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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37 impl;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/05/0260Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Fritz, über die Beschwerde 1. des Manfred Fassl und 2. der Waltraud Fassl, beide in Wien, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Lerchenfelderstraße 120/2/28, gegen die Bescheide der Wiener Landesregierung vom 15. September 2006, 1. Zl. MA 64 - 5189/2005-G (hg. Zl. 2006/05/0259) und 2. Zl. MA 64 - 5189/2005-F (hg. Zl. 2006/05/0260), betreffend Ersatzvornahme nach dem VVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt Wien hat den Beschwerdeführern je EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 3. Mai 2005, MA 37/23-Maurer Lange Gasse 58/36023-3/04, wurde den Beschwerdeführern als Haus- und Liegenschaftseigentümern gemäß § 129 Abs. 1 und 10 der Bauordnung für Wien betreffend die Grundstücke Nr. 177 und 178/1 der Liegenschaft EZ 61, KG Mauer, Maurer Lange Gasse 58, der Auftrag erteilt:
"1.) Die vorschriftswidrige Benützung der beiden Räumlichkeiten des linken Nebengebäudes, die als Spenglerwerkstätte und Werkstättenmagazin gewidmet wurden, sind als Lagerräume aufzulassen.
2.) Die beiden Räumlichkeiten des linken Nebengebäudes, in denen zum Teil bis zur Decke Kartonagen, Kisten und div. Gerümpel gelagert werden, sind zur Gänze zu räumen und die Lagerungen zu beseitigen.
3.) Das zweite Dachflächenfenster in einer Größe von ca. 60/60 cm in einer straßenseitigen Dachfläche in der Maurer Lange Gasse ist zu beseitigen.
Die Maßnahmen sind binnen 3 Monaten nach Rechtskraft dieses Bescheides durchzuführen."
Mit Schreiben vom 17. Oktober 2005 beantragte die MA 37 bei der MA 6, Erhebungs- und Vollstreckungsdienst, "auf Grund des Ergebnisses der Erhebung am 14.10.2005 (...) die Vollstreckung des Punktes 2. des Bescheides vom 3.5.2005, Zl.: MA 37/23-Maurer Lange Gasse 58/36023-3/04".
Mit Verfügungen je vom 4. November 2005 drohte die Vollstreckungsbehörde den Beschwerdeführern die Ersatzvornahme gemäß § 4 VVG an und setzte für die Erbringung der Leistung noch einmal eine Frist bis 25. November 2005.
Mit Bescheiden des Magistrates der Stadt Wien, MA 6, je vom 15. Dezember 2005 wurde gemäß § 4 VVG die angedrohte Ersatzvornahme angeordnet.
In der dagegen erhobenen Berufung behaupteten die Beschwerdeführer u.a., dass die angeordnete Räumung nicht zulässig sei, es gäbe keinen "rechtskräftigen Vorbescheid".
Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 teilte die MA 37 der MA 6 (Erhebungs- und Vollstreckungsdienst) "zu Zl. 36023-3/04" mit, dass zwei Schreiben der Zweitbeschwerdeführerin "hinsichtlich einer bei der Bauoberbehörde anhängigen Berufungssache zur Entscheidung weitergeleitet (worden seien). Da diese beiden Schreiben teilweise auch die Punkte 1. und 2. des oben angeführten Bescheides beinhalten, wird um einstweilige Aussetzung der Vollstreckung bis zur Entscheidung der BOB gebeten".
Mit den nunmehr angefochtenen Bescheiden wurden die gegen die Bescheide der MA 6 vom 15. Dezember 2005, mit welchen die Ersatzvornahme hinsichtlich Punkt 2. des Bauauftrages des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 3. Mai 2005 angeordnet worden sind, erhobenen Berufungen als unbegründet abgewiesen.
Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Beschwerdeführer in ihren Berufungen vorgebracht hätten, es sei keine widmungswidrige Verwendung gegeben und es lägen auch keine Gründe für die Annahme einer Brandgefährlichkeit vor; es würden von ihnen überwiegend Uhren, aber kein Gerümpel, lose Kartons oder leicht brennbare Materialien gelagert. Im Laufe der Zeit hätte sich auch Reparaturbedürftiges angehäuft. Es fehle auch eine brauchbare Auflistung der Gegenstände, die als widmungswidrig verwendet angesehen würden. Mit diesem Vorbringen hätten sich die Beschwerdeführer gegen die Rechtmäßigkeit des Titelbescheides gewendet. Das Vollstreckungsverfahren diene jedoch nicht dazu, Argumente vorzubringen, die sich gegen den rechtskräftigen Titelbescheid richteten. Diese Argumente wären im seinerzeitigen abgeschlossenen Verfahren darzulegen gewesen. Die Frage der Rechtmäßigkeit des Titelbescheides könne im Vollstreckungsverfahren nicht mehr aufgeworfen werden. Die Titelbescheide seien ausreichend bestimmt.
Gegen diese Bescheide richten sich die Beschwerden, in welchen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden. Die Beschwerdeführer weisen darauf hin, dass sie gegen den Titelbescheid Berufung erhoben hätten. Die Bauoberbehörde habe nunmehr mit Bescheid vom 25. September 2006 auf Grund der Berufung der Beschwerdeführer die Punkte 1. und 2. des Titelbescheides aufgehoben; hievon seien die Beschwerdeführer von der MA 6 am 20. Oktober 2006 verständigt worden. Die Vollstreckung durch Anordnung der Ersatzvornahme sei unzulässig gewesen. Die belangte Behörde hätte keinerlei Ermittlungen darüber durchgeführt, ob der Titelbescheid vollstreckbar sei, obwohl die Beschwerdeführer die Vollstreckungsbehörde darauf hingewiesen hätten, dass ein Berufungsverfahren hinsichtlich des Titelbescheides bei der Bauoberbehörde für Wien anhängig sei.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete Gegenschriften, in welchen sie inhaltsgleich ausführt, dass ergänzende Ermittlungen im Berufungsverfahren ergeben hätten, dass der Titelbescheid in Rechtskraft erwachsen sei. Mit Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 25. September 2006 seien jedoch die Spruchpunkte 1. und 2. des Titelbescheides behoben worden. Mit Schreiben vom 20. Oktober 2006 seien die Beschwerdeführer von der Vollstreckungsbehörde erster Instanz verständigt worden, "dass das Zwangsstrafverfahren eingestellt wird"; dies unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die in den Punkten 1. und 2. erfolgte Behebung des Titelbescheides. Nur auf Grund eines Missverständnisses sei davon ausgegangen worden, dass keine Berufung gegen den Titelbescheid anhängig seien. Nach der Entscheidung der Bauoberbehörde sei das Vollstreckungsverfahren selbstverständlich nicht weitergeführt worden. Für die Beschwerdeführer sei klar erkennbar gewesen, dass sämtliche Vollstreckungsmaßnahmen und nicht nur die Eintreibung der verhängten Zwangsstrafe nicht weiter betrieben würden. Die Beschwerdeführer seien bereits bei Einbringung der Beschwerde nicht beschwert gewesen, da sie durch die Aufhebung des angefochtenen Bescheides nicht günstiger gestellt würden, als dies ohne Entscheidung über die Beschwerde der Fall wäre.
Im vorgelegten Verwaltungsakt befindet sich eine Bescheidausfertigung des Bescheides der Bauoberbehörde für Wien vom 25. September 2006; mit diesem Bescheid wurden gemäß § 66 Abs. 4 AVG die Spruchpunkte 1. und 2. des Titelbescheides des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 3. Mai 2005 "behoben". Dieser Bescheid wurde den Beschwerdeführern am 9. Oktober 2006 zugestellt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat beschlossen, die beiden Beschwerden wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zu verbinden und in der Sache erwogen:
Gemäß § 4 Abs. 1 Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VVG) kann, wenn der zu einer Arbeits- oder Naturalleistung Verpflichtete dieser Verpflichtung gar nicht oder nicht vollständig oder nicht zur gehörigen Zeit nachgekommen ist, die mangelnde Leistung nach vorheriger Androhung auf Gefahr und Kosten des Verpflichteten bewerkstelligt werden.
Gemäß § 10 Abs. 1 VVG sind auf das Vollstreckungsverfahren, soweit sich aus diesem Bundesgesetz nicht anderes ergibt, der I. und IV. Teil und hinsichtlich der Rechtsmittelbelehrung die §§ 58 Abs. 1 und 61 AVG sinngemäß anzuwenden.
Gemäß Abs. 2 dieses Paragraphen können gegen eine nach diesem Bundesgesetz erlassene Vollstreckungsverfügung Berufung nur ergriffen werden, wenn
"1.
die Vollstreckung unzulässig oder
2.
die Vollstreckungsverfügung mit dem zu vollstreckenden Bescheid nicht übereinstimmt oder
3. die angeordneten oder angewendeten Zwangsmittel im Gesetz nicht zugelassen sind oder mit § 2 in Widerspruch stehen."
Wann eine Vollstreckung im Sinne des § 10 Abs. 2 Z. 1 VVG unzulässig ist, ist im Gesetz nicht näher angeführt. Aus dem Zusammenhalt der Bestimmungen des § 10 VVG mit den übrigen Vorschriften des VVG ergibt sich, dass der Berufungsgrund der Unzulässigkeit der Vollstreckung dann gegeben ist, wenn der Verpflichtete behauptet, dass die Voraussetzungen für eine Vollstreckung nicht gegeben sind. Voraussetzung für eine Vollstreckung ist jedenfalls, dass überhaupt ein entsprechender Titelbescheid vorliegt (vgl. hiezu die hg. Erkenntnisse vom 29. September 1960, VwSlg. 5381/A und vom 14. September 1972, VwSlg. 8284/A). Fehlt die Vollstreckbarkeit des Titelbescheides, ist die Vollstreckung unzulässig (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1984, Zl. 84/04/0054).
Die Vollstreckbarkeit eines Bescheides besteht darin, dass ein bescheidmäßig gebotenes Verhalten mit den Mitteln des Exekutionsrechtes durchgesetzt werden kann. Aus den Bestimmungen über die aufschiebende Wirkung der ordentlichen Rechtsmittel (§ 57 Abs. 2 AVG und § 64 AVG) ergibt sich, dass Bescheiden grundsätzlich erst mit ihrer Unanfechtbarkeit Vollstreckbarkeit zukommt (abgesehen von der hier nicht relevanten Beachtlichkeit der Leistungsfristen, Bedingungen und allfälliger Zuerkennung von aufschiebender Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof oder Verwaltungsgerichtshof; vgl. hiezu Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechtes, 8. Auflage, Rz 473).
Da dem Titelbescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37, vom 3. Mai 2005 aufschiebende Wirkung nicht aberkannt worden ist, war für die Klärung der Frage der Zulässigkeit der Vollstreckbarkeit dieses Bescheides zu prüfen, ob dessen Rechtskraft (d.h. im gegebenen Zusammenhang dessen Unanfechtbarkeit) im Zeitpunkt der Erlassung der angefochtenen Bescheide eingetreten war, weil die Berufungsbehörde im Allgemeinen das im Zeitpunkt der Erlassung ihres Bescheides geltende Recht anzuwenden hat (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 4. Mai 1977, VwSlg. 9315/A); dies gilt auch für das Vollstreckungsverfahren nach dem VVG (vgl. das hg. Erkenntnis vom 17. Mai 1965, VwSlg. 6693/A).
Wenn auch im Verwaltungsvollstreckungsverfahren die Vorschriften des II. Teils des AVG über das Ermittlungsverfahren keine Anwendung finden und demnach einer Partei im Vollstreckungsverfahren von vornherein ein Anspruch auf Durchführung eines Ermittlungsverfahrens nicht zusteht, schließt dies nicht aus, dass ausnahmsweise, wenn sich Ermittlungen als unumgänglich erweisen, diese durchgeführt werden müssen und in diesem Zusammenhang auch das Parteiengehör zu gewähren ist. Freilich muss dem Wesen des Verwaltungsvollstreckungsverfahrens entsprechend der Berufungswerber die Unzulässigkeit der Vollstreckung oder die anderen Gründe des § 10 VVG schlüssig dartun und die Behörde ist nicht verpflichtet, ihm diese Aufgabe durch amtswegige Erhebungen abzunehmen. Die Behörde ist allerdings dazu verpflichtet, auf ein rechtlich relevantes Vorbringen der Partei einzugehen (vgl. hiezu das hg. Erkenntnis vom 27. April 2006, Zl. 2005/07/0137).
Die belangte Behörde hatte daher im Rahmen der von ihr zu prüfenden Berufungsgründe der Zulässigkeit der Vollstreckung gemäß § 10 Abs. 2 Z. 1 VVG jedenfalls zu prüfen, ob ein tauglicher Exekutionstitel vorliegt. Ob ein mit einer Vollstreckbarkeitsbestätigung versehener Exekutionstitel vorgelegen war, kann weder dem angefochtenen Bescheid noch den vorgelegten Verwaltungsakten entnommen werden. Auf Grund des Einwandes der Beschwerdeführer, die Vollstreckung sei nicht zulässig, hätten die Vollstreckungsbehörden insbesondere die belangte Behörde, die Tauglichkeit der Vollstreckbarkeit dieses Exekutionstitels prüfen müssen. Dass die belangte Behörde eine solche Prüfung vorgenommen hätte, ist der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht zu entnehmen.
Da die belangte Behörde daher keine nachvollziehbaren Feststellungen zur entscheidungserheblichen Frage, ob die Vollstreckung zulässig ist, getroffen hat, leiden die angefochtenen Bescheide an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
Die von der belangten Behörde in ihrer Gegenschrift behauptete Nichtfortführung des Exekutionsverfahrens ist für das Ergebnis des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens schon deshalb nicht von Bedeutung, weil die Einstellung des Vollstreckungsverfahrens zwar das Exekutionsverfahren beendet, abschließend vom Verwaltungsgerichtshof aber nicht beurteilt werden kann, ob die bisher gesetzten Vollzugsakte gegenüber den Beschwerdeführern gänzlich beseitigt worden sind.
Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 24. April 2007
Schlagworte
Verfahrensbestimmungen Berufungsbehörde Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der Rechtswirkungen Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung Besondere Rechtsgebiete Parteiengehör Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006050259.X00Im RIS seit
11.06.2007Zuletzt aktualisiert am
01.10.2008