TE Vwgh Erkenntnis 2007/4/17 2006/19/0441

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Veröffentlicht am 17.04.2007
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Index

E3R E19103000;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

32003R0343 Dublin-II Art3 Abs2;
AsylG 1997 §10;
AsylG 1997 §24b Abs1;
AsylG 1997 §32a Abs1;
AsylG 1997 §38 Abs5;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs1;
AsylG 1997 §5a Abs4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie den Hofrat Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. N. Bachler und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenats vom 15. November 2005, Zl. 264.153/0- XIV/08/05, betreffend § 32a Abs. 1 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: N, vertreten durch Mag. Dr. Wolfgang Fromherz, Mag. Dr. Bernhard Glawitsch und Mag. Ulrike Neumüller-Keintzel, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Graben 9), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die minderjährige Mitbeteiligte, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation tschetschenischer Volksgruppenzugehörigkeit, reiste den Angaben ihres Vaters zufolge im April 2004 gemeinsam mit ihren Eltern und ihren minderjährigen Geschwistern in das Gebiet der EU-Mitgliedstaaten ein. Für sie wurde am 23. Mai 2005 in Polen ein Asylantrag gestellt. Am 13. August 2005 reiste die Mitbeteiligte mit ihrer Familie in das Bundesgebiet ein und brachte noch am selben Tag durch ihren Vater einen (weiteren) Asylantrag ein.

Im Rahmen einer am 31. August 2005 erfolgten Untersuchung der Eltern der Mitbeteiligten stellte Dr. Ilse Hruby, Ärztin für Psychotherapeutische Medizin, bei diesen keine "krankheitswerte psychische Störung", bei der Mutter allerdings "eine depressive Grundstruktur" fest, "die jedoch mit den fluchtauslösenden Ereignissen nicht direkt im Zusammenhang" stehe. Eine Untersuchung der Mitbeteiligten selbst erfolgte nicht.

Mit Bescheid vom 5. September 2005 wies das Bundesasylamt den Asylantrag der Mitbeteiligten - nach Konsultationen mit den zuständigen polnischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) als unzulässig zurück. Es stellte fest, für die Prüfung des Antrages sei gemäß Art. 16 Abs. 1 lit c der "Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden: Dublin-Verordnung) Polen zuständig, und wies die Mitbeteiligte gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Polen aus.

Dagegen erhob die Mitbeteiligte Berufung und legte mit Schreiben vom 14. November 2005 eine Bestätigung des Ambulatoriums für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen ("die Boje"), verfasst am 9. November 2005 von Dr. R. R., Stellvertretende Psychotherapeutische Leiterin des Ambulatoriums, vor. Darin wurde attestiert, dass die Mitbeteiligte an zwei Terminen behandelt wurde und an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide, die sich u.a. in Essensverweigerung, massiven Schlafproblemen und Angst vor außerfamiliären Personen ausdrücke. Eine Fortsetzung der Behandlung wurde empfohlen.

Die Mutter der Mitbeteiligten legte in ihrem Berufungsverfahren einen "Psychotherapeutischen Kurzbericht", verfasst am 9. November 2005 von E. K., Psychotherapeut in Wien, vor. Darin wurde über eine am 12. Oktober 2005 stattgefundene Untersuchung der Mutter der Mitbeteiligten berichtet und von einer "höhergradigen posttraumatischen Belastungsstörung" aufgrund der von ihr geschilderten Erlebnisse in Tschetschenien ausgegangen. Einer dieser Vorfälle habe die 2003 geborene Mitbeteiligte betroffen; diese sei "von den Soldaten herumgeworfen und geschlagen worden". Sie spreche nicht und habe (im November 2005) erst 10 Kilogramm. Wenn sie die Augen zum Schlafen schließe, schreie sie oft auf.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung gemäß § 32a Abs. 1 AsylG statt, ließ den Asylantrag zu, behob den bekämpften Bescheid und verwies den Antrag zur Durchführung des materiellen Asylverfahrens an das Bundesasylamt zurück. Begründend führte sie nach Zitierung der einschlägigen Rechtsvorschriften aus, es lägen aufgrund der Bestätigung des Ambulatoriums "nun im Zulassungsverfahren medizinisch jedenfalls belegbare Tatsachen iS des § 24b Abs. 1 AsylG" vor, "die die Annahme rechtfertigen, dass die Asylwerberin durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte". Ob tatsächlich eine Traumatisierung der Mitbeteiligten vorliege, werde im inhaltlichen Asylverfahren zu klären sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde und Erstattung einer Gegenschrift durch die Mitbeteiligte erwogen hat:

1. Die Amtsbeschwerde wendet sich gegen die Annahme der belangten Behörde, die Voraussetzungen für die Zulassung des Verfahrens gemäß § 24b Abs. 1 AsylG (und damit für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin-Verordnung durch Österreich) seien im vorliegenden Fall gegeben. Begründet wird dies mit der Ansicht, die belangte Behörde hätte im Verfahren der Mutter der Mitbeteiligten nicht ohne ärztlichen Beleg vom Vorliegen "medizinisch belegbarer Tatsachen" im Sinne des § 24b Abs. 1 AsylG ausgehen und daher schon deren Verfahren nicht zulassen dürfen, weshalb auch eine Zulassung des Asylantrags der Mitbeteiligten im Rahmen des Familienverfahrens (§ 10 AsylG) nicht statthaft gewesen sei.

Dabei wird übersehen, dass die Zulassung des Verfahrens im angefochtenen Bescheid nicht wie bei den übrigen Familienangehörigen der Mitbeteiligten und ihrer Mutter im Rahmen des Familienverfahrens erfolgte (s. dazu das den Vater und die Geschwister der Mitbeteiligten betreffende Erkenntnis vom heutigen Tag, Zlen. 2006/19/0437 bis 0440). Vielmehr ging die belangte Behörde aufgrund der Bestätigung des Ambulatoriums "die Boje" davon aus, es lägen bei der Mitbeteiligten selbst "medizinisch jedenfalls belegbare Tatsachen iS des § 24b Abs. 1 AsylG" vor, "die die Annahme rechtfertigen, dass die Asylwerberin durch die Geschehnisse im Zusammenhang mit dem die Flucht auslösenden Ereignis traumatisiert sein könnte".

Inhaltlich gleicht der vorliegende Fall jenem der Mutter der Mitbeteiligten. Mit der Frage, ob die belangte Behörde ohne ärztlichen Beleg vom Vorliegen "medizinisch belegbarer Tatsachen" im Sinne des § 24b Abs. 1 AsylG ausgehen durfte, hat sich der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2006/19/0442, auf dessen Begründung gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, auseinandergesetzt und die Amtsbeschwerde betreffend die Mutter der Mitbeteiligten als unbegründet abgewiesen.

2. Da auch im vorliegenden Fall die inhaltliche Nachvollziehbarkeit des Bescheides weder in der Amtsbeschwerde bezweifelt wird noch durch den Verwaltungsgerichthof zu beanstanden ist und die Beschwerde sonst keine Umstände aufzeigt, die gegen die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides sprechen, war sie ebenfalls gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

3. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 17. April 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190441.X00

Im RIS seit

29.08.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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