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E000 EU- Recht allgemein;Norm
31997Y121601 Maßnahmen Bekämpfung Scheinehen;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Mag. Dr. Karner & Mag. Dr. Mayer, Rechtsanwaltspartnerschaft in 8010 Graz, Steyrergasse 103/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 13. Februar 2007, Zl. 2 F 398-2005, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
Der 1972 geborene Beschwerdeführer, ein mazedonischer Staatsangehöriger, ist - den in der Beschwerde insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid zufolge - erstmals 1996 nach Österreich eingereist. Wegen seines unrechtmäßigen Aufenthaltes wurde der Beschwerdeführer ausgewiesen und am 14. November 1996 auf dem Luftweg nach Skopje abgeschoben. Im Hinblick auf einen neuerlichen illegalen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich wurde gegen ihn am 2. Juni 1997 ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot erlassen, in dessen Vollziehung er drei Tage später nach Mazedonien abgeschoben wurde.
Am 3. August 2004 heiratete der Beschwerdeführer vor dem Standesamt Graz - damals im Besitz eines bis 5. August 2004 befristeten deutschen Aufenthaltstitels - die österreichische Staatsangehörige H.Z., geboren 1955. Im Hinblick darauf wurde dem Beschwerdeführer am 6. Dezember 2004 eine mit einem Jahr befristete Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "begünstigter Drittstaatsangehöriger - Österreich" erteilt.
Am 16. Dezember 2004 erschien die Ehefrau des Beschwerdeführers unaufgefordert bei der Bundespolizeidirektion Graz und gab niederschriftlich an, dass sie mit dem Beschwerdeführer eine "Scheinehe" eingegangen sei, die nur den Zweck gehabt habe, für ihn eine Niederlassungsbewilligung und einen freien Zugang zum österreichischen Arbeitsmarkt zu erlangen, wobei sie in ihrer Aussage die näheren Umstände der Anbahnung der Eheschließung und den Erhalt eines Entgelts von insgesamt EUR 3.000,-- schilderte. Sie legte auch dar, dass sie und der Beschwerdeführer - ungeachtet der Meldung des Beschwerdeführers an ihrer Wohnadresse - nie zusammengewohnt hätten. Eine eheliche Gemeinschaft "im herkömmlichen Sinn" habe nie bestanden und sei von beiden auch nie beabsichtigt gewesen.
Nach Vernehmung des Beschwerdeführers, der die Angaben seiner Ehefrau bestritt, erließ die Bundespolizeidirektion Graz mit Bescheid vom 7. Juni 2005 gegen den Beschwerdeführer gemäß § 48 Abs. 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 (FrG) ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren.
Die dagegen erhobene Berufung wies die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark (die belangte Behörde) - nach Durchführung eines ergänzenden Ermittlungsverfahrens durch neuerliche Befragung des Beschwerdeführers und seiner Ehefrau sowie durch Vernehmung von deren Sohn und eines weiteren Zeugen - mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid vom 13. Februar 2007 mit der Maßgabe ab, dass das Aufenthaltsverbot auf die §§ 87, 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 Z 1 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG) gestützt werde.
Die belangte Behörde ging - aufgrund ausführlicher beweiswürdigender Überlegungen, die sich vor allem auch mit der relativierenden Aussage der Ehefrau des Beschwerdeführers im Rahmen des Berufungsverfahrens auseinander setzten - davon aus, dass der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsangehörige geheiratet und sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung bzw. eines Niederlassungsnachweises auf die Ehe berufen habe, ohne mit seiner Ehefrau ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK geführt zu haben. Dadurch sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG erfüllt, der für die Prognosebeurteilung bei einem Aufenthaltsverbot gegen einen Familienangehörigen eines (nicht freizügigkeitsberechtigten) Österreichers nach § 86 Abs. 1 iVm § 87 FPG als Orientierungsmaßstab heranzuziehen sei. In der weiteren Begründung legte die belangte Behörde dar, dass das Verhalten des Beschwerdeführers die Annahme rechtfertige, sein Aufenthalt im Bundesgebiet gefährde die öffentliche Ordnung, zumal seit der rechtsmissbräuchlichen Eheschließung erst etwa zweieinhalb Jahre vergangen seien. Der Beschwerdeführer sei zwar "formell noch" verheiratet, sonst verfüge er in Österreich über keine familiären Bindungen. Er gehe einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nach. Der deshalb mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers sei jedoch dadurch relativiert, dass sowohl sein (rechtmäßiger) Aufenthalt als auch seine (legale) Beschäftigung nur auf das Eingehen einer Aufenthaltsehe zurückzuführen seien. Das Aufenthaltsverbot sei daher im öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen im Sinne des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten und bei Abwägung der gegenläufigen Interessen nach § 66 Abs. 2 FPG würden die nachteiligen Folgen einer Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer wiegen als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Es lägen schließlich auch keine besonderen Umstände vor, die für eine Ermessensübung zu seinen Gunsten sprechen würden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde erwogen:
Nach der Übergangsbestimmung des § 125 Abs. 1 FPG sind Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung, die bei In-Kraft-Treten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach dessen Bestimmungen weiterzuführen. Dem entsprechend hat die belangte Behörde im vorliegenden Fall zutreffend die Bestimmungen des FPG angewendet.
Der Beschwerdeführer ist als Ehemann Familienangehöriger (§ 2 Abs. 4 Z 12 FPG) einer Österreicherin. Gemäß § 87 zweiter Satz FPG gelten für diese Personengruppe die Bestimmungen für begünstigte Drittstaatsangehörige nach den §§ 85 Abs. 2 und 86 FPG. Diese Bestimmungen sind auch dann auf Angehörige von Österreichern anzuwenden, wenn Letztere ihr (gemeinschaftsrechtlich begründetes) Freizügigkeitsrecht nicht in Anspruch genommen haben, weshalb insoweit in der Beschwerde vorgetragene verfassungsrechtliche Bedenken nicht nachvollziehbar sind und der Anregung auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens hinsichtlich "der §§ 85, 86 und 87 FPG" nicht näher zu treten war.
Der im vorliegenden Zusammenhang maßgebliche § 86 Abs. 1 FPG lautet (auszugsweise) samt Überschrift:
"Sonderbestimmungen für den Entzug der Aufenthaltsberechtigung und für verfahrensfreie Maßnahmen
§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig."
Bei der Beurteilung, ob die dargestellten Voraussetzungen der zitierten Bestimmung gegeben sind, kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden. Gemäß § 60 Abs. 2 Z 9 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder eine Ehe geschlossen, sich für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung oder eines Befreiungsscheines auf die Ehe berufen, aber mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK nie geführt hat. Für die Erfüllung des zitierten Tatbestandes kommt es darauf an, dass eine Scheinehe bzw. Aufenthaltsehe missbräuchlich zur Erlangung von sonst nicht zustehenden Berechtigungen eingegangen wurde. So führen auch die Erläuterungen zur Regierungsvorlage des FPG (952 BlgNR 22. GP 99) aus, dass dieses Aufenthaltsverbot Fremde betrifft, "die eine Ehe nur deshalb abgeschlossen haben, um sich für die Erteilung eines Aufenthaltstitels auf diese zu berufen, ohne ein Eheleben zu führen" (vgl. zum Ganzen das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2006/21/0391).
Die Beschwerde tritt der Beweiswürdigung der belangten Behörde und den darauf gegründeten Feststellungen zum rechtsmissbräuchlichen Abschluss einer Aufenthaltsehe nicht entgegen. Sie bezweifelt auch nicht die zutreffende Annahme, dass der - als Orientierungsmaßstab maßgebliche - Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 9 FPG vorliegend verwirklicht wurde. Sie bestreitet jedoch, dass die darauf gegründete Prognose im Sinne des § 86 Abs. 1 FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) gerechtfertigt sei, und verweist in diesem Zusammenhang auch darauf, dass seit Eingehen der Ehe fast drei Jahre vergangen seien, sich der Beschwerdeführer in diesem Zeitraum legal im Bundesgebiet aufgehalten habe und strafgerichtlich unbescholten sei.
Der letztangeführte Einwand geht ins Leere, weil eine strafrechtliche Unauffälligkeit die vom Beschwerdeführer begangene Verletzung des als hoch zu bewertenden öffentlichen Interesses an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften nicht zu mindern vermag. Gleiches gilt für den seit der Eheschließung verstrichenen Zeitraum (vgl. dazu zuletzt das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2005/21/0386, mit weiteren Nachweisen). Aber auch die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts kann nicht zugunsten des Beschwerdeführers veranschlagt werden, beruhte die Erteilung der Niederlassungsbewilligung doch gerade auf der (missbilligten) Berufung auf die Scheinehe. Das Eingehen einer Scheinehe (Aufenthaltsehe) zur Umgehung der für Drittstaatsangehörige geltenden Einreise- und Aufenthaltsbestimmungen stellt - vor dem Hintergrund der Entschließung des Rates vom 4. Dezember 1997 über Maßnahmen zur Bekämpfung von Scheinehen (Abl. C 382) und Art. 35 der Richtlinie 2004/38/EG (Abl. L 158 idF der Berichtigung Abl. L 229) - auch nach gemeinschaftsrechtlichen Maßstäben ein besonders verpöntes Fehlverhalten dar (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0495). Angesichts dessen kann die Auffassung der belangten Behörde, die Tatbestandsvoraussetzungen des § 86 Abs. 1 FPG seien im vorliegenden Fall erfüllt, nicht als rechtswidrig angesehen werden.
Schließlich bestehen aber auch keine Bedenken gegen das - in der Beschwerde nicht bekämpfte - Ergebnis der Interessenabwägung nach § 66 Abs. 1 und 2 FPG. Auch unter dem Gesichtspunkt der Ermessensübung wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in der Beschwerde nicht aufgezeigt.
Im Mittelpunkt der Beschwerde steht vielmehr der Einwand, die Zuständigkeitsregelung im § 9 Abs. 1 FPG in Verbindung mit § 2 Abs. 4 Z 11 FPG sei unter Gleichheitsgesichtspunkten verfassungswidrig. Der Beschwerdeführer, der Ehemann einer Österreicherin sei, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen habe, sei von diesen Bestimmungen nicht erfasst und im Berufungsverfahren über das gegen ihn erlassene Aufenthaltsverbot - anders als bei Angehörigen von Österreichern, die ihr Recht auf Freizügigkeit in Anspruch genommen haben - sei kein "Tribunal", sondern eine weisungsgebundene Verwaltungsbehörde zuständig. Das widerspreche im Übrigen auch - so macht die Beschwerde unter Bezugnahme auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 2. Juni 2005, RS C-136/03 (Dörr/Ünal), sowie auf Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 64/221/EWG und auf Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38/EG geltend - "EU-Sekundärrecht".
Dem letztgenannten Einwand ist zu erwidern, dass sich der Beschwerdeführer als Drittstaatsangehöriger nicht unmittelbar auf das Gemeinschaftsrecht berufen kann. Soweit die verfassungsrechtliche Gleichbehandlung von Familienangehörigen von EWR-Bürgern mit Angehörigen von Österreichern geboten ist und in diesem Zusammenhang in der Beschwerde damit argumentiert wird, die Unterscheidung nach dem Kriterium der Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechtes stelle keine sachliche Rechtfertigung dar, ist der Beschwerdeführer - im Zusammenhang mit der hier zu beurteilenden Zuständigkeitsfrage - einerseits auf den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 u.a., und andererseits auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0119, zu verweisen. Am Maßstab dieser Entscheidungen und der dort vorgenommenen Auslegung der Verfassungsbestimmung des § 9 Abs. 1 FPG hat die belangte Behörde ihre Zuständigkeit als Berufungsbehörde zutreffend in Anspruch genommen, zumal der Beschwerdeführer selbst zugesteht, dass seine Ehefrau ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch genommen hat (vgl. in diesem Sinne etwa das schon zitierte Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0495, mit weiteren Nachweisen).
Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 24. April 2007
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2007210106.X00Im RIS seit
30.05.2007Zuletzt aktualisiert am
19.04.2011