TE Vwgh Erkenntnis 2007/3/29 2005/20/0026

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Veröffentlicht am 29.03.2007
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §23;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 30. November 2004, Zl. 253.171/0-X/47/04, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, beantragte am 7. Mai 2004 Asyl und brachte bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 11. und 18. Mai 2004 sowie am 30. August 2004 zusammengefasst vor, er sei nach dem Tod seines Vaters - einem Mitglied der MASSOB (Movement for the Actualization of the Sovereign State of Biafra) - ebenfalls dieser Organisation beigetreten und werde aus diesem Grund von den nigerianischen Behörden verfolgt. Er sei der "Führer der MASSOB in Owerri" gewesen. Im Falle seiner Rückkehr nach Nigeria drohe ihm die Todesstrafe.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 2. September 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) ab (Spruchpunkt I.), erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II.) und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet aus (Spruchpunkt III.).

Das Bundesasylamt versagte der Verfolgungsbehauptung des Beschwerdeführers die Glaubwürdigkeit. Die Aussagen des Beschwerdeführers zum Reiseweg nach Österreich stellten "ein typisches Konstrukt schwarzafrikanischer Asylwerber" dar, deren Unrichtigkeit ein "wesentliches Indiz für die Unredlichkeit von Asylwerbern im Gesamtvorbringen" sei. Der Beschwerdeführer habe "nur vage untergeordnete und für die Beurteilung des Asylantrages wenig bedeutsame Sachverhalte" vorgebracht und zu seinem behaupteten Engagement für die MASSOB unzureichende Angaben gemacht. Sein Vorbringen habe den "Anstrich eines frei erfundenen Konstrukts"; es sei ihm trotz mehrmaliger Einvernahme nicht möglich gewesen, "die Schilderung mit Leben zu erfüllen". Erst bei seiner dritten Einvernahme sei er in der Lage gewesen, "den Führer der MASSOB, eine Kultfigur unter politisch interessierten Ibos, namentlich zu nennen". "In Summe gesehen" habe das Vorbringen des Beschwerdeführers daher als "absolut unglaubwürdig eingestuft werden" müssen. Die von ihm als Beweismittel vorgelegte "Membership Card" der MASSOB habe "in Zusammenschau" mit der Unglaubwürdigkeit seiner Aussagen die Identität des Beschwerdeführers nicht zu beweisen vermocht.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde - in teilweiser Erledigung dieses Rechtsmittels - die Berufung gegen die Spruchpunkte I. und II. des erstinstanzlichen Bescheides gemäß §§ 7, 8 Abs. 1 AsylG abgewiesen. Die Entscheidung über die Berufung gegen Spruchpunkt III. wurde einer gesonderten Erledigung vorbehalten.

Die belangte Behörde schloss sich "den Feststellungen zum Sachverhalt hinsichtlich der Fluchtgründe an". Auch die Beweiswürdigung sei "im Ergebnis nicht zu beanstanden". Es sei "nicht nachzuvollziehen, dass der Berufungswerber, der eine hohe Stellung innerhalb der MASSOB bekleidet haben will, sein Engagement und die Strukturen der MASSOB nicht ausführlich schildern und bei seinen beiden ersten Einvernahmen nicht einmal den Namen des Anführers dieser Bewegung nennen konnte. Zwar wäre die Annahme des Bundesasylamtes, eine falsche Aussage zum Fluchtweg sei ein Indiz dafür, dass die Aussage insgesamt falsch sei, nicht schlüssig, gegen die Glaubwürdigkeit des Beschwerdeführers spreche jedoch, "dass er für den Tod seines Vaters drei verschiedene Daten angab"; dies sei "auch im angefochtenen Bescheid dargestellt, der die Einvernahmen wörtlich wiedergibt". Eine mündliche Berufungsverhandlung habe gemäß Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG unterbleiben können. Die Berufung habe dem Bundesasylamt zwar vorgeworfen, es habe sich nicht mit dem individuellen Vorbringen des Beschwerdeführers befasst, habe aber zur Beweiswürdigung nicht Stellung genommen und daher auch nicht versucht, sie zu entkräften. Der Beschwerdeführer habe die behaupteten Fluchtgründe und eine aktuelle Bedrohungssituation nicht glaubhaft machen können und es bestehe auch kein Hinweis auf "außergewöhnliche Umstände", die eine Abschiebung unzulässig machen könnten. Somit sei dem Beschwerdeführer weder Asyl noch Abschiebungsschutz zu gewähren gewesen.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

Die belangte Behörde hat es für erforderlich gehalten, ergänzend zu der von ihr - im Ergebnis - übernommenen Beweiswürdigung der Erstbehörde weitere Überlegungen zur Begründung der Unglaubwürdigkeit der Aussage des Beschwerdeführers anzustellen, indem sie in ihre Erwägungen unterschiedliche Angaben hinsichtlich des Todeszeitpunktes des Vaters des Beschwerdeführers einbezogen und auch diese eigenen Argumente zum tragenden Inhalt ihrer Entscheidung gemacht hat, ohne dass der Beschwerdeführer Gelegenheit gehabt hätte, zu diesen erstmals herangezogenen Begründungselementen Stellung zu nehmen und die von der belangten Behörde gesehenen Widersprüche allenfalls aufzuklären. Hielt es die belangte Behörde für notwendig, die Beweiswürdigung der Erstbehörde - die überdies ein von der belangen Behörde als nicht tragfähig beurteiltes Argument (betreffend die Aussagen zum Fluchtweg) enthielt - um zusätzliche (über bloße Zusatzbemerkungen oder Eventualausführungen hinausgehende) eigene Argumente zu ergänzen, dann widersprach dies der Annahme eines hinreichend "geklärten Sachverhaltes" im Sinn des Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG, sodass auf die Durchführung einer Berufungsverhandlung nicht verzichtet werden konnte (siehe aus der zu dieser Bestimmung ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes z.B. das Erkenntnis vom 2. März 2006, Zl. 2003/20/0317, mit weiteren Nachweisen).

Auch wenn der belangten Behörde einzuräumen ist, dass der Berufung des Beschwerdeführers eine konkrete Bekämpfung der Beweiswürdigungsargumente der Erstbehörde nicht zu entnehmen war und von daher die Durchführung einer Berufungsverhandlung gemäß Art. II Abs. 2 lit. D Z 43a EGVG nicht geboten gewesen wäre, hat sie verkannt, dass eine mündliche Berufungsverhandlung im vorliegenden Fall nach dem Gesagten nicht unterbleiben konnte.

Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensmangels zu einem anderen (für den Beschwerdeführer günstigen) Ergebnis gekommen wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 29. März 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2005200026.X00

Im RIS seit

11.06.2007

Zuletzt aktualisiert am

12.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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