Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Adelheid S*****, vertreten durch Dr. Josef Lachmann, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö***** Aktiengesellschaft, ***** vertreten durch Prettenhofer & Jandl Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei T***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Wolf, Theiss & Partner, Rechtsanwälte in Wien, wegen 101.814,64 EUR sA, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 6. Juli 2001, GZ 3 R 39/01d-17, womit infolge Berufungen der beklagten Partei und ihrer Nebenintervenientin das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 23. Oktober 2000, GZ 12 Cg 18/00t-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur fortgesetzten Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.
Text
Begründung:
Die Klägerin führt aufgrund eines gegen eine näher genannte GmbH (im Folgenden kurz: GmbH) erwirkten vollstreckbaren Versäumungsurteils über 2,692 Mio S sA gegen diese Exekution (AZ 12 E 88/00v des Bezirksgerichts Josefstadt) u.a. durch Pfändung und Überweisung einer der GmbH gegen die beklagte Bank angeblich zustehenden Forderung aufgrund einer von der GmbH abgerufenen Bankgarantie.
Unbestritten ist folgender Sachverhalt: Die Nebenintervenientin (im Folgenden kurz: NI) errichtete als Generalunternehmerin im Auftrag der GmbH als Bestellerin ein Wohnhaus in Wien. Vereinbart war dabei ein Haftrücklass von 5 % der Schlussrechnungssumme, der wahlweise durch entsprechenden Einbehalt oder durch eine Bankgarantie ("Haftrücklassgarantie" zur Sicherung allfälliger Gewährleistungsansprüche der GmbH gegenüber der NI) zur Verfügung stehen konnte. Über Auftrag der NI stellte die beklagte Partei am 23.
April 1997 die Bankgarantie Nr. 8/97 Beilage 1 = II (im Folgenden nur
Bankgarantie) über 1,401 Mio S = 101.814,64 EUR (Klagsbetrag),
befristet bis 31. Jänner 2000, zugunsten der GmbH mit folgendem
Wortlaut aus: "... Wir haben davon Kenntnis, dass ... [NI] im
Zusammenhang mit der Errichtung eines Wohnhauses in Wien ... die
Haftrücklassgarantie einer Bank zu erbringen hat. ... Im Auftrag der
genannten Firma übernehmen wir hiermit die Garantie für einen Betrag von 1,401.000 S und verpflichten uns, innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung Ihrer Aufforderung ohne Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses bis zur Höhe des oben bezeichneten Betrages an Sie Zahlung zu leisten. Die Garantie tritt erst in Kraft, wenn der Betrag von S 1,401.000 auf dem PSK-Konto Nr. ... lautend auf ... [NI]
... eingelangt ist."
Die GmbH retournierte die Schlussrechnung der NI mit folgenden Korrekturen im Juni 1997 (Beilage V): Saldo Pauschalpreis netto nach Abzug von Nachträgen-Gutschriften, Preisminderung (5,3 Mio S) und Verrechnungen: 19,475.760 S abzügl. Pönale von 1,332.169 S =Die GmbH retournierte die Schlussrechnung der NI mit folgenden Korrekturen im Juni 1997 (Beilage römisch fünf): Saldo Pauschalpreis netto nach Abzug von Nachträgen-Gutschriften, Preisminderung (5,3 Mio S) und Verrechnungen: 19,475.760 S abzügl. Pönale von 1,332.169 S =
18,143.591 S abzügl. geleistete Zahlungen von 16,53 Mio S = 1,613.591
S abzügl. Haftrücklass von 1,332.169 S = 281.423 S, ergibt
Schlusszahlung von 281.423 S. Mit rechtskräftigem Teilurteil des Handelsgerichts Wien wurde die GmbH dazu verpflichtet, der NI aus deren 6. Teilrechnung betreffend das auch hier maßgebliche Bauvorhaben einen Teilbetrag von 1,2 Mio S zuzüglich Kosten und Zinsen zu bezahlen. Am 26. Juli 1999 überwies die GmbH 1,401 Mio S auf das in der Garantie genannte Konto und am folgenden Tag 10.499 S. Mit Schreiben vom 2. Dezember 1999 erklärte die GmbH gegenüber der beklagten Partei, die Bankgarantie in Anspruch zu nehmen. Die beklagte Partei weigerte sich mit Schreiben vom 20. Dezember 1999, den Garantiebetrag auszubezahlen, weil sie - nach Rücksprache mit der NI - von einer rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme ihrer Bankgarantie ausging.
Die Klägerin begehrte mit der vorliegenden Drittschuldnerklage von der beklagten Partei die Zahlung der Garantiesumme. Strittig ist nun zwischen den Parteien einerseits, ob der von der GmbH am 26. Juli 1999 überwiesene Betrag von 1,401 Mio S der Garantie gewidmet (so die Klägerin) oder eine Teilzahlung zur Tilgung der Judikatsschuld (so die beklagte Partei) war und daher die Bedingung zur Inkraftsetzung der Bankgarantie nie erfüllte sowie andererseits der Umstand, ob die GmbH die Bankgarantie rechtsmissbräuchlich abrief. Die Klägerin führte dazu aus, mit dem Teilurteil sei keineswegs über die Berechtigung der Gewährleistungsansprüche der GmbH abgesprochen worden. Die beklagte Partei brachte vor, der Rechtsvertreter der GmbH habe der NI mit Schreiben vom 21. Juli 1999 zugesagt, den aus dem Teilurteil geschuldeten Gesamtbetrag von 1,411.499 S vor Ablauf der Leistungsfrist auf das bei der beklagten Partei geführte Geschäftskonto der NI zu überweisen. Tatsächlich sei auf diesem Konto durch die Zahlungen vom 26. und 27. Juli 1999 der geschuldete Gesamtbetrag von 1.411.499 S eingelangt. Damit hätte der Eindruck erweckt werden sollen, mit der ersten Überweisung von 1.401 Mio S werde die Bankgarantie in Kraft gesetzt. Die GmbH habe versucht, die Judikatsschuld aus dem Teilurteil in einer Weise zu erfüllen, dass sie den gezahlten Betrag - über den Umweg der Klägerin dieses Verfahrens - sofort wieder zurückerhalte. Dieser Versuch, die Garantie in Kraft zu setzen, sei somit rechtsmissbräuchlich geschehen, wofür die NI der beklagten Partei auch liquide Beweismittel vorgelegt habe. Der Eindruck des Rechtsmissbrauchs verstärke sich noch deshalb, weil die Klägerin die Mutter des seinerzeitigen Geschäftsführers der GmbH sei. Die NI trug vor, die GmbH habe den Haftrücklassbetrag von 1,332.169 S vom Schlussrechnungsbetrag einbehalten. Die Zahlung von von 1,401 Mio S sei in Erfüllung der Judikatsschuld und nicht, um die Bankgarantie in Kraft zu setzen, gezahlt worden.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es konnte nicht feststellen, ob die GmbH - trotz Beibringung der Bankgarantie - den Haftrücklassbetrag von der Schlussrechnung der NI einbehalten habe und vertrat in rechtlicher Hinsicht die Auffassung, einzige Ausnahme vom Grundsatz der Abstraktheit der Bankgarantie sei der Einwand der rechtsmissbräuchlichen Abrufung derselben. Die für diesen Einwand erforderliche Voraussetzung, dass die missbräuchliche Inanspruchnahme geradezu evident sein und dafür liquide eindeutige Beweismittel zur Verfügung stehen müssten, sei hier nicht erfüllt. Nach dem Wortlaut der Bankgarantie komme es für deren Inkrafttreten nur darauf an, dass der Betrag von 1,401 Mio S auf dem Konto der NI bei der beklagten Bank einlange. Eine ausdrückliche Zweckwidmung sei nicht erforderlich. Da die GmbH die 1,401 Mio S nicht zur Erfüllung der Teilurteilsschuld gezahlt habe, sondern um die Garantie in Kraft zu setzen, sei es selbstverständlich, dass die Judikatsschuld der GmbH im Ausmaß von 1,401 Mio S weiterhin aufrecht bestehe. Im Ergebnis erziele sie daher gegenüber der NI keinen rechtlichen Vorteil, sodass ein evidenter Rechtsmissbrauch nicht vorliege. Ob die GmbH den Haftrücklass von der Schlussrechnung einbehalten habe oder nicht, sei hier nicht zu klären; habe sie ihn nicht einbehalten, dann sei sie zur Einlösung der Garantie gemäß Vertrag zwischen der GmbH und der NI berechtigt und hielte auch zu keinem Zeitpunkt den Haftrücklass "zweimal in der Hand". Habe sie den Haftrücklass einbehalten, so habe sie durch die Einzahlung von 1,401 Mio S auf das Konto der NI bei der beklagten Partei denselben wieder aus der Hand gegeben. Dadurch hätte sie den Haftrücklass ebenfalls nicht zweimal erhalten. Aufgrund der Pfändung der Forderung der GmbH gegenüber der beklagten Partei durch die Klägerin habe die beklagte Partei nun dieser die garantierte Summe zu leisten.
Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beklagten Partei und ihrer NI Folge, wies das Klagebegehren ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu. In der Berufungsverhandlung vom 6. Juli 2001 ON 16 ergänzte und wiederholte der Berufungssenat das Beweisverfahren durch Verlesung der bereits in ersten Instanz vorgelegten und erörterten Beilagen A (Garantieabruf durch die GmbH vom 2. Dezember 1999), 1 (Bankgarantie vom 23. April 1997), V (Aufstellung der NI über ihre Schlussrechnung samt Aufstellung über Preisminderung und Verrechnungen), XI (Schreiben des Rechtsvertreters der GmbH an die Rechtsfreunde der NI vom 21. Juli 1999), XII (Schreiben der beklagten Partei an die Rechtsfreunde der NI vom 17. Dezember 1999), XIII (Schreiben der Rechtsfreunde der NI an die beklagte Partei vom 20. Dezember 1999) sowie XIV (eidesstättige Erklärung des Geschäftsführers der NI vom 20. Dezember 1999) und traf danach folgende weitere, von jenen des Erstgerichts teilweise abweichende und diese ergänzende Feststellungen:Das Berufungsgericht gab den Berufungen der beklagten Partei und ihrer NI Folge, wies das Klagebegehren ab und ließ die ordentliche Revision nicht zu. In der Berufungsverhandlung vom 6. Juli 2001 ON 16 ergänzte und wiederholte der Berufungssenat das Beweisverfahren durch Verlesung der bereits in ersten Instanz vorgelegten und erörterten Beilagen A (Garantieabruf durch die GmbH vom 2. Dezember 1999), 1 (Bankgarantie vom 23. April 1997), römisch fünf (Aufstellung der NI über ihre Schlussrechnung samt Aufstellung über Preisminderung und Verrechnungen), römisch XI (Schreiben des Rechtsvertreters der GmbH an die Rechtsfreunde der NI vom 21. Juli 1999), römisch XII (Schreiben der beklagten Partei an die Rechtsfreunde der NI vom 17. Dezember 1999), römisch XIII (Schreiben der Rechtsfreunde der NI an die beklagte Partei vom 20. Dezember 1999) sowie römisch XIV (eidesstättige Erklärung des Geschäftsführers der NI vom 20. Dezember 1999) und traf danach folgende weitere, von jenen des Erstgerichts teilweise abweichende und diese ergänzende Feststellungen:
Lediglich den sich aus Beilage V ergebenden Restbetrag von 281.423 S
- also abzüglich eines Haftrücklasses von 1,332.169 S - bezahlte die
GmbH vor den Zahlungen vom 26. und 27. Juli 1999 an die NI. Das
Schreiben des Rechtsvertreters der GmbH an die Rechtsvertreter der NI
vom 21. Juli 1999 lautet auszugsweise (Beilage XI): "... Darf ich
mitteilen, dass unsere Mandantschaft der Bank ... den Auftrag erteilt
hat, den mit Urteil ... zugesprochenen Betrag von 1,200.000 S sowie
die zwischenzeitig aufgelaufenen Zinsen von 179.195 S und die
zugesprochenen Kosten von 32.304 S vor Ablauf der Leistungsfrist an
ihre Mandantschaft zu überweisen." Die der beklagten Partei - nach
dem Garantieabruf der GmbH am 2. Dezember 1999 - auf deren Anfrage
vom 17. Dezember 1999 (Beilage XII) vom Geschäftsführer der NI
übermittelte eidesstättige Erklärung (Beilage XIV) lautet
auszugsweise: "... Im Gegenteil, selbst der Rechtsvertreter der ...
[GmbH] ... hatte unserem Rechtsvertreter mit Schreiben vom 21. Juli
1999 ausdrücklich mitgeteilt, dass die ... [GmbH] den mit Urteil ...
zugesprochenen Betrag ... zusammen somit 1,411.499 S vor Ablauf der
Leistungsfrist ... an uns überweisen werde. Diese Überweisungen sind
dann tatsächlich, wie bereits erwähnt, am 26.7.1999 (S 1,401.000) sowie am 27.7.1999 (S 10.499) an uns erfolgt ..."
Rechtlich folgerte das Berufungsgericht daraus: Klarer, wenn auch im Wortlaut der Garantieerklärung nicht ausdrücklich genannter Zweck der "Effektivklausel" (Inkrafttreten der Garantie ab Einlangen eines Betrags von 1,401 Mio S) sei gewesen, dass mit diesem Betrag der von der GmbH an die NI ausbezahlte Werklohnrest gemeint sein sollte, weil die GmbH nur ein Bedürfnis nach Sicherung ihres aufgegebenen Haftrücklasses gehabt habe. Die widmungslose Zahlung des Garantiebetrags am 26. Juli 1999 habe insoweit zwar keine Klarheit verschafft, doch gehe dies nicht zu Lasten der Begünstigten (GmbH), weil die die Garantieerklärung formulierende (beklagte) Bank keine strengeren Anforderungen gestellt habe. Sei die Garantie einmal in Kraft getreten, so könnten aber auch nachträglich Zweifel (ausgelöst durch die nicht erklärbare Zahlung von 10.499 S am nächsten Tag bzw. die spätere mit Korrespondenz belegte Information der beklagten Bank durch ihre Kundin [NI] über die eigentliche Widmung "Judikatsschuld") diese Wirksamkeit nicht mehr beeinflussen, weil es dafür nur auf den Zeitpunkt des Bedingungseintritts bzw. den damaligen Wissensstand der beklagten Partei ankommen könne. Diese Umstände könnten allerdings für die Frage, wie die Abrufungserklärung beschaffen sein müsse, ob der beklagten Partei ein vorläufiges Leistungsverweigerungsrecht zustehe bzw. ob die Bank den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben könne, von Bedeutung sein. Nur für letzteren Einwand, der das Valutaverhältnis betreffe, sei - wenn überhaupt - die Forderung nach liquiden Beweisen berechtigt. Durch Eingang des als Bedingung genannten Betrags sei die Garantie zunächst wirksam geworden. Allerdings sei der Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Abrufung der Garantie berechtigt. Die Schutzwürdigkeit der GmbH sei nicht mehr gegeben, weil sie eine Leistung in Anspruch genommen habe, obwohl schon eindeutig festgestanden sei, dass sie das Erhaltene sofort wieder (aufgrund der Judikatsschuld) herauszugeben hätte. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus der auch der beklagten Partei bekannten (in der eidesstattlichen Erklärung des Geschäftsführers der NI Beilage XIV dargelegten) Chronologie der Ereignisse, dass die GmbH den durch den Garantieabruf erhaltenen Betrag der NI sofort wieder herausgeben hätte müssen. Gehe man davon aus, dass durch die Zahlung von 1,401 Mio S der restliche Werklohn beglichen (der Haftrücklass ausbezahlt) worden sei, dann wäre die Judikatsschuld in gleicher Höhe offen. Nehme man andererseits Zahlung der Judikatsschuld an, dann hätte die GmbH durch den Abruf der Bankgarantie den Haftrücklass doppelt in Händen. Die Unhaltbarkeit des von der GmbH vertretenen Standpunkts, bei der Zahlung von 1,401 Mio S habe es sich nicht um einen Teil der Judikatsschuld, sondern um die Erfüllung der Garantiebedingung gehandelt, werde schon durch die dann völlig unerklärbare Höhe der Zahlung vom 27. Juli 1999 von 10.499 S evident. Diese "zweite" Zahlung mache nur dann Sinn, wenn damit die Tilgung der Judikatsschuld klargelegt werden solle. Dabei könne offenbleiben, ob die GmbH die Zahlung absichtlich oder nur versehentlich in zwei Teilbeträgen geleistet habe. Im ersten Fall könnte dies wohl nur in der Absicht geschehen sein, Verwirrung zu stiften, um die Bankgarantie missbräuchlich abrufen zu können. Sollte nur ein Versehen (Missverständnis der Buchhaltung) vorgelegen und Zahlung der Judikatsschuld beabsichtigt gewesen sein, dann läge der Missbrauch in der Ausnützung des so entstandenen Scheins. Dass die GmbH in ihrem Abrufschreiben die Behauptung unterlassen habe, sie habe die Bedingung für die Haftrücklassgarantie erbracht (das heißt den Werklohnrest bezahlt) und nehme deshalb die Bankgarantie in Anspruch, habe durchaus gute Gründe gehabt. Damit hätte sie sich nämlich der Gefahr einer sofortigen Exekution der Judikatsschuld ausgesetzt. Die Ankündigung des Vertreters der GmbH, die Bezahlung der Judikatsschuld sei bereits in Auftrag gegeben worden, ergebe sohin iVm dem Einlangen eines dieser Schuld entsprechenden Betrags auf dem Konto der NI bei der beklagten Partei, dass es sich keinesfalls um die Werklohnrestzahlung gehandelt haben könne. Diese Umstände habe die beklagte Partei letztlich auch liquide bewiesen.Rechtlich folgerte das Berufungsgericht daraus: Klarer, wenn auch im Wortlaut der Garantieerklärung nicht ausdrücklich genannter Zweck der "Effektivklausel" (Inkrafttreten der Garantie ab Einlangen eines Betrags von 1,401 Mio S) sei gewesen, dass mit diesem Betrag der von der GmbH an die NI ausbezahlte Werklohnrest gemeint sein sollte, weil die GmbH nur ein Bedürfnis nach Sicherung ihres aufgegebenen Haftrücklasses gehabt habe. Die widmungslose Zahlung des Garantiebetrags am 26. Juli 1999 habe insoweit zwar keine Klarheit verschafft, doch gehe dies nicht zu Lasten der Begünstigten (GmbH), weil die die Garantieerklärung formulierende (beklagte) Bank keine strengeren Anforderungen gestellt habe. Sei die Garantie einmal in Kraft getreten, so könnten aber auch nachträglich Zweifel (ausgelöst durch die nicht erklärbare Zahlung von 10.499 S am nächsten Tag bzw. die spätere mit Korrespondenz belegte Information der beklagten Bank durch ihre Kundin [NI] über die eigentliche Widmung "Judikatsschuld") diese Wirksamkeit nicht mehr beeinflussen, weil es dafür nur auf den Zeitpunkt des Bedingungseintritts bzw. den damaligen Wissensstand der beklagten Partei ankommen könne. Diese Umstände könnten allerdings für die Frage, wie die Abrufungserklärung beschaffen sein müsse, ob der beklagten Partei ein vorläufiges Leistungsverweigerungsrecht zustehe bzw. ob die Bank den Einwand des Rechtsmissbrauchs erheben könne, von Bedeutung sein. Nur für letzteren Einwand, der das Valutaverhältnis betreffe, sei - wenn überhaupt - die Forderung nach liquiden Beweisen berechtigt. Durch Eingang des als Bedingung genannten Betrags sei die Garantie zunächst wirksam geworden. Allerdings sei der Vorwurf der rechtsmissbräuchlichen Abrufung der Garantie berechtigt. Die Schutzwürdigkeit der GmbH sei nicht mehr gegeben, weil sie eine Leistung in Anspruch genommen habe, obwohl schon eindeutig festgestanden sei, dass sie das Erhaltene sofort wieder (aufgrund der Judikatsschuld) herauszugeben hätte. Im vorliegenden Fall ergebe sich aus der auch der beklagten Partei bekannten (in der eidesstattlichen Erklärung des Geschäftsführers der NI Beilage römisch XIV dargelegten) Chronologie der Ereignisse, dass die GmbH den durch den Garantieabruf erhaltenen Betrag der NI sofort wieder herausgeben hätte müssen. Gehe man davon aus, dass durch die Zahlung von 1,401 Mio S der restliche Werklohn beglichen (der Haftrücklass ausbezahlt) worden sei, dann wäre die Judikatsschuld in gleicher Höhe offen. Nehme man andererseits Zahlung der Judikatsschuld an, dann hätte die GmbH durch den Abruf der Bankgarantie den Haftrücklass doppelt in Händen. Die Unhaltbarkeit des von der GmbH vertretenen Standpunkts, bei der Zahlung von 1,401 Mio S habe es sich nicht um einen Teil der Judikatsschuld, sondern um die Erfüllung der Garantiebedingung gehandelt, werde schon durch die dann völlig unerklärbare Höhe der Zahlung vom 27. Juli 1999 von 10.499 S evident. Diese "zweite" Zahlung mache nur dann Sinn, wenn damit die Tilgung der Judikatsschuld klargelegt werden solle. Dabei könne offenbleiben, ob die GmbH die Zahlung absichtlich oder nur versehentlich in zwei Teilbeträgen geleistet habe. Im ersten Fall könnte dies wohl nur in der Absicht geschehen sein, Verwirrung zu stiften, um die Bankgarantie missbräuchlich abrufen zu können. Sollte nur ein Versehen (Missverständnis der Buchhaltung) vorgelegen und Zahlung der Judikatsschuld beabsichtigt gewesen sein, dann läge der Missbrauch in der Ausnützung des so entstandenen Scheins. Dass die GmbH in ihrem Abrufschreiben die Behauptung unterlassen habe, sie habe die Bedingung für die Haftrücklassgarantie erbracht (das heißt den Werklohnrest bezahlt) und nehme deshalb die Bankgarantie in Anspruch, habe durchaus gute Gründe gehabt. Damit hätte sie sich nämlich der Gefahr einer sofortigen Exekution der Judikatsschuld ausgesetzt. Die Ankündigung des Vertreters der GmbH, die Bezahlung der Judikatsschuld sei bereits in Auftrag gegeben worden, ergebe sohin in Verbindung mit dem Einlangen eines dieser Schuld entsprechenden Betrags auf dem Konto der NI bei der beklagten Partei, dass es sich keinesfalls um die Werklohnrestzahlung gehandelt haben könne. Diese Umstände habe die beklagte Partei letztlich auch liquide bewiesen.
Rechtliche Beurteilung
Die außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt.
a) Vermag das Berufungsgericht den Tatsachenfeststellungen des
Erstgerichts nicht zu folgen, dann hat es nach § 488 ZPO vorzugehen
und sich durch Wiederholung und allenfalls auch Ergänzung der in
erster Instanz aufgenommenen, seiner Ansicht nach unrichtig
gewürdigten Beweise die Grundlage für eine eigene Entscheidung zu
verschaffen (RIS-Justiz RS0042081). Auch vom Erstgericht unterlassene
Feststellungen können nur nach einer Beweiswiederholung (oder
-ergänzung) getroffen werden. Bei Beweisergänzungen kommt § 281a ZPO
(ohne die Beschränkung des § 488 Abs 4 ZPO) zur Anwendung (Kodek in
Rechberger2, § 488 ZPO Rz 4 mwN). Im vorliegenden Fall hat das
Berufungsgericht mehrere oben dargelegte Urkunden in der mündlichen
Berufungsverhandlung verlesen und danach ergänzende Feststellungen
über den Inhalt dieser Urkunden getroffen. Festzuhalten bleibt, dass
die Richtigkeit der vom Berufungsgericht verlesenen Beilagen II = 1
und V von der Klägerin in der mündlichen Streitverhandlung vor dem
Erstgericht zugestanden wurde (ON 10 AS 79), sodass der Umstand, dass
daraus Constatierungen getroffen wurden, keinen Verfahrensmangel
begründen kann. Auch soweit von der zweiten Instanz Feststellungen
aus den Beilagen XI bis XIII ungeachtet der Bestreitung ihrer
Richtigkeit durch die Klägerin gewonnen wurden, entziehen sich diese einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der ja nicht Tatsacheninstanz ist.
Freilich ist das Verfahren vor dem Berufungsgericht mit einem anderen Mangel iSd § 503 Z 2 ZPO behaftet: Grundsätzlich hat der ObersteFreilich ist das Verfahren vor dem Berufungsgericht mit einem anderen Mangel iSd Paragraph 503, Ziffer 2, ZPO behaftet: Grundsätzlich hat der Oberste
Gerichtshof nicht zu überprüfen, ob die vom Berufungsgericht
gezogenen Schlussfolgerungen aus den einzelnen Verfahrensergebnissen
richtig oder fehlerhaft sind, weil dies eine Frage der Beweiswürdigung ist. Er hat aber auf entsprechende Rüge zu untersuchen, ob bei der Stoffsammlung oder Erörterung eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde (Kodek aaO § 503 ZPO Rz 3). Ein Grundprinzip des österr. (Zivil-)Prozessrechts ist die Mündlichkeit.richtig oder fehlerhaft sind, weil dies eine Frage der Beweiswürdigung ist. Er hat aber auf entsprechende Rüge zu untersuchen, ob bei der Stoffsammlung oder Erörterung eine Verfahrensvorschrift verletzt wurde (Kodek aaO Paragraph 503, ZPO Rz 3). Ein Grundprinzip des österr. (Zivil-)Prozessrechts ist die Mündlichkeit.
Zeugen sind im Prozess mündlich zu vernehmen. Schriftliche
"Zeugenaussagen" oder "eidesstattliche Erklärungen" sind dem österr. Zivilprozess fremd, ihre Zulassung und Verwertung bildet eine erhebliche Verletzung eines Verfahrensgesetzes (SZ 59/93 = JBl 1986, 583 = EvBl 1987/1 = AnwBl 1986, 616; Fasching Lehrbuch² Rz 967 mwN; vgl. auch Fucik in Rechberger² Vor § 171 Rz 5 mwN). Da der von der Vorinstanz u.a. aus der Verlesung der eidesstattlichen Erklärung Beilage XIV abgeleitete Sachverhalt unter den Parteien keineswegs unstrittig ist (siehe nur die Bestreitung der Richtigkeit u.a. der Beilage XIV in ON 10 AS 79 und das gegenteilige Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz ON 6 Seite 3 [= AS 39, vorgetragen in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ON 10 AS 75], wonach die GmbH den Haftrücklass von 1,401 Mio S nicht einbehalten, sondern am 20. August 1998 an die NI gezahlt habe), ist der von der Klägerin aufgezeigte Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens als rechtserheblich wahrzunehmen. Schon dieser Umstand muss zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache vor das Berufungsgericht führen. Sollte dieses das erstinstanzliche Beweisverfahren selbst wiederholen bzw. ergänzen wollen, dann wird es das Beweisverfahren durch Vernehmung von Zeugen durchzuführen haben. Sollte es bei der Behandlung der Mängel- und Feststellungsrüge der Berufung (die es im vorliegenden Urteil unbehandelt beließ) zur Auffassung gelangen, dass der Erstrichter das Beweisverfahren zu ergänzen habe, dann wird dieser zu den u.a. auch von ihm aufgrund der eidesstattlichen Erklärung Beilage XIV geschöpften Tatsachenannahmen ebenfalls dem Gebot der Mündlichkeit des Zeugenbeweises zu entsprechen haben."Zeugenaussagen" oder "eidesstattliche Erklärungen" sind dem österr. Zivilprozess fremd, ihre Zulassung und Verwertung bildet eine erhebliche Verletzung eines Verfahrensgesetzes (SZ 59/93 = JBl 1986, 583 = EvBl 1987/1 = AnwBl 1986, 616; Fasching Lehrbuch² Rz 967 mwN; vergleiche auch Fucik in Rechberger² Vor Paragraph 171, Rz 5 mwN). Da der von der Vorinstanz u.a. aus der Verlesung der eidesstattlichen Erklärung Beilage römisch XIV abgeleitete Sachverhalt unter den Parteien keineswegs unstrittig ist (siehe nur die Bestreitung der Richtigkeit u.a. der Beilage römisch XIV in ON 10 AS 79 und das gegenteilige Vorbringen der Klägerin im Schriftsatz ON 6 Seite 3 [= AS 39, vorgetragen in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung ON 10 AS 75], wonach die GmbH den Haftrücklass von 1,401 Mio S nicht einbehalten, sondern am 20. August 1998 an die NI gezahlt habe), ist der von der Klägerin aufgezeigte Mangel des berufungsgerichtlichen Verfahrens als rechtserheblich wahrzunehmen. Schon dieser Umstand muss zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache vor das Berufungsgericht führen. Sollte dieses das erstinstanzliche Beweisverfahren selbst wiederholen bzw. ergänzen wollen, dann wird es das Beweisverfahren durch Vernehmung von Zeugen durchzuführen haben. Sollte es bei der Behandlung der Mängel- und Feststellungsrüge der Berufung (die es im vorliegenden Urteil unbehandelt beließ) zur Auffassung gelangen, dass der Erstrichter das Beweisverfahren zu ergänzen habe, dann wird dieser zu den u.a. auch von ihm aufgrund der eidesstattlichen Erklärung Beilage römisch XIV geschöpften Tatsachenannahmen ebenfalls dem Gebot der Mündlichkeit des Zeugenbeweises zu entsprechen haben.
Der zweitinstanzliche Verfahrensmangel ist auch relevant, weil die Vorinstanz u.a. aus der genannten Beweisquelle Feststellungen über strittige Umstände traf und daraus sodann die hier maßgebliche Rechtsmissbräuchlichkeit des Garantieabrufs der GmbH folgerte. Insgesamt ist daher die Revision mit ihrem Aufhebungsantrag berechtigt, ohne dass insoweit auf die Richtigkeit der zweitinstanzlichen Rechtsansicht einzugehen wäre.
b) Dass die Bankgarantie wirksam wurde, hat schon die zweite Instanz zutreffend erkannt (§ 510 Abs 3 ZPO). Dieser Umstand ist nicht mehr Gegenstand des fortzusetzenden Verfahrens.b) Dass die Bankgarantie wirksam wurde, hat schon die zweite Instanz zutreffend erkannt (Paragraph 510, Absatz 3, ZPO). Dieser Umstand ist nicht mehr Gegenstand des fortzusetzenden Verfahrens.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, Absatz eins, ZPO.
Anmerkung
E68267 3Ob235.01gEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0030OB00235.01G.0129.000Dokumentnummer
JJT_20030129_OGH0002_0030OB00235_01G0000_000