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20/02 Familienrecht;Norm
AVG §47;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des Ö D, geboren 1982, vertreten durch Dr. Michael Drexler, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Hörlgasse 4/5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 21. Dezember 2006, Zl. SD 603/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 21. Dezember 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9 iVm § 63 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von acht Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei seit 11. April 2001 anfänglich nur jeweils für einige Monate als Saisonarbeitskraft in Österreich aufhältig gewesen. Am 7. November 2002 habe er die österreichische Staatsangehörige N. geheiratet. Daraufhin sei ihm eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger" erteilt worden. Seitdem halte er sich ständig in Österreich auf. Die Niederlassungsbewilligung für diesen Zweck sei mehrmals verlängert worden.
Am 25. April 2006 sei die Ehe des Beschwerdeführers rechtskräftig (im Einvernehmen) geschieden worden.
N. habe bei ihrer zeugenschaftlichen Vernehmung am 20. Mai 2005 unter anderem angegeben, den Beschwerdeführer seit drei Jahren zu kennen. Ihr derzeitiger Lebensmittelpunkt läge bei ihren Eltern im Burgenland. Der Beschwerdeführer würde unter der Woche bei seiner Tante in Wien und am Wochenende bei ihr (also bei ihren Eltern im Burgenland) leben. Sie könnte zwar auch bei der Tante des Beschwerdeführers wohnen, wollte dies aber nicht, weil sie sich mit dieser nicht verstünde. (Dennoch sei N. seit 21. Februar 2005 bei der Tante des Beschwerdeführers gemeldet.) Ihr am 26. September 2004 geborenes (etwa im Jänner 2004 gezeugtes) Kind würde nicht vom Beschwerdeführer stammen. Trotzdem würde sie ihre Ehe als "gut" bezeichnen. Der Beschwerdeführer hätte kein Problem damit gehabt, dass sie während der aufrechten Ehe von einem anderen Mann ein Kind bekommen hätte. Die Eltern des Beschwerdeführers würde sie nicht kennen. Das Ehepaar hätte keine gemeinsamen Bekannte. Den Beschwerdeführer würden ihre Mutter H. und deren Lebensgefährte J. kennen. Diese Personen würden den Beschwerdeführer jedes Wochenende sehen. Bei der Hochzeit wäre niemand von ihrer Familie anwesend gewesen.
Der Beschwerdeführer sei ebenfalls am 20. Mai 2005 niederschriftlich einvernommen worden. Dabei habe er sinngemäß angegeben, dass er seine Schwiegereltern kennen würde, deren Namen jedoch nicht wüsste, weil er sie erst zwei- bis dreimal gesehen hätte.
H., die Mutter von N. habe am 29. Juni 2005 als Zeugin ausgesagt, den Gatten ihrer Tochter nicht zu kennen. Von der Ehe hätte sie überhaupt erst im Mai 2005 erfahren.
J., der Lebensgefährte von H., habe bei der niederschriftlichen Vernehmung am 27. Juni 2005 ebenfalls angegeben, den Ehegatten der Beschwerdeführerin nicht zu kennen.
Diese Verfahrensergebnisse seien dem Beschwerdeführer zur Stellungnahme übermittelt worden. Eine Stellungnahme sei nicht abgegeben worden. Erst in der Berufung habe der Beschwerdeführer vorgebracht, dass es sich bei der Ehe mit N. um eine Liebesheirat gehandelt hätte. Die Ehe wäre etwa ein Jahr bis Ende 2003 harmonisch gewesen. An anderer Stelle in der Berufung habe der Beschwerdeführer allerdings geschrieben, dass die Beziehung zu seiner Ehefrau bereits im Sommer 2003 beendet worden wäre.
Bei einer neuerlichen niederschriftlichen Einvernahme am 2. August 2006 habe N. u.a. sinngemäß ausgeführt, dass sie den Beschwerdeführer am 14. Oktober 2002 kennen gelernt und etwa zwei Jahre lang eine normale Ehe geführt hätte. Erst danach hätte sie sich in den Vater ihres Kindes verliebt, sodass kein normales Familienleben mehr geführt worden wäre. Die Aussage ihrer Mutter und deren Lebensgefährten habe sie dabei als "Blödsinn" bezeichnet.
Die Aussage des Beschwerdeführers, von November 2002 bis Mitte oder Ende 2003 mit N. ein gemeinsames Familienleben geführt zu haben, sei unglaubwürdig. Die Angaben der einvernommenen Personen seien in wesentlichen Punkten divergierend. Die Mutter von N. und deren Lebensgefährte hätten den Beschwerdeführer entgegen den Aussagen der N. und des Beschwerdeführers nie gesehen. Der Beschwerdeführer habe in der Berufung selbst vorgebracht, dass die eheliche Beziehung Mitte oder Ende November 2003 beendet worden wäre. Bei der Einvernahme vom 20. Mai 2005 habe er jedoch angegeben, dass er vor hätte, zu seiner Gattin und zur Schwiegermutter in das Burgenland zu ziehen und mit seiner Gattin in die Türkei zu fliegen. Abgesehen davon sei es auch unglaubwürdig, dass bei einer vorgeblichen "Liebesheirat" weder die Mutter der Braut noch die Eltern des Bräutigams zugegen gewesen seien und dass das Ehepaar überhaupt keine gemeinsamen Bekannten habe. Ein weiteres Indiz für das Vorliegen einer bloßen Aufenthaltsehe liege darin, dass die Ehegatten nach deren eigenen Angaben bereits drei Wochen nach dem ersten Kennenlernen geheiratet hätten. Aus all diesen Gründen seien die Aussagen des Beschwerdeführers und seiner geschiedenen Gattin vollkommen unglaubwürdig. Es liege eine bloße Aufenthaltsehe vor; ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK sei niemals geführt worden.
Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass dieses Verhalten den öffentlichen Interessen zuwiderlaufe und eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens darstelle. Das im Eingehen einer Aufenthaltsehe liegende Verhalten, das mit der Täuschung staatlicher Organe über den wahren Ehewillen beginne und sich bis zum Erschleichen staatlicher Berechtigungen und Befugnisse fortsetze, stelle zweifellos eine erhebliche Gefährdung öffentlicher Interessen dar.
Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG fiele zu Gunsten des Beschwerdeführers der etwa fünfjährige Aufenthalt im Bundesgebiet ins Gewicht. Die durch diesen Aufenthalt und die Beschäftigung bewirkte Integration in Österreich werde dadurch entscheidend gemindert, dass sowohl die Niederlassungsbewilligung als auch die Arbeitsbewilligung (großteils) nur auf Grund einer rechtsmissbräuchlich eingegangenen Ehe erteilt worden seien. Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am weiteren Aufenthalt in Österreich stehe das durch die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe und die Berufung darauf anlässlich der Beantragung einer Niederlassungsbewilligung beeinträchtigte maßgebliche öffentliche Interesse gegenüber. Das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) dringend geboten (§ 66 Abs. 1 FPG); die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.).
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbot betreffe erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene fünfjährige Befristung nicht gerechtfertigt, weil mit dem Inkrafttreten des FPG am 1. Jänner 2006 die Höchstdauer für Aufenthaltsverbote in Fällen von Aufenthaltsehen von fünf auf zehn Jahre hinaufgesetzt worden sei. Im Hinblick auf das dargestellte Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen eines achtjährigen Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die der Sache nach inhaltliche Rechtswidrigkeit und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde mit dem Begehren, ihn aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt vor, dass sich sowohl er als auch seine geschiedene Gattin immer gleichbleibend dahin verantwortet hätten, dass es sich um eine ordnungsgemäße Ehe gehandelt habe.
Dieses Vorbringen ist nicht geeignet, die auf die dargestellten Widersprüche und Ungereimtheiten in den Aussagen des Beschwerdeführers und der vernommenen Zeugen gegründete Beweiswürdigung der belangten Behörde als unschlüssig erscheinen zu lassen. Diese Beweiswürdigung begegnet daher im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof diesbezüglich zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. insbesondere das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
Die belangte Behörde hat somit auf Grund einer unbedenklichen Beweiswürdigung festgestellt, dass der Beschwerdeführer die Ehe mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossen, sich für die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung auf die Ehe berufen, aber mit der Ehegattin nie ein gemeinsames Familienleben geführt habe.
Auf Grund dieses Sachverhalts ist der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG verwirklicht.
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers beweist die Heiratsurkunde als öffentliche Urkunde lediglich die Tatsache und den Zeitpunkt der Eheschließung, entfaltet jedoch keine Beweiskraft für die hier gegenständliche Frage, ob die Ehegatten jemals ein gemeinsames Familienleben geführt haben. Die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG hat - entgegen der Beschwerdemeinung - nicht zur Voraussetzung, dass die Ehe für nichtig erklärt worden ist. (Vgl. das zu § 36 Abs. 2 Z. 9 Fremdengesetz 1997 ergangene, auch hier maßgebliche hg. Erkenntnis vom 16. April 1999, Zl. 99/18/0044.)
2. Da die rechtsmissbräuchliche Eingehung einer Ehe zur Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen - wie die belangte Behörde richtig erkannt hat - die öffentliche Ordnung (das öffentliche Interesse an einem geordneten Fremdenwesen) erheblich beeinträchtigt, ist vorliegend auch die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt.
3. Gegen das Ergebnis der Interessenabwägung gemäß § 60 Abs. 6 iVm § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG führt der Beschwerdeführer ins Treffen, er sei "seit vielen Jahren ... sozial und wirtschaftlich integriert"; er habe auf Grund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger einer Österreicherin gearbeitet und sei "aufenthaltsverfestigt".
Die belangte Behörde hat die Dauer des inländischen Aufenthalts und die Berufstätigkeit des Beschwerdeführers in Österreich berücksichtigt. Zu Recht hat sie die daraus ableitbare Integration auf Grund des Umstandes, dass sowohl die Niederlassungsbewilligung des Beschwerdeführers als auch dessen Berechtigung zur dauerhaften Arbeit in Österreich nur auf Grund der rechtsmissbräuchlich eingegangenen Ehe erlangt wurde, als entscheidend gemindert angesehen.
Welche weiteren für seine Integration maßgeblichen Umstände nicht berücksichtigt worden seien, zeigt der Beschwerdeführer mit dem dargestellten Vorbringen nicht auf.
Die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), kann aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Bescheides nicht als rechtswidrig erkannt werden.
4.1. Der Beschwerdeführer wendet sich auch gegen die Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots mit acht Jahren und führt dazu ins Treffen, dass von der Behörde erster Instanz die Dauer mit lediglich fünf Jahren bemessen worden sei. Da ein Aufenthaltsverbot einer Strafe gleichkomme, liege ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot vor. Es sei nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Dauer des Aufenthaltsverbots auf Grund der Berufung von fünf Jahren auf acht Jahre erhöht werde. Dies solle offensichtlich andere davon abhalten, in ähnlichen Fällen Berufungen zu erheben.
4.2. Diesem Vorbringen ist zunächst zu entgegnen, dass es sich bei einem Aufenthaltsverbot nicht um eine Strafe, sondern um eine administrativ-rechtliche Maßnahme handelt (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0118). Die Erhöhung der Dauer des Aufenthaltsverbots widerspricht daher nicht dem strafrechtlichen Verschlechterungsverbot.
Gemäß § 63 Abs. 1 FPG kann ein Aufenthaltsverbot in den Fällen des § 60 Abs. 2 Z. 1, 5 und 12 bis 14 leg. cit. unbefristet und sonst - also auch im Fall des § 60 Abs. 2 Z. 9 leg. cit. - für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Nach der hg. Rechtsprechung ist ein Aufenthaltsverbot - unter Berücksichtigung dieses Rahmens - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird (vgl. etwa das Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0453). Der belangten Behörde kann nicht entgegen getreten werden, wenn sie angesichts des gravierenden Fehlverhaltens des Beschwerdeführers, das ihm die Berechtigung zur Niederlassung und zur dauernden Aufnahme einer Beschäftigung verschafft hat, die Auffassung vertreten hat, dass ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes nicht vor Verstreichen eines Zeitraumes von acht Jahren erwartet werden könne.
5. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 27. März 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007180059.X00Im RIS seit
14.05.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009