TE OGH 2003/5/7 15Os60/03

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.05.2003
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 7. Mai 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker und Dr. Zehetner als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Reichel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Nicholas Ezienne O***** wegen des Verbrechens nach § 28 Abs 2 SMG als Beteiligter nach § 12 StGB, AZ 282 Ur 54/02i (nunmehr 064 Hv 38/03f) des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die Grundrechtsbeschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien vom 18. März 2003, AZ 23 Bs 71/03 (ON 49 des Hv-Aktes), nach Anhörung der Generalprokurator in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Nicholas Ezienne O***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Gegen Nicholas Ezienne O***** wurde beim Landesgericht für Strafsachen Wien eine Voruntersuchung wegen "des Verbrechens nach § 28 SMG" eingeleitet (Beschluss vom 17. November 2002, S 1bz verso des AV-Bogens). Danach richtete sich gegen ihn der dringende Verdacht, er habe sich durch wiederholte vorherige Zusage der Übernahme von aus den Niederlanden eingeschmuggelten Suchtgiftes, nämlich zum einen in Bezug auf eine am 28. September 2002 an den Mitbeschuldigten Chuks Ok***** als Zwischenverteiler in Wien gelieferte Suchtgiftmenge von 202 Gramm Heroin (18,3 Gramm Reinsubstanz) und zum anderen hinsichtlich einer am 25. Oktober 2002 von einem unbekannten Kurier nach Wien verbrachten, bisher nicht näher feststehenden Suchtgiftmenge an der wiederholten Einfuhr von Suchtgift in großer Menge aus den Niederlanden nach Österreich gewerbsmäßig beteiligt (§§ 12 dritter Fall StGB, 28 Abs 2 und Abs 3 erster Fall SMG).

Nicholas Ezienne O***** befindet sich im bezeichneten Strafverfahren seit 17. November 2002 - nunmehr noch - aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 1, Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO in Untersuchungshaft. Mit Beschluss vom 20. Dezember 2002 (ON 37) gab das Oberlandesgericht Wien einer gegen den Fortsetzungs- und Verlängerungsbeschluss des Untersuchungsrichters vom 25. November 2002 gerichteten Beschwerde nicht Folge und ordnete seinerseits die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den genannten Haftgründen bis längstens 20. Februar 2003 an.

Der Oberste Gerichtshof wies die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde, die mangelhafte Begründung des dringenden Tatverdachtes monierte, mit Beschluss vom 18. Februar 2003 (ON 44) ab.

Am gleichen Tag setzte der Untersuchungsrichter die Haft aus den bereits genannten Haftgründen fort.

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht der gegen diesen Verlängerungsbeschluss des Untersuchungsrichters vom 18. Februar 2002 (ON 40) gerichteten Beschwerde nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr gemäß § 180 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit b StPO bis längstens 19. Mai 2003 an.

Mit (zwischenzeitig rechtskräftiger) Anklageschrift vom 22. März 2003 legt die Staatsanwaltschaft Nicholas Ezienne O***** das Verbrechen nach § 28 Abs 2 (dritter Fall) SMG als Beteiligter nach § 12 StGB zur Last, weil er in Wien einen Unbekannten (Moses), der am 28. September 2002 rund 16 kg Heroin und Kokain von den Niederlanden nach Österreich eingeführt und in Wien dem abgesondert verfolgten Chuks Ok***** zur Verteilung übergeben hat, somit den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift in einer großen Menge aus- und einführte, zur Ausführung der strafbaren Handlung bestimmt haben soll, indem er für sich die Lieferung von rund 200 Gramm Heroin bestellte. Die Ausdehnung der Anklage "wegen §§ 28 Abs 2 SMG, 12 StGB (SG Lieferung vom 25. 10. 2002)" wurde der Hauptverhandlung vorbehalten.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes vom 18. März 2003 erhobenen Grundrechtsbeschwerde, mit der mangelhafte Begründung der Haftgründe und der Verhältnismäßigkeit der Untersuchungshaft geltend gemacht (der dringende Tatverdacht jedoch nicht bestritten) wird, kommt keine Berechtigung zu.

Vorauszuschicken ist, dass für die Kontrolle des Obersten Gerichtshofes, ob eine grundrechtsrelevante Gesetzesverletzung vorliegt, prinzipiell jener Zeitpunkt maßgeblich ist, in dem die angefochtene Entscheidung ergangen ist. Dies gilt nach ständiger Rechtsprechung sowohl für die Prüfung der Haftgründe als auch des dringenden Tatverdachtes (Mayerhofer/Steininger GRBG § 2 Rz 10).

Die Begründung des angefochtenen Beschlusses zum Haftgrund der Fluchtgefahr stützt sich, im Einklang mit den Gesetzen der Logik und der allgemeinen Lebenserfahrung nicht widersprechend, auf den aus der Höhe der Strafdrohung im Zusammenhalt mit dem für den Fall einer Verurteilung drohenden Widerruf eines bedingten Strafteils abzuleitenden massiven Fluchtanreiz in Verbindung mit der Mittellosigkeit des Beschuldigten und erachtete den (aktenkundigen) Wohnsitz in Wien und den Umstand vorläufiger Aufenthaltsberechtigung als Asylant ebenso wie eine behauptete Lebensgemeinschaft mit einer Österreicherin und beabsichtigte Versorgung durch deren Familie als nicht geeignet, ihn im Inland als ausreichend sozial integriert anzusehen.

Wenn die Beschwerde vorbringt, dass Fluchtgefahr nicht allein mit der Schwere der zu erwartenden Strafe zu begründen sei, sondern zahlreiche Faktoren, insbesondere die Bindungen zu dem Land, indem das Strafverfahren anhängig ist, in der Judikatur des EGMR betont werde, ist sie darauf zu verweisen, dass das Oberlandesgericht, wie oben dargelegt, gerade diese Aspekte in seine Erwägungen miteinbezogen hat, jedoch - entgegen der Beschwerdeargumentation - davon ausgegangen ist, dass trotz der behaupteten Versorgung durch eine angebahnte familiäre Bindung des Beschuldigten von dessen sozialen Integration im Inland nicht ausgegangen werden könne.

Warum die diesbezügliche Rechtsansicht des Oberlandesgerichtes unrichtig sein soll, legt die Beschwerde nicht substantiiert dar.

Da der Oberste Gerichtshof seiner Entscheidung nicht die Beschwerdebehauptungen, sondern den tatsächlichen Inhalt der Akten zugrundezulegen hat, kann ebenso dahingestellt bleiben, ob es für den Beschwerdeführer leicht gewesen wäre, den weiteren Verbleib der für ihn bestimmten Menge von Suchtmittel in Erfahrung zu bringen und festzustellen, dass die Weiterverbreitung in Österreich unterblieben ist, wie sich Überlegungen zur Frage erübrigen, ob er sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung über den Verbleib des für ihn bestimmten Anteils erkundigt hätte.

Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass sich gelindere Mittel nicht anbieten, den in der Hintanhaltung einer Flucht gelegenen Haftzweck zu erreichen (vgl 14 Os 37/03). Mit dem pauschal gehaltenen Einwand, eine "weitergehende" Begründung sei dem Beschluss nicht zu entnehmen, lässt die Beschwerde die auch im Grundrechtsbeschwerdeverfahren erforderliche substantiierte Ausführung vermissen.Zutreffend ist das Oberlandesgericht auch davon ausgegangen, dass sich gelindere Mittel nicht anbieten, den in der Hintanhaltung einer Flucht gelegenen Haftzweck zu erreichen vergleiche 14 Os 37/03). Mit dem pauschal gehaltenen Einwand, eine "weitergehende" Begründung sei dem Beschluss nicht zu entnehmen, lässt die Beschwerde die auch im Grundrechtsbeschwerdeverfahren erforderliche substantiierte Ausführung vermissen.

Soweit sie einen Enthaftungsanspruch wegen Verfahrensverzögerung releviert, entbehrt sie hiezu zum einen einer Legitimation mangels der Ausschöpfung des ordentlichen Instanzenzuges gemäß § 1 Abs 1 GRBG (vgl § 113 StPO) und verkennt zum anderen, dass solche nur dann grundrechtsrelevant sind, wenn hiedurch die Dauer der Untersuchungshaft unangemessen verzögert wird (13 Os 116/01, 15 Os 161/01 uam). Davon kann aber im Hinblick auf einen Zeitraum von rund 4 Monaten zwischen Verhängung der Untersuchungshaft und Erstellung der Anklageschrift bei der gegebenen Sachlage, wo zusätzlich die Beteiligung an einer international agierenden kriminellen Organisation zum Vertrieb von Suchtgift im In- und Ausland zu prüfen war, nicht die Rede sein.

Im Hinblick auf das Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr erübrigt es sich, bei Prüfung der Frage der Grundrechtsverletzung auch auf den weiteren Haftgrund der Tatbegehungsgefahr bzw der Argumentation zu dessen Ersetzbarkeit einzugehen (Hager/Holzweber § 2 GRBG E 25, 13 Os 109/02, 15 Os 50/03 uva).

Letztlich versagt auch der Einwand der unangemessenen Dauer der Untersuchungshaft insofern, als selbst nach derzeitiger Verfahrenslage von einer Strafdrohung von bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe auszugehen ist (§ 28 Abs 2 zweiter Fall SMG), sodass die bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des Oberlandesgerichtes rund viermonatige Untersuchungshaft im Hinblick auf die für den Fall des Schuldspruchs zu erwartende Strafe in keinem Missverhältnis steht.

Somit wurde der Beschuldigte im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde - in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der lediglich auf die Argumente der Grundrechtsbeschwerde verweisenden Äußerung der Verteidigung gemäß § 35 Abs 2 StPO - ohne Kostenausspruch (§ 8 GRBG) abzuweisen war.

Textnummer

E69420

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0150OS00060.03.0507.000

Im RIS seit

06.06.2003

Zuletzt aktualisiert am

18.10.2010
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten