TE OGH 2002/11/26 1Ob246/02m

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Veröffentlicht am 26.11.2002
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Markus T*****, vertreten durch Mag. Kurt Oberleitner, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei F***** Gesellschaft m. b. H., *****, vertreten durch Dr. Erich Moser, Rechtsanwalt in Murau, und die Nebenintervenientin K***** OEG, *****, vertreten durch Dr. Michael Drexel, Rechtsanwalt in Graz, wegen 5.813,83 EUR sA und Feststellung (Streitwert 72,67 EUR) infolge ordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 20. Juni 2002, GZ 4 R 166/02v-33, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Lienz vom 1. Februar 2002, GZ 3 C 228/01d-25, abgeändert wurde, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei und der Nebenintervenientin die mit je 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten deren Revisionsbeantwortungen binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Begründung:

Die beklagte Partei betrieb ein Schigelände in Klagenfurt, das am 8. 1. 2000 mit einem Schlepplift erschlossen war. Neben der vom Schlepplift bedienten Piste lag eine andere Piste, die durch einen Sessellift erschlossen werden sollte. Damals standen jedoch erst die Stützen für einen solchen Lift. Der - bergwärts gesehen - rechte Rand der vom Schlepplift erschlossenen Piste war vom linken Rand der neben den Sesselliftstützen verlaufenden Piste etwa 150 m entfernt. Dieses Gelände zwischen den beiden Pisten war am 8. 1. 2000 nicht präpariert. Von der Bergstation des Schlepplifts konnte man den unpräparierten Geländestreifen queren, um zur Piste neben den Sesselliftstützen zu gelangen. Die für einen abfahrenden Schiläufer vollständig übersehbare Piste neben diesen Stützen war am 8. 1. 2000 in einer Länge von etwa 300 m und einer Breite von rund 30 m bei einem Höhenunterschied von 70 m für ein Snowboardrennen präpariert, das am 9. 1. 2000 stattfinden sollte. Sie war "weder mit Absperrbändern noch durch sonstige Vorrichtungen gesperrt". Benützer des Schlepplifts wurden "weder durch Hinweistafeln oder auf sonstige Art darauf aufmerksam gemacht, dass diese Piste für den Pistenschilauf gesperrt sei". Neben den Sesselliftstützen hielten sich "Jugendliche mit Rodeln und auf der Piste auch einige Snowboarder und möglicherweise auch andere Schifahrer" auf. Jedenfalls wurde diese Piste - wenngleich von "wenigen Leuten" - "zum Zwecke der Wintersportausübung ... benützt".

Der Kläger hatte am 8. 1. 2000, einem Tag mit strahlend schönem Winterwetter, eine Karte für die Benützung des Schlepplifts erworben. Nach einer Bergfahrt sah der Kläger, dass die von diesem Lift erschlossene Piste zahlreiche Kinder bevölkerten. Mangels erkennbarer Absperrung der anderen Piste bzw einer Information über eine Sperre entschloss er sich zur schrägen Querfahrt über das unpräparierte Gelände zwischen beiden Pisten mit Hilfe von Schlittschuhschritten unter Stockeinsatz. Er wusste, dass der Sessellift noch nicht in Betrieb war. Ob schon andere Benützer der vom Schlepplift erschlossenen Piste das unpräparierte Gelände überquert hatten, ist nicht feststellbar. Im Zeitpunkt der Querfahrt des Klägers waren auf der Piste neben den Sesselliftstützen gerade die von Mitarbeitern der Nebenintervenientin im Auftrag des ÖSV zu besorgenden Vorbereitungsarbeiten für das am nächsten Tag vorgesehene Rennen im Gang. Zu diesem "Setup" gehörte die Errichtung der Start- und Zielaufbauten. Als Zielaufbau diente ein etwa 8 m breiter aufblasbarer Kunststoffbogen, der mit etwa 5 mm starken, schräg gespannten farblosen Kunststoffseilen bei einer Spannweite von etwa 2 m fixiert wurde. Diese Seile hoben sich vom Pistenhintergrund nicht, wohl aber vom blau gefärbten Zielbogen ab. Der Höhenunterschied zwischen der Bergstation des Schlepplifts und dem Zielbogen auf der Nebenpiste betrug 10 bis 15 m. Der Kläger hielt nach seiner Querfahrt etwa in der Mitte der Länge der anderen Piste an und fuhr dann zügig in Richtung auf den schon stehenden Zielbogen ab. Dort arbeiteten gerade die Mitarbeiter der Nebenintervenientin. Der Zielbogen und "die dort tätigen Leute" waren für den Kläger "deutlich" wahrnehmbar. Er hätte unter dem Zielbogen durchfahren können, entschloss sich jedoch, "aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen" nach einem Rechtsschwung "knapp oberhalb des Zielaufbaus vorbeizufahren". Dabei hatte er ein Fixierseil des Zielbogens übersehen, blieb am Seil hängen, stürzte und zog sich eine Schulterverletzung zu.

Der Kläger begehrte den Zuspruch von 5.813,83 EUR sA und die Feststellung, dass ihm die beklagte Partei "für alle künftigen Folgen des Schiunfalls vom 8. 1. 2000" hafte. Er brachte vor, die beklagte Partei habe ihre vertragliche Pistensicherungspflicht verletzt. Das helle Spannseil, das seinen Sturz verursacht habe, sei nicht wahrnehmbar gewesen. Eine solche atypische Gefahr hätte abgesichert oder gekennzeichnet werden müssen.

Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin wendeten im Wesentlichen ein, der Kläger habe eine nicht für den allgemeinen Schilauf freigegebene, sondern eine erkennbar für ein Snowboardrennen abgesperrte Piste befahren. Der Pistenrand sei mit den für solche Rennen typischen Dreiecksfahnen ausgeflaggt gewesen. Das Spannseil des Zielbogens wäre bei entsprechender Aufmerksamkeit und geringerer Fahrgeschwindigkeit erkennbar gewesen.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit 2.906,91 EUR sA statt und sprach ferner aus, dass die beklagte Partei dem Kläger für die Hälfte aller künftigen Schäden aus dem Schiunfall vom 8. 1. 2000 hafte. Das Klagemehrbegehren wies es ab. Nach dessen Ansicht rief die beklagte Partei durch die Präparierung der Piste neben den Sesselliftstützen - mangels einer Absperrung bzw eines Hinweises auf eine Sperre - ein "Pistenvertrauen" hervor. Die beklagte Partei habe daher für den Schaden des Klägers aus dem Schiunfall einzustehen. Allerdings sei dem Kläger ein Mitverschulden an dem Unfall von 50 % anzulasten. Er habe den Zielbogen und die Arbeiten in dessen Bereich deutlich wahrnehmen können. Dennoch habe er mit zu geringem Abstand am Zielbogen vorbeifahren wollen.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und wies das Klagebegehren in Stattgebung der Berufung der beklagten Partei zur Gänze ab. Es sprach überdies aus, dass die Revision zulässig sei, und erwog in rechtlicher Hinsicht, die Pistensicherungspflicht als vertragliche Nebenpflicht des Liftunternehmers beschränke sich auf Unfälle "in dem von ihm organisierten Schiraum". Der Kläger habe "nach der Lage und Zugänglichkeit" der Piste im Unfallbereich "von der Widmung dieses Bereichs als Schipiste in dem von der Beklagten organisierten Schiraum nicht ausgehen" dürfen. Für die beklagte Partei habe daher keine Verpflichtung bestanden, durch Absperrungen oder die Anbringung von Hinweistafeln "auf die Untersagung der Benützung dieses Bereichs durch Schifahrer hinzuweisen". In diesem Kontext sei insbesondere von Bedeutung, dass "der Sessellift, neben dem sich die für das Schirennen präparierte Piste befunden" habe, noch nicht in Betrieb gewesen sei, sodass von einer Erschließung dieser Piste durch die beklagte Partei nicht gesprochen werden könne. Diese Piste sei aber auch "von dem in deutlicher Entfernung befindlichen Schlepplift nicht erschlossen" worden, sei doch die Nebenpiste nur "unter Anwendung für im Pistenschilauf an sich atypischen Fortbewegungsmethoden über unpräpariertes Gelände und zudem lediglich auf halber Höhe" erreichbar gewesen. Weil daher der Kläger nur mit Schlittschuhschritten unter Stockeinsatz über unpräpariertes Gelände auf die andere Piste habe fahren können, habe er den von der beklagten Partei organisierten Schiraum verlassen. Die beklagte Partei habe keine Zufahrtsmöglichkeit zur anderen Piste angelegt gehabt und daher einen derartigen Pistenverkehr nicht eröffnet. Es mangle an einer auf die Umstände dieses Einzelfalls anwendbaren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Begrenzung des von einem Liftbetreiber organisierten Schiraums. Die Revision sei daher zulässig.

Die Revision ist unzulässig.

1. Pistensicherungspflicht des Liftunternehmers

Rechtliche Beurteilung

1. 1. Nach stRsp des Obersten Gerichtshofs fallen unter die Pistensicherungspflicht des Liftunternehmers die nach der Verkehrsauffassung erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen, um dessen Vertragspartner vor künstlichen oder natürlichen Gefahrenquellen im unmittelbaren Bereich des von ihm eröffneten Schiverkehrs zu schützen. Ein Liftunternehmer haftet daher als Pistenhalter im Allgemeinen nicht für die Folgen einer Fahrt außerhalb der von ihm markierten Schipiste, es sei denn, die Benützer hätten die Pistenbegrenzung infolge mangelhafter Markierung nicht deutlich wahrnehmen oder eine Markierung trotz gehöriger Aufmerksamkeit missverstehen können. Besonders wenn dem Pistenhalter bekannt ist, dass Schifahrer die Piste mangels Deutlichkeit ihrer Markierung offenbar anders als von ihm beabsichtigt benützen, ist auf diese Abweichung und die damit allenfalls verbundenen Gefahren deutlich hinzuweisen. Sonst hat der Pistenhalter grundsätzlich nur den von ihm organisierten Schiraum - also die ausdrücklich oder schlüssig gewidmeten Schipisten und die ausdrücklich gewidmeten Schirouten -, nicht aber das freie Schigelände außerhalb dieses Raums, demnach auch nicht "wilde" Abfahrten zu sichern (ZVR 1989/158 mwN). Nach diesen Grundsätzen muss der Pistenhalter auch mit einer erst durch das Schifahren entstandenen Pistenverbreiterung rechnen, die Piste ihrem "Erscheinungsbild" entsprechend sichern und Gefahrenstellen im Bereich einer solchen Verbreiterung kennzeichnen, weil das Publikum, sofern der Pistenhalter die ursprüngliche Pistenbegrenzung nicht entsprechend kennzeichnete, der durch das Befahren entstandenen Verbreiterung das gleiche Vertrauen wie der ursprünglich gewidmeten Piste entgegenbringt (ZVR 1984/141 mwN). Somit besteht eine Pistensicherungspflicht für außerhalb der eigentlichen Piste gelegene Geländeabschnitte nach einer Pistenverbreiterung durch häufiges Befahren nur dann, wenn die Grenze zwischen der dem Befahren gewidmeten Piste und dem freien Gelände unzureichend gekennzeichnet ist. Die Art und der Umfang der Sicherungspflicht bestimmt sich nach der Größe und Wahrscheinlichkeit der Gefahr und deren Abwendbarkeit. Bei dieser Interessenabwägung sind das von einem verantwortungsbewussten Pistenbenützer erwartbare Gesamtverhalten und die dem Pistenhalter nach der Verkehrsanschauung zumutbaren adäquaten Sicherungsmittel in Anschlag zu bringen (9 Ob 113/00h mwN).

1. 2. Der Kläger behauptete nicht, dass die Begrenzung der vom Schlepplift erschlossenen Piste entweder überhaupt nicht oder nicht deutlich wahrnehmbar gekennzeichnet gewesen wäre. Dass neben dem Kläger andere Schiläufer das verhältnismäßig breite, unpräparierte Gelände zwischen den beiden Pisten befahren hätten, sodass durch einen solchen Geländegebrauch das Erscheinungsbild einer natürlichen Pistenverbreiterung entstanden wäre, steht nicht fest. Fest steht dagegen, dass der Kläger um die mangelnde Erschließung der anderen Piste durch einen Lift wusste und ferner nicht zu übersehen war, dass dort gerade die Vorbereitungsarbeiten für die Durchführung eines Snowboardrennens am nächsten Tag im Gang waren. Angesichts solcher Umstände ist nicht erkennbar, dass der von der zweiten Instanz erzielten Lösung, der die unter 1. 1. referierten Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zugrunde liegen, eine gravierende Fehlbeurteilung als Voraussetzung der Anrufbarkeit des Obersten Gerichtshofs anhaften könnte. Allein der Umstand, dass innerhalb des durch die Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung eröffneten Beurteilungsspielraums allenfalls auch eine andere Lösung begründbar wäre, wirft noch keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung auf. Eine solche Rechtsfrage ist auch dann nicht zu lösen, wenn es bloß an einer höchstgerichtlichen Rechtsprechung zu einem Sachverhalt mangelt, der mit den im Anlassfall maßgebenden Tatsachen identisch oder weitgehend identisch ist, müsste doch der Obersten Gerichtshof sonst in jedem derartigen Einzelfall die Sachentscheidung treffen.

2. Ergebnis

Der Oberste Gerichtshof ist bei Prüfung der Zulässigkeit der Revision an einen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden. Nach allen bisherigen Erwägungen hängt die Entscheidung nicht von der Lösung einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO ab. Die Revision ist somit zurückzuweisen.

3. Kosten

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei und die Nebenintervenientin wiesen auf die Unzulässigkeit der Revision hin. Es sind ihnen daher die Kosten der Revisionsbeantwortungen als solche einer zweckentsprechenden Rechtsverteidigung zuzuerkennen.

Textnummer

E67617

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2002:0010OB00246.02M.1126.000

Im RIS seit

26.12.2002

Zuletzt aktualisiert am

15.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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