Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Christiane H*****, vertreten durch Dr. Renate Eberl, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei DI Prof. Dr. Walter H*****, vertreten durch Dr. Hans Böck, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, infolge des Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 12. Juli 2002, GZ 43 R 340/02x-64, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 28. März 2002, GZ 1 C 23/98w-53, sowie das Ergänzungsurteil des Bezirksgerichts Hietzing vom 25. April 2002, GZ 1 C 23/98w-55, teilweise aufgehoben wurden, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass die Entscheidungen des Erstgerichts wiederhergestellt werden.
Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 818,98 (darin EUR 136,50 an USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit Beschluss vom 24. 4. 1994 verpflichtete das Bezirksgericht Donaustadt den Beklagten, der Klägerin, seiner Adoptivtochter, einen monatlichen Unterhaltsbeitrag von S 7.500 zu zahlen. Die Klägerin begann im Wintersemester 1997/98 das Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien; da sie nur geringfügige Unterhaltszahlungen erhielt, war sie in der Zeit vom 1. 8. 1997 bis 1. 6. 1998 im Ausmaß von 10 Wochenstunden erwerbstätig. Das von ihr betriebene Studium teilt sich in zwei Studienabschnitte, wobei die Mindeststudiendauer jeweils vier Semester beträgt. Die durchschnittliche Gesamtstudiendauer für das Studium beträgt 12,5 Semester. Neben den beiden Diplomprüfungen, die in Teilprüfungen zu absolvieren sind, sind für einen erfolgreichen Studienabschluss auch andere Prüfungen und Lehrveranstaltungen zu absolvieren. Das Gesamtausmaß - einschließlich der Diplomprüfungsfächer - beträgt 130 Wochenstunden. Nach dem für die Klägerin gültigen Studienplan können auch Prüfungen aus dem zweiten Studienabschnitt abgelegt werden, bevor der erste Studienabschnitt abgeschlossen ist. Die Klägerin hat den ersten Studienabschnitt bisher nicht abgeschlossen; von den drei Teilprüfungen der ersten Diplomprüfung hat sie bisher nur zwei abgelegt. Darüber hinaus hat sie bereits einige Prüfungen und Veranstaltungen des zweiten Studienabschnitts absolviert. Mit Ende ihres neunten Studiensemesters (WS 2001/2002) hat sie insgesamt Prüfungen und Pflichtlehrveranstaltungen im Ausmaß von insgesamt 98 Wochenstunden absolviert. Für einen erfolgreichen Studienabschluss fehlen ihr noch Prüfungen über 32 Wochenstunden, darunter eine Teilprüfung der ersten Diplomprüfung sowie die gesamte zweite Diplomprüfung. Vor der letzten Teilprüfung der zweiten Diplomprüfung ist eine Diplomarbeit zu verfassen.
Dem Begehren der Klägerin, die vom Beklagten zu leistenden monatlichen Unterhaltsbeträge für die Zeit vom 1. 6. 1998 bis 30. 6. 1999 auf EUR 828,50 und vom 1. 7. bis 30. 9. 1999 auf EUR 813,90 zu erhöhen, wurde von den Vorinstanzen rechtskräftig stattgegeben. Gegenstand des Rekursverfahrens ist die begehrte Unterhaltserhöhung für die Zeit ab 1. 10. 1999 in Höhe um monatlich EUR 268,90 auf EUR 813,09.
Die Klägerin brachte dazu im Wesentlichen vor, sie betreibe ihr Studium ernsthaft und zielstrebig. Das Vorziehen von Prüfungen des zweiten Studienabschnitts sei nach einer Gesetzesänderung, die auf großen Andrang und die daraus resultierenden Schwierigkeiten mit Prüfungsterminen zurückzuführen sei, möglich.
Der Beklagte wendete im Wesentlichen ein, die Klägerin betreibe ihr Studium weder ernsthaft noch zielstrebig. Sie habe bis zuletzt den ersten Studienabschnitt nicht zur Gänze abgeschlossen und damit die durchschnittliche Studiendauer für diesen Abschnitt bei weitem überschritten. Der Studienerfolg habe sich an dem Abschluss der einzelnen Studienabschnitte zu orientieren.
Das Erstgericht erkannte das Klagebegehren - ausgehend von dem dieser Entscheidung vorangestellten Sachverhalt - als berechtigt. Aus den Prüfungsergebnissen und den kurzen Intervallen, in denen die Klägerin Veranstaltungen absolviere, zeige sich, dass sie für das Studium der Betriebswirtschaftslehre geeignet sei. Sie habe von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, einzelne Prüfungen aus dem nachfolgenden Studienabschnitt vor Abschluss des vorangehenden Studienabschnitts abzulegen, und in neun Semestern Prüfungen im Umfang von 98 Wochenstunden abgelegt. Da es nach der Änderung des § 80 Abs 2 des Universitäts-Studiengesetzes (UniStG) nicht mehr erforderlich sei, die einzelnen Studienabschnitte nacheinander zu beenden, erlösche die Unterhaltspflicht auch nicht dadurch, dass die durchschnittliche Studiendauer eines Studienabschnitts überschritten wird. Es gebe auch gar keine Statistiken mehr über die durchschnittliche Studiendauer der einzelnen Studienabschnitte. Da die Klägerin Prüfungen aus dem zweiten Studienabschnitt vorgezogen habe, sei auch der Erfolg der vorgezogenen Prüfungen in die Beurteilung, ob das Studium zielstrebig verfolgt werde, einzubeziehen. Da schließlich auch nur das Gesamtstudium als Berufsqualifikation verwertbar sei, könne nur die Durchschnittsdauer des gesamten Studiums mit den bereits abgelegten Prüfungen verglichen werden. Bei einer Durchschnittsbetrachtung sei je Semester eine Wochenstundenanzahl von 10,4 zu absolvieren. Die Klägerin habe in neun Semestern 98 Wochenstunden absolviert, sodass von einem zielstrebigen Betreiben des Studiums gesprochen werden könne. Es könne von ihr nicht verlangt werden, neben dem Studium einer Berufstätigkeit nachzugehen.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung in Ansehung des ab 1. 10. 1999 begehrten Unterhalts einschließlich der Kostenentscheidungen auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Der Auffassung des Erstgerichts, die Novellierung des § 80 Abs 2 UniStG beseitige das vom Höchstgericht im Unterhaltsrecht entwickelte Abstellen auf die einzelnen Studienabschnitte, sei nicht zu folgen. Die Unterhaltsjudikatur habe vielmehr einen weitgehenden Gleichklang des Anspruchs auf Unterhalt mit jenem auf die Familienbeihilfe erreichen wollen. Für Letztere werde aber auf die Einhaltung einer bestimmten Studiendauer im betreffenden Studienabschnitt abgestellt. Auch im Unterhaltsrecht sei daher für die Frage, wann ein Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, weiterhin auf die einzelnen Studienabschnitte abzustellen. Im fortzusetzenden Verfahren werde zu ermitteln sein, welche durchschnittliche Studiendauer für den ersten und den zweiten Studienabschnitt zu veranschlagen sei. Das Vorziehen von Prüfungen und Lehrveranstaltungen aus dem zweiten Studienabschnitt könne den zeitgerechten Abschluss des ersten Studienabschnitts nicht substituieren.
Der vorliegende Fall gebe aber Anlass, die vom Höchstgericht vorgegebene Linie des Abstellens auf die einzelnen Studienabschnitte zu überdenken, nachdem es nunmehr in einzelnen Studienrichtungen möglich sei, unter bestimmten Voraussetzungen Prüfungen des nachfolgenden Studienabschnitts vorzuziehen. Das Höchstgericht habe sich mit dieser Möglichkeit im Zusammenhang mit der Frage des Erlöschens des Unterhaltsanspruchs eines studierenden Kindes bisher nicht auseinandergesetzt.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs der Klägerin ist aus den vom Berufungsgericht angeführten Gründen zulässig. Er ist auch berechtigt.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann aus den von ihm zitierten Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs (2 Ob 123/98x, 6 Ob 186/00x) keineswegs abgeleitet werden, dass im Zusammenhang mit der vom Obersten Gerichtshof für sachgerecht gehaltenen Orientierung an den Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Familienbeihilfe durch studierende Kinder (§ 2 Abs 1 lit b FLAG) für die Frage, ob ein Studium ernsthaft und zielstrebig betrieben wird, stets allein auf den Studienerfolg in den einzelnen Studienabschnitten abzustellen sei. Auch der Beklagte übersieht bei seinem Hinweis auf die Entscheidung vom 25. 6. 1998 (2 Ob 123/98x = RZ 1999/21 = EFSlg 86.766), dass dort schon deshalb eine Bedachtnahme auf die novellierte Fassung des § 80 Abs 2 UniStG noch nicht in Betracht kam, weil das Verfahren in erster Instanz ersichtlich erst kurz nach dem Inkrafttreten der Novelle (1. 8. 1997) geschlossen wurde (die erstinstanzliche Entscheidung datiert vom 3. 11. 1997), weshalb sich die Frage der Zulässigkeit des "Vorziehens" von Lehrveranstaltungen bzw Prüfungen des folgenden Studienabschnitts jedenfalls nicht in maßgebendem Umfang stellen konnte; eine Auseinandersetzung mit dieser Frage findet sich in der genannten Entscheidung jedenfalls nicht.
Auch in der - inhaltlich weitgehend übereinstimmenden - Entscheidung zu 3 Ob 254/98v (= ÖA 1999, 37) wurde die Frage einer allfälligen Absolvierung von Prüfungen des zweiten Studienabschnitts vor Beendigung des ersten nicht angesprochen. Dort wurde jedoch dargelegt, dass die Studienzeit in den einzelnen Studienabschnitten als "Richtschnur" für die Beurteilung der Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit eines Studiums bedeutsam sei. Es sei daher "im grundsätzlichen" weiterhin an der durchschnittlichen Studiendauer als entscheidende Beurteilungsgrundlage festzuhalten, die jedoch nunmehr auf die einzelnen Studienabschnitte zu beziehen sei. Auch zu 6 Ob 186/00x wird nur ganz allgemein dargelegt, dass "grundsätzlich" auf die durchschnittliche Studiendauer für einzelne Studienabschnitte abzustellen sei.
Mit diesen Entscheidungen, in denen Grundsätze für den Regelfall aufgestellt werden, denen sich auch der erkennende Senat anschließt, wird allerdings kein ganz starres und unabänderliches Beurteilungsschema vorgegeben. Die weiterhin aufrecht erhaltene allgemeinere Formel, nach der der Unterhaltsanspruch eines nicht selbsterhaltungsfähigen Kindes solange besteht, als dieses sein Studium ernsthaft und zielstrebig betreibt, lässt durchaus Raum für abweichende Lösungen für die von den typischen Regelfällen abweichenden Fallkonstellationen.
Unter Aufrechterhaltung des allgemeinen Gedankens, dass die Ernsthaftigkeit und Zielstrebigkeit auf das angestrebte Ziel, nämlich die Beendigung des Gesamtstudiums, auszurichten ist - was im Regelfall zugleich auf die üblicherweise nacheinander zu absolvierenden Studienabschnitte bezogen werden kann -, erschiene es sachlich nicht gerechtfertigt, jenem studierenden Kind weitere Unterhaltsansprüche (zumindest vorerst) zu versagen, das von der Möglichkeit Gebrauch macht, einzelne Prüfungen des zweiten Studienabschnitts vor Abschluss des ersten zu absolvieren, sofern dies in einem ausreichenden Ausmaß geschieht und die Beendigung des Gesamtstudiums in der durchschnittlichen Studienzeit - unter der Annahme eines weiterhin gleichmäßigen Studienfortschritts - nicht ernstlich in Frage gestellt ist.
Dies kann im vorliegenden Fall durchaus bejaht werden. Ausgehend von den (unbekämpften) Feststellungen des Erstgerichts hat die Klägerin bisher - berechnet nach den jeweiligen Wochenstunden - rund 75 % der insgesamt zu absolvierenden Lehrveranstaltungen und Prüfungen für das gesamte Studium in einem Zeitraum hinter sich gebracht, der rund 72 % der durchschnittlichen Studiendauer für diesen Studienzweig beträgt. Berücksichtigt man weiters, dass sie zu Beginn des Studiums rund 10 Monate lang - wenn auch nur im Ausmaß von 10 Wochenstunden - berufstätig war, weil sie nur geringfügige Unterhaltszahlungen erhielt, kann nicht davon gesprochen werden, dass sie ihr Studium weniger ernsthaft und zielstrebig betreiben würde als der Durchschnitt der Studierenden in diesem Fach. Der Beklagte behauptet auch gar nicht, dass die ausständigen Prüfungen des ersten Studienabschnitts etwa ganz besonders schwierig bzw zeitaufwändig wären und aus diesem Grunde mit einem Abschluss des Studiums in der durchschnittlichen Studiendauer nicht gerechnet werden könnte.
Der Beklagte hat der Klägerin daher auch ab 1. 10. 1999 bis auf weiteres Unterhalt zu gewähren. Da der Beklagte die vom Erstgericht ermittelten monatlichen Unterhaltsbeiträge der Höhe nach gar nicht bekämpft hat, ist im Umfang der Anfechtung das Ersturteil wieder herzustellen (§ 519 Abs 2 letzter Satz ZPO).
Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf den §§ 50 Abs 1, 41 Abs 1 ZPO.
Textnummer
E67774European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2002:0010OB00268.02X.1126.000Im RIS seit
26.12.2002Zuletzt aktualisiert am
17.02.2011