Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard S*****, vertreten durch Dr. Hans Otto Schmidt, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagten Parteien 1) S***** Gesellschaft m. b. H., ***** 2) A***** Gesellschaft m. b. H., ***** wegen 65.400 EUR und Feststellung (Streitwert 7.267 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 17. Oktober 2002, GZ 14 R 183/02p-5, mit dem der Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 8. August 2002, GZ 55 Cg 81/02i-2, bestätigt wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird, soweit die Klage gegen die erstbeklagte Partei gerichtet ist, bestätigt. Dagegen werden die Beschlüsse der Vorinstanzen, soweit die Klage die zweitbeklagte Partei betrifft, aufgehoben.
Insoweit wird dem Erstgericht die Einleitung des gesetzmäßigen Verfahrens unter Abstandnahme vom gebrauchten Zurückweisungsgrund aufgetragen.
Die klagende Partei hat die halben Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen; die verbleibende Hälfte der Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrte 65.400 EUR als Ersatz von Gesundheitsschäden infolge einer Infektion mit dem Hepatitis C-Virus anlässlich von Blutspenden und die Feststellung, dass ihm die beklagten Parteien für alle künftigen Infektionsschäden hafteten. Er brachte vor, von 1973 bis 1978 etwa sechsmal monatlich Blut zur Gewinnung von Blutplasma in der Plasmapheresestelle der erstbeklagten Partei in Linz gespendet zu haben. Am 5. 1. 2000 sei bei ihm eine chronische Hepatitis C diagnostiziert worden. Die erstbeklagte Partei habe bis zum Inkrafttreten des Plasmapheresgesetzes keine Gewerbeberechtigung gehabt, an ihrem Standort in Linz Blutplasma zu gewinnen. Sie hafte daher wegen der Verletzung eines Schutzgesetzes nach § 1311 ABGB. Die erstbeklagte Partei habe ferner Vorkehrungen zur Vermeidung der Ansteckung von Blutspendern mit dem Hepatitis C-Virus unterlassen. Die Blutabnahme sei unter hygienischen Bedingungen erfolgt, die nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen hätten. Die Ansteckung mit Hepatititis C könne nur beim Blutspenden eingetreten sein. Die erstbeklagte Partei habe insofern auch vertragliche Sorgfaltspflichten verletzt. Sie habe es überdies unterlassen, ihn über mögliche Risken aufzuklären. Im Fall einer Aufklärung hätte er kein Blut gespendet. Die zweitbeklagte Partei sei von Anfang an bestrebt gewesen, Vorfeldorganisationen zu schaffen, um die Haftung für Projekte mit voraussehbarer Schadensträchtigkeit abzuschieben, in solchen Organisationen jedoch den entscheidenden Einfluss über die in die Geschäftsleitung als Geschäftsführer entsandten Personen auszuüben. Sie habe in Wahrheit das Unternehmen der nur formell selbstständigen erstbeklagten Partei selbst betrieben und geführt. Die erstbeklagte Partei sei "mit einem ganz geringen und im Verhältnis zu den zu erwartenden Risiken geradezu lächerlichen Grundkapital ausgestattet worden". Deren Geräte und das für die Plasmapherese erforderliche Wissen seien von der zweitbeklagten Partei zur Verfügung gestellt worden. Diese habe das gewonnene Plasma aufgrund einer Abnahmegarantie übernommen und deshalb auch eine Verkehrssicherungspflicht zu erfüllen gehabt. Sie sei über die katastrophalen hygienischen Zustände bei der Plasmagewinnung fortlaufend informiert gewesen, ohne jedoch etwas in Richtung auf deren Behebung unternommen zu haben. Die zweitbeklagte Partei müsse ihm daher für seine Schäden direkt einstehen. Die Zuständigkeit des angerufenen Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien folge aus den § 75 und § 93 JN. Der Klageanspruch werde gegen keine der in Anspruch genommenen beklagten Parteien aus Handelsgeschäften abgeleitet.
Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Die beklagten Parteien seien Formkaufleute, die "nur einen geschäftlichen Bereich" hätten.
Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach dessen Ansicht gehört rein deliktisches Verhalten nicht zum Betrieb eines Handelsgewerbes. Realakte, die der Erfüllung von Handelsgeschäften dienten, würden dagegen im Betrieb des Handelsgewerbes gesetzt. Die im Verhältnis zur zweitbeklagten Partei behauptete Durchgriffshaftung verändere nicht den Kern der Rechtsnatur des Klageanspruchs. Gegen die zweitbeklagte Partei werde soweit kein selbstständiger Anspruch erhoben, sondern es solle "die Verantwortung für verschuldete Schäden aus dem Handelsgeschäft der Erstbeklagten im Wege der Durchgriffshaftung auch der Zweitbeklagten auferlegt werden". Der Anspruch gegen die erstbeklagte Partei werde somit aus einem Handelsgeschäft abgeleitet, auch wenn der Verstoß gegen eine Schutznorm für den behaupteten Schaden mitursächlich gewesen sei. Schutznormen seien auch in Erfüllung eines Vertragsverhältnisses einzuhalten. Gegen die zweitbeklagte Partei träten zur Anspruchsbegründung nur noch jene Umstände hinzu, die allenfalls eine "Durchgriffshaftung" rechtfertigen könnten. Es solle aber "auf jene Haftung" durchgegriffen werden, "die sich aus dem Handelsgeschäft der Erstbeklagten" ableite. Daher sei "das Handelsgericht" für die gegen beide beklagten Parteien erhobenen Ansprüche sachlich zuständig. Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil der Oberste Gerichtshof über einen solchen "Fall der Durchgriffshaftung" noch nicht entschieden habe. Ein anderer Senat des Rekursgerichts habe überdies die Zuständigkeit der Handelsgerichtsbarkeit "in einem gleichgelagerten Fall" verneint.
Der ordentliche Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch teilweise berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger will beide beklagten Parteien beim allgemeinen Gerichtsstand der zweitbeklagten Partei in Anspruch nehmen. Er stützte das Klagebegehren gegen die zweitbeklagte Partei einerseits auf die Rechtsfigur der Durchgriffshaftung, andererseits aber auch darauf, dass die zweitbeklagte Partei allgemeine Verhaltenspflichten verletzt habe und ihm auch deshalb für Gesundheitsschäden, die er als Folge der behaupteten Hygienemängel beim Blutspenden zur Blutplasmagewinnung erlitten habe, einstehen müsse. Soweit wirft er der zweitbeklagten Partei ein spezifisches, unmittelbar gegen ihn gerichtetes deliktisches Verhalten als Ursache seiner Gesundheitsschäden vor. Dieser Haftungsgrund beruht unmittelbar auf dem Gesetz, also nicht auf der Verletzung von Pflichten im Rahmen einer rechtsgeschäftlichen Beziehung. Daraus folgt, dass für die Klage gegen die zweitbeklagte Partei nicht die Handelsgerichtsbarkeit, sondern das angerufene Gericht zuständig ist, hat doch die zweitbeklagte Partei - an ihren Sitz anknüpfend - gemäß § 75 Abs 1 JN dort ihren allgemeinen Gerichtsstand (4 Ob 275/02y).
2. Der Kläger berief sich indes auch auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft gemäß § 93 Abs 1 JN. Danach soll das angerufene Gericht auch für die Klage gegen die erstbeklagte Partei zuständig sein. Dieser Gerichtsstand ist jedoch nur dann gegeben, wenn für den Rechtsstreit nicht ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand begründet ist. Der geltend gemachte Schadenersatzanspruch wurde aus einer Körperverletzung abgeleitet, die der Kläger nach seinem Vorbringen infolge des unsachgemäßen Vorgehens der erstbeklagten Partei bei der Blutabnahme zur Plasmagewinnung, das die zweitbeklagte Partei hätte abstellen können und auch müssen, erlitten habe. Solche Ansprüche aus deliktischem Verhalten können gemäß § 92a JN - auch gegen mehrere Ersatzpflichtige - bei dem Gericht angebracht werden, in dessen Sprengel das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden sein soll. Die erstbeklagte Partei handelte nach den Klagebehauptungen in Linz. Dort hätte auch die zweitbeklagte Partei in Erfüllung ihrer behaupteten Verkehrssicherungspflicht tätig werden müssen, um die schadensursächlichen Hygienemängel abzustellen. Auf dem Boden solcher Klagegründe ist der Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide beklagten Parteien in Linz begründet. Schon deshalb scheidet eine erfolgreiche Berufung auf den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft aus. Es muss daher nicht mehr erörtert werden, ob ein Gerichtsstand der Schadenszufügung für beide beklagten Parteien auch dann bestünde, wenn der Kläger den gegen die zweitbeklagte Partei erhobenen Anspruch nur auf die Rechtsfigur der Durchgriffshaftung gestützt hätte (4 Ob 275/02y).
3. Somit ist dem Revisionsrekurs als Ergebnis aller bisherigen Erwägungen teilweise Folge zu geben. Der angefochtene Beschluss ist die erstbeklagte Partei betreffend zu bestätigen und im Übrigen aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 und § 50 iVm § 52 Abs 1 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 und Paragraph 50, iVm § 52 Absatz eins, ZPO.
Textnummer
E68352European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00285.02X.0128.000Im RIS seit
27.02.2003Zuletzt aktualisiert am
17.02.2011