Index
E6J;Norm
61999CJ0413 Baumbast VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der P, vertreten durch Dr. Klaus Kocher und Mag. Wilfried Bucher, Rechtsanwälte in 8010 Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 25. Oktober 2006, Zl. Fr 329/2005, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen die Beschwerdeführerin, eine nigerianische Staatsangehörige, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 sowie den §§ 63 Abs. 1, 66 und 125 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.
Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie darauf, dass die Beschwerdeführerin eine Ehe mit einem österreichischen Staatsangehörigen bloß zum Zweck der Erlangung fremdenrechtlich bedeutsamer Berechtigungen eingegangen sei. Gegen ein derart missbräuchliches Verhalten sei ein rigoroses Vorgehen erforderlich. Es sei nicht nur die in § 60 Abs. 2 Z 9 FPG "umschriebene Annahme gerechtfertigt"; die Beschwerdeführerin habe auch mit aller Deutlichkeit ihre Neigung gezeigt, sich über die maßgeblichen österreichischen Rechtsvorschriften hinwegzusetzen. Dass diese Ehe noch nicht geschieden sei, habe keine Relevanz, weil die Verwirklichung des Tatbestandes des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG (Aufenthaltsehe) nicht zur Voraussetzung habe, dass die Ehe für nichtig erklärt worden ist.
Auch wenn die Beschwerdeführerin überhaupt erst auf Grund der "Scheinehe" im Bundesgebiet habe Fuß fassen können, sei im Hinblick auf ihre Beschäftigung und die bisher verstrichene Aufenthaltsdauer im Inland mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in ihr Privatleben verbunden. Dieser Eingriff sei jedoch zur Verhinderung (gemeint: Aufrechterhaltung) eines geordneten Fremdenwesens, somit zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten. Wer grob missbräuchlich nur zu dem Zweck vorgehe, sich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts wesentliche Berechtigungen zu verschaffen, verstoße gegen gewichtige öffentliche Interessen, die ein Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung notwendig erscheinen ließen.
Es würden die für die Beschwerdeführerin sprechenden persönlichen Interessen das durch ihr Fehlverhalten nachhaltig beeinträchtigte allgemeine Interesse nicht überwiegen. Die Beschwerdeführerin habe nicht aufgezeigt, dass es für sie "gänzlich unmöglich" wäre, mit ihrem Kind Österreich zu verlassen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten erwogen:
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2).
Nach § 60 Abs. 2 Z 9 leg. cit. hat als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat.
Gemäß § 30 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG dürfen sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf diese Ehe berufen.
Gemäß § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG ist ein Aufenthaltsverbot gegen Angehörige von - ihre Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmenden - Österreichern zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist; das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dabei kann auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als Orientierungsmaßstab zurückgegriffen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0165).
Die Beschwerdeführerin tritt den behördlichen Feststellungen nicht entgegen und bestreitet somit nicht, dass sie eine sogenannte "Aufenthaltsehe" eingegangen sei, um sich fremdenrechtliche Vorteile zu verschaffen. Demnach ist - wie schon erwähnt - der als Maßstab heranzuziehende Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG erfüllt. Dass dadurch auch eine Prognose nach § 86 Abs. 1 FPG (Gefährdung eines Grundinteresses der Gesellschaft) zu bejahen ist, ergibt sich aus der ständigen hg. Rechtsprechung, derzufolge wegen rechtsmissbräuchlichen Schließens einer Ehe ein Aufenthaltsverbot auf § 48 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 gestützt werden konnte (vgl. für viele das Erkenntnis vom 31. Oktober 2002, Zl. 2002/18/0145) und auch § 48 Fremdengesetz 1997 die Verletzung eines Grundinteresses der Gesellschaft (wie nun in § 86 FPG ausdrücklich normiert) forderte (vgl. das Erkenntnis vom 9. Oktober 2001, Zl. 99/21/0125).
Die Beschwerde wirft der belangten Behörde vor, dass in der Bescheidbegründung wahrheitswidrig ausgeführt worden sei, die Ehe sei noch aufrecht; in Wahrheit sei diese Ehe bereits mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes Linz vom 26. Juni 2006 als nichtig aufgehoben worden. Mit diesem Vorbringen wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides nicht dargetan, wurde die Beschwerdeführerin doch nicht dadurch in ihren Rechten verletzt, dass die belangte Behörde nicht nur den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG als verwirklicht angesehen, sondern auch die Voraussetzung des § 86 Abs. 1 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (gegen Angehörige von Österreichern) bejaht hat; dies umfasst wiederum auch eine Bejahung der Prognose nach § 60 Abs. 1 Z 1 FPG (vgl. auch dazu das zit. Erkenntnis Zl. 2006/18/0165).
Es trifft zwar - worauf die Beschwerde hinweist - zu, dass nach der Rechtsprechung zum Fremdengesetz 1997 (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2000, Zl. 99/18/0252) nach Verstreichen eines Zeitraums von fünf Jahren seit rechtsmissbräuchlicher Eingehung der Ehe die Gefährlichkeitsprognose nicht mehr aufrechterhalten werden könne. Der im vorliegenden Fall verstrichene Zeitraum von ca. dreieinhalb Jahren seit der Eheschließung am 3. Juni 2003 bis zur Erlassung des angefochtenen Bescheides kann jedoch keinesfalls dazu führen, dass die Gefährlichkeitsprognose nicht getroffen werden dürfte. Für diese Prognose ist es ohne Bedeutung, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Behauptung weder verwaltungs- noch strafrechtlich "in Erscheinung getreten" sei. Angesichts des gewichtigen öffentlichen Interesses an der Verhinderung von Aufenthaltsehen durfte die belangte Behörde das Verhalten der Beschwerdeführerin als erhebliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung werten, ohne sich - wie die Beschwerde meint -
mit dem "Charakterbild" der Beschwerdeführerin weiter beschäftigen zu müssen.
Mit dem Vorwurf, es habe sich die belangte Behörde mit dem Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin nicht ausreichend befasst, zeigt die Beschwerde allerdings eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Aus dem Verwaltungsakt ist ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin am 21. Oktober 2004 ein Kind zur Welt gebracht hat. Dieses gilt im Blick auf die Eheschließung der Beschwerdeführerin am 3. Juni 2003 als ehelich; gemäß § 138c Abs. 2 ABGB idF BGBl. I Nr. 58/2004 ändert die behauptete, am 26. Juni 2006 erfolgte Nichtigerklärung der Ehe nichts an dieser Ehelichkeitsvermutung. Somit hat das Kind, dessen Vater österreichischer Staatsbürger ist, gemäß § 7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 mit der ehelichen Geburt die österreichische Staatsbürgerschaft erworben.
Es lässt sich zwar dem Verwaltungsakt entnehmen, dass die Vaterschaft des Ehemannes der "Aufenthaltsehe" übereinstimmend verneint wird. Die belangte Behörde traf jedoch keine Feststellungen, ob eine Bestreitung der Ehelichkeit bzw. der Abstammung vom Ehemann der Mutter vorgenommen wurde.
Dieser Verfahrensmangel ist relevant, könnte doch bei einem Angewiesensein eines Kindes mit österreichischer Staatsangehörigkeit auf die Pflege und Obsorge durch seine Mutter eine aufenthaltsbeendigende Maßnahme gegen die Mutter eine Verletzung nach Art. 8 EMRK darstellen, wenn dem Kind eine Ausreise mit der Mutter nicht zumutbar wäre (vgl. das Urteil des EuGH vom 17. September 2002, Rs. C-413/99 "Baumbast", in dem das Aufenthaltsrecht zur Betreuung eines freizügigkeitsberechtigten Kindes auch auf Art. 8 EMRK gestützt wurde, sowie dem folgend das Urteil vom 19. Oktober 2004, Rs. C-200/02 "Zhu und Chen"; zur Interessenlage einer nicht einmal obsorgeberechtigen Mutter vgl. das Urteil des EGMR vom 31. Jänner 2006, Nr. 50435/99, ÖJZ 2006,738 (MRK 2006/16)).
Da es dem Gerichtshof somit verwehrt ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides auch im Blick auf die Interessenabwägung nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG überprüfen zu können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 27. März 2007
Gerichtsentscheidung
EuGH 61999J0413 Baumbast VORABSchlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Verfahrensbestimmungen AllgemeinBesondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210376.X00Im RIS seit
03.05.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2013