TE Vfgh Beschluss 2002/10/7 G299/02, V63/02

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Veröffentlicht am 07.10.2002
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art139 Abs1 / Individualantrag
B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
Plandokument Nr 7255. Beschluss des Wr Gemeinderates vom 04.05.00
Wr BauO 1930 §134 Abs3

Leitsatz

Zurückweisung des Individualantrags von Anrainern auf teilweise Aufhebung eines Wiener Plandokuments wegen Zumutbarkeit des Verwaltungsrechtsweges bzw fehlender rechtlicher Betroffenheit mangels Nachbareigenschaft im Bauverfahren; Zurückweisung des Antrags auf Aufhebung von Bestimmungen der Wr BauO 1930 mangels Darlegung der unmittelbaren Betroffenheit bzw infolge Zumutbarkeit des Verwaltungsrechtsweges

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Mit ihren auf Art139 B-VG gestützten Anträgen begehren die Antragsteller, den Flächenwidmungs- und Bebauungsplan, Plandokument Nr. 7255 vom 4. Mai 2000, Pr.Zl. 86 GPZ/00, "im Bereich Landstraßer Hauptstraße, Invalidenstraße, Marxerbrücke, Plangebietsgrenze (Grenzlinie mit den Punkten 1, 2, 3, 4) Marxergasse, Vordere Zollamtstraße, Landstraßer Hauptstraße", als gesetzwidrig und die §§1, 5 Abs4 lita, 75 Abs4a, 78 Abs5 und 134 Abs3 dritter Satz Bauordnung für Wien als verfassungswidrig aufzuheben.

2. Sie führen zur Zulässigkeit der Anträge aus, dass die Erst- und Zweitantragsteller nach eigener Auffassung Anrainer in nicht näher bezeichneten Bauverfahren seien. Ihre Anrainereigenschaft sei aber mehrfach von der Baubehörde verneint worden. Derzeit liege es nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. Mai 2002, Z2001/05/1170 und nach Einbringung eines Devolutionsantrages am 29. Juli 2002 an der Bauoberbehörde für Wien, einen die Anrainereigenschaft im Bauverfahren zur Errichtung eines Turmes auf dem Eisenbahngrundstück 91/1, EZ 3404, Eisenbahnbuch betreffenden Bescheid zu erlassen. Die Erst- und Zweitantragsteller und die übrigen Antragsteller seien aber auch hinsichtlich der Errichtung dreier "weiter zu erwartender Türme, mit Ausnahme des im Bau befindlichen 'Vienna City Tower' (PORR-Tochter UBM) nördlich der Marxer Brücke nach der bestrittenen Ansicht der Baubehörde nicht mehr Anrainer im Sinne der Bauordnung". Die Erst- und Zweitantragsteller hätten erst aufgrund eines eigens zu diesem Zweck durchgeführten Grundstückteilungsverfahrens ihre Anrainereigenschaft verloren, da ihre Grundstücke nun 50 cm weiter als 20 m von den zu bebauenden Grundstücken entfernt lägen. Sie seien der Bauverhandlung nicht beigezogen worden und hätten nun eine "Beschwerde für übergangene Nachbarn eingebracht". Daher würden die Voraussetzungen zur Erhebung eines Individualantrages gemäß Art139 B-VG für sämtliche Antragsteller vorliegen, da sie nicht (mehr) Nachbarn im Sinne der Bauordnung für Wien seien und ihnen daher kein zumutbarer Weg zur Abwehr eines rechtswidrigen Eingriffs zur Verfügung stehe. Insbesondere die Verordnung greife in die Rechtssphäre der Antragsteller unmittelbar nachteilig ein und verletze sie.

Zur Abgrenzung des Anfechtungsumfangs führen sie aus, dass das Eisenbahngrundstück 91/1, EZ 3404, zur Zeit mit dem nordöstlichsten Turm verbaut werde. Der Individualantrag stelle aber auf alle möglicherweise in naher Zukunft zu errichtenden Bauwerke ab, die im näher präzisierten Bereich errichtet werden sollen und für welche rechtskräftige Baubewilligungen vorliegen.

II. Die Anträge sind unzulässig.

1. Voraussetzung der Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG oder Art139 Abs1 B-VG ist einerseits, dass der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz oder die angefochtene Verordnung - im Hinblick auf die Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, und überdies, dass das Gesetz oder die Verordnung für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, dass das Gesetz oder die Verordnung in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner bzw. ihrer Verfassungs- oder Gesetzwidrigkeit - verletzt.

Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, dass das Gesetz oder die Verordnung selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz oder die Verordnung selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteterweise - rechtswidrigen Eingriffes zu Verfügung steht (VfSlg. 11.726/1988, 13.944/1994).

2. Zum Antrag gemäß Art139 B-VG:

Die Frage, ob die Parteistellung der Antragsteller zu Unrecht verneint wurde oder nach der BO f Wien (§134 Abs3, §134a) zu Recht gewährt wurde, ist für die Frage der Zulässigkeit der Individualanträge nicht von Bedeutung. Denn käme ihnen im Baubewilligungsverfahren Parteistellung zu, so stünde ihnen in diesem Verfahren durch die Erhebung von Einwendungen und die Bekämpfung eines diese Einwendungen abweisenden Bescheids ein zumutbarer Weg zur Verfügung, die Frage der Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Die Individualanträge wären daher aus diesem Grund unzulässig. Insofern aber eine Person - wie bei der im vorliegenden Fall von der Behörde angeblich angenommenen Sach- bzw. Rechtslage - mangels Nachbareigenschaft keine Parteistellung im baurechtlichen Verfahren genießt, kommt ihr schon deswegen keine Legitimation zur Anfechtung der für ein anderes Grundstück geltenden Bebauungsbestimmungen oder einer solchen Flächenwidmung zu, weil sie durch diese nicht in einem subjektiven Recht betroffen sein kann. Wenn den Antragstellern im baurechtlichen Verfahren daher keine Nachbareigenschaft zukommt, so kann sie die angefochtene Verordnung auch nicht in ihrer Rechtssphäre berühren, sodass es ihnen an der Antragslegitimation gemäß Art139 Abs1 B-VG aus diesem Grund mangelt (vgl. VfSlg. 14.839/1997, 15.284/1998).

3. Zum Antrag gemäß Art140 B-VG:

3.1. Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen der Bauordnung für Wien, LGBl. Nr. 11/1930 idF LGBl. Nr. 20/2002, lauten:

"Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungspläne

und der Bebauungspläne

§1. (1) Die Flächenwidmungspläne und die Bebbauungspläne dienen der geordneten und nachhaltigen Gestaltung und Entwicklung des Stadtgebietes. Sie sind Verordnungen. Ihre Festsetzung und Abänderung beschließt der Gemeinderat. Jede Beschlußfassung ist im Amtsblatt der Stadt Wien und im Amtsblatt zur Wiener Zeitung kundzumachen. Nach dieser Kundmachung hat Jedermann gegen Ersatz der Vervielfältigungskosten Anspruch auf Ausfolgung der Beschlüsse und der dazugehörigen Planbeilagen.

(2) Bei der Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne ist insbesondere auf folgende Ziele Bedacht zu nehmen:

[...]

(4) Abänderungen dürfen nur aus wichtigen Rücksichten vorgenommen werden. Diese liegen insbesondere vor, wenn bedeutende Gründe, vor allem auf Grund der Bevölkerungsentwicklung oder von Änderungen der natürlichen, ökologischen, wirtschaftlichen, infrastrukturellen, sozialen und kulturellen Gegebenheiten, für eine Abänderung sprechen, gegebenenfalls auch im Hinblick auf eine nunmehr andere Bewertung einzelner Ziele, auf die bei der Festsetzung und Abänderung der Flächenwidmungspläne und der Bebauungspläne Bedacht zu nehmen ist.

[...]

Inhalt der Bebauungspläne

§5. [...]

(4) Über die Festsetzungen nach Abs2 und 3 hinaus können die Bebauungspläne zusätzlich enthalten:

a) Schutzzonen, Wohnzonen sowie Zonen für Großbauvorhaben;

Grundflächen, auf denen ein städtebaulicher Schwerpunkt gesetzt werden soll;

[...]

Bauliche Ausnützbarkeit der Bauplätze

Bauklasseneinteilung, zulässige Gebäudehöhe

§75. [...]

(4) Bei Gebäuden an der Baulinie, Straßenfluchtlinie, Verkehrsfluchtlinie oder der diesen Fluchtlinien zunächstgelegenen Baufluchtlinien darf, auch wenn sich nach den Bebauungsbestimmungen eine größere Gebäudehöhe ergäbe, an diesen Linien die Gebäudehöhe nicht mehr betragen als:

[...]

(4a) Beschränkungen, die sich aus Abs4 ergeben, gelten nicht bei Gebäuden auf Grundflächen, auf denen nach dem Bebauungsplan ein städtebaulicher Schwerpunkt gesetzt werden soll (§5 Abs4 lita), wenn für Aufenthaltsräume, die nach den Bebauungsbestimmungen auf Liegenschaften im Nahbereich zulässig sind, zumindest der seitliche Lichteinfall gewährleistet ist.

[...]

Lichteinfall

§78. [...]

(5) An Straßenfronten, an denen die zulässige Höhe der gegenüberliegenden Gebäude nach §75 Abs4 und 5 zu berechnen ist, gilt der Lichteinfall für Hauptfenster jedenfalls als gesichert. Dies gilt auch an den zu Verkehrsflächen gerichteten Gebäudefronten in Schutzzonen ab dem ersten Stockwerk.

[...]

Parteien

§134. [...]

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im §134 a erschöpfend festgelegten subjektiv-öffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des §134 a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder nur durch Fahnen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Gebäude oder der geplanten baulichen Anlage liegen."

3.2. Wenn die Antragsteller die Verfassungswidrigkeit des §1, des §5 Abs4 lita, des §75 Abs4a, des §78 Abs5 und des §134 Abs3 dritter Satz Bauordnung für Wien behaupten, so ist ihnen Folgendes zu entgegnen:

Abgesehen davon, dass sie ihre Antragslegitimation zur Bekämpfung der Gesetzesbestimmungen nicht ausreichend darlegen, insbesondere nicht darstellen, inwiefern sie - angesichts des ebenso angefochtenen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes - überhaupt unmittelbar durch die angefochtenen Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden sind und ihr Antrag schon diesbezüglich nicht den Voraussetzungen des §62 Abs1 VerfGG 1953 genügt, würde ihnen auch bei ausreichender Darlegung keine Antragslegitimation zukommen.

Denn die Antragsteller haben auch bezüglich der Anfechtung der Gesetzesbestimmungen in einem Baubewilligungsverfahren, in dem ihnen Parteistellung zukommt, die Möglichkeit, die Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Für den Fall, dass sie in einem Baubewilligungsverfahren keine Parteistellung genießen, gilt das unter Punkt 2. Ausgeführte. Wenn die Antragsteller aber meinen, dass die Bestimmung über die Parteistellung verfassungswidrig sei, so steht es ihnen offen, ihre Bedenken gegen §134 BO f Wien durch die Bekämpfung eines ihre Einwendungen im Bauverfahren zurückweisenden Bescheides an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen.

4. Die Anträge waren zurückzuweisen.

5. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung vom Verfassungsgerichtshof in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Baurecht, Raumordnung, Bebauungsplan, Flächenwidmungsplan, Nachbarrechte, VfGH / Individualantrag, Parteistellung Baurecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G299.2002

Dokumentnummer

JFT_09978993_02G00299_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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