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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §6 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Berger und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde der B, vertreten durch Mag. Sabine Wisiak, Rechtsanwältin in 8490 Bad Radkersburg, Hauptplatz 5, gegen den am 3. Dezember 2003 mündlich verkündeten und am 19. Dezember 2003 schriftlich ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 242.572/0-XI/38/03, betreffend § 6 Z 1 und § 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Mongolei, reiste am 15. August 2003 zusammen mit einem weiteren mongolischen Staatsangehörigen in das Bundesgebiet ein und beantragte am 19. August 2003 Asyl. Bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 24. September 2003 brachte sie vor, sie habe bis 1990 in der Mongolei und anschließend mit ihrem chinesischen Ehemann in der Volksrepublik China gelebt. China habe sie im Juli 2003 verlassen, danach wäre sie für drei Tage nach Ulan Bator (Mongolei) gefahren und von dort über Russland geflüchtet.
Zu ihren Fluchtgründen gab sie an, sie sei nach dem Tod ihres Sohnes im Februar 2003 zu geheimen christlichen Versammlungen gegangen, welche in China verboten seien. Als ihr Mann davon erfahren habe, sei er damit nicht einverstanden gewesen und habe gedroht, sie anzuzeigen. Bei den Treffen habe sie einen Mann kennen gelernt, mit dem sie nun nach Europa gekommen sei.
Auf die Frage, ob ihr bei einer Rückkehr in die Mongolei Verfolgung oder unmenschliche Behandlung drohe, gab sie an, sie "befürchte nichts bei meiner Rückkehr in die Mongolei", ihr Ehemann wohne in China.
Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 29. September 2003 gemäß § 6 Z 1 Asylgesetz 1997 idF vor der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Mongolei zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 3. Dezember 2003 brachte die Beschwerdeführerin unter anderem wörtlich vor:
"Ich habe eigentlich auch Angst, obwohl er (der Ehemann) in der VR China ist. Er sucht mich in der Mongolei und wenn er mich dort finden würde, dann würde ich von den Chinesen auch in der Mongolei verhaftet werden."
Auf die Frage, wie ihr Ehemann sie in der Mongolei finden wolle, wenn sie nicht mit ihm in Kontakt trete, gab sie an, "ich kann mir vorstellen, dass er mich irgendwie finden wird".
Vom Verhandlungsleiter wurde dazu in der Verhandlungsschrift festgehalten, er "halte es für ausgesprochen unwahrscheinlich, dass chinesische Behörden Sie in der Mongolei verhaften würden".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung der Beschwerdeführerin gemäß § 6 Z 1 und § 8 AsylG ab. Nach Wiedergabe ihrer erstinstanzlichen Angaben und der Aussage in der mündlichen Berufungsverhandlung folgerte die belangte Behörde, im vorliegenden Fall habe die Beschwerdeführerin eindeutig ausgeführt, dass sie von Seiten ihres Herkunftsstaates Mongolei nichts befürchte. Sie habe lediglich vorgebracht, dass ihr in der Volksrepublik China Verfolgung drohen würde, weil sie an christlichen Versammlungen teilgenommen habe. Sie habe Angst, von ihrem Mann an die chinesischen Behörden verraten zu werden. Die Beschwerdeführerin habe zwar eine auf die Volksrepublik China, nicht jedoch eine auf den Herkunftsstaat Mongolei bezogene und diesem Herkunftsstaat zurechenbare mögliche und objektivierbare Verfolgungsbehauptung aufgestellt. Auch sonst sei kein Hinweis auf eine dem Herkunftsstaat Mongolei zurechenbare Verfolgungsgefahr aufgetreten.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:
Gemäß § 6 AsylG sind Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzuweisen, wenn sie eindeutig jeder Grundlage entbehren. Dies ist nach der von der belangten Behörde herangezogenen Z 1 dieser Bestimmung der Fall, wenn sich ohne sonstigen Hinweis auf Verfolgungsgefahr im Herkunftsstaat dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich nicht die Behauptung entnehmen lässt, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung droht. Bei der Prüfung, ob ein unter § 6 Z 1 AsylG zu subsumierender Fall vorliegt, ist demnach von den Angaben der Asylwerber auszugehen und auf deren Grundlage zu beurteilen, ob sich diesem Vorbringen mit der erforderlichen Eindeutigkeit keine Behauptungen im Sinne einer im Herkunftsstaat drohenden Verfolgung entnehmen lassen. Dabei sind ausschließlich die Angaben des Asylwerbers zugrunde zu legen (vgl. etwa die Erkenntnisse vom 12. September 2002, Zl. 99/20/0618 und vom 24. April 2003, Zl. 2000/20/0326, mwN).
Unter "Verfolgung" im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Die Anwendung des § 6 Z 1 AsylG setzt im Sinne dieses Verständnisses des Verfolgungsbegriffes voraus, dass dem Vorbringen der Asylwerber offensichtlich keine Behauptungen zu einer ihnen drohenden Verfolgung, also eines ungerechtfertigten Eingriffes der genannten Art, zu entnehmen sind. Im Hinblick auf das "Offensichtlichkeitskalkül" kann dabei auch die unzureichende Intensität des drohenden Eingriffs nur zur Subsumtion des Vorbringens unter diesen Tatbestand führen, wenn der Fall in dieser Hinsicht völlig eindeutig ist und keine Abgrenzungsfragen aufwirft (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 1. April 2004, Zl. 2002/20/0347, mwN).
Auf die Frage der Glaubwürdigkeit der Angaben im Asylverfahren kommt es in diesem Zusammenhang - anders als nach der Z 3 dieser Bestimmung, auf welche die Entscheidung der belangten Behörde im vorliegenden Fall allerdings nicht gestützt wurde - nicht an.
Die Beschwerdeführerin hat bei ihrer Einvernahme vor dem Bundesasylamt keine Verfolgung im Herkunftsstaat behauptet, sondern über ausdrückliche Nachfrage eine Gefährdung durch die Behörden in der Mongolei sogar verneint. In der Berufungsverhandlung führte sie aber aus, dass ihr Ehemann sie in der Mongolei suchen würde. Würde er sie dort finden, dann "würde sie von den Chinesen auch in der Mongolei verhaftet werden". Sie könne sich vorstellen, dass "er mich irgendwie finden würde".
Die Beschwerdeführerin hat damit auch eine auf ihren Herkunftsstaat Mongolei bezogene Verfolgungsbehauptung aufgestellt. Auch wenn diese Behauptung - wie in der Berufungsverhandlung vom Verhandlungsleiter festgehalten wurde - als "ausgesprochen unwahrscheinlich" zu qualifizieren wäre, so hat die Beschwerdeführerin damit ein Vorbringen erstattet, das einer Anwendung der Z 1 des § 6 entgegensteht. Auf die Glaubwürdigkeit des Vorbringens kommt es dabei nicht an.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. März 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2004200081.X00Im RIS seit
11.06.2007Zuletzt aktualisiert am
09.08.2011