TE OGH 2003/4/10 15Os43/03

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Veröffentlicht am 10.04.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. April 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Hietler als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter Laszlo B***** wegen der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Leoben als Schöffengericht vom 22. Jänner 2003, GZ 14 Hv 220/02g-51, sowie dessen Beschwerde gegen den gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO unter einem gefassten Widerrufsbeschluss, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Lässig und des Angeklagten Peter Laszlo B*****, jedoch in Abwesenheit des Verteidigers zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Die Berufung "wegen Schuld" wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Ausspruch über die Strafe und die Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.

Gemäß § 390a StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Peter Laszlo B***** wurde der Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Rottenmann außer dem Fall des § 201 Abs 1 StGB nachstehende Personen mit Gewalt zur Vornahme des Beischlafes genötigt und zwar:

1) zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt im Frühjahr oder Sommer 2001 Barbara S***** dadurch, dass er sie am Handgelenk erfasste, in sein Schlafzimmer zerrte, sie auf das Bett stieß, ihr die Hose und die Unterhose hinunterzog und sein erigiertes Glied in ihre Scheide einführte;

2) zu einem nicht bekannten Zeitpunkt zwischen Mitte und Ende September 2001 Nina B*****, indem er sie am Unterarm in sein Schlafzimmer zog, sie auf sein Bett stieß, ihr die Hose und die Unterhose bis zu den Knien hinunterzog und sein Geschlechtsteil in ihre Scheide einführte;

3) zu einem nicht bekannten Zeitpunkt im Mai 2002 Anita M***** dadurch, dass er sie mit beiden Armen auf einer Couch fixierte, ihre Beine spreizte und seinen Penis in ihre Vagina einführte.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus Z 3, 4, 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde erweist sich als nicht zielführend.

Der auf die Z 3 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Verfahrensrüge zuwider stand dem Zeugen Benjamin B***** kein Entschlagungsrecht zu. Der Zeuge ist in der Hauptverhandlung nicht von seinen im Vorverfahren gemachten Angaben abgewichen, sondern hat diese ausdrücklich aufrecht erhalten (S 119/II). Er hat nie eigene Wahrnehmungen über die Vergewaltigung seiner Schwester Nina B***** behauptet, sondern deren Erzählung wiedergegeben (S 555/I ff, 119/II). Inwiefern der Zeuge durch diese Aussage sich (§ 152 Abs 1 Z 1 StPO) oder seine Schwester (§ 152 Abs 1 Z 2 StPO) der Gefahr einer Strafverfolgung wegen Verleumdung ausgesetzt habe, vermag der Beschwerdeführer nicht darzutun, wobei die Beschwerde auch verkennt, dass der Bezugspunkt für den Aussageverweigerungsgrund nicht erst durch die gerichtliche Aufarbeitung der Straftat geschaffen werden kann (jüngst 11 Os 10/02, 15 Os 19/03; Ratz; WK-StPO § 281 Rz 226).

Der Antrag des Angeklagten auf Beiziehung eines weiteren Sachverständigen aus dem Gebiet der Psychiatrie (S 121/II) betraf inhaltlich die Gefährlichkeitsprognose, welche als Ermessensentscheidung nur mit Berufung bekämpfbar ist (SSt 56/24 uva). Die auf die Abweisung des Antrages gegründete Verfahrensrüge (Z 4) verfehlt daher ihre Ausrichtung am Gesetz. Abgesehen davon wurden Mängel von Befund und Gutachten im Sinne der §§ 125 f StPO (als Voraussetzung des durch Z 4 garantierten Überprüfungsrechtes) vom Beschwerdeführer bei der Antragstellung gar nicht behauptet (Ratz aaO Rz 351).

Formelle Begründungsmängel entscheidender Tatsachen vermag der Beschwerdeführer mit seiner Mängelrüge (Z 5) nicht aufzuzeigen. Das Erstgericht hat die Angaben der Tatopfer eingehend gewürdigt, wobei es zu einer Erörterung jeder einzelnen Äußerung nicht verhalten war. Das weitwendige, gegen die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen gerichtete Beschwerdevorbringen erschöpft sich in einer Bekämpfung der Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht zulässigen Schuldberufung. Soweit der Beschwerdeführer Aktenwidrigkeiten behauptet, verkennt er, dass solche nur in der unrichtigen Wiedergabe des Inhalts einer Aussage oder Urkunde im Urteil bestehen können. Die bekämpfte Feststellung, dass die Zeugin Barbara S***** durch den mit Gewalt durchgeführten Geschlechtsverkehr starke Blutungen erlitt und im Genitalbereich noch einige Tage Schmerzen hatte (US 7), betraf keine entscheidende Tatsache, weil eine leichte Verletzung weder die Strafbarkeit wegen des angelasteten Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB begründet noch die Anwendung eines höheren Strafsatzes bewirkt.

Dem in der Rechtsrüge (Z 9 lit a) erhobenen Einwand mangelnder Feststellungen zum eingesetzten Nötigungsmittel, zur Willensbeugung bzw Willensbrechung der Tatopfer und zum Vorsatz des Beschwerdeführers gebricht es an der prozessordnungsgemäßen Ausführung, weil dabei die entsprechenden Konstatierungen im Urteil (S 6, 7 und 8) negiert werden.

Unberechtigt ist das Vorbringen der Rechtsrüge, die vom Erstgericht festgestellte Vorgangsweise des Angeklagten entspreche nicht dem Gewaltbegriff des § 201 Abs 2 StGB. Denn Gewalt ist nach gesicherter Rechtsprechung jeder Einsatz einer nicht ganz unerheblichen physischen Kraft zur Überwindung eines wirklichen oder vermuteten Widerstandes, wobei es einer besonderen Intensität dieser Kraftanwendung nicht bedarf (Schick in WK2 § 201 Rz 25 mwN). Ob und in welchem Ausmaß die Frauen dem Angeklagten tatsächlich Widerstand geleistet haben, spielt somit für die Erfüllung des Tatbestandes keine Rolle, wie auch die Widerstandsunfähigkeit des Tatopfers kein Tatbestandsmerkmal der durch die Strafgesetznovelle 1989 geschaffenen Verbrechen der Vergewaltigung ist. Die vom Erstgericht konstatierte Anwendung von Körperkraft gegen die jeweiligen Tatopfer wird dem Gewaltbegriff im Sinne des § 201 Abs 2 StGB hinreichend gerecht.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der gemäß § 35 Abs 2 StPO erstatteten, die Argumente der Nichtigkeitsbeschwerde wiederholenden Äußerung der Verteidigung zu verwerfen.

Die (angemeldete, vgl S 129) Berufung "wegen Schuld" war zurückzuweisen, weil ein derartiges Rechtsmittel gegen Urteile von Kollegialgerichten nach der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist.Die (angemeldete, vergleiche S 129) Berufung "wegen Schuld" war zurückzuweisen, weil ein derartiges Rechtsmittel gegen Urteile von Kollegialgerichten nach der Strafprozessordnung nicht vorgesehen ist.

Der Verteidiger ist zum Gerichtstag vor dem Obersten Gerichtshof trotz ausgewiesener Ladung nicht erschienen. Der Angeklagte legte dazu eine von ihm selbst unterfertigte Erklärung (Beilage ./1) vor, nach der er von einem Mitglied der Rechtsanwaltskanzlei, der sein Verteidiger angehört, über den Termin des Gerichtstages informiert wurde und sich damit einverstanden erklärte, dass sein Verteidiger daran "nicht teilzunehmen braucht". Er wurde bei dieser Gelegenheit auch darüber in Kenntnis gesetzt, dass es "bei dieser Verhandlung" möglich ist, die schriftliche "Berufungsausführung" und die von seinem Verteidiger verfasste Äußerung (gemeint nach § 35 Abs 2 StPO) zu verlesen, wodurch ihm kein Nachteil entstehe.

Das vorliegende Rechtsmittel ficht auch die gemäß § 21 Abs 2 StGB vom Tatgericht ausgesprochene Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Inhaltlich der diesbezüglichen Ausführungen wendet es sich mit dem Vorbringen, diese Einweisung sei "nicht notwendig", gegen die dieser zugrunde liegende Ermessensentscheidung. Die Möglichkeit der Anfechtung des Urteils mit Verfahrens- oder Mängelrüge besteht jedoch nur in Ansehung der Feststellungen, die dafür maßgeblich sind, ob das Gericht durch die Entscheidung über die vorbeugende Maßnahme seine Befugnis überschritten hat. Ermessensentscheidungen (insbesondere jene die Gefährlichkeitsprognose betreffenden, also ob die Einweisung "notwendig ist"), sind jedoch nur mit Berufung anzufechten (Mayerhofer StPO4 § 439 E 6; vgl Ratz WK-StPO § 281 Rz 674, 715 ff).Das vorliegende Rechtsmittel ficht auch die gemäß § 21 Abs 2 StGB vom Tatgericht ausgesprochene Einweisung des Angeklagten in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher an. Inhaltlich der diesbezüglichen Ausführungen wendet es sich mit dem Vorbringen, diese Einweisung sei "nicht notwendig", gegen die dieser zugrunde liegende Ermessensentscheidung. Die Möglichkeit der Anfechtung des Urteils mit Verfahrens- oder Mängelrüge besteht jedoch nur in Ansehung der Feststellungen, die dafür maßgeblich sind, ob das Gericht durch die Entscheidung über die vorbeugende Maßnahme seine Befugnis überschritten hat. Ermessensentscheidungen (insbesondere jene die Gefährlichkeitsprognose betreffenden, also ob die Einweisung "notwendig ist"), sind jedoch nur mit Berufung anzufechten (Mayerhofer StPO4 § 439 E 6; vergleiche RatzWK-StPO § 281 Rz 674, 715 ff).

Jede Berufung zielt auf einen eigenständigen Ausspruch des Berufungsgerichts ab, der an die Stelle des bekämpften treten soll. Zum Unterschied zum Verfahren über Nichtigkeitsbeschwerden besteht daher in diesem Verfahren kein Neuerungsverbot (Ratz aaO § 295 Rz 2). Betrifft die Anfechtung die der Berufung unterliegende Entscheidung über eine vorbeugende Maßnahme, dann ist auch darüber nach dem (eigenständigen) Ermessen des Berufungsgerichtes, allenfalls unter Berücksichtigung dazu neu erstatteten Vorbringens, zu entscheiden. Die Entscheidung erfolgt nicht wie im Nichtigkeitsverfahren nach einer vom Rechtsmittelgericht vorgenommenen Überprüfung der Entscheidung und des dieser vorangegangenen Verfahrens an Hand von gesetzlich vorgegebenen Kriterien, sondern nach eigenem Ermessen des Rechtsmittelgerichts, allenfalls auch nach Prüfung von erst in der Berufungsverhandlung neu vorgebrachten Umständen.

Für das Verfahren zur Entscheidung über die Anordnung der Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB sehen die Verfahrensgesetze nicht nur die Vertretung des Betroffenen durch einen Verteidiger vor (§ 429 Abs 2 Z 1 iVm § 436 Abs 2 StPO), dieser muss auch bei sonstiger Nichtigkeit des Verfahrens während der ganzen Hauptverhandlung anwesend sein (§ 439 StPO). Zur Sicherstellung des aus dem Gesetz hervorleuchtenden Schutzzwecks ist es deshalb erforderlich, dass im Fall der Anfechtung der Ermessensentscheidung auch bei Beurteilung der Einweisung durch das Berufungsgericht nach dessen eigenem Ermessen (anders als im Fall der Entscheidung über eine Nichtigkeitsbeschwerde, Ratz aaO § 286 Rz 3) während der ganzen darüber durchgeführten Verhandlung der Verteidiger des Betroffenen anwesend ist. Dem Obersten Gerichtshof war es mangels Anwesenheit des Verteidigers des Angeklagten am Gerichtstag deshalb verwehrt, nach Erledigung der Nichtigkeitsbeschwerde in die Behandlung des gegen die vorbeugende Maßnahme gerichteten Rechtsmittels einzutreten.

Hat der Oberste Gerichtshof die Nichtigkeitsbeschwerde erledigt und ist er nicht in der Lage, über die zugleich erhobene Berufung zu entscheiden, so weist er diese (in analoger Anwendung von § 285i StPO) dem zuständigen Oberlandesgericht zur Entscheidung zu.

Textnummer

E69226

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0150OS00043.03.0410.000

Im RIS seit

10.05.2003

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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