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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
RAO 1868 §16 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Waldstätten und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Khozouei, über die Beschwerde des Dr. HT, vertreten durch Tramposch & Partner, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Franz-Fischer-Straße 17a, gegen den Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer (Plenum) vom 7. November 2002, Zl. VS99-1639, betreffend Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Die Tiroler Rechtsanwaltskammer hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer vom 4. November 1997 war der Beschwerdeführer, ein Rechtsanwalt, gemäß § 45 RAO zum Verfahrenshilfeverteidiger des Angeklagten in einem beim Landesgericht I anhängigen Strafverfahren bestellt worden.
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2001 begehrte der Beschwerdeführer unter Anschluss einer Leistungsaufstellung den Ersatz von seiner Kanzlei aufgelaufenen Kosten in der Höhe von S 1,042.027,06 (EUR 75.727,06) abzüglich eines von der Rechtsanwaltskammer erhaltenen Vorschusses von S 444.000,--. Mit Schreiben vom 7. Februar 2002 bezifferte der Beschwerdeführer die Höhe seiner Forderungen mit S 1,494.067,39 (EUR 108.578,11) abzüglich des Vorschusses von 444.000,--.
Mit Bescheid des Ausschusses der Tiroler Rechtsanwaltskammer, Abteilung 1, vom 4. April 2002 wurde über den Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 16 Abs. 4 RAO ein Honorar von S 453.037,45 (EUR 32.923,52) einschließlich Umsatzsteuer als ihm zu leistende Vergütung festgesetzt. Es ergebe sich ein restlicher Auszahlungsbetrag von S 9.037,45 (EUR 656,78). Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Beschwerdeführers wurde abgewiesen.
Diese Entscheidung wurde zusammengefasst damit begründet, dass der Beschwerdeführer ab der 50. Verhandlungsstunde eine gesamte Hauptverhandlungszeit von 108/2 Stunden geleistet habe. Dafür errechne sich nach den Bestimmungen der Autonomen Honorarrichtlinien eine Vergütung von S 211.140,--. Es werde entsprechend den tariflichen Bestimmungen ein Einheitssatz von 50 Prozent sowie - weil es sich um ein Großverfahren mit einem umfangreichen, vielbändigen Akt gehandelt habe, zahlreiche Privatbeteiligtenanschlüsse vorgelegen seien und ein immenser Vorbereitungsaufwand gegeben gewesen sei - gemäß § 4 AHR ein 20- prozentiger Zuschlag und gemäß § 12 AHR ein Erfolgszuschlag von weiteren 20 Prozent zuerkannt, weil der vom Beschwerdeführer vertretene Angeklagte größtenteils freigesprochen worden sei. Von der Vergütung weiterer Zuschläge auf Grund erfolgter Privatbeteiligungen sei jedoch Abstand genommen worden, auf Grund des Freispruches seien mit der Abwehr von Privatbeteiligtenanschlüssen allein keine entsprechenden Mehraufwendungen verbunden gewesen.
Leistungen vor der ersten Hauptverhandlung hätten nicht vergütet ("zugesprochen") werden können, "da hier gemäß anzuwendendem Legalitätsprinzip (Art. 18 B-VG) das Gesetz hiefür keinen Spielraum lässt".
Der gegen diesen Bescheid erhobenen Vorstellung des Beschwerdeführers wurde mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. November 2002 keine Folge gegeben (neben hier nicht interessierenden Richtigstellungen). Zur Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Begriff "Verhandlungsstunde" und "Verhandlungstag" in § 16 Abs. 4 RAO i. d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 71/1999 nur so verstanden werden könne, dass dabei Stunden und Tage der Hauptverhandlung gemeint seien. Für Leistungen, die der Beschwerdeführer als beigegebener Verteidiger im Rahmen eines Aufenthaltes in der Dominikanischen Republik erbracht habe, ebenso wie für kontradiktorische Vernehmungen (§ 162a StPO) vor der Hauptverhandlung stehe dem Beschwerdeführer aber keine Sonderpauschalvergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO zu, dabei handle es sich nämlich nicht um eine Hauptverhandlung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 25. Februar 2003, B 1742/02-3, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Bestellung des Beschwerdeführers gemäß § 45 RAO erfolgte vor dem 1. Juni 1999; gemäß Art. V Z. 3 des Rechtsanwalts-Berufsrechts-Änderungsgesetzes 1999, BGBl. I Nr. 71/1999, ist § 16 Abs. 4 RAO in der Fassung BGBl. Nr. 474/1990 (vor der Änderung durch BGBl. I Nr. 71/1999) anzuwenden.
Die Bestimmung lautet:
"(4) In Verfahren, in denen der nach den §§ 45 oder 45a bestellte Rechtsanwalt mehr als zehn Verhandlungstage oder insgesamt mehr als 50 Verhandlungsstunden tätig wird, hat er unter den Voraussetzungen des Abs. 3 für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Auf diese Vergütung ist dem Rechtsanwalt auf sein Verlangen von der Rechtsanwaltskammer ein angemessener Vorschuss zu gewähren. Über die Höhe der Vergütung sowie über die Gewährung des Vorschusses und über dessen Höhe entscheidet der Ausschuss."
Mangels einer entsprechenden Übergangsvorschrift war § 47 RAO in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 71/1999 bereits in Ansehung der für das Jahr 1999 festzusetzenden Pauschalvergütung anzuwenden.
Die Vorschrift lautet auszugsweise:
"(1) Der Bund hat dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag für die Leistungen der nach § 45 bestellten Rechtsanwälte, für die diese zufolge verfahrensrechtlicher Vorschriften sonst keinen Entlohnungsanspruch hätten, jährlich spätestens zum 30. September für das laufende Kalenderjahr eine angemessene Pauschalvergütung zu zahlen. Auf die für das laufende Kalenderjahr zu zahlende Pauschalvergütung sind Vorauszahlungen in angemessenen Raten zu leisten.
...
(5) Für nach § 16 Abs. 4 erster Satz erbrachte Leistungen ist eine angemessene Pauschalvergütung gesondert festzusetzen. Diese Leistungen bleiben bei der Neufestsetzung der Pauschalvergütung nach Abs. 3 außer Betracht. Abs. 3 erster Halbsatz ist anzuwenden. Auf die mit Verordnung gesondert festzusetzende Pauschalvergütung kann der Bundesminister für Justiz dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag auf dessen Antrag für bereits erbrachte Verfahrenshilfeleistungen im Rahmen der jeweils im Bundesfinanzgesetz für diese Zwecke verfügbaren Mittel einen angemessenen Vorschuss gewähren; ist die tatsächlich festgesetzte Pauschalvergütung geringer als der gewährte Vorschuss, so hat der Österreichische Rechtsanwaltskammertag dem Bundesminister für Justiz den betreffenden Betrag zurückzuerstatten.
..."
Gemäß Tarifpost 4 I. Z. 5 des Tarifs des Rechtsanwaltstarifgesetzes, BGBl. Nr. 189/1969, i.d.F. BGBl. Nr. 132/2001, gebührt für die erste halbe Stunde die für Anklagen festgesetzte Entlohnung, für jede weitere, wenn auch nur begonnene halbe Stunde die Hälfte dieser Entlohnung.
Die von der Rechtsanwaltschaft im Rahmen der Verfahrenshilfe erbrachten Leistungen werden grundsätzlich durch die vom Bund dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag gemäß § 47 Abs. 1 RAO zu leistende Vergütung abgegolten. Der einzelne Rechtsanwalt erwirbt im Allgemeinen durch seine Leistungen in einem Verfahren, in dem er gemäß § 45 RAO bestellt wurde, gegenüber der Rechtsanwaltskammer - abgesehen vom Anspruch auf anteilsmäßige Anrechnung auf die Beiträge gemäß § 16 Abs. 3 RAO - keinen individuellen Vergütungsanspruch. Von diesem Grundsatz normiert § 16 Abs. 4 RAO eine Ausnahme: Wird der Rechtsanwalt im besonderen Umfang in Anspruch genommen, so gebührt ihm eine individuelle Vergütung. Dabei wird in § 16 Abs. 4 erster Satz RAO daran angeknüpft, dass der betreffende Rechtsanwalt, dessen Vergütungsanspruch zu bemessen ist, mehr als zehn Verhandlungstage oder 50 Verhandlungsstunden in Anspruch genommen wurde, indem gesagt wird, "er" (der Rechtsanwalt) hat ... Anspruch auf eine Vergütung für "alle darüber hinausgehenden Leistungen" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 2001, Zl. 99/10/0206).
Der Beschwerdeführer hält die Auffassung der belangten Behörde für unzutreffend, dass ihm für vor der Hauptverhandlung erbrachte Verteidigerleistungen keine besondere Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO zustehen könne. Er weist darauf hin, dass ihm etwa seine im Ausland angefallenen Barauslagen zur Gänze ersetzt worden seien, er habe dort notwendige Leistungen im Rahmen der Tätigkeit des Gerichtes in einem außergewöhnlich umfangreichen Verfahren erbracht.
Der Beschwerdeführer zeigt im Ergebnis eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinen Erkenntnissen vom 28. Februar 2006, Zl. 2002/06/0083, und vom selben Tage, Zl. 2002/06/0211, unter Hinweis auf seine Vorjudikatur dargelegt, dass durch die Festsetzung des "Schwellenwertes" in § 16 Abs. 4 RAO (u.a.) zum Ausdruck kommt, dass mit der individuellen Vergütung nach dieser Gesetzesstelle nur jene Leistungen (angemessen) vergütet werden sollen, die über das - mit der Pauschalvergütung berücksichtigte - "Normalmaß" hinausgehen. Soweit es um die nicht in der Verrichtung der Hauptverhandlung bestehenden ("Neben"-)Leistungen des Verteidigers geht, ist zu bedenken, dass solche Leistungen typischerweise auch bei nicht "überlangen" Verfahren anfallen und in diesem Fall nicht individuell vergütet werden. Nach dem System des Gesetzes gibt es also - wie in § 16 Abs. 4 RAO zum Ausdruck kommt - einen "vergütungsfreien" Teil der in "überlangen" Verfahren erbrachten Leistungen. Es entspricht einer am Gleichheitssatz orientierten Auslegung, den vergütungsfreien Teil mit dem Ausmaß jener Leistungen in Beziehung zu setzen, der dem typischerweise mit Verfahren, bei denen der Leistungsumfang des Rechtsanwaltes den Schwellenwert nicht überschreitet, verbundenen Ausmaß entspricht (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050).
Mit anderen Worten: In § 16 Abs. 4 RAO wurde nach dem Kriterium der Dauer der Hauptverhandlung jene Gruppe von Strafverfahren definiert, in denen eine sorgfältige Vertretung oder Verteidigung für den Verfahrenshelfer einen ungewöhnlich hohen Arbeitsaufwand erfordert, und in welchen daher den als Verfahrenshelfer beigegebenen Rechtsanwälten für ihren Aufwand ausnahmsweise eine besondere Vergütung zuerkannt werden soll. Wenn darin festgelegt ist, dass dem Rechtsanwalt "für alle darüber hinausgehenden Leistungen an die Rechtsanwaltskammer (ein) Anspruch auf eine angemessene Vergütung" zusteht, so wurde damit zum Ausdruck gebracht, dass ein solcher Anspruch auf angemessene Vergütung in jenem Ausmaß gewährt werden soll, in welchem die Leistungen des Rechtsanwaltes als Verfahrenshelfer die Leistungen eines Verteidigers in einem typischen Strafverfahren unterhalb der Schwelle des § 16 Abs. 4 RAO übersteigen.
Das Gesetz enthält aber insoferne keine Einschränkung darauf, dass mit § 16 Abs. 4 RAO eine Vergütung nur für zusätzliche Verhandlungsstunden in der Hauptverhandlung zuzuerkennen wären.
§ 16 Abs. 4 RAO spricht von "angemessener Vergütung". "Angemessen" ist jene Vergütung, die sich unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Bedachtnahme darauf, was in gleich gelagerten Fällen geschieht, ergibt. Bei der Bemessung ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass die Vergütung nicht zuletzt der Abwendung der vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis Slg. 12.638 dargelegten Auswirkungen der Belastung der Rechtsanwälte durch überlange Verfahren, die bis zur Existenzbedrohung gehen können, dient. Den Gesetzesmaterialien zu § 16 Abs. 4 RAO (1380 BlgNR XVII GP) ist zu entnehmen, dass sich die Höhe der besonderen Vergütung nach der gemäß § 47 Abs. 5 RAO neue Fassung gesondert festzusetzenden Pauschalvergütung für solche überlangen Verfahren richten werde. Die Angemessenheit der gesondert festzusetzenden Pauschalvergütung werde nach den für die Festsetzung der Pauschalvergütung im Allgemeinen anzuwendenden Grundsätzen (siehe insbesondere § 47 Abs. 3 Z. 3) zu bestimmen sein. In der zuletzt zitierten Gesetzesstelle ist davon die Rede, "die Vergütung ... der Entlohnung anzunähern die nach den Standesrichtlinien der Rechtsanwälte als angemessen angesehen wird" (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 4. November 2002, Zl. 2000/10/0050, und vom 30. März 2004, Zl. 2002/06/0159, und die bereits angeführten hg. Erkenntnisse vom 28. Februar 2006, auf die im Übrigen gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird.).
Nach dem Gesagten hat die belangte Behörde mit ihrer Auffassung die Rechtslage verkannt, dass für vor der Hauptverhandlung erbrachte Leistungen auch dann keine Vergütung gemäß § 16 Abs. 4 RAO zustehe, wenn außergewöhnliche - im Rahmen eines "überlangen" Verfahrens oder durch überdurchschnittlich aufwändigen Verteidigeraufwand erforderliche - Leistungen erbracht wurden. Sie hätte vielmehr beurteilen müssen, ob der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall einen solchen Aufwand zu tätigen hatte und ob dieser gegebenenfalls durch die von der belangten Behörde zuerkannten Zuschläge bereits abgegolten war oder ob dem Beschwerdeführer im Sinne der dargelegten "Annäherung" an die nach den Standesrichtlinien als angemessen anzusehende Entlohnung und in Verweisung auf die allgemeine Übung, noch ein zusätzliches Entgelt zuzusprechen war.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 17. April 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2003060050.X00Im RIS seit
23.05.2007