TE Vfgh Beschluss 2002/10/9 G264/02

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Veröffentlicht am 09.10.2002
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art89
B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
B-VG Art129a Abs3
FremdenG 1997 §74

Leitsatz

Zurückweisung des Antrags eines Unabhängigen Verwaltungssenates auf Aufhebung einer Vorschrift des FremdenG 1997 betreffend die Möglichkeit einer Amtsbeschwerde einer Sicherheitsdirektion gegen Entscheidungen des UVS an den Verwaltungsgerichtshof mangels Präjudizialität der Bestimmung bei Erlassung eines Ersatzbescheides nach aufhebendem Erkenntnis des VwGH

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (UVS) sind drei auf §72 Abs1 Fremdengesetz 1997 (im Folgenden: FrG 1997) gestützte Schubhaftbeschwerden anhängig. Mit Bescheid vom 23. Juli 1999 gab der UVS diesen Beschwerden insoweit statt, als festgestellt wurde, dass die niederschriftliche Inkenntnissetzung von der Schubhaftverlängerung jeweils nicht unverzüglich erfolgt sei und wies sie im Übrigen als unbegründet ab. Aufgrund der gegen diesen Bescheid von der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich gemäß §74 FrG 1997 erhobenen Amtsbeschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 17. Mai 2002 den Bescheid insoweit, als damit den Schubhaftbeschwerden stattgegeben wurde, sowie hinsichtlich der zu ersetzenden Verfahrenskosten wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes auf, weil der UVS zur Feststellung einer Verletzung der sich aus §69 Abs5 FrG 1997 ergebenden Verständigungspflicht im Rahmen einer Schubhaftbeschwerde nicht ermächtigt sei.

Aus Anlass des fortgesetzten Verfahrens stellte der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich den vorliegenden, auf Art140 Abs1 iVm. Art129a Abs3 und Art89 B-VG gestützten Antrag, §74 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75/1997, als verfassungswidrig aufzuheben.

2. §74 FrG 1997 hat folgenden Wortlaut:

"Amtsbeschwerde

§74. Gegen Entscheidungen der unabhängigen Verwaltungssenate gemäß §73 kann die Sicherheitsdirektion jenes Landes, dessen unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit an den Verwaltungsgerichtshof erheben; dies kann sowohl zugunsten als auch zum Nachteil des betroffenen Fremden geschehen."

3. Zur Präjudizialität seines Antrags führt der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich im Wesentlichen aus:

"[...] Nach ständiger Judikatur des Verfassungsgerichtshofes sind bei von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren auch jene Bestimmungen, die der Verfassungsgerichtshof z.B. bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Beschwerde anzuwenden hätte, obgleich sie von der belangten Behörde weder angewendet wurden noch anzuwenden waren, präjudiziell (...). Dahinter steht offenkundig die Vorstellung, dass lediglich eine zulässige Beschwerde gemäß Art144 Abs1 B-VG zur Einleitung eines amtswegigen Gesetzesprüfungsverfahrens führen können soll.

[...] Nach §21 Abs1 VwGG ist u.a. auch die belangte Behörde - im gegenständlichen Fall: der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich - Partei des Beschwerdeverfahren gemäß Art131 Abs2 B-VG vor dem Verwaltungsgerichtshof.

Die aus §63 Abs1 VwGG resultierende Verpflichtung, unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Beschwerde gemäß Art131 B-VG stattgegeben hat, setzt offensichtlich in ähnlicher Weise denknotwendig voraus, dass die aufhebende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes - zieht man in diesem Zusammenhang zusätzlich den damit verbundenen Eingriff in die Rechtskraft (Rechtssicherheit) ins Kalkül: nur - auf Grund einer zulässigen (Amts-)Beschwerde ergangen ist (...).

[...] Besteht daher zusammengefasst die Verpflichtung zur Erlassung des Ersatzbescheides nur auf Grund eines im Gefolge einer zulässigen Beschwerde erlassenen aufhebenden Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes, dann sind aber jene Bestimmungen, die die Rechtsmittellegitimation beim Verwaltungsgerichtshof regeln, auch für die belangte Behörde im Verfahren gemäß §63 Abs1 VwGG präjudiziell.

Dies erscheint letztlich als eine logische Konsequenz der jeder Prozeßpartei ganz allgemein zustehenden Einrede der Unzulässigkeit eines Verfahrensantrages der Gegenpartei, insbesondere wenn sich deren Rechtsmittel eben auf eine verfassungswidrige Zulässigkeitsnorm stützt. Obläge hingegen die 'Anwendung' der Zulässigkeitbestimmungen des VwGG i.S.d. Art140 Abs1 B-VG allein dem Verwaltungsgerichtshof, dann könnte die Verfassungswidrigkeit einer sein Verfahren betreffenden Vorschrift ausschließlich von ihm, hingegen aber nie aber von einer Legalpartei selbst geltend gemacht werden."

II. Der Antrag ist nicht zulässig.

Der Verfassungsgerichtshof ist zwar nicht berechtigt, durch seine Präjudizialitätsentscheidung das antragstellende Gericht (den antragstellenden UVS) an eine bestimmte Rechtsauslegung zu binden, weil er damit indirekt der Entscheidung dieses Gerichtes (dieses UVS) in der Hauptsache vorgreifen würde. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs muss aber ein Antrag im Sinne des Art140 B-VG dann wegen mangelnder Präjudizialität zurückgewiesen werden, wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, dass die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden Gerichtes (des antragstellenden UVS) im Anlassfall bildet (zB VfSlg. 9811/1983, 10.296/1984, 12.189/1989, 14.551/1996).

Im vorliegenden Fall erachtet es der Verfassungsgerichtshof im Sinne seiner zitierten Judikatur als denkunmöglich, dass der antragstellende UVS im Rahmen seiner (neuerlichen) konkreten Sachentscheidung (gemäß §63 Abs1 VwGG in Bindung an die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs) über die Schubhaftbeschwerden die Bestimmung über die Erhebung einer Amtsbeschwerde (§74 FrG 1997) selbst anzuwenden hätte:

Die vom unabhängigen Verwaltungssenat vertretene Auffassung, dass bei Erlassung des (Ersatz-)Bescheids auch jene Bestimmung anzuwenden sei, die die Rechtsmittellegitimation beim Verwaltungsgerichtshof normiert, vermag der Verfassungsgerichtshof nicht zu teilen. Die die Erhebung der Amtsbeschwerde an den Verwaltungsgerichtshof regelnde Vorschrift des §74 FrG 1997 ist denkmöglich nur im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof (von diesem selbst) anzuwenden, nicht aber auch in dem nach (teilweiser) Aufhebung des Bescheids zu führenden (fortgesetzten) Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat.

Dem antragstellenden unabhängigen Verwaltungssenat stand es im Übrigen frei, im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der von der Sicherheitsdirektion erhobenen Amtsbeschwerde Stellung zu nehmen bzw. beim Verwaltungsgerichtshof anzuregen, einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof auf Aufhebung der als verfassungswidrig erachteten Norm zu stellen. Hingegen kommt dem unabhängigen Verwaltungssenat eine Befugnis zur Anfechtung der in Rede stehenden Bestimmung nach Art140 B-VG nicht zu, weil diese Norm - wie oben erwähnt - in dem von ihm nach Bescheidaufhebung zu führenden Verfahren nicht anzuwenden ist.

Der Antrag ist daher zurückzuweisen.

III. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen.

Schlagworte

Bescheiderlassung, Fremdenrecht, Unabhängiger Verwaltungssenat, VfGH / Präjudizialität, Ersatzbescheid, Amtspartei, Legitimation

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G264.2002

Dokumentnummer

JFT_09978991_02G00264_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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