Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
ARB1/80 Art6;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des R, vertreten durch Dr. Gertraude Carli, Rechtsanwalt in 8230 Hartberg, Raimund-Obendrauf-Straße 9, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 10. August 2006, Zl. UVS 26.20-14/2006-7, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten Bescheid wies der Unabhängige Verwaltungssenat für die Steiermark (die belangte Behörde) die Berufung des Beschwerdeführers, eines türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm §§ 125 Abs. 1 und 9 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG gegen den auf § 33 Abs. 1 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 gestützten erstinstanzlichen Ausweisungsbescheid ab. Sie legte ihrer Entscheidung zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 28. Dezember 2001 illegal in das Bundesgebiet eingereist und sein Asylantrag mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 3. Dezember 2002 rechtskräftig abgewiesen worden sei. Die Behandlung einer dagegen eingebrachten Beschwerde sei mit 27. Februar 2003 (hg. Zl. 2003/20/0009) abgelehnt worden.
Der Beschwerdeführer verfüge über eine am 28. August 2005 ausgestellte Arbeitserlaubnis. Dem Antrag auf Gewährung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen habe die Bundesministerin für Inneres nicht zugestimmt.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, dass dem Beschwerdeführer als türkischen Staatsangehörigen die Rechtsstellung nach dem Assoziationsratsbeschluss Nr. 1/80 zukomme, weil er seit vier Jahren dem regulären Arbeitsmarkt in Österreich angehöre. Ab dem Zeitpunkt der rechtskräftigen Abweisung des Asylantrages sei dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung mehr zugekommen, weshalb er sich nicht rechtmäßig in Österreich aufhalte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
§ 9 Abs. 1 FPG regelt (als Verfassungsbestimmung) die Zuständigkeit für Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz, somit u. a. für eine Ausweisung, und lautet folgendermaßen:
"Über Berufungen gegen Entscheidungen nach diesem
Bundesgesetz entscheiden, sofern nicht anderes bestimmt ist,
1. im Fall von EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und
begünstigten Drittstaatsangehörigen die unabhängigen
Verwaltungssenate in den Ländern und
2. in allen anderen Fällen die Sicherheitsdirektionen
in letzter Instanz."
In Anbetracht des Anwendungsvorranges des Gemeinschaftsrechts ist es geboten, für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses des Assoziationsrates EWG-Türkei vom 19. September 1980, Nr. 1/80, zukommt, den Instanzenzug zu einem Tribunal einzurichten und somit § 9 Abs. 1 Z 1 FPG auf solche Fälle anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, und diesem folgend etwa das hg. Erkenntnis vom 21. November 2006, Zl. 2006/21/0217, sowie den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a.).
Die belangte Behörde befindet sich aber in einem Rechtsirrtum, wenn sie dem Beschwerdeführer eine Berechtigung nach dem ARB beimisst. Es ist ständige hg. Rechtsprechung (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 1. Juni 2001, Zl. 2001/19/0001, und vom 8. Juli 2004, Zl. 2004/21/0153, dies auch unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes etwa im Urteil vom 6. Juni 1995, Rs. C-434/93, "Bozkurt"), dass Fremde, die eine - wenn auch allenfalls in Einklang mit den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes stehende - Beschäftigung ausüben, die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 ARB (nur diese käme fallbezogen in Betracht) nicht erfüllen, wenn ihr Aufenthalt im Bundesgebiet bloß auf Grund einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung beruht, weil die letztgenannte Berechtigung keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position des Betroffenen am Arbeitsmarkt vermittelt.
Da der Beschwerdeführer unbestritten nur über eine vorläufige asylrechtliche Aufenthaltsberechtigung verfügt hat, war die belangte Behörde zur Entscheidung über die Berufung des Beschwerdeführers nicht zuständig.
Diese Unzuständigkeit war von Amts wegen aufzugreifen (vgl. für viele das hg. Erkenntnis vom 18. November 2004, Zl. 2004/07/0142) und der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. März 2007
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Anwendungsvorrang, partielle Nichtanwendung von innerstaatlichem Recht EURallg1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210280.X00Im RIS seit
16.05.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009