Index
L94056 Ärztekammer Steiermark;Norm
ÄrzteG 1998 §97;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des Dr. G in G, vertreten durch Freimüller, Noll, Obereder, Pilz & Partner Rechtsanwälte GesmbH in 1080 Wien, Alserstraße 21, gegen den Bescheid des Beschwerdeausschusses bei der Ärztekammer für Steiermark vom 14. April 2005, Zl. BA 12/04, betreffend Gewährung der Invaliditätsversorgung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Ärztekammer für Steiermark ist schuldig, dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schreiben vom 5. August 2004 stellte der Beschwerdeführer - unter Anschluss von diversen ärztlichen Befunden, von Fachärzten für Dermatologie und Venerologie, für Orthopädie und orthopädische Chirurgie sowie für Psychiatrie und Neurologie - einen Antrag auf Gewährung der Invaliditätsversorgung ab dem 1. November 2004.
Ein daraufhin eingeholtes Gutachten von Prim. Dr. O., Facharzt für Orthopädie und orthopädische Chirurgie, vom 27. Oktober 2004 ergab zusammengefasst folgende Beurteilung:
"Im Rahmen der gegenständlichen Begutachtung wurden ... folgende Leiden festgestellt:
-
ausgeprägte Plattfüße beidseits, links ausgeprägter als rechts
-
posttraumatische Subluxation und Arthrose des unteren Sprunggelenkes und der Fußwurzelgelenke links
-
Knochenmarksödem im lateralen Malleolus und entzündliche Veränderungen der Tibialis anterior- und Tibialis posterior-Sehne links
-
mäßige Gonarthrose rechts, geringgradig links
-
ausgeprägtes variköses Symptomenkomplex-Rezidiv bei Zustand nach operativen Interventionen
-
postthrombotisches Syndrom distaler linker Unterschenkel und Sprunggelenk
-
Lumbalgie bei Osteochondrose, geringer Spondylolisthese und Foramenstenosen L5/S1
-
Zustand nach Morbus Scheuermann mittlere und untere Brustwirbelsäule
-
beginnende Osteochondrose, ventrale Spondylose, Unkovertebralarthrose und Intervertebralarthrose C6/C7.
Zusätzlich sind im neurologisch-psychiatrischen Befund deutliche Hinweise auf ein Restless legs Syndrom und eine schmerzbedingte Dysthymie mit Einschränkung der Konzentration und Belastbarkeit dokumentiert.
Die obigen degenerativen Veränderungen bestehen seit vielen Jahren bzw. seit der Jugend. Die körperliche Arbeitsfähigkeit ist dadurch eingeschränkt. Eine signifikante Verschlechterung des Leidenszustandes mit Beendigung des 60. Lebensjahres konnte nicht objektiviert werden. Das Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit als Chefarzt der Versicherungsanstalt des Österreichischen Bergbaues wird auf 35 % geschätzt."
Mit Bescheid des Verwaltungsausschusses vom 18. November 2004 wurde der Antrag abgewiesen. In der Begründung führte die Behörde aus, sie habe die vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und Befunde geprüft und es als notwendig erachtet, für die endgültige Entscheidungsfindung ein vertrauensärztliches Gutachten eines Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie einzuholen. Dieses Gutachten sei von Herrn Prim. Dr. O. erstellt worden und habe in der Gesamtbeurteilung eine ca. 35 %-ige Einschränkung der Arbeitsfähigkeit ergeben, die aber nach gutachterlicher und nach Meinung des Verwaltungsausschusses eine Arbeitsunfähigkeit nicht objektivierbar mache. Eine signifikante Verschlechterung des Leidenszustandes mit Beendigung des 60. Lebensjahres habe nicht festgestellt werden können. Für eine Zuerkennung der Invaliditätsversorgung im Sinne der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark sei dies nicht ausreichend. Der Antrag sei daher abzuweisen gewesen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung (Beschwerde) an den Beschwerdeausschuss und brachte im Wesentlichen vor, das Gutachten von Prim. Dr. O. sei unvollständig und berücksichtige einen Großteil der von ihm angeführten Leiden nicht und stehe somit im krassen Gegensatz zu den beigebrachten Unterlagen und Befunden. Insbesondere sei dem Beschwerdeführer in letzter Zeit ein längeres Sitzen (über ein bis zwei Stunden) wegen starker Schwellneigung, Schweregefühl und krampfartiger Schmerzen in den Beinen nicht mehr möglich, andererseits bei der Ausübung seines Berufes unumgänglich notwendig. Längere Sitzungen, Arbeiten am Schreibtisch usw. seien zunehmend durch die oben angeführten Beschwerden beeinträchtigt. Aus diesem Grund könne er Dienstreisen nicht mehr mit dem Auto, sondern nur mehr mit dem Zug machen. Nächtliches Schweregefühl in den Beinen und häufige Wadenkrämpfe machten ein Aufstehen bis zu sieben Mal pro Nacht erforderlich, oftmals verbunden mit der Notwendigkeit längeren Umhergehens bis zum Eintreten von Beschwerdefreiheit. Die Folge dieser Unterbrechungen der Nachtruhe seien Tagesmüdigkeit und Konzentrationsmangel, während der letzten Jahre deutlich an Intensität zunehmend. Dies sei von der PVA in deren Gutachten sehr wohl berücksichtigt worden, weshalb dem Beschwerdeführer auch die Knappschaftsvollpension (Invaliditätspension) zuerkannt worden sei.
Ein weiteres, im Berufungsverfahren eingeholtes Gutachten von Prim. Dr. P., Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, vom 11. März 2005 ergab folgende Beurteilung:
"(Beim Beschwerdeführer) besteht dermatologischerseits eine ausgeprägte chronisch venöse Insuffizienz, klinisches Stadium II, links stärker als rechts. Diese chronisch venöse Insuffizienz beruht auf einer ausgeprägten Stamm- bzw. Rezidivvarikose beidseits bei Zustand nach zweimaliger Varizenoperation. Ob zusätzlich ein postthrombotisches Syndrom besteht, kann nur phlebografisch beurteilt werden, hat allerdings für die Begutachtung keine Relevanz.
Therapeutisch ist das Tragen von Kompressionsstrümpfen unbedingt erforderlich. Wenngleich davon auszugehen ist, dass eine neuerliche operative Sanierung der ausgeprägten Rezidivvarikose vonnöten ist, muss festgehalten werden, dass eine evidente Besserung der bestehenden Symptome wahrscheinlich nicht zu erzielen sein dürfte. Die Operation hätte vordergründig das Ziel eine zusätzliche Verschlechterung der derzeitigen Situation zu bremsen. Das Tragen von Kompressionsstrümpfen wird allerdings auch nach einer allfälligen neuerlichen Varizenoperartion vonnöten sein.
(Der Beschwerdeführer) ist dermatologischerseits grundsätzlich arbeitsfähig. Er sollte jedoch wegen dieser ausgeprägten chronisch venösen Insuffizienz es vermeiden, über längere Zeit Körperhaltungen einzunehmen (Sitzen, Stehen), die die Symptomatik dieser CVI verschlechtern. Demzufolge sollte er nur Tätigkeiten ausüben, die es ihm erlauben, halbstündlich einen Lagewechsel durchzuführen, mit dem Ziel 5-10 Minuten Entstauungsübungen durchzuführen. Grundsätzlich sollten diese Tätigkeiten nicht in permanent stehender oder sitzender Haltung erfolgen. Aufgrund der zudem angegebenen Beschwerden und Symptome scheint über das dermatologische Gutachten hinaus auch ein neurologisches und auch orthopädisches Gutachten notwendig zu sein."
Dieses Gutachten langte bei der belangten Behörde am 16. März 2005 ein. Nach Beratung und Beschlussfassung in der Sitzung des Beschwerdeausschusses vom 17. März 2005, ausgefertigt mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. April 2005, wurde dem Rechtsmittel des Beschwerdeführers vom 9. Dezember 2004 keine Folge gegeben. In der Begründung führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, gemäß § 23 Abs. 1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds sei die Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist. Der Beschwerdeausschuss trete der Begründung des Verwaltungsausschusses vollinhaltlich bei. Dies insbesondere deshalb, weil er - um den Rechtsschutzbedürfnissen des Beschwerdeführers und dessen Bedenken gegen das Gutachten von Prim. Dr. O. Rechnung zu tragen - ein weiteres ergänzendes Gutachten von Prim. Dr. P., Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, eingeholt habe. Auf Grund der vom Beschwerdeführer vorgelegten Unterlagen und Befunde sowie der Gutachten von Prim. Dr. O. und Prim. Dr. P. teile die belangte Behörde die Meinung des Verwaltungsausschusses, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht objektivierbar sei und die Leiden des Beschwerdeführers bei einem über 60-jährigen innerhalb der allgemeinen medizinischen Erfahrung lägen. Der Beschwerdeführer sei in der Gesamtbeurteilung des Gutachtens von Prim. Dr. P. als dermatologischerseits grundsätzlich arbeitsfähig eingestuft worden. Gerade dieser Umstand spreche aber dafür, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Invaliditätsversorgung im Sinne der Satzung des Wohlfahrtsfonds nicht gegeben seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 23 Abs. 1 der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Steiermark ist die Invaliditätsversorgung zu gewähren, wenn der Kammerangehörige infolge körperlicher oder geistiger Gebrechen zur Ausübung des ärztlichen Berufes dauernd oder vorübergehend unfähig ist. Das Ausmaß entspricht jener Altersversorgung (Grund- und Ergänzungsleistung, Ergänzungsleistung für § 2 Kassenärzte, Zusatzleistung bzw. erweiterte Zusatzleistung), auf die der Kammerangehörige zum Stichtag der Invaliditätsversorgung Anspruch gehabt hätte, wobei unterstellt wird, dass das Anfallsalter erreicht ist.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde im Wesentlichen vor, der Erstbegutachter Prim. Dr. O. sei zu dem Schluss gekommen, dass das Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit auf 35 % geschätzt werde. Er sei jedoch jegliche Erklärung schuldig geblieben, wie er auf diesen Prozentsatz gekommen sei.
Schon dieser Einwand ist im Ergebnis zielführend. Jedes Gutachten eines Sachverständigen muss entsprechend begründet sein; der Sachverständige muss darlegen, auf welchem Weg er zu seiner Schlussfolgerung gekommen ist, um es der Behörde zu ermöglichen, die Schlüssigkeit des Gutachtens zu überprüfen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 22. Dezember 2004, Zl. 2002/08/0267).
In der zusammenfassenden Beurteilung werden Leiden des Beschwerdeführers aufgezählt und festgestellt, dass die degenerativen Veränderungen bereits seit Jahren bestünden und die körperliche Arbeitsfähigkeit dadurch einschränkt sei. Eine signifikante Verschlechterung des Leidenszustandes mit Beendigung des 60. Lebensjahres habe nicht objektiviert werden können, das Ausmaß der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit werde auf 35 % geschätzt. Aus diesem Gutachten ist allerdings nicht erkennbar, wie (in welcher Höhe) die einzelnen Leidenszustände vom Sachverständigen beurteilt worden sind und wie der Gutachter letztlich zu seiner Beurteilung der Einschränkung der Arbeitsfähigkeit um 35 % gelangte.
Der Beschwerdeführer bringt in seiner Beschwerde weiters vor, zur Evaluierung seines Vorbringens (starke Schwellneigung an den Beinen, nächtliche Schweregefühle und häufige Wadenkrämpfe, Tagesmüdigkeit und Konzentrationsmängel) wären noch weitere fachärztliche Gutachten erforderlich gewesen. Die Behörde hätte jedenfalls einen Internisten und einen Psychiater/Neurologen mit der Begutachtung betrauen müssen. Auch Prim. Dr. P. habe in seinem Gutachten vom 11. März 2005 angeführt, dass auf Grund der angegebenen Beschwerden und Symptome über das dermatologische Gutachten hinaus auch ein neurologisches und ein orthopädisches Gutachten notwendig erscheine.
Auch dieses Vorbringen ist zielführend.
Die Beurteilung der Berufsunfähigkeit setzt in der Regel auf ärztlichen Gutachten beruhende Feststellungen der Behörde über die physischen und psychischen Gebrechen des Kammerangehörigen und die davon ausgehenden Auswirkungen auf die Fähigkeit zur Ausübung des ärztlichen Berufes voraus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 23. Jänner 2001, Zl. 2000/11/0226), wobei die Sachverständigengutachten im Einzelnen darüber Aufschluss zu geben haben, ob der Betreffende zu einer ärztlichen Tätigkeit - wenngleich nicht ausschließlich in Art und Umfang seiner bisherigen Tätigkeit - noch in der Lage ist bzw. welche Arbeiten er nicht mehr verrichten kann (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. April 2000, Zl. 99/11/0381). Das hat die belangte Behörde nicht hinreichend ermittelt.
Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung insbesondere auch auf das Gutachten von Prim. Dr. P. Aus welchen Überlegungen die belangte Behörde auf die Erwägungen des Sachverständigen Prim. Dr. P., wonach noch weitere Gutachten, insbesondere auch aus dem Fachbereich der Neurologie, erforderlich erscheinen, nicht eingegangen ist, ist nicht ersichtlich. Die belangte Behörde stellt selbst im angefochtenen Bescheid das Vorbringen des Beschwerdeführers in seinem Rechtsmittel gegen die erstinstanzliche Entscheidung dar, wonach er (unter anderem) unter Schlafstörungen bzw. Unterbrechungen der Nachtruhe und daraus folgend Tagesmüdigkeit und Konzentrationsmängeln leide. Auch in dem vom Beschwerdeführer anlässlich seines Antrages vorgelegten Befund des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie Dr. P., ist von diesen Leidenszuständen und verminderter Belastbarkeit die Rede. Schon diese Ausführungen lassen nachvollziehbar erscheinen, dass der Sachverständige Prim. Dr. P. auch die Einholung eines neurologischen Fachgutachtens für erforderlich erachtete. Ganz abgesehen vom Vorgesagten hat sich die belangte Behörde auch mit dieser Problematik nicht auseinandergesetzt. Soweit die belangte Behörde - in der Gegenschrift - ins Treffen führt, dass ohnehin eine große Anzahl von Ärzten an der Entscheidung (erster Instanz) beteiligt gewesen sei, ist ihr zu entgegnen, dass aus der von ihr vorgelegten Aufstellung die Mitwirkung eines Neurologen nicht erkennbar ist. Im Übrigen hat die belangte Behörde nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens dem Beschwerdeführer das eingeholte weitere Gutachten nicht zur Stellungnahme vorgelegt und ihm kein Parteiengehör eingeräumt. Sollte die belangte Behörde zu dem Ergebnis gelangt sein, es seien keine weiteren Gutachten erforderlich, hätte sie dies zumindest begründen müssen, weil sie sich damit im Widerspruch zum Gutachten von Prim. Dr. P. befindet.
Der angefochtene Bescheid war somit wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 24. April 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteSachverständiger Erfordernis der Beiziehung ArztAnforderung an ein GutachtenSachverhalt Sachverhaltsfeststellung Beweismittel SachverständigenbeweisEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005110103.X00Im RIS seit
17.05.2007Zuletzt aktualisiert am
21.04.2017