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41 Innere AngelegenheitenNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Keine Verletzung des Rechts auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Beschränkung des Familiennachzugs Drittstaatsangehöriger auf Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres; Erlangung einer Beschäftigung ab dieser Altersgrenze mehr im Vordergrund als Herstellung der Familiengemeinschaft; keine Verfassungswidrigkeit auch im Hinblick auf die schul- und beschäftigungsrechtliche GesetzeslageSpruch
Die in §21 Abs3 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 134/2000, enthaltene Wortfolge "vor Vollendung des 15. Lebensjahres" wird nicht als verfassungswidrig aufgehoben.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. §21 des Fremdengesetzes 1997, BGBl. I 75, hatte folgenden Wortlaut (Hervorhebungen nicht im Original):
"Familiennachzug im Rahmen der Quotenpflicht
§21. (1) Bei Einbringung eines Antrages auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung haben quotenpflichtige Fremde anzugeben, ob sie Anspruch auf Familiennachzug des Ehegatten sowie der minderjährigen unverheirateten Kinder erheben. Ist dies der Fall, so sind sie aufzufordern, die Identitätsdaten dieser Angehörigen bekanntzugeben. Sie haben außerdem einen Rechtsanspruch auf eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für sich und diese Angehörigen nachzuweisen.
(2) Sofern Fremde ihren Anspruch nach Abs1 geltend gemacht haben und ihnen eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt wurde, ist ihrem Ehegatten sowie den minderjährigen unverheirateten Kindern eine Erstniederlassungsbewilligung zu erteilen, sofern diese Angehörigen dies spätestens im folgenden Kalenderjahr beantragen.
(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt. Dasselbe gilt für den Familiennachzug quotenpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der nicht gemäß Abs2 erfolgte.
(4) Den nachziehenden Angehörigen ist eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck, ausgenommen Erwerbstätigkeit, zu erteilen, solchen Angehörigen ist nach einer Wartezeit von vier Jahren nach Erteilung der Erstniederlassungsbewilligung auf Antrag eine unbeschränkte Niederlassungsbewilligung zu erteilen.
(5) Die Gültigkeitsdauer von Erstniederlassungsbewilligungen im Rahmen des Familiennachzuges beträgt höchstens fünf Jahre, sie darf jedoch keinesfalls länger gelten als die Niederlassungsbewilligung jenes Fremden, dem der Angehörige nachgezogen ist."
2. Mit dem am 19. Juni 2000 gefällten Erkenntnis VfSlg. 15.836/2000 hob der Verfassungsgerichtshof die in Abs3 des eben wiedergegebenen Paragraphen enthaltene Wortfolge "vor Vollendung des 14. Lebensjahres" als verfassungswidrig auf und sprach unter einem aus, daß die Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 2000 in Kraft tritt (vgl. die Kundmachung BGBl. I 66/2000). Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, daß zwar keine Zweifel an der Befugnis des einfachen Gesetzgebers bestehen, bei der Regelung des Familiennachzuges Drittstaatsangehöriger im Sinne des §21 Abs3 FrG 1997 in bezug auf deren Kinder eine Altersgrenze festzulegen; als sachfremd und daher gegen den verfassungsrechtlich festgelegten Grundsatz der Gleichbehandlung von Fremden untereinander verstoßend erschien jedoch die Festlegung einer Altersgrenze mit dem vollendeten 14. Lebensjahr. Der Gerichtshof blieb bei seiner auf der allgemeinen Lebenserfahrung und bei gebotener Durchschnittsbetrachtung gewiß auch für Fremde zutreffenden Auffassung, daß zwischen Kindern und Eltern auch nach Vollendung des 14. Lebensjahres durchaus ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen könne; sie bedürften vielfach - vor allem, wenn sie nicht wesentlich älter als 14 Jahre alt sind - des elterlichen Beistandes und seien im Regelfall nicht selbsterhaltungsfähig. Der Einwand der Bundesregierung, daß nachziehende Minderjährige über der erwähnten Altersgrenze als Hauptziel unmittelbar eine Erwerbstätigkeit in Vsterreich anstrebten, sei in Ansehung jener Minderjährigen verfehlt, die sich im 15. Lebensjahr befinden; er trage nämlich weder der schulrechtlichen noch der beschäftigungsrechtlichen Lage (die der Gerichtshof sodann im einzelnen darstellte) Rechnung. Mit den Hinweisen auf die schulrechtliche und beschäftigungsrechtliche Gesetzeslage sei dargetan, daß die Festlegung einer Altersgrenze von 14 Jahren dem erwähnten Verfassungsgebot widerspreche.
3. Mit Beziehung auf dieses Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (s. den Abgeordnetenantrag 302/A sowie den Bericht des Ausschusses für innere Angelegenheiten 378 BlgNR 21. GP) wurde das FrG 1997 durch das Bundesgesetz, mit dem das Fremdengesetz und das Bundesbetreuungsgesetz geändert werden, BGBl. I 134/2000, auch dahin novelliert, daß §21 Abs3 wie folgt zu lauten hat (Hervorhebungen nicht im Original):
"(3) Der Familiennachzug Drittstaatsangehöriger, die sich vor dem 1. Jänner 1998 auf Dauer niedergelassen haben, ist auf die Ehegatten und die Kinder vor Vollendung des 15. Lebensjahres beschränkt. Dasselbe gilt für den Familiennachzug quotenpflichtiger Drittstaatsangehöriger, der nicht gemäß Abs2 erfolgte."
II. 1. Mit dem im Instanzenzug erlassenen Bescheid vom 25. Februar 1999 wies der Bundesminister für Inneres den im Wege der österreichischen Botschaft in Ankara eingebrachten (am 4. November 1996 beim Landeshauptmann von Wien eingelangten) Antrag der am 10. Juli 1984 geborenen Beschwerdeführerin des noch zu beschreibenden hg. Anlaßbeschwerdeverfahrens B1151/01, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §21 Abs3 FrG mit der Begründung ab, daß der Familiennachzug gemäß dieser Bestimmung auf Kinder vor Vollendung des 14. Lebensjahres beschränkt ist. Der Verwaltungsgerichtshof gab der dagegen erhobenen Beschwerde Folge und hob diesen Berufungsbescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts auf. Es liege zwar kein Anlaßfall in Bezug auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs VfSlg. 15.836/2000 vor, und es könne eine Bewilligung nach §21 Abs3 FrG nur im Zeitpunkt der Bescheiderlassung unmündigen Kindern erteilt werden; die Behörde habe jedoch die zur Beurteilung der Frage, ob §113 Abs10 FrG angewendet werden könne, entsprechenden Feststellungen nicht getroffen.
2. Der Bundesminister für Inneres entschied sodann mit Bescheid vom 29. Juni 2001 neuerlich über die Berufung der Beschwerdeführerin; der (den gestellten Antrag abweisende) erstinstanzliche Bescheid des Landeshauptmannes von Wien wurde dahin abgeändert, daß der Beschwerdeführerin eine Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Privat" bis 28. Juni 2002 erteilt wurde. Die Rechtsmittelinstanz begründete diese Entscheidung im wesentlichen damit, daß "die Behörde von Amts wegen die vom Antragsteller ins Treffen geführten Gründe für die angestrebte Niederlassungsbewilligung - das Vorliegen dieser Gründe vorausgesetzt - einem zu ihrer Verwirklichung tauglichen gesetzlichen Aufenthaltszweck (im konkreten Fall des privaten Aufenthaltes) zu subsumieren und den Antrag im Rahmen der für diesen Zweck vorgesehenen Niederlassungsquote zu behandeln" gehabt habe. Da die Beschwerdeführerin das 15. Lebensjahr vollendet habe und somit §21 Abs3 FrG auf ihre Person nicht anzuwenden sei, habe die Berufungsbehörde - im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes - eine Ermessensentscheidung zu treffen gehabt, zumal sämtliche Voraussetzungen für die Erteilung einer Erst-Niederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Privat" gegeben seien.
III. 1. Der Berufungsbescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. Juni 2001 ist Gegenstand der unter B1151/01 protokollierten Verfassungsgerichtshofbeschwerde, gemäß der sich die Beschwerdeführerin durch die bekämpfte Entscheidung deshalb beschwert erachtet, weil ihr statt einer Niederlassungsbewilligung mit dem Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft - ausgenommen Erwerbstätigkeit" eine solche mit dem Aufenthaltszweck "Privat" erteilt wurde (vgl. dazu §4 Abs2 der Fremdengesetz-Durchführungsverordnung 1997, BGBl. II 418). Die Beschwerde macht insbesondere geltend, daß der von der Behörde herangezogene §21 Abs3 FrG (in der novellierten Fassung) verfassungsrechtlich bedenklich sei, und begehrt in erster Linie die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.
2. Der in diesem Beschwerdeverfahren belangte Bundesminister für Inneres legte die Verwaltungsakten vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
IV. Aufgrund folgender Erwägungen sah sich der Verfassungsgerichtshof veranlaßt, gemäß Art140 Abs1 B-VG von Amts wegen das gegenwärtige Verfahren zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der in §21 Abs3 FrG idF der Novelle BGBl. I 134/2000 enthaltenen Wortfolge "vor Vollendung des 15. Lebensjahres" einzuleiten:
1. Der Gerichtshof ging vorläufig davon aus, daß er über die erhobene Beschwerde, da ihr anscheinend keine Verfahrenshindernisse entgegenstehen, eine Sachentscheidung zu treffen haben werde. Für diese Sachentscheidung sah er die zitierte Gesetzesstelle deshalb als präjudiziell an, weil die belangte Behörde in ihrem Bescheid die Anwendung des §21 Abs3 FrG (in der novellierten Fassung) im Hinblick auf das Lebensalter der Beschwerdeführerin ausdrücklich abgelehnt habe.
2. Gegen die in Prüfung gezogene Vorschrift bestünden grundsätzlich die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken wie jene, die den Gerichtshof zur Aufhebung der auf die Vollendung des 14. Lebensjahres abstellenden Vorgängerbestimmung bewogen haben, nämlich wegen eines Verstoßes gegen das auch den Gesetzgeber bindende verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander. Bereits im Erkenntnis VfSlg. 15.836/2000 sei in bezug auf dieses Alter dargetan worden, daß nach allgemeiner Lebenserfahrung und gebotener Durchschnittsbetrachtung zwischen Eltern und Kindern auch nach Vollendung des 14. Lebensjahres durchaus ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen kann; sie bedürften vielfach - vor allem, wenn sie nicht wesentlich älter als 14 Jahre sind - des elterlichen Beistandes und seien im Regelfall nicht selbsterhaltungsfähig. Diese Erwägungen dürften auch für Minderjährige zutreffen, die das 15. Lebensjahr zwar vollendet, aber nicht wesentlich überschritten haben. In diesem Zusammenhang wies der Verfassungsgerichtshof auf die Ausführungen im angeführten Gesetzesprüfungserkenntnis hin, in denen mit Beziehung auf die §§2 und 3 des Schulpflichtgesetzes 1985 dargetan wird, daß die Schulpflicht mit dem auf die Vollendung des 6. Lebensjahres folgenden 1. September beginnt und neun Schuljahre dauert; hieraus ergebe sich wohl, daß Minderjährige auch dann von der Schulpflicht erfaßt sind, wenn sie das 15. Lebensjahr im Verlauf des neunten Schuljahres vollenden. Der Gerichtshof habe in der Begründung seines in Rede stehenden Erkenntnisses - an diese schulrechtliche Gesetzeslage anknüpfend - in beschäftigungsrechtlicher Hinsicht auf das aus §5 des Bundesgesetzes über die Beschäftigung von Kindern und Jugendlichen 1987 (KJBG) erfließende Verbot Bezug genommen, Kinder (abgesehen von nicht in Betracht zu ziehenden Sonderfällen) zu Arbeiten irgendwelcher Art heranzuziehen, und habe diesbezüglich die Legaldefinition hervorgehoben, daß unter Kindern (gemäß §2 Abs1 KJBG) - alternativ - Minderjährige bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres oder bis zur späteren Beendigung der Schulpflicht zu verstehen sind; die letztere Alternativvariante bewirke sohin, daß jene (vorhin erwähnten) schulpflichtigen Minderjährigen, die das 15. Lebensjahr bereits vollendet haben, anscheinend bis zum Ende des letzten Schuljahres dem Beschäftigungsverbot unterliegen. Das Erkenntnis VfSlg. 15.836/2000 besage, mit der dort (in Blickrichtung auf Minderjährige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben) gegebenen Beschreibung der schul- und beschäftigungsrechtlichen Gesetzeslage sei bereits dargetan, daß die Festlegung einer Altersgrenze von 14 Jahren dem Verfassungsgebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander widerspricht. Diese Aussage dürfte sohin auch auf den hier gegebenen Fall zutreffen, daß eine Altersgrenze von 15 Jahren bestimmt ist, in dem weder auf Dauer und Ende der Schulpflicht noch auf die daraus folgende beschäftigungsrechtliche Situation Bedacht genommen werde.
V. Die Bundesregierung erstattete eine Äußerung mit dem primären Begehren, die in Prüfung gezogene Gesetzesbestimmung nicht als verfassungswidrig aufzuheben. Sie ging implizit von der Präjudizialität der in §21 Abs3 FrG enthaltenen Wortfolge aus und hielt den verfassungsrechtlichen Bedenken des Gerichtshofes folgendes entgegen:
"Gemäß dem Schulpflichtgesetz 1985 (§§2, 3, 18 und 19) unterfällt ein nach Vollendung des 15. Lebensjahres nach Österreich zuwandernder Mensch keinesfalls mehr der Schulpflicht. Schulbesuche über das 15. Lebensjahr hinaus setzten immer eine vorgängige Erfüllung der Schulpflicht voraus (§32 Schulunterrichtsgesetz), weshalb die vom Verfassungsgerichtshof in seinem Beschluss getätigten Ausführungen zu einer nach dem 15. Lebensjahr bestehenden Schulpflicht und dem daraus gefolgerten Beschäftigungsverbot nicht zuzutreffen scheinen. Minderjährige, die nach Vollendung des 15. Lebensjahres nach Österreich zuwandern, unterliegen somit nicht dem Beschäftigungsverbot des §5 KJBG.
Dementsprechend muss ein jugendlicher Fremder, dessen Eltern sich bereits längere Zeit in Österreich befinden, und der seine Sozialisierung im Heimatland erfahren hat, bei einer Durchschnittsbetrachtung die Vermutung gegen sich gelten lassen, dass er dann, wenn er nach dem 15. Geburtstag Familienzusammenführung beantragt, Zugang zum Arbeitsmarkt haben will.
Die von §21 Abs3 FrG getroffene Zäsur setzt deshalb bei einer Altersgrenze an, die sowohl beschäftigungspolitisch von Bedeutung, als auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Familie zu rechtfertigen ist: Kann doch bei einer verallgemeinernden Betrachtung davon ausgegangen werden, dass die Bindung Minderjähriger an ihre Eltern mit dem Alter und insbesondere mit der Erreichung der Altersgrenze von 15 Jahren, also mit dem Enden der allgemeinen Schulpflicht und dem Erlangen der Möglichkeit, ein Lehr- oder Beschäftigungsverhältnis einzugehen, abnimmt. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Mehrzahl der sich auf Dauer in Österreich nach Vollendung des 15. Lebensjahres niederlassenden Fremden unmittelbar eine Erwerbstätigkeit anstrebt.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber davon ausgehen durfte, dass die Eltern eines Fremden, der das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, sofern ihnen an der Einheit der Familie gelegen ist, trachten werden, ihr Kind so rasch wie möglich und nicht erst nach der Erreichung der Mündigkeit nach Österreich nachzuholen. Wenn mithin erst nach dem Überschreiten der Altersgrenze von 15 Jahren der Versuch unternommen wird, den Nachzug des mündigen Minderjährigen zu bewerkstelligen, so liegt nahe, dass dem Motiv zur Zuwanderung zur Ermöglichung der Erwerbstätigkeit höhere Plausibilität zugemessen wird als der nunmehr angestrebten Familienzusammenführung.
Zusammenfassend kann daher gesagt werden, dass §21 Abs3 FrG nach Ansicht der Bundesregierung in keinem Widerspruch zum verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander steht."
VI. Auch die Beschwerdeführerin des Anlaßverfahrens nahm als Beteiligte die Gelegenheit zur Äußerung wahr und brachte zwei mit 15. März bzw. 17. Juni 2002 datierte Schriftsätze ein. Während die Beteiligte in ihrer ersten Äußerung im wesentlichen auf die Entscheidung des EGMR vom 21.12.2001, 31465/96 (Sen gegen die Niederlande) sowie auf die Entwicklung der "Außenwanderung" gemäß dem Demografischen Jahrbuch 2000 hinwies, ging sie in ihrem weiteren Schriftsatz auf die Äußerung der Bundesregierung näher ein und brachte im wesentlichen folgendes vor:
"1. Es ist durchaus zutreffend, dass mit dem Erreichen der Altersgrenze von 15 Jahren ein Berufseintritt naheliegend wäre. Wenn allerdings einem gerade noch nicht 14jährigen eine Niederlassungsbewilligung erteilt wird und er in Österreich gerade noch ein Schuljahr absolviert, tritt er, sofern er das letzte volle Schuljahr vor Beendigung der Schulpflicht in Österreich absolviert hat und wenigstens ein Elternteil, der nach dem FrG 1997 niedergelassen ist und dieser Elternteil während der letzten 5 Jahre mindestens 3 Jahre rechtmäßig im Bundesgebiet erwerbstätig war, unter privilegierten Voraussetzungen in den Arbeitsmarkt ein (§4b Abs1 Zi 4 lita AuslBG).
Hingegen hat die Beschwerdeführerin, die diese Voraussetzungen nicht erfüllt, gar keinen Zugang zum Arbeitsmarkt, sie kann frühestens nach 3 Jahren unter besonderen Voraussetzungen (§4b Abs1 Zi 7 AuslBG), welche konkret gar nicht vorliegen, naheliegenderweise frühestens jedoch nach 5 Jahren (§4b Abs1 Zi 8 AuslBG), in den Arbeitsmarkt eintreten.
Der von der Bundesregierung ins Treffen geführte Schutz des Arbeitsmarktes, hätte daher nicht gegenüber den über 15-jährigen, sondern gegenüber den unter 14-jährigen, die gerade noch die Möglichkeit haben ein Pflichtschuljahr in Österreich zu absolvieren, Platz zu greifen. Dies war jedoch vom Gesetzgeber nicht gewollt. Die Argumentation der Bundesregierung geht daher völlig an dem ihr bekannt sein sollenden Ausländerbeschäftigungsgesetz vorbei.
Die von der Bundesregierung angestellte Vermutung über Motive der Zuwanderung zur Ermöglichung der Erwerbstätigkeit treffen bei unter 14-jährigen eher zu und sind bei über 15-jährigen nicht relevant, weil diese nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, wie es ist, vollkommen der wirtschaftlichen Verantwortlichkeit der Eltern (Unterhaltspflicht) anvertraut sind. Personen, die unter 14 Jahren zuwandern, haben jedoch, wie aufgezeigt, den Zugang zum Arbeitsmarkt und sind hinsichtlich ihres Lebensunterhalts (beispielsweise, wenn sie in ein Lehrverhältnis eintreten) weniger von ihren Eltern abhängig, als über 15-jährige.
Die Bundesregierung übersieht in ihrer Äußerung auch, dass es nach dem Fremdengesetz auf Motive zur Zuwanderung gar nicht ankommt und der Schutz nach Artikel 8 EMRK für die Familie auch zu gewährleisten ist, selbst wenn andere Motive - mögen sie sogar die Familienzusammenführung überwiegen - gegeben wären. Dass aber über 15-jährige nach der gegebenen aufgezeigten Rechtslage des AuslBG ausschließlich aus dem Grunde der Vereinigung der Familie zuwandern, wurde schon oben dargetan. Entgegen der Annahme der Bundesregierung stellt das Ausländerbeschäftigungsgesetz die Differenzierung nach mündigen und unmündigen Minderjährigen auf den Kopf.
2. Wenn die Bundesregierung ins Treffen führen möchte, der Gesetzgeber hätte davon ausgehen dürfen, dass die Eltern eines Fremden, der das 15. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, das Kind nicht erst nach Erreichen der Mündigkeit nach Österreich nachholen werden, so ist diese Argumentation in Ansehung des Anlassfalles, der keineswegs untypisch ist, völlig unangebracht: Der gegenständliche Antrag wurde bereits im Jahre 1996, als ich 12 Jahre alt war gestellt, als die Rechtslage noch eine andere war. Ich hatte damals nach dem Aufenthaltsgesetz, welches die gegenständlichen Beschränkungen noch nicht kannte, ein Recht auf Familienzusammenführung, in welches während eines laufenden Verfahrens durch die nunmehr restriktive Rechtslage und durch die Verzögerung des Verfahrens durch die Verwaltungsbehörden (durch die Dauer des Verwaltungsverfahrens) eingegriffen wurde.
3. Missinterpretation des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 19.6.2002, G16/00 durch die österreichische Bundesregierung:
Die Kernaussage dieses Erkenntnisses ist, dass zwischen Kindern und Eltern nach Vollendung des 14. Lebensjahres durchaus ein Abhängigkeitsverhältnis bestehen kann. In der Folge tut der VfGH den im einschlägigen Gesetzesprüfungsverfahren mehr oder weniger einzigen erhobenen Einwand der Bundesregierung des Schutzes des Arbeitsmarktes - zu Recht - ab mit dem Vermerk, dass dies in Ansehung Minderjähriger verfehlt ist, die sich im 15. Lebensjahr befinden. Mit dem Erkenntnis sprach der Verfassungsgerichtshof aus, dass der Einwand im damaligen Gesetzesprüfungsverfahren jedenfalls verfehlt war. Der Gesetzgeber nahm offenbar aufgrund einer kursorischen Lektüre des Erkenntnisses und einer Schematisierung bzw. Fixierung aufgrund der Erwähnung des 15. Lebensjahres verfehlterweise an, dass nach dem 15. Lebensjahr eine Verfassungswidrigkeit nicht mehr gegeben sei. Der Gesetzgeber beschäftigte sich offenbar nur mit jenem Teil des Erkenntnisses, in welchem das '15. Lebensjahr' erwähnt wurde, nicht jedoch mit dem Abstellen des VfGH auf ein Abhängigkeitsverhältnis."
VII. 1. Das Gesetzesprüfungsverfahren erweist sich, da Prozeßhindernisse weder geltend gemacht wurden noch sonst hervorgekommen sind, als zulässig.
2. Die Bedenken des Verfassungsgerichtshofes hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Gesetzesstelle sind jedoch nicht gerechtfertigt.
Im allgemeinen ist davon auszugehen, daß ab dem Erreichen einer bestimmten Altersgrenze für den Nachzug Minderjähriger nach Österreich wohl die Erlangung einer Beschäftigung eher im Vordergrund steht als die Herstellung der Familiengemeinschaft. Es kann nun auf sich beruhen, ob der im wesentlichen auf §32 des SchulunterrichtsG gestützte Einwand der Bundesregierung zutrifft, daß ein Schulbesuch über das 15. Lebensjahr hinaus immer eine vorgängige Erfüllung der Schulpflicht voraussetzt. Wollte man sich nämlich dieser (in der Äußerung nicht im Detail begründeten) Auffassung anschließen, so träfen die aus der schul- sowie der beschäftigungsrechtlichen Lage hergeleiteten Erwägungen des Prüfungsbeschlusses nicht zu. Die Verfassungswidrigkeit der zu prüfenden Regelung wäre aber auch dann nicht gegeben, wenn man an der Ansicht des Einleitungsbeschlusses festhielte, daß nachziehende Kinder niedergelassener Fremder einer im 15. Lebensjahr beginnenden und über dessen Vollendung hinausreichenden Schulpflicht unterliegen. Denn auf dem Boden dieser schulrechtlichen Rechtsmeinung wäre der Zeitraum des sodann aus dem KJBG abzuleitenden Beschäftigungsverbotes derart kurz (- er bestünde also [bei gebotener Durchschnittsbetrachtung] bloß in mehreren Monaten -), daß die rechtspolitische Annahme durchaus begründbar erscheint, es werde durch den Nachzug in dieser Altersstufe als Hauptziel eine Erwerbstätigkeit in Österreich angestrebt. Wie eine solche Lage unter dem Blickwinkel des Ausländerbeschäftigungsgesetzes (BGBl. 218/1975, zuletzt geändert durch BGBl. I 126/2002) zu beurteilen wäre, ist entgegen der Ansicht der Beteiligten nicht von Belang, weil für den Fremden positive ausländerbeschäftigungsrechtliche Vorgangsweisen regelmäßig einen Aufenthaltstitel voraussetzen.
3. Aus den dargelegten Erwägungen war auszusprechen, daß die in Prüfung gezogene Gesetzesstelle nicht als verfassungswidrig aufgehoben wird.
VIII. Dieses Erkenntnis wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefällt.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht, FremdenrechtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:G348.2001Dokumentnummer
JFT_09978992_01G00348_00