Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler und Mag. Johannes Zahrl (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Sebastian P*****, vertreten durch Dr. Bernd Fritsch ua Rechtsanwälte in Graz, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, vertreten durch Dr. Paul Bachmann ua Rechtsanwälte in Wien, wegen Pflegegeld, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 11. Dezember 2002, GZ 8 Rs 188/02g-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits- und Sozialgericht vom 8. Mai 2002, GZ 31 Cgs 9/02h-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, dem Kläger zu Handen der Klagevertreter die mit EUR 333,12 (darin enthalten EUR 55,52 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist entgegen der vom Kläger in seiner Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht nach der hier noch maßgebenden Rechtslage vor der Zivilverfahrensnovelle 2002 (BGBl I 2002/76) auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 46 Abs 1 ASGG zulässig, weil es sich um wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen gemäß § 46 Abs 3 Z 3 ASGG handelt.Die Revision ist entgegen der vom Kläger in seiner Revisionsbeantwortung vertretenen Ansicht nach der hier noch maßgebenden Rechtslage vor der Zivilverfahrensnovelle 2002 (BGBl römisch eins 2002/76) auch ohne Vorliegen der Voraussetzungen des Paragraph 46, Absatz eins, ASGG zulässig, weil es sich um wiederkehrende Leistungen in Sozialrechtssachen gemäß Paragraph 46, Absatz 3, Ziffer 3, ASGG handelt.
Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, wonach der Pflegebedarf des Klägers auch im noch strittigen Zeitraum vom 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich betragen hat und daher auch für diesen Zeitraum wegen des unbestritten erforderlichen außergewöhnlichen Pflegeaufwandes die Voraussetzungen für eine Anhebung des Pflegegeldes auf ein solches der Stufe 5 vorgelegen sind, ist zutreffend (§ 510 Abs 3 zweiter Satz ZPO). Ergänzend ist noch folgendes auszuführen:Die im angefochtenen Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung der Sache, wonach der Pflegebedarf des Klägers auch im noch strittigen Zeitraum vom 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich betragen hat und daher auch für diesen Zeitraum wegen des unbestritten erforderlichen außergewöhnlichen Pflegeaufwandes die Voraussetzungen für eine Anhebung des Pflegegeldes auf ein solches der Stufe 5 vorgelegen sind, ist zutreffend (Paragraph 510, Absatz 3, zweiter Satz ZPO). Ergänzend ist noch folgendes auszuführen:
Unstrittig ist, dass der Kläger auch im noch verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 auf Grund seiner damals bereits bestehenden Harninkontinenz einen Pflegebedarf für die Reinigung bei Inkontinenz hatte und ohne Berücksichtigung des hiefür erforderlichen Pflegeaufwands einen solchen von durchschnittlich 165 Stunden monatlich benötigte; strittig ist nur, welcher Zeitwert für diese Betreuungsleistung im vorliegenden Fall zu veranschlagen ist und ob der Pflegebedarf dadurch die gesetzliche Grenze von 180 Stunden überschreitet. Während die Vorinstanzen unter Hinweis auf die in SSV-NF 13/7 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes den in § 1 Abs 3 EinstV für die Reinigung bei inkontinenten Patienten vorgesehenen Richtwert von 4 mal 10 Minuten täglich (= 20 Stunden monatlich) berücksichtigten, vertritt die beklagte Partei die Auffassung, dass bei ausschließlicher Harninkontinenz nur ein Betreuungsaufwand im Ausmaß der Hälfte des Richtwertes anzusetzen sei, sodass der gesamte Betreuungs- und Hilfsaufwand nicht 180 Stunden erreiche, weshalb für diesen Zeitraum nur Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4 bestehe. Nach dem Vorbringen der beklagten Partei sei bei einem Stuhlabgang unabhängig vom Harnabgang jedenfalls eine gründliche Reinigung mit Wasser, einem Pflegemittel und eine anschließende Salbenversorgung zur Hautpflege notwendig. Der Aufwand für die Reinigung bei Stuhl- und Harninkontinenz sei daher in der Regel entscheidend höher als bei einer ausschließlichen Harninkontinenz, weshalb ein Pflegebedarf im Ausmaß des Richtwertes von 20 Stunden monatlich in diesem Fall gerechtfertigt erscheine. Dem gegenüber erstrecke sich der Pflegeaufwand bei einer ausschließlichen Harninkontinenz im Regelfall auf einen zwar mehrmals täglichen Windelwechsel, wobei sich aber das Erfordernis einer länger andauernden pflegerischen Maßnahme nicht stelle.Unstrittig ist, dass der Kläger auch im noch verfahrensgegenständlichen Zeitraum von 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 auf Grund seiner damals bereits bestehenden Harninkontinenz einen Pflegebedarf für die Reinigung bei Inkontinenz hatte und ohne Berücksichtigung des hiefür erforderlichen Pflegeaufwands einen solchen von durchschnittlich 165 Stunden monatlich benötigte; strittig ist nur, welcher Zeitwert für diese Betreuungsleistung im vorliegenden Fall zu veranschlagen ist und ob der Pflegebedarf dadurch die gesetzliche Grenze von 180 Stunden überschreitet. Während die Vorinstanzen unter Hinweis auf die in SSV-NF 13/7 veröffentlichte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes den in Paragraph eins, Absatz 3, EinstV für die Reinigung bei inkontinenten Patienten vorgesehenen Richtwert von 4 mal 10 Minuten täglich (= 20 Stunden monatlich) berücksichtigten, vertritt die beklagte Partei die Auffassung, dass bei ausschließlicher Harninkontinenz nur ein Betreuungsaufwand im Ausmaß der Hälfte des Richtwertes anzusetzen sei, sodass der gesamte Betreuungs- und Hilfsaufwand nicht 180 Stunden erreiche, weshalb für diesen Zeitraum nur Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 4 bestehe. Nach dem Vorbringen der beklagten Partei sei bei einem Stuhlabgang unabhängig vom Harnabgang jedenfalls eine gründliche Reinigung mit Wasser, einem Pflegemittel und eine anschließende Salbenversorgung zur Hautpflege notwendig. Der Aufwand für die Reinigung bei Stuhl- und Harninkontinenz sei daher in der Regel entscheidend höher als bei einer ausschließlichen Harninkontinenz, weshalb ein Pflegebedarf im Ausmaß des Richtwertes von 20 Stunden monatlich in diesem Fall gerechtfertigt erscheine. Dem gegenüber erstrecke sich der Pflegeaufwand bei einer ausschließlichen Harninkontinenz im Regelfall auf einen zwar mehrmals täglichen Windelwechsel, wobei sich aber das Erfordernis einer länger andauernden pflegerischen Maßnahme nicht stelle.
Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:
Der Gesetzgeber ermächtigt den Bundesminister für Arbeit und Soziales in § 4 Abs 4 BPGG ua (Z 2), Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand festzulegen, wobei verbindliche Mindestwerte für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind. Dementsprechend erging die Einstufungsverordnung zum BPGG, in der in § 1 Abs 3 für bestimmte Verrichtungen, darunter auch für die Reinigung bei inkontinenten Patienten Richtwerte festgelegt wurden. Nach ständiger Rechtsprechung sollen die in § 1 Abs 3 EinstV zum BPGG bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes auf einen Tag bezogenen Richtwerte im Wesentlichen nur als Orientierungshilfe für die Rechtsanwendung dienen und können daher im Einzelfall auch über- bzw unterschritten werden (SSF-NF 13/7; 10/97 mwN ua; RIS-Justiz RS0053147). Es handelt sich bei diesen Richtwerten jedoch um auf der Arbeit einer Expertengruppe, der unter anderem Pflegepersonal, ärztliche Sachverständige und Behindertenvertreter angehörten, beruhende zeitliche Vorgaben für jene "durchschnittliche" Zeit, die für die betreffende Verrichtung im Regelfall anzuwenden ist (vgl Pfeil, Bundespflegegeldgesetz 84 mwN). Abweichungen von diesen Durchschnittswerten bedürfen daher einer besonderen Begründung.Der Gesetzgeber ermächtigt den Bundesminister für Arbeit und Soziales in Paragraph 4, Absatz 4, BPGG ua (Ziffer 2,), Richtwerte für den zeitlichen Betreuungsaufwand festzulegen, wobei verbindliche Mindestwerte für die tägliche Körperpflege, die Zubereitung und das Einnehmen von Mahlzeiten sowie für die Verrichtung der Notdurft festzulegen sind. Dementsprechend erging die Einstufungsverordnung zum BPGG, in der in Paragraph eins, Absatz 3, für bestimmte Verrichtungen, darunter auch für die Reinigung bei inkontinenten Patienten Richtwerte festgelegt wurden. Nach ständiger Rechtsprechung sollen die in Paragraph eins, Absatz 3, EinstV zum BPGG bei der Feststellung des zeitlichen Betreuungsaufwandes auf einen Tag bezogenen Richtwerte im Wesentlichen nur als Orientierungshilfe für die Rechtsanwendung dienen und können daher im Einzelfall auch über- bzw unterschritten werden (SSF-NF 13/7; 10/97 mwN ua; RIS-Justiz RS0053147). Es handelt sich bei diesen Richtwerten jedoch um auf der Arbeit einer Expertengruppe, der unter anderem Pflegepersonal, ärztliche Sachverständige und Behindertenvertreter angehörten, beruhende zeitliche Vorgaben für jene "durchschnittliche" Zeit, die für die betreffende Verrichtung im Regelfall anzuwenden ist vergleiche Pfeil, Bundespflegegeldgesetz 84 mwN). Abweichungen von diesen Durchschnittswerten bedürfen daher einer besonderen Begründung.
Die EinstV zum BPGG sieht in § 1 Abs 3 für die "Reinigung bei inkontinenten Patienten" einen auf einen Tag bezogenen Richtwert von 4 mal 10 Minuten vor. Auch wenn der Verordnungsgeber bei der Festlegung dieses Richtwertes Fälle im Auge hatte, in denen vollständige Inkontinenz (Harn- und Stuhlinkontinenz) besteht, so erfordert das Bestehen von Harninkontinenz doch einen mehrmals täglich notwendigen und somit wesentlich häufigeren Betreuungsaufwand. Diesem Umstand wird auch durch die Festlegung eines Wertes von 4 mal 10 Minuten Rechnung getragen, wobei vom Verordnungsgeber hinsichtlich des Ausmaßes des Betreuungsaufwandes nicht zwischen dem Vorliegen von Stuhl- oder Harninkontinenz differenziert wird. Wenn auch der eigentliche Reinigungsvorgang nach den zutreffenden Revisionsausführungen bei Stuhlinkontinenz regelmäßig mit einem höheren Aufwand verbunden sein wird, ist doch zu berücksichtigen, dass das Bestehen von Harninkontinenz regelmäßig einen wesentlich häufigeren Betreuungsaufwand erfordert und die mit der Reinigung untrennbar verbundenen Tätigkeiten wie beispielsweise das An- und Auskleiden sowie das Anlegen und Abnehmen der Windel bei den oftmals in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkten Pflegebedürftigen unabhängig vom Vorliegen einer Stuhl- und/oder Harninkontinenz einen gleichen Zeitaufwand erfordern. Dem Einwand der beklagten Partei, die Berücksichtigung von 20 Stunden monatlich für die Reinigung bei ausschließlicher Harninkontinenz erscheine sachlich nicht nachvollziehbar, wenn für die Reinigung bei Stuhl- und Harninkontinenz gleichzeitig ebenfalls 20 Stunden monatlich angerechnet werden, ist entgegenzuhalten, dass die Normierung von Richtwerten notwendig zur Folge hat, dass nicht in jedem Fall der konkrete (möglicherweise etwas unterschiedliche) Aufwand zu prüfen ist, sondern grundsätzlich vom Pauschalwert auszugehen ist. Der erkennende Senat hält daher auf Grund dieser Erwägungen an der bereits in der Entscheidung SSV-NF 13/7 geäußerten Auffassung fest, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei Bestehen von Harninkontinenz allein der damit verbundene Betreuungsaufwand so wesentlich unter 4 mal 10 Minuten täglich liegt, dass ein Abweichen vom verordneten Richtwert gerechtfertigt wäre. Damit überstieg aber der Hilfs- und Betreuungsaufwand, den der Kläger benötigte, auch für den noch strittigen Zeitraum vom 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 den Wert von 180 Stunden monatlich, weshalb der Kläger im Hinblick auf den erforderlichen außergewöhnlichen Pflegeaufwand auch für diesen Zeitraum Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 hat.Die EinstV zum BPGG sieht in Paragraph eins, Absatz 3, für die "Reinigung bei inkontinenten Patienten" einen auf einen Tag bezogenen Richtwert von 4 mal 10 Minuten vor. Auch wenn der Verordnungsgeber bei der Festlegung dieses Richtwertes Fälle im Auge hatte, in denen vollständige Inkontinenz (Harn- und Stuhlinkontinenz) besteht, so erfordert das Bestehen von Harninkontinenz doch einen mehrmals täglich notwendigen und somit wesentlich häufigeren Betreuungsaufwand. Diesem Umstand wird auch durch die Festlegung eines Wertes von 4 mal 10 Minuten Rechnung getragen, wobei vom Verordnungsgeber hinsichtlich des Ausmaßes des Betreuungsaufwandes nicht zwischen dem Vorliegen von Stuhl- oder Harninkontinenz differenziert wird. Wenn auch der eigentliche Reinigungsvorgang nach den zutreffenden Revisionsausführungen bei Stuhlinkontinenz regelmäßig mit einem höheren Aufwand verbunden sein wird, ist doch zu berücksichtigen, dass das Bestehen von Harninkontinenz regelmäßig einen wesentlich häufigeren Betreuungsaufwand erfordert und die mit der Reinigung untrennbar verbundenen Tätigkeiten wie beispielsweise das An- und Auskleiden sowie das Anlegen und Abnehmen der Windel bei den oftmals in ihrer Bewegungsfähigkeit stark eingeschränkten Pflegebedürftigen unabhängig vom Vorliegen einer Stuhl- und/oder Harninkontinenz einen gleichen Zeitaufwand erfordern. Dem Einwand der beklagten Partei, die Berücksichtigung von 20 Stunden monatlich für die Reinigung bei ausschließlicher Harninkontinenz erscheine sachlich nicht nachvollziehbar, wenn für die Reinigung bei Stuhl- und Harninkontinenz gleichzeitig ebenfalls 20 Stunden monatlich angerechnet werden, ist entgegenzuhalten, dass die Normierung von Richtwerten notwendig zur Folge hat, dass nicht in jedem Fall der konkrete (möglicherweise etwas unterschiedliche) Aufwand zu prüfen ist, sondern grundsätzlich vom Pauschalwert auszugehen ist. Der erkennende Senat hält daher auf Grund dieser Erwägungen an der bereits in der Entscheidung SSV-NF 13/7 geäußerten Auffassung fest, dass nicht davon ausgegangen werden kann, dass bei Bestehen von Harninkontinenz allein der damit verbundene Betreuungsaufwand so wesentlich unter 4 mal 10 Minuten täglich liegt, dass ein Abweichen vom verordneten Richtwert gerechtfertigt wäre. Damit überstieg aber der Hilfs- und Betreuungsaufwand, den der Kläger benötigte, auch für den noch strittigen Zeitraum vom 1. 9. 2001 bis 28. 2. 2002 den Wert von 180 Stunden monatlich, weshalb der Kläger im Hinblick auf den erforderlichen außergewöhnlichen Pflegeaufwand auch für diesen Zeitraum Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 5 hat.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera a, ASGG.
Textnummer
E68870European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:010OBS00085.03B.0318.000Im RIS seit
17.04.2003Zuletzt aktualisiert am
09.01.2013