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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FamLAG 1967 §2 Abs1 litc;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Steiner und die Hofräte Mag. Heinzl, Dr. Fuchs, Dr. Zorn und Dr. Robl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Pfau, über die Beschwerde der W K in W, vertreten durch Dr. Johannes Kirschner, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Fabrikstraße 26, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich vom 10. April 2002, Zl. RV 1492/1-8/2001, betreffend Abweisung des Antrages auf Gewährung der Familienbeihilfe für das Kind Manuela, geboren 14. Juli 1971, für die Zeit ab 1. August 2001, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Im August 2001 wurde für die am 14. Juli 1971 geborene Tochter der Beschwerdeführerin, Manuela, eine mit 17. August 2001 datierte amtsärztliche Bescheinigung (Formular Beih. 3) eingereicht, wonach wegen "Sehbehinderung, min. cerebral Parese" ein Grad der Behinderung von 50 v.H. seit "Kindheit" bestehe. Eine formularmäßig vorgesehene allfällige Bestätigung, dass das Kind auf Grund dieses Leidens bzw. Gebrechens seit einem bestimmten Zeitpunkt voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, blieb unausgefüllt. Ergänzend wurde allerdings bemerkt, "K.M. ist auf Grund ihrer Behinderung dzt. am freien Arbeitsmarkt nicht einsetzbar (trotz diverser Schulungen), sie benötigt einen geschützten Arbeitsplatz".
Nach Durchführung von Ermittlungen, in deren Verlauf auch diverse ärztliche Befunde aus den Jahren 1981, 1988, 1993 und 2001 vorgelegt worden waren, wurde mit Bescheid vom 16. Oktober 2001 der Antrag auf Gewährung von Familienbeihilfe für die Tochter der Beschwerdeführerin abgewiesen. Unter Hinweis auf § 2 Abs. 1 lit. c des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG 1967) wurde begründend ausgeführt, dass laut amtsärztlicher Bescheinigung vom 17. August 2001 der Tochter der Beschwerdeführerin zwar eine 50 %ige Behinderung, nicht jedoch attestiert worden sei, dass diese voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Die Voraussetzungen für den Anspruch auf (erhöhte) Familienbeihilfe lägen daher nicht vor.
In einer dagegen erhobenen Berufung wurde ausgeführt, Manuela habe vom 1. August 1989 bis 31. August 2000 im Fahrschulbetrieb der Beschwerdeführerin als Büroangestellte gearbeitet. Nachdem es in einigen Jahren auf Grund des Alters der Beschwerdeführerin zu einer Betriebsübergabe kommen werde, habe ihre Tochter diesen Zeitpunkt nicht mehr abwarten wollen, weshalb das Dienstverhältnis einvernehmlich gelöst worden sei. Es sei der Wunsch ihrer Tochter gewesen, die Pflegehelferausbildung zu absolvieren. Eine solche Ausbildung habe sie am 1. September 2000 begonnen, es habe sich jedoch herausgestellt, dass dieser Beruf für sie ungeeignet sei. Von der Schulleitung sei ihrer Tochter empfohlen worden, diese Ausbildung abzubrechen, was am 31. Jänner 2001 geschehen sei. Seit 1. Februar 2001 sei sie arbeitslos gewesen. Seit diesem Zeitpunkt habe sich Manuela bemüht, einen Job in einem Büro zu finden. Nach Absprache mit dem Arbeitsmarktservice habe sie dann den Kurs "aktive Arbeitssuche" besucht. Bei diesem Kurs sei ihr dann empfohlen worden, ein Arbeitstraining zu machen. Am 18. Juni 2001 habe Manuela bei einem näher genannten Büroservice mit dem Arbeitstraining begonnen. Auf Grund ihrer "großen Sehschwäche und Probleme in Stresssituationen" habe sich die Frage gestellt, ob nicht ein geschützter Arbeitsplatz das Richtige wäre. Im Juli 2001 habe sich dann eine Stelle für einen geschützten Arbeitsplatz in einem Berufsförderungsinstitut ergeben. Die Voraussetzung für einen geschützten Arbeitsplatz erfordere auch den Bezug der erhöhten Familienbeihilfe. Da das Einkommen von Manuela sehr gering sein werde, sei die Unterstützung der erhöhten Familienbeihilfe unbedingt notwendig. Auf Grund der gesundheitlichen Probleme habe die Beschwerdeführerin ihrer Tochter in ihrem Betrieb immer Schutz und Hilfe gewährt. Da sie um die Zukunft ihrer Tochter immer sehr besorgt gewesen sei und nur das Beste für sie gewollt habe, habe sich für sie nie die Frage bezüglich einer erhöhten Familienbeihilfe vor dem 21. Lebensjahr gestellt. "Diese Belastung wurde somit von der Firma aufgefangen, um der öffentlichen Stelle" nicht zur Last zu fallen. In der derzeitigen Situation, bei "diesem geringen Einkommen von Manuela", werde sie dauernd außerstande sein, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Es sei daher unbedingt notwendig, die erhöhte Familienbeihilfe zu erhalten. Eine weitere ärztliche Untersuchung würde die der Berufung beigelegten Befunde sicherlich bestätigen.
In der Folge ersuchte die Finanzverwaltung das Bundessozialamt Oberösterreich unter Bezugnahme auf § 8 Abs. 6 FLAG 1967 um die Erstellung eines Gutachtens zur Frage, ob die Tochter der Beschwerdeführerin voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Gegebenenfalls werde weiters gebeten bekanntzugeben, ob die Erwerbsunfähigkeit trotz des jahrelangen Dienstverhältnisses vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetreten sei.
Das Bundessozialamt Oberösterreich erstattete gestützt auf zwei ärztliche Gutachten eine ärztliche Stellungnahme dahingehend, dass eine Gesamtbehinderung von 50 % vorliege, bezüglich der dauernden Erwerbsunfähigkeit allerdings festzuhalten sei, dass eine solche nach den vorliegenden Befunden und Gutachten nicht bestehe und somit auch eine dauernde Erwerbsunfähigkeit vor dem 21. Lebensjahr nicht gegeben gewesen sei.
Der Beschwerdeführerin wurde eine Kopie der ärztlichen Gutachten übermittelt und darauf hingewiesen, dass sich aus der ärztlichen Stellungnahme des Bundessozialamtes ergebe, dass die Tochter der Beschwerdeführerin nicht voraussichtlich dauernd außerstande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Danach könne nicht vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Gewährung der Familienbeihilfe und erhöhten Familienbeihilfe ausgegangen werden. Es wurde Gelegenheit geboten, innerhalb von drei Wochen ein Gegengutachten vorzulegen.
Innerhalb dieser Frist langte bei der belangten Behörde ein Schreiben des beruflichen Bildungs- und Rehabilitationszentrums Linz ein, wonach die Tochter der Beschwerdeführerin seit November 2001 in dieser geschützten Werkstätte beschäftigt sei. Es sei für diese wichtig, dass sie die erhöhte Familienbeihilfe bekomme, da sie mit dem geringen Einkommen der geschützten Werkstätte ihren Lebensunterhalt nicht bestreiten könne. Entgegen der Stellungnahme des Bundessozialamtes für Oberösterreich sei bei "Betrachtung des Werdeganges eher unvorstellbar", dass sich bei der Tochter der Beschwerdeführerin "eine selbständige Erwerbsfähigkeit entwickeln werde".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung im Wesentlichen gestützt auf die ärztliche Stellungnahme des Bundessozialamtes für Oberösterreich ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Beschwerde erwogen:
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres oder während einer späteren Berufsausbildung, jedoch spätestens vor Vollendung des 27. Lebensjahres, eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen.
§ 8 Abs. 5 FLAG 1967 regelt, unter welchen Voraussetzungen allenfalls ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe besteht.
Die Beschwerdeführerin rügt, dass die belangte Behörde bei Beurteilung des Familienbeihilfenanspruches der Beschwerdeführerin für ihre Tochter Manuela, den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt habe. Auf Grund der "vorliegenden ärztlichen Unterlagen, welche bereits bei Antragstellung vorgelegt worden sind," ergebe sich zunächst eindeutig, dass die Tochter der Beschwerdeführerin seit ihrer Geburt an einem schweren Augenleiden leide. Aus den vorgelegten "Befundberichten" ergebe sich, dass bei der Tochter der Beschwerdeführerin eine Störung der Motorik vorliege sowie eine schwere Schielerkrankung, welche auch durch mehrmalige Operationen nicht hätte gebessert werden können. Insbesondere werde auf einen Befund von Dr. Heidemarie Pf. vom 25. Juni 2001 verwiesen, in welchem eine massive Visusminderung bestätigt werde, ein Befund, der auch der Beurteilung von Dr. Ulrike N. entspreche, der am 18. Februar 2002 beim Bundessozialamt für Oberösterreich eingelangt sei. Auch dort werde von einer massiven Amblyopie gesprochen. Demgegenüber stelle das Bundessozialamt für Oberösterreich in seiner Stellungnahme fest, die "Behinderte wäre nicht stark sehbehindert, weil die unter lit. g gestellten Fragen generell" mit nein beantwortet worden seien. (In dem von einem der beiden Gutachter verwendeten Formular war durch Kennzeichnung mit "ja/nein" unter anderem die Frage zu beantworten "Der/Die Behinderte ist stark sehbehindert".) Es zeige sich somit "bereits bei der Befundaufnahme durch das Bundessozialamt bzw. die ärztlichen Untersuchungen ein erheblicher Widerspruch". Auf diesen Widerspruch sei von der Behörde in keiner Weise reagiert worden bzw. habe sich die belangte Behörde damit nicht befasst, obwohl diese "Umstände offenkundig aufklärungsbedürftig" seien.
Im Beschwerdefall kann dahingestellt bleiben, ob schon "bei der Befundaufnahme durch das Bundessozialamt bzw. den ärztlichen Untersuchungen" ein Widerspruch zu erblicken ist, auf welchen die belangte Behörde reagieren hätte müssen.
Aus dem im Akt liegenden neurologischen Gutachten, welches zum Zwecke der Stellungnahme des Bundessozialamtes eingeholt worden war, ergibt sich, dass die Tochter der Beschwerdeführerin "trotz des Ausmaßes ihrer Gebrechen zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit auf einem geschützten Arbeitsplatz oder in einem integrativen Betrieb geeignet" sei.
Davon ausgehend hätte die belangte Behörde zur Beantwortung der im Beschwerdefall zunächst strittigen Frage, ob die volljährige Tochter der Beschwerdeführerin wegen einer körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sein würde, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, feststellen müssen, ob das bedeutet, dass diese außerhalb einer geschützten Werkstätte oder außerhalb eines "integrativen Betriebes" nicht beschäftigt werden kann, und wie viel sie im Rahmen einer geschützten Werkstätte oder innerhalb eines "integrativen Betriebes" ins Verdienen bringen kann. Allenfalls hätte die belangte Behörde für den Fall, dass die entsprechenden Beträge als zur dauernden Unterhaltsverschaffung zu gering zu beurteilen gewesen wären, darüber hinaus feststellen müssen, ob der entsprechende, die Unterhaltsverschaffung hindernde Krankheitszustand schon vor Vollendung der in § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 angeführten Altersgrenzen eingetreten ist.
Da solche Feststellungen fehlen, ist der angefochtene Bescheid mit einem auch wesentlichen Begründungsmangel belastet. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 26. März 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2002140064.X00Im RIS seit
03.05.2007