Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D*****, vertreten durch Krömer & Nusterer Rechtsanwältepartnerschaft in St. Pölten, gegen die beklagte Partei C*****, Italien, vertreten durch Kubac, Svoboda & Kirchweger, Rechtsanwälte in Wien, wegen 11.254,77 EUR samt Anhang, infolge Revisionsrekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom 5. März 2002, GZ 5 R 9/02h-15, womit der Beschluss des Landesgerichtes St. Pölten vom 22. November 2001, GZ 1 Cg 174/99p-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 686,88 EUR (darin 114,48 EUR an Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit dem Sitz in Österreich, die Beklagte eine in Italien ansässige societa a responsibilitata limitata (srl). Anfang Dezember 1997 fand eine Besprechung zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und deren Einkaufssachbearbeiterin einerseits und den Ehegatten V***** und einer Mitarbeiterin in der Exportabteilung der Firma M***** statt. Diese Firma vertritt die Interessen der Beklagten in Österreich und in Deutschland. Bei diesem Treffen wurde der Klägerin die ab April 1997 gültige Preisliste der Beklagten übergeben. Diese Preisliste enthält auf der letzten Seite die "Verkaufsbedingungen" der Beklagten. In diesen ist unter Punkt 5. der Gerichtsstand Bergamo genannt. Irgendwelche Geschäftsbedingungen der Klägerin wurden bei diesem Besuch nicht übergeben. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Klägerin 1997 oder später Geschäftsbedingungen an die Beklagte oder an deren Vertreter schickte.
Am 21. 7. 1998 richtete die Klägerin an V***** als Vertreter der Beklagten eine schriftliche Anfrage betreffend die Lieferung von Marmor. Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser Anfrage Bedingungen der Klägerin beilagen. Die Firma V***** beantwortete die Anfrage am 23. 7. 1998. Daraufhin bestellte die Klägerin am 24. 8. 1998 Marmorplatten bei der Beklagten. Das Bestellschreiben enthält auf der ersten Seite ganz unten unter anderem den Aufdruck "Gerichtsstand St. Pölten". Im Text auf der zweiten Seite scheint der Zusatz "Es gelten unsere Allgemeinen Einkaufs-, Lieferungs- und Zahlungsbedingungen" auf. Diese Bedingungen wurden mit dem Bestellschreiben nicht mitgeschickt. In der Folge lieferte die Beklagte und legte Rechnung. Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin waren weder bei der Beklagten noch bei deren Vertreter V***** bekannt.
Mit der am 17. 8. 1999 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 154.869 ATS (= 11.254,77 EUR) samt Anhang an Preisminderung und Ersatz von Aufwendungen, weil die Lieferung der Beklagten mangelhaft gewesen sei. Sie beruft sich zur Zuständigkeit des Erstgerichts auf eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung. Das Bestellschreiben der Klägerin nehme auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Punkt 16. den Gerichtsstand St. Pölten normiere, Bezug und enthalte selbst den Hinweis "Gerichtsstand St. Pölten". Die Beklagte habe die Bestellung schriftlich bestätigt. Gemäß Art 17 Abs 1 LGVÜ/EuGVÜ werde eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dadurch wirksam begründet, dass in einer schriftlichen Bestellung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen eine Gerichtsstandsklausel enthalten sei, Bezug genommen werde. Ein besonderer Verweis auf den Gerichtsstand sei jedoch nicht notwendig. Außerdem gehe aus dem Bestellschreiben der Gerichtsstand St. Pölten hervor.Mit der am 17. 8. 1999 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Zahlung von 154.869 ATS (= 11.254,77 EUR) samt Anhang an Preisminderung und Ersatz von Aufwendungen, weil die Lieferung der Beklagten mangelhaft gewesen sei. Sie beruft sich zur Zuständigkeit des Erstgerichts auf eine schriftliche Gerichtsstandsvereinbarung. Das Bestellschreiben der Klägerin nehme auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen, deren Punkt 16. den Gerichtsstand St. Pölten normiere, Bezug und enthalte selbst den Hinweis "Gerichtsstand St. Pölten". Die Beklagte habe die Bestellung schriftlich bestätigt. Gemäß Artikel 17, Absatz eins, LGVÜ/EuGVÜ werde eine Gerichtsstandsvereinbarung auch dadurch wirksam begründet, dass in einer schriftlichen Bestellung auf Allgemeine Geschäftsbedingungen, in denen eine Gerichtsstandsklausel enthalten sei, Bezug genommen werde. Ein besonderer Verweis auf den Gerichtsstand sei jedoch nicht notwendig. Außerdem gehe aus dem Bestellschreiben der Gerichtsstand St. Pölten hervor.
Die Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung liege nicht vor, weil die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin der Beklagten nicht mitgeteilt worden seien. Sie beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil die geltend gemachte Forderung inhaltlich unberechtigt sei. Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Die bloße Übersendung einer Bestellung, die zwar einen Vermerk über eine Gerichtsstandsklausel enthalte und im Text auch die eigenen Bedingungen des Bestellers erwähne, vermöge die in Art 17 Abs 1 LGVÜ genannten Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu erfüllen. Dies gelte umso mehr, als die Bedingungen der Klägerin der Beklagten niemals zugegangen und dort nie bekannt gewesen seien. Aus dem Umstand, dass die Beklagte dem Bestellschreiben der Klägerin nicht widersprochen habe, folge nicht eine Zustimmung der Beklagten zu den Bedingungen der Klägerin, weil auch von einem Kaufmann nicht verlangt werden dürfe, auf bei ihm Unbekanntes zu reagieren bzw zu widersprechen.Die Beklagte erhob die Einrede der Unzuständigkeit. Eine wirksame Gerichtsstandsvereinbarung liege nicht vor, weil die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin der Beklagten nicht mitgeteilt worden seien. Sie beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil die geltend gemachte Forderung inhaltlich unberechtigt sei. Das Erstgericht wies die Klage wegen Unzuständigkeit zurück. Die bloße Übersendung einer Bestellung, die zwar einen Vermerk über eine Gerichtsstandsklausel enthalte und im Text auch die eigenen Bedingungen des Bestellers erwähne, vermöge die in Artikel 17, Absatz eins, LGVÜ genannten Voraussetzungen für eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht zu erfüllen. Dies gelte umso mehr, als die Bedingungen der Klägerin der Beklagten niemals zugegangen und dort nie bekannt gewesen seien. Aus dem Umstand, dass die Beklagte dem Bestellschreiben der Klägerin nicht widersprochen habe, folge nicht eine Zustimmung der Beklagten zu den Bedingungen der Klägerin, weil auch von einem Kaufmann nicht verlangt werden dürfe, auf bei ihm Unbekanntes zu reagieren bzw zu widersprechen.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Frage der Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsklauseln im Sinn des Art 17 LGVÜ/EuGVÜ und ihrer Auslegung zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. Eine im Sinn des Art 17 LGVÜ/EuGVÜ wirksame Gerichtsstandsvereinbarung setze die Gewissheit voraus, dass sich die Einigung über den Vertragsinhalt tatsächlich auf die Gerichtsstandsklausel erstreckt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Einerseits enthielten die der Klägerin im Dezember 1997 übergebenen Verkaufsbedingungen der Beklagten den Gerichtsstand Bergamo. Andererseits weise das Bestellschreiben der Klägerin unten auf der ersten Seite unter anderem den Aufdruck "Gerichtsstand St. Pölten" auf. Dabei handle es sich jedoch um einen Kleindruck im Briefpapiervordruck, der keinesfalls den Erfordernissen eines ausdrücklichen, klaren und deutlichen Hinweises entspreche, zumal auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin der Bestellung nicht angeschlossen gewesen seien. Dem Unterbleiben eines Widerspruchs könne daher auch nicht die Bedeutung einer Zustimmung der Beklagten zu einer Gerichtsstandsvereinbarung St. Pölten beigemessen werden.Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei, weil die Frage der Voraussetzungen für die Gültigkeit von Gerichtsstandsklauseln im Sinn des Artikel 17, LGVÜ/EuGVÜ und ihrer Auslegung zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme. Eine im Sinn des Artikel 17, LGVÜ/EuGVÜ wirksame Gerichtsstandsvereinbarung setze die Gewissheit voraus, dass sich die Einigung über den Vertragsinhalt tatsächlich auf die Gerichtsstandsklausel erstreckt habe. Dies sei hier nicht der Fall. Einerseits enthielten die der Klägerin im Dezember 1997 übergebenen Verkaufsbedingungen der Beklagten den Gerichtsstand Bergamo. Andererseits weise das Bestellschreiben der Klägerin unten auf der ersten Seite unter anderem den Aufdruck "Gerichtsstand St. Pölten" auf. Dabei handle es sich jedoch um einen Kleindruck im Briefpapiervordruck, der keinesfalls den Erfordernissen eines ausdrücklichen, klaren und deutlichen Hinweises entspreche, zumal auch die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Klägerin der Bestellung nicht angeschlossen gewesen seien. Dem Unterbleiben eines Widerspruchs könne daher auch nicht die Bedeutung einer Zustimmung der Beklagten zu einer Gerichtsstandsvereinbarung St. Pölten beigemessen werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Art 17 EuGVÜ betreffend einen gleichartigen Sachverhalt fehlt; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.Der Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zu Artikel 17, EuGVÜ betreffend einen gleichartigen Sachverhalt fehlt; das Rechtsmittel ist aber nicht berechtigt.
Die Klägerin steht auf dem Standpunkt, in ihrer Bestellung werde in einer für jedermann ersichtlichen, klaren und auffälligen Weise auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bezug genommen. Die Beklagte habe diesen Vertragsbestandteil nicht übersehen können. Selbst wenn die Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht übermittelt worden seien, so habe doch die Beklagte auf Grund des ausdrücklichen Hinweises im unteren Teil der Bestellung von der von der Klägerin gewünschten Gerichtsstandsvereinbarung "Gerichtsstand St. Pölten" Kenntnis gehabt. Die Vereinbarung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen sei in der Branche der Klägerin üblich und gängig. Es sei auch üblich, dass den Allgemeinen Geschäftsbedingungen widersprochen werden müsse, wenn diese nicht Vertragsinhalt werden sollen. Der Beklagten sei dies bekannt gewesen. Sie habe der im Bestellschreiben enthaltenen Gerichtsstandsvereinbarung nicht widersprochen, sodass diese Vertragsinhalt geworden sei.
Vorauszuschicken ist, dass das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel (EuGVÜ) - idF des 4. Beitrittsübereinkommens von 1996 - zwischen Österreich und Italien am 1. 6. 1999 in Kraft getreten ist (BGBl III 1999/102). Da die Klage nach diesem Zeitpunkt eingebracht wurde, fällt die Sache nach Art 54 Abs 1 EuGVÜ und Art 13 Abs 1 des 4. Beitrittsübereinkommens von 1996 in den zeitlichen Anwendungsbereich des EuGVÜ. Österreich und Italien sind auch Vertragsstaaten des Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (LGVÜ). Nach Art 54b Abs 1 LGVÜ hat das EuGVÜ Vorrang vor Ersterem. Daher ist entgegen der Auffassung des Erstgerichts und der Klägerin - das Rekursgericht ging auf diese Frage nicht ein - auf den vorliegenden Sachverhalt nicht mehr das LGVÜ, sondern das EuGVÜ anzuwenden. Die maßgeblichen Art 17 Abs 1 beider Übereinkommen sind jedoch inhaltsgleich, sodass sich hieraus keine Abweichungen ergeben.Vorauszuschicken ist, dass das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen von Brüssel (EuGVÜ) - in der Fassung des 4. Beitrittsübereinkommens von 1996 - zwischen Österreich und Italien am 1. 6. 1999 in Kraft getreten ist (BGBl römisch III 1999/102). Da die Klage nach diesem Zeitpunkt eingebracht wurde, fällt die Sache nach Artikel 54, Absatz eins, EuGVÜ und Artikel 13, Absatz eins, des 4. Beitrittsübereinkommens von 1996 in den zeitlichen Anwendungsbereich des EuGVÜ. Österreich und Italien sind auch Vertragsstaaten des Luganer Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (LGVÜ). Nach Artikel 54 b, Absatz eins, LGVÜ hat das EuGVÜ Vorrang vor Ersterem. Daher ist entgegen der Auffassung des Erstgerichts und der Klägerin - das Rekursgericht ging auf diese Frage nicht ein - auf den vorliegenden Sachverhalt nicht mehr das LGVÜ, sondern das EuGVÜ anzuwenden. Die maßgeblichen Artikel 17, Absatz eins, beider Übereinkommen sind jedoch inhaltsgleich, sodass sich hieraus keine Abweichungen ergeben.
Art 17 Abs 1 EuGVÜ lautet:Artikel 17, Absatz eins, EuGVÜ lautet:
"Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaates hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaates über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichtsstandsvereinbarung muss geschlossen werden:
Da im vorliegenden Fall beide Streitteile ihren Sitz in
Vertragsstaaten haben und von der Klägerin die Prorogation des
Gerichts eines Vertragsstaats (nämlich eines österreichischen
Gerichts) behauptet wird, ist die behauptete
Gerichtsstandsvereinbarung nach Art 17 Abs 1 EuGVÜ unbedingt und
abschließend zu beurteilen (7 Ob 38/01s = RdW 2001/676 [669] = ZfRV
2001, 193/63; 4 Ob 199/01w = RdW 2002/153 [159] = RZ 2002/11 [97] =
ZfRV 2002, 72/27 = EvBl 2002/35 [150]; Czernich/Tiefenthaler, Die
Übereinkommen von Lugano und Brüssel, Art 17 Rz 19 mwN).
Anmerkung
E66785 6Ob185.02bEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:0060OB00185.02B.0829.000Dokumentnummer
JJT_20020829_OGH0002_0060OB00185_02B0000_000