Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Mai 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Markel als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schmucker, Dr. Zehetner, Dr. Danek und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Mayer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Roman N***** wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB, AZ 9 U 913/01m des Bezirksgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator gegen das (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Jänner 2002, GZ 9 U 613/01m-6, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Gegenwart der Vertreterin des Generalprokurators, Generalanwältin Dr. Aicher, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten zu Recht erkannt:
Spruch
Das (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Jänner 2002, GZ 9 U 613/01m-6, verletzt § 459 StPO iVm Art XIII Abs 4 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl Nr 744/1995.Das (Abwesenheits-)Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Jänner 2002, GZ 9 U 613/01m-6, verletzt § 459 StPO in Verbindung mit Art XIII Abs 4 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959 und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl Nr 744/1995.
Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht verwiesen.
Der Beschuldigte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf die kassatorische Entscheidung verwiesen.
Text
Gründe:
Mit - sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch vom Verurteilten bekämpftem - Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 31. Jänner 2002, GZ 9 U 613/01m-6, wurde der in der Tschechischen Republik wohnhafte tschechische Staatsangehörige Roman N***** in Abwesenheit (§ 459 StPO) des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels nach § 293 Abs 2 StGB schuldig erkannt und zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe verurteilt.
Zu dieser Vorgangsweise sah sich das Gericht berechtigt, weil "der Beschuldigte zur Hauptverhandlung am 3. Jänner 2002 ohne Entschuldigung nicht erschienen" und "seine Ladung durch eigenhändige Übernahme ausgewiesen" war (US 5).
Dem Gerichtsakt ist zu entnehmen, dass die Ladung des Beschuldigten mittels internationalen Rückscheins vorgenommen und ihr der Bestrafungsantrag beigeschlossen wurde (ON 1). Eine Übersetzung dieser Schriftstücke in die tschechische Sprache erfolgte nicht.
Rechtliche Beurteilung
Wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt, steht das Urteil des Bezirksgerichtes Innsbruck mit dem Gesetz nicht im Einklang:
Gemäß § 459 StPO kann, wenn der Beschuldigte "der gehörigen Vorladung ungeachtet" nicht (pünktlich) zur Hauptverhandlung erscheint und seine Vernehmung entbehrlich ist, das Verfahren begonnen und nach Aufnahme der Beweise sowie nach Anhörung des Anklägers das Urteil gefällt und verkündet werden.
"Gehörig" ist - was das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat (Rainer WK-StPO § 459 Rz 4) - die Vorladung des Beschuldigten zur Hauptverhandlung, wenn sie den Voraussetzungen der §§ 79, 80 StPO entspricht. Danach ist sie an den Beschuldigten persönlich und zu eigenen Handen zuzustellen.
Eine Ladung des Beschuldigten aus dem Ausland mit internationalem Rückschein ist grundsätzlich nicht als gehörig anzusehen (Foregger/Fabrizy StPO8 § 459 Rz 1). Sie ist nur dann zulässig, wenn sie im Bereich der Schengen-Staaten nach Maßgabe des § 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens, BGBl III Nr 90/1997 (SDÜ) vorgenommen wird oder wenn diese Vorgangsweise einer (sonstigen) zwischenstaatlichen Vereinbarung entspricht.Eine Ladung des Beschuldigten aus dem Ausland mit internationalem Rückschein ist grundsätzlich nicht als gehörig anzusehen (Foregger/Fabrizy StPO8 § 459 Rz 1). Sie ist nur dann zulässig, wenn sie im Bereich der Schengen-Staaten nach Maßgabe des § 52 des Schengener Durchführungsübereinkommens, BGBl römisch III Nr 90/1997 (SDÜ) vorgenommen wird oder wenn diese Vorgangsweise einer (sonstigen) zwischenstaatlichen Vereinbarung entspricht.
Art XII Abs 3 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, BGBl Nr 41/1969, und die Erleichterung seiner Anwendung, BGBl Nr 744/1995, stellt den Justizbehörden der Vertragsstaaten frei, zuzustellende Schriftstücke auch unmittelbar durch die Post nach den für den Postverkehr geltenden Vorschriften zu übermitteln. Gemäß Art XIII Abs 4 dieses Vertrages ist jedoch derart zugestellten Schriftstücken in jedem Fall eine Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates anzuschließen. Ist das zuzustellende Schriftstück nicht mit einer Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates versehen, so gilt die Zustellung in beiden Vertragsstaaten als nicht bewirkt. Lediglich bei der Zustellung von Schriftstücken im Postweg an (im anderen Staat lebende) eigene Staatsangehörige kann auf Übersetzungen verzichtet werden.Art XII Abs 3 des Vertrages zwischen der Republik Österreich und der Tschechischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 20. April 1959, BGBl Nr 41/1969, und die Erleichterung seiner Anwendung, Bundesgesetzblatt Nr 744 aus 1995,, stellt den Justizbehörden der Vertragsstaaten frei, zuzustellende Schriftstücke auch unmittelbar durch die Post nach den für den Postverkehr geltenden Vorschriften zu übermitteln. Gemäß Art XIII Abs 4 dieses Vertrages ist jedoch derart zugestellten Schriftstücken in jedem Fall eine Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates anzuschließen. Ist das zuzustellende Schriftstück nicht mit einer Übersetzung in die Sprache des ersuchten Staates versehen, so gilt die Zustellung in beiden Vertragsstaaten als nicht bewirkt. Lediglich bei der Zustellung von Schriftstücken im Postweg an (im anderen Staat lebende) eigene Staatsangehörige kann auf Übersetzungen verzichtet werden.
Da demnach im vorliegenden Fall die am 28. November 2001 vom Bezirksgericht Innsbruck verfügte Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung (abgesehen von der Fraglichkeit einer eigenhändigen Zustellung) schon deshalb nicht gehörig war, waren die im § 459 StPO festgelegten Voraussetzungen für die Fällung eines Abwesenheitsurteils nicht erfüllt.
Diese - mit dem prozessualen Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art 6 MRK) im Widerspruch stehende - Gesetzesverletzung gereichte dem Beschuldigten Roman N***** zum Nachteil.
Demgemäß war das Urteil wie im Spruch zu beheben und der Beschuldigte sowie die Staatsanwaltschaft mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung zu verweisen.
Textnummer
E69801European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0150OS00052.03.0515.000Im RIS seit
14.06.2003Zuletzt aktualisiert am
18.10.2010