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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des P, vertreten durch Mag. Oliver Simoncic, dieser vertreten durch Rechtsanwaltspartner Haftner Schobel Simoncic in 3100 St. Pölten, Wiener Straße 12, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 30. Jänner 2006, Zl. Fr 2490/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Sierra Leone, reiste am 21. Juli 1999 illegal in das Bundesgebiet ein. Der in der Folge gestellte Asylantrag wurde im Instanzenzug mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 22. September 1999 abgewiesen und die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde, der am 19. Jänner 2000 die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 16. April 2002 (Zl. 2000/20/0014) abgelehnt. Mit dem unbekämpft gebliebenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 6. Oktober 1999 war gegen den Beschwerdeführer wegen seiner Mittellosigkeit ein bis 31. Oktober 2004 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Beginnend mit 11. Jänner 2000 wurde dem Beschwerdeführer durchgehend bis 11. Jänner 2005 ein Abschiebungsaufschub gewährt. Nach der Aktenlage ist ein am 6. Juni 2005 eingebrachter Verlängerungsantrag noch unerledigt.
Der Beschwerdeführer wurde mit am selben Tag rechtskräftig gewordenem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19. Jänner 2001 wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 und 2 Z 2 Suchtmittelgesetz zu einer - für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt.
Im Hinblick darauf erließ die Bundespolizeidirektion St. Pölten mit Bescheid vom 23. Oktober 2005 gemäß § 36 Abs. 1 und 2 Z 2 (gemeint: Z 1) des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 (FrG) gegen den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren. Einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Der dagegen erhobenen Berufung wurde mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 30. Jänner 2006 keine Folge gegeben und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass das Aufenthaltsverbot auf § 60 Abs. 1 und 2 Z 1 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) gestützt werde.
Begründend stellte die belangte Behörde den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt und die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Tat des Beschwerdeführers fest. Dem Schuldspruch zufolge habe der Beschwerdeführer am 16. November 2000 Suchtgift (eine Kugel Kokain) gewerbsmäßig einem namentlich genannten Kriminalbeamten zum Preis von ATS 2.000,-- verkauft. Bei der Strafbemessung habe das Gericht die Unbescholtenheit des Beschwerdeführers und sein Geständnis als mildernd, dagegen keinen Umstand als erschwerend gewertet. Daran anknüpfend folgerte die belangte Behörde, das vom Beschwerdeführer begangene Delikt des gewerbsmäßigen Verkaufs der harten Droge Kokain stelle eine sehr schwerwiegende Straftat dar, zumal sich in der Suchtgiftkriminalität eine besondere Gefährlichkeit manifestiere. Wegen der gewerbsmäßigen Mitwirkung am Suchtgifthandel habe der Beschwerdeführer dazu beigetragen, die damit verbundenen Gefahren (Gesundheitsgefährdung im großen Ausmaß, vor allem auch von besonders schutzwürdigen jugendlichen Personen) zu verwirklichen, sodass das Fehlverhalten als außerordentlich gravierend anzusehen sei. Das Verhalten des Beschwerdeführers in der Vergangenheit (Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz während des unrechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages) und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild lasse auf eine ausgeprägte sozialschädliche Neigung zur Missachtung von österreichischen Rechtsvorschriften schließen. Dem Beschwerdeführer könne daher für sein zukünftiges Verhalten nur eine schlechte Prognose erstellt werden, weshalb davon auszugehen sei, dass durch seinen weiteren Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet wäre. An dieser Beurteilung könne bei einem Suchtgiftdelikt wegen der erwiesenermaßen besonders großen Wiederholungsgefahr auch ein fünfjährige Wohlverhalten, auf das sich der Beschwerdeführer berufen habe, nichts ändern. Außerdem könne von einem "Wohlverhalten" nicht die Rede sein, weil der Beschwerdeführer nach der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Asylverfahren seit 16. April 2002 unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig sei, somit das erste Aufenthaltsverbot und auch das nunmehrige Aufenthaltsverbot "ignoriert" habe und nicht gewillt gewesen sei, freiwillig auszureisen
Das Aufenthaltsverbot sei - so begründete die belangte Behörde noch unter dem Gesichtspunkt der Interessenabwägung nach § 66 iVm § 60 Abs. 6 FPG weiter - zur Erreichung der Ziele des Art. 8 Abs. 2 EMRK, vor allem zum Schutz der Rechte und der Gesundheit anderer, dringend geboten. Familiäre oder private Bindungen zu in Österreich lebenden Personen seien der belangten Behörde nicht bekannt. Auf eine maßgebliche Integration des Beschwerdeführers, die eine gewisse Rechtstreue voraussetze, sei vor dem Hintergrund des begangenen Suchtgiftdeliktes und der mangelnden Bereitschaft, den unrechtmäßigen Aufenthalt zu beenden, nicht zu schließen. Davon ausgehend erachtete die belangte Behörde die Erlassung eines zehnjährigen Aufenthaltsverbotes für zulässig und eine Ermessensübung im Sinne einer Abstandnahme von dieser Maßnahme nicht für gerechtfertigt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen hat:
Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dem entsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.
Gemäß § 60 Abs. 1 FPG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein (weiterer) Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Als bestimmte Tatsache in diesem Sinn hat (unter anderem) zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist (§ 60 Abs. 2 Z 1 FPG).
Die belangte Behörde ging davon aus, dass angesichts der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten im gegenständlichen Fall die dritte Alternative dieses Tatbestandes erfüllt sei. Die Beschwerde wendet sich gegen die darauf gegründete Ansicht der belangten Behörde, es sei die im § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt. Der Beschwerdeführer verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass es sich bei der genannten Verurteilung lediglich um ein Vergehen gehandelt und sich der Beschwerdeführer nach "anfänglichen Schwierigkeiten" während seines Aufenthaltes in Österreich nunmehr seit mehr als fünf Jahren "ohne Vorkommnisse" wohlverhalten habe. Es könne daher nicht nachvollzogen werden, weshalb die belangte Behörde zu einer negativen Gefährdungsprognose komme.
Diesem Einwand kommt im Ergebnis Berechtigung zu:
Der belangten Behörde ist zwar zunächst darin beizupflichten, dass mit der Suchtgiftkriminalität im Allgemeinen eine große Wiederholungsgefahr verbunden ist. Weiters entspricht es ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass die durch das Strafgericht vorgenommene bedingte Nachsicht der Freiheitsstrafe keine für den delinquenten Fremden günstige Prognosebeurteilung im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG nach sich ziehen muss. Diese Beurteilung ist nämlich von den Fremdenbehörden eigenständig nur aus dem Blickwinkel des Fremdenrechtes und unabhängig von den gerichtlichen Erwägungen zur Strafbemessung vorzunehmen, zumal den Tatbeständen des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG die gesetzgeberische Wertung zu entnehmen ist, dass die bedingte Strafnachsicht einem Aufenthaltsverbot nicht entgegensteht. Schließlich ist es auch richtig, dass das öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität (vor allem unter dem Gesichtspunkt der Verhinderung strafbarer Handlungen und des Schutzes der Gesundheit anderer) - selbst wenn nur eine diesbezügliche Verurteilung vorliegt - besonders hoch zu bewerten ist (vgl. zum Ganzen zuletzt das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0033). Diese generellen Grundsätze entbinden die Fremdenpolizeibehörden jedoch nicht, die individuelle Prognosebeurteilung nach § 60 Abs. 1 FPG jeweils an Hand der Umstände des Einzelfalles vorzunehmen und dabei insbesondere auch auf den Zeitraum und das Verhalten des Fremden seit der Begehung der Straftat ausreichend Bedacht zu nehmen.
Zunächst ist der belangten Behörde in diesem Zusammenhang vorzuwerfen, dass sie die mittlerweile eingetretene Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers unbeachtet ließ. Die vorliegend maßgebliche fünfjährige Tilgungsfrist nach § 3 Abs. 1 Z 2 TilgG 1972 begann im Hinblick auf die endgültige Strafnachsicht gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz StGB iVm § 2 Abs. 1 TilgG 1972 mit dem Eintritt der Rechtskraft des Urteiles am 19. Jänner 2001 und endete somit - noch vor der Erlassung des angefochtenen Bescheides - am 19. Jänner 2006. Da gemäß § 60 Abs. 3 erster Satz FPG eine gemäß Abs. 2 maßgebliche Verurteilung nicht vorliegt, wenn sie bereits getilgt ist, steht die Annahme der belangten Behörde, es sei im vorliegenden Fall der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht, nicht mit dem Gesetz im Einklang (vgl. dazu das zum FrG ergangene Erkenntnis vom 19. Mai 2000, Zl. 99/21/0223).
In der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum FrG wurde zwar wiederholt die Auffassung vertreten, auch dann, wenn keiner der Tatbestände des § 36 Abs. 2 FrG erfüllt sei, komme die Verhängung eines Aufenthaltsverbotes in Betracht, sofern triftige Gründe vorlägen, die in ihrer Gesamtheit die im § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme rechtfertigten. Für diese Beurteilung seien die in § 36 Abs. 2 FrG genannten Sachverhalte als Maßstab für die Schwere jener Tatsachen heranzuziehen, die bei der Verhängung eines bloß auf § 36 Abs. 1 FrG gegründeten Aufenthaltsverbotes vorliegen müssten (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0009, mit weiteren Nachweisen). Daran ist - im Hinblick auf die insoweit im Wesentlichen inhaltsgleichen Bestimmungen - auch für das FPG festzuhalten (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. April 2006, Zl. 2006/21/0039). Gleiches gilt auch für die vom Gerichtshof zum FrG vertretene Auffassung, die Tilgung einer Verurteilung stehe der Berücksichtigung der ihr zu Grunde liegenden Straftat im Rahmen des Gesamtfehlverhaltens des Beschwerdeführers nach § 36 Abs. 1 FrG nicht entgegen (vgl. das Erkenntnis vom 24. Juli 2001, Zl. 98/21/0338, und schon zum FPG das Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0216).
Vor diesem rechtlichen Hintergrund hätte die belangte Behörde aber besonders begründen müssen, weshalb sie - ungeachtet der strafrechtlichen Unauffälligkeit des Beschwerdeführers (über die vom Strafgericht festgesetzte Probezeit hinaus) während eines Zeitraums von mehr als fünf Jahren zwischen der Tatbegehung Mitte November 2000 bis zur Bescheiderlassung Anfang Februar 2006 und ungeachtet der nunmehr gegebenen Tilgung der strafgerichtlichen Verurteilung - im vorliegenden Fall noch davon ausgegangen ist, die im Allgemeinen bestehende Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten der vorliegenden Art werde sich auch beim Beschwerdeführer in der Zukunft noch verwirklichen. Dabei hätte die belangte Behörde auch einbeziehen müssen, dass dem Beschwerdeführer - auch wenn im Schuldspruch von einer gewerbsmäßigen Tatbegehungsabsicht ausgegangen und von der belangten Behörde zu Recht eine besondere Gravidität einer solchen strafbaren Handlung angenommen wurde - nur ein einziger Suchtgiftverkauf (offenbar an einen verdeckten Fahnder) und in lediglich geringer Menge zur Last gelegt wurde. Individuelle Momente in den Lebensverhältnissen des Beschwerdeführers, die nach so langer Zeit einen Rückfall annehmen ließen, wie beispielsweise aufrechter Kontakt zur Suchtgiftszene oder die Notwendigkeit der Mittelbeschaffung durch Drogenverkauf aufgrund besonderer Umstände (wie etwa eigener Abhängigkeit), hat die belangte Behörde nicht festgestellt.
Derartige Überlegungen konnten aber nicht durch die im Rahmen der Gefährdungsprognose von der belangten Behörde hervorgehobene Begehung des Suchtmitteldeliktes nach rechtskräftiger Abweisung des Asylantrages und während unrechtmäßigen Aufenthaltes ersetzt werden. Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer auch die Missachtung der gegen ihn erlassenen Aufenthaltsverbote vorwirft, ist das schon deshalb nicht tragfähig, weil sie die Duldung des inländischen Aufenthaltes infolge des seit 11. Jänner 2000 gewährten Abschiebungsaufschubes außer Acht lässt. Ohne entsprechend begründete individuelle Gefährdungsprognose in Bezug auf die neuerliche Begehung einer Straftat hätte ein unrechtmäßiger Aufenthalt aber lediglich eine Ausweisung des Beschwerdeführers und kein Aufenthaltsverbot gerechtfertigt.
Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 24. April 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210113.X00Im RIS seit
11.06.2007Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009