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E000 EU- Recht allgemein;Norm
62000CJ0453 Kuehne Heitz VORAB;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2007/21/0051Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des A, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 5. Dezember 2006, Zl. VwSen-400856/4/Gf/BP/CR, betreffend Schubhaft (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger des Libanon. Er reiste im Juli 2000 nach Deutschland und wurde am 19. November 2004 in seine Heimat abgeschoben.
Am 11. März 2005 gelangte der Beschwerdeführer nach Österreich, wo er am 13. März 2005 einen Asylantrag stellte. Diesen Antrag wies das Bundesasylamt mit am 21. Oktober 2006 in Rechtskraft erwachsenem Bescheid ab; zugleich stellte es fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in den Libanon zulässig sei, und wies ihn aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Libanon aus.
Nachdem die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land gemäß § 22 AsylG vom rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens des Beschwerdeführers informiert worden war, erließ sie ein "Erhebungsersuchen" an die Polizeiinspektion Traun. Auf Grund dieses Ersuchens wurde der Beschwerdeführer am 27. November 2006 der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vorgeführt, die in der Folge mit Bescheid vom selben Tag gemäß "§ 76 Abs. 1 und 2" des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG iVm § 57 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung in den Libanon verhängte. Die dagegen erhobene Beschwerde wies die belangte Behörde mit Bescheid vom 5. Dezember 2006 gemäß §§ 82 und 83 FPG als unbegründet ab. Zugleich stellte sie fest, dass die Voraussetzungen für die Anhaltung in Schubhaft weiterhin vorlägen. Diese Entscheidung begründete die belangte Behörde im Wesentlichen damit, dass sich der Beschwerdeführer "offensichtlich" nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte, weshalb die zur Sicherung der Abschiebung verhängte Schubhaft grundsätzlich auf § 76 Abs. 1 FPG gestützt werden könne. Dass der Beschwerdeführer mit einer seit 31. Oktober 2005 in Österreich gemeldeten deutschen Staatsbürgerin verheiratet sei, vermöge daran nichts zu ändern. Die Anhaltung in Schubhaft sei aber auch als erforderlich anzusehen, weil der Beschwerdeführer schon in der Vergangenheit durch das Zuwiderhandeln gegen fremdenpolizeiliche Anordnungen dokumentiert habe, dass er nicht bereit sei, die Rechtsordnungen der von ihm angestrebten Aufnahmeländer zu respektieren. In diesem Zusammenhang sei darauf zu verweisen, dass er - wie eine Abfrage des Zentralen Melderegisters ergeben habe - in Österreich über keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz verfüge; an der von ihm in der Schubhaftbeschwerde genannten Adresse sei nicht er selbst, sondern nur seine Ehegattin polizeilich gemeldet. Hinzu komme, dass es der Beschwerdeführer abgelehnt habe, bei der Behörde seinen Reisepass zu hinterlegen. Dies rechtfertige die Prognose, dass er - in Freiheit belassen - beabsichtigen werde, in die Illegalität unterzutauchen, um sich so seiner drohenden Abschiebung in den Libanon zu entziehen. Das ergebe sich auch mittelbar aus der durch einen Aktenvermerk dokumentierten - im Bescheid aber nicht näher dargestellten - Vorsprache der Ehegattin des Beschwerdeführers vom 28. November 2006.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
1. In der behördlichen Gegenschrift wird zunächst ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei dem seinerzeitigen Vertreter des Beschwerdeführers vor seiner postalischen Übermittlung, die am 11. Dezember 2006 erfolgte, bereits am 6. Dezember 2006 per Telefax zugestellt worden, weshalb die gegenständliche, am 19. Jänner 2007 zur Post gegebene Verwaltungsgerichtshofbeschwerde "verspätet sein dürfte".
Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2004/06/0170, auf dessen nähere Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, ausgeführt hat, ist eine Zustellung durch Telefax bis 31. Dezember 2007 grundsätzlich zulässig. Eine wirksame Zustellung setzt freilich voraus, dass das Fax auch tatsächlich zugegangen ist, was im vorliegenden Fall nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden kann. Das muss zu dem Ergebnis führen, dass die Behauptung des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme vom 22. Februar 2007 über die nicht erfolgte "Fax-Zustellung" als richtig anzunehmen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. März 2003, Zl. 2001/13/0302, das ungeachtet der Änderungen des Zustellrechts durch die Novelle BGBl. I Nr. 10/2004 insoweit weiter anwendbar ist). Der vom Beschwerdeführer in der zuvor erwähnten Stellungnahme bloß in eventu gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung der gegenständlichen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde ist daher keiner Erledigung zuzuführen.
2. In der Sache selbst kann der belangten Behörde dahingehend nicht entgegengetreten werden, dass sich der Beschwerdeführer rechtswidrig in Österreich aufhalte. Das folgt jedenfalls aus der am 21. Oktober 2006 unstrittig in Rechtskraft erwachsenen asylrechtlichen Ausweisung, kraft derer sich der Beschwerdeführer in den Libanon zu begeben hätte. Dass er mit einer deutschen Staatsangehörigen verheiratet ist, was nach Ansicht des Beschwerdeführers ein Aufenthaltsrecht begründe, vermag daran schon deshalb nichts zu ändern, weil im Schubhaftverfahren die Frage der Rechtmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme keiner Prüfung zu unterziehen ist (vgl. zuletzt - bezüglich eines Aufenthaltsverbots - etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2004/21/0138). Auch eine gemeinschaftsrechtliche Betrachtung kann im vorliegenden Fall zu keinem anderen Ergebnis führen. Nach der aktuellen Judikatur des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) ist eine "bestandskräftige" Verwaltungsentscheidung nämlich u.a. nur dann zu hinterfragen, wenn die Entscheidung infolge eines Urteils eines in letzter Instanz entscheidenden nationalen Gerichts ihre Bestandskraft erlangt hat (siehe das Urteil vom 13. Jänner 2004 in der Rs C- 453/00, Kühne & Heitz), was die Ausschöpfung der staatlichen Rechtsschutzeinrichtungen voraussetzt (siehe näher auch die Entscheidungsbesprechung von Potacs in EuR 2004/4, 595 ff.; vgl. auch das Urteil des EuGH vom 16. März 2006 in der Rs C- 234/04, Kapferer, sowie das Urteil des Verfassungsgerichtshofes vom 19. Juni 2006, A 17/05). Gegenständlich ist aber die erstinstanzliche Ausweisungsentscheidung in Rechtskraft erwachsen.
Dennoch erweist sich die vorliegende Beschwerde als berechtigt. Sie zeigt nämlich zutreffend auf, dass der belangten Behörde eine Aktenwidrigkeit unterlaufen ist. Diese hat ein Sicherungsbedürfnis ua. deshalb bejaht, weil der Beschwerdeführer über keinen ordnungsgemäßen Wohnsitz in Österreich verfüge; eine Abfrage beim Zentralen Melderegister habe ergeben, dass zwar seine Ehegattin, nicht aber er selbst an der in seiner Schubhaftbeschwerde genannten Adresse polizeilich gemeldet sei. Demgegenüber erliegen in den Verwaltungsakten der erstinstanzlichen Schubhaftanordnung unmittelbar vorangehende Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, denen zufolge der Beschwerdeführer seit 10. Juni 2005 durchgehend ordnungsgemäß (vom 31. Oktober 2005 bis 29. Mai 2006 und seit 9. Juni 2006 bis laufend an der selben Adresse wie seine deutsche Ehefrau) in Österreich gemeldet ist. Bei Vermeidung der aufgezeigten Aktenwidrigkeit hätte die belangte Behörde zu einem anderen Ergebnis gelangen können (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 31. August 2006, Zl. 2006/21/0087), zumal auch die im bekämpften Bescheid weiter angesprochene Verweigerung der Hinterlegung des Reisepasses nicht in erster Linie auf ein "Untertauchen" des Beschwerdeführers "in die Illegalität" schließen lässt. Bezeichnender Weise wird die Abnahme der Reisepapiere in § 77 Abs. 3 FPG nicht als gelinderes Mittel erwähnt, während sie demgegenüber in § 180 Abs. 5 Z 5 StPO zur Hintanhaltung der strafgerichtlichen Untersuchungshaft - erkennbar zur Verhinderung einer Flucht des Tatverdächtigen ins Ausland (eine derartige "Flucht" wäre hier aber geradezu das Ziel fremdenpolizeilicher Maßnahmen!) - vorgesehen ist. Der bekämpfte Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. März 2007
Gerichtsentscheidung
EuGH 62000J0453 Kuehne Heitz VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Maßgebender Bescheidinhalt Inhaltliche und zeitliche Erstreckung des Abspruches und der RechtskraftAuslegung Diverses VwRallg3/5Gemeinschaftsrecht Auslegung Allgemein EURallg3Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der BehördeIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210019.X00Im RIS seit
02.05.2007Zuletzt aktualisiert am
31.10.2011