmungserklärung Deutschlands eingelangt, den Mitbeteiligten wieder aufzunehmen.
Sodann führte die belangte Behörde nach Wiedergabe der angewendeten Gesetzesbestimmungen im Wesentlichen aus, im vorliegenden Fall sei das Konsultationsverfahren am 7. Juni 2005 eingeleitet und am 14. Juni 2005 abgeschlossen worden, sodass die zwanzigtägige Frist des § 24a Abs. 8 AsylG überschritten worden sei. Da der Bescheid des BAA erst am 20. Juni 2005 zugestellt worden sei, habe das BAA innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Frist von 20 Tagen keine Entscheidung hinsichtlich der Unzulässigkeit des Antrages nach den §§ 4, 4a oder 5 AsylG getroffen, weshalb der Antrag kraft Gesetzes zugelassen sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
1. § 24a Abs. 8 AsylG lautet:
"(8) Entscheidet das Bundesasylamt nicht binnen zwanzig Tagen nach Einbringung des Antrages, dass der Asylantrag als unzulässig gemäß der §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, ist der Antrag zugelassen, es sei denn es werden Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003 geführt; Abs. 4 gilt. Die Abweisung des Asylantrages gemäß § 6 oder eine Entscheidung gemäß der §§ 7 oder 10 ersetzt die Entscheidung im Zulassungsverfahren. Satz 1 gilt nicht, wenn sich der Asylwerber dem Verfahren entzieht und das Verfahren eingestellt oder als gegenstandslos abgelegt wird."
2. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ordnet diese Bestimmung in ihrem ersten Satz für die Dauer von Konsultationen nach der Dublin-Verordnung eine Fortlaufshemmung der genannten zwanzigtägigen Entscheidungsfrist an. Demnach läuft die begonnene Frist nach dem (erfolgreichen) Abschluss solcher Konsultationen weiter. Ist die Frist vor Erlassung des Zurückweisungsbescheides abgelaufen, so ist der Asylantrag kraft Gesetzes "zugelassen" und kommt eine Unzuständigkeitsentscheidung nach § 5 AsylG nicht mehr in Betracht (vgl. dazu im Einzelnen v.
a. das hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005, Zl. 2005/20/0038, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
3. Die belangte Behörde stützt den angefochtenen Bescheid (ohne nähere Begründung) auf die Auffassung, " Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003" iS des § 24a AsylG seien (erst) am 7. Juni 2005 (mit dem Ersuchen auf Wiederaufnahme des Mitbeteiligten) eingeleitet und am 14. Juni 2005 (mit Einlangen der Zustimmungserklärung Deutschlands) abgeschlossen worden.
Die Beschwerde bringt dagegen vor, die belangte Behörde habe damit eine unzulässige restriktive Auslegung des Begriffes "Konsultationen" vorgenommen und aus diesem Grund nicht geprüft, inwieweit die Frist des § 24a Abs. 8 AsylG nicht bereits durch das Informationsersuchen des BAA vom 7. Mai 2005 gehemmt worden sei.
4. § 24a Abs. 8 AsylG verwendet - ohne nähere Umschreibung - den Begriff der "Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003". Die Dublin-Verordnung, auf die der Bundesgesetzgeber hinweist, definiert weder den Begriff der "Konsultationen", noch wird er in Zusammenhängen gebraucht, aus denen für den vorliegenden Fall etwas zu gewinnen wäre (vgl. Art. 9 Abs. 2 der deutschen Sprachfassung, Art. 9 Abs. 2, 19 Abs. 3 und 20 Abs. 1 lit. d der englischen Sprachfassung sowie
Artikel 9 Abs. 2 der französischen Sprachfassung der Dublin-Verordnung).
Daher kann davon ausgegangen werden, dass der Bundesgesetzgeber eine autonome Begriffsbildung, abgestellt auf die Inhalte der Dublin-Verordnung, vorgenommen hat. Aus der systematischen Einordnung dieser Bestimmung in das AsylG (§ 24a: Zulassungsverfahren in der Erstaufnahmestelle) lässt sich schließen, dass jedenfalls nur solche "Konsultationen" gemeint sind, die zur Bestimmung des für die Prüfung des Asylantrages (nach der Dublin-Verordnung) zuständigen Mitgliedstaates führen sollen. Die Frist des § 24a Abs. 8 AsylG, die von der Dublin-Verordnung nicht gefordert wird, richtet sich an die österreichische Asylbehörde (Bundesasylamt). Sie soll in jenen Fällen nicht zum Tragen kommen, in denen das Bundesasylamt bei der Bestimmung der Zuständigkeit der Kooperation eines anderen Mitgliedstaates bedarf (vgl. das zitierte hg. Erkenntnis vom 31. Mai 2005). Der Begriff "Konsultationen" im Sinn des Gesetzes ist daher so zu sehen, dass all jene Kontakte, die zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates erforderlich sind und der Kooperation eines anderen Mitgliedstaates bedürfen, erfasst werden sollen.
Die Dublin-Verordnung sieht in dieser Hinsicht mehrere Möglichkeiten der Kooperation vor. Hiezu zählen neben dem in Art. 17 der Dublin-Verordnung normierten Gesuch um Aufnahme bzw. Wiederaufnahme auch für das in Art. 21 Abs. 1 lit. a normierte Informationsersuchen. Nach dieser Bestimmung übermittelt jeder Mitgliedstaat jedem Mitgliedstaat, der dies beantragt, für die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Asylantrags zuständig ist, personenbezogene Daten über den Asylbewerber, die sachdienlich und relevant sind und nicht über das erforderliche Maß hinausgehen. Ein solches Informationsersuchen ist gemäß Art 21 Abs. 4 der Dublin-Verordnung zu begründen. Wenn das Informationsersuchen darauf abzielt, ein Kriterium zu überprüfen, das die Zuständigkeit des um Auskunft ersuchten Mitgliedstaates nach sich ziehen kann, ist nach dieser Bestimmung anzugeben, auf welches Indiz - auch einschlägige Informationen aus zuverlässigen Quellen über die Modalitäten der Einreise von Asylbewerbern in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten - oder auf welchen einschlägigen und nachprüfbaren Sachverhalt der Erklärungen des Asylbewerbers es sich stützt. Gemäß Art. 21 Abs. 5 der Dublin-Verordnung ist der ersuchte Mitgliedstaat gehalten, innerhalb einer Frist von sechs Wochen zu antworten.
In ihrem der Dublin-Verordnung zu Grunde liegenden Vorschlag weist die Europäische Kommission darauf hin, dass das Verfahren zur Bestimmung des zuständiges Staates nur funktionieren kann, wenn die Mitgliedstaaten loyal zusammenarbeiten, und nennt den Austausch der für die Bestimmung der Zuständigkeit erforderlichen Informationen als wichtigste Kooperationsmaßnahme. Im Hinblick auf die Durchführung dieser Verordnung sei ein Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten unerlässlich, vor allem wenn die Hinweise, über die ein Mitgliedstaat verfügt, um die eventuelle Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates zu bestimmen, nur bruchstückhaft sind und ergänzt bzw. bestätigt werden müssen (vg. den Vorschlag der Kommission vom 26. Juli 2001, KOM (2001)447 endgültig = 2001/0182(CNS), 8 bzw. 22).
Vor diesem Hintergrund überzeugt das Argument der Amtsbeschwerde, es könne dem Bundesgesetzgeber nicht unterstellt werden, er habe bei der Wahl des Begriffes der "Konsultationen gemäß der Verordnung Nr. 343/2003 (EG) des Rates vom 18. Februar 2003" in § 24a Abs. 8 AsylG das Informationsersuchen nach Art. 21 Abs. 1 lit. a der Dublin-Verordnung ausnehmen wollen.
Verfügt das Bundesasylamt daher über Hinweise, die auf die Zuständigkeit eines anderen Mitgliedstaates für die Prüfung des Asylantrages nach den Kriterien der Dublin-Verordnung hindeuten (vgl. Art. 21 Abs. 4 der Dublin-Verordnung), so wird die Frist nach § 24 a Abs. 8 AsylG durch ein zur Ergänzung oder Bestätigung dieser Annahme gestelltes Informationsersuchen nach Art. 21 Abs. 1 lit. a der Dublin-Verordnung an den betreffenden Mitgliedstaat gehemmt. Ob diese Hemmung über die in Art. 21 Abs. 5 Dublin-Verordnung normierte Frist zur Beantwortung eines Informationsersuchens hinaus Wirkung entfalten kann, braucht fallbezogen nicht beantwortet zu werden.
Aus diesen Erwägungen erweist sich die Auffassung der belangten Behörde als rechtswidrig, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Wien, am 26. März 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006010088.X00Im RIS seit
26.04.2007Zuletzt aktualisiert am
31.03.2011