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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FSG 1997 §26 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde des G in K, vertreten durch Dr. Johann Postlmayr, Rechtsanwalt in 5230 Mattighofen, Stadtplatz 6, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg vom 11. Dezember 2003, Zl. UVS-34/10194/5-2003, betreffend Entziehung der Lenkberechtigung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde die Lenkberechtigung des Beschwerdeführers für die Klasse B gemäß § 26 Abs. 2 des Führerscheingesetzes (FSG) für die Dauer von zehn Monaten, gerechnet ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines am 3. August 2003, entzogen. Außerdem wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 32 Abs. 1 Z. 1 FSG das Lenken von vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen beginnend ab 21. August 2003 (Zustellung des Mandatsbescheides) bis einschließlich "3. Juni 2003" (gemeint: 3. Juni 2004) verboten.
In der Begründung verwies die belangte Behörde zunächst darauf, dass die übrigen Spruchteile des Vorstellungsbescheides der Bezirkshauptmannschaft Salzburg-Umgebung vom 10. Oktober 2003 (betreffend u.a. Anordnungen gemäß § 24 Abs. 3 FSG) durch die Berufung nicht bekämpft worden seien. Nach Darstellung des Verfahrensgeschehens und Wiedergabe der Rechtsvorschriften, insbesondere des § 26 Abs. 2 FSG, stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer habe am 3. August 2003 gegen 1.00 Uhr im Bereich des Fischerhafens am Wallersee ein Kraftfahrzeug gelenkt, obwohl der Alkoholgehalt seiner Atemluft zu diesem Zeitpunkt, wie eine Berechnung ergeben habe, unstrittig 1,1 mg/l (bzw. der Blutalkoholgehalt 2,2 Promille) betragen habe. Der Beschwerdeführer sei am Morgen des genannten Tages von Straßenaufsichtsorganen auf einem Parkplatz in seinem Kraftfahrzeug schlafend angetroffen worden und sein Führerschein sei nach Überprüfung der Atemluft auf den Alkoholgehalt gemäß § 39 Abs. 1 FSG vorläufig abgenommen worden. Der Beschwerdeführer habe eine Verwaltungsübertretung des § 99 Abs. 1 lit. a StVO begangen, die gemäß § 26 Abs. 2 FSG zu einer Entziehung der Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten führen müsse. Die Mindestentziehungsdauer könne überschritten werden, wenn Umstände vorlägen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung eine längere Entziehungsdauer erforderlich machten. Ein solcher Umstand liege zunächst im festgestellten hohen Alkoholisierungsgrad, der den für die Erfüllung des Tatbestandes des § 99 Abs. 1 lit. a StVO maßgeblichen Wert weit überschreite. Außerdem habe der Beschwerdeführer einen Verkehrsunfall mit Sachschaden verschuldet, da er mit dem von ihm gelenkten Kraftfahrzeug gegen den Gehsteigrand geprallt sei und die beiden rechten Reifen seines Kraftfahrzeuges beschädigt habe. Der Beschwerdeführer habe in der Berufung sein Verschulden an diesem Unfall bestritten und ausgeführt, er habe einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen müssen. Die Berufungsverhandlung habe allerdings keine Anhaltspunkte ergeben, dass der Beschwerdeführer durch ein rechtswidriges Fehlverhalten eines anderen Kraftfahrzeuglenkers zu einem Ausweichmanöver gezwungen worden sei. Vielmehr wäre es am Beschwerdeführer gelegen gewesen, bei auftretendem Gegenverkehr an der Unfallörtlichkeit im Hinblick auf die dort geringe Fahrbahnbreite sein Fahrzeug anzuhalten und erforderlichenfalls bis zu einer geeigneten Straßenstelle zurückzuschieben. Nach Ansicht der belangten Behörde habe der Beschwerdeführer daher die Beschädigung an seinem Kraftfahrzeug schuldhaft herbeigeführt. Im Rahmen der Wertung gemäß § 7 Abs. 4 FSG komme es nicht darauf an, ob dieser Verkehrsunfall zu einem "Fremdschaden" geführt habe. Ebenso wenig komme es auf den Zustand und damit den Wert der Reifen vor dem Zeitpunkt des Verkehrsunfalls an.
Schließlich sei im Rahmen der Wertung gemäß § 7 Abs. 4 FSG unter dem Gesichtspunkt der Gefährlichkeit der Verhältnisse zu berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer das Kraftfahrzeug bis zum Ort der Betretung auf einer Strecke von rund 2,5 km gelenkt habe, obwohl der Reifenschaden einen schweren Mangel dargestellt habe. In der Verhandlung habe der Beschwerdeführer nämlich eingeräumt, dass beide Reifen beim Aufprall am Randstein "aufgerissen" worden seien. Im Hinblick auf diese Wertungskriterien könne auch unter Bedachtnahme auf die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers nicht vor Ablauf einer Entziehungsdauer von zehn Monaten von der Wiedererlangung der Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers ausgegangen werden.
Zum Lenkverbot ergänzte die belangte Behörde, dass der diesbezügliche Spruch gegenüber dem Erstbescheid insoweit zu korrigieren gewesen sei, als ein Lenkverbot nicht bereits ab der vorläufigen Abnahme des Führerscheines, sondern erst ab der Zustellung des Mandatsbescheides, mit dem das Lenkverbot erstmals angeordnet wurde, zulässig sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid zur Gänze und wendet sich zusammengefasst gegen die angenommene Dauer seiner Verkehrsunzuverlässigkeit. In der Berufung habe er das Vorliegen einer bestimmten Tatsache im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 1 FSG ebenso zugestanden wie den Schaden am eigenen Kraftfahrzeug. Die belangte Behörde sei aber unzutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass der Beschwerdeführer den Verkehrsunfall nicht bloß verursacht, sondern auch verschuldet habe. In Wahrheit habe er einem entgegenkommenden Fahrzeug ausweichen müssen und dabei wegen der geringen Fahrbahnbreite mit den Rädern seines Kraftfahrzeuges den Randstein gestreift. Auch der Umstand, dass es dabei lediglich zu einem Schaden am eigenen Kraftfahrzeug gekommen sei, hätte bei der Wertung gemäß § 7 Abs. 4 FSG berücksichtigt werden müssen. Überdies führe die belangte Behörde bei der Bemessung der Entziehungsdauer zu Unrecht ins Treffen, dass der Beschwerdeführer ein Kraftfahrzeug mit einem schweren Mangel über eine Strecke von 2,5 km gelenkt habe. Er habe nämlich ausgeführt, dass die Luft aus den Reifen nicht sofort, sondern erst allmählich entwichen sei. Als er durch die "Schwergängigkeit" der Lenkung auf das Problem der defekten Reifen aufmerksam geworden sei, habe er das Kraftfahrzeug auf dem Parkplatz abgestellt und sei dann im Kraftfahrzeug eingeschlafen. Unter Einbeziehung seiner Unbescholtenheit sei eine Entziehung der Lenkberechtigung bzw. ein Lenkverbot von mehr als sechs Monaten nicht gerechtfertigt.
Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen des Führerscheingesetzes lauten:
"Verkehrszuverlässigkeit
§ 7. (1) Als verkehrszuverlässig gilt eine Person, wenn nicht auf Grund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs. 3) und ihrer Wertung (Abs. 4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen
1. die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird, oder
2. ...
(3) Als bestimmte Tatsache im Sinn des Abs. 1 hat insbesondere zu gelten, wenn jemand:
1. ein Kraftfahrzeug gelenkt oder in Betrieb genommen und hiebei eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 bis 1b StVO 1960 begangen hat, auch wenn die Tat nach § 83 Sicherheitspolizeigesetz - SPG, BGBl. Nr. 566/1991, zu beurteilen ist;
2.
...
3.
als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat; als Verhalten, das geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, gelten insbesondere erhebliche Überschreitungen der jeweils zulässigen Höchstgeschwindigkeit vor Schulen, Kindergärten und vergleichbaren Einrichtungen sowie auf Schutzwegen oder Radfahrerüberfahrten, das Übertreten von Überholverboten bei besonders schlechten oder bei weitem nicht ausreichenden Sichtverhältnissen oder das Fahren gegen die Fahrtrichtung auf Autobahnen;
...
(4) Für die Wertung der in Abs. 3 beispielsweise angeführten Tatsachen sind deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.
Sonderfälle der Entziehung
§ 26. (1) ...
(2) Wird beim Lenken oder Inbetriebnehmen eines Kraftfahrzeuges erstmalig eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 StVO 1960 begangen, so ist die Lenkberechtigung für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen.
...
Verbot des Lenkens von Motorfahrrädern, vierrädrigen Leichtkraftfahrzeugen oder Invalidenkraftfahrzeugen
§ 32. (1) Personen, die nicht im Sinne des § 7 verkehrszuverlässig oder nicht gesundheitlich geeignet sind, ein Motorfahrrad, ein vierrädriges Leichtkraftfahrzeug oder ein Invalidenkraftfahrzeug zu lenken, hat die Behörde unter Anwendung der §§ 24 Abs. 3 und 4, 25, 26, 29 entsprechend den Erfordernissen der Verkehrssicherheit das Lenken eines derartigen Kraftfahrzeuges
1.
ausdrücklich zu verbieten,
2.
..."
Im Beschwerdefall ist unstrittig, dass der Beschwerdeführer eine Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 begangen hat und dass seine Lenkberechtigung daher gemäß § 26 Abs. 2 FSG für die Dauer von mindestens vier Monaten zu entziehen war. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes steht § 26 Abs. 2 FSG der Festsetzung einer längeren als der in dieser Gesetzesbestimmung genannten Mindestentziehungsdauer nicht entgegen, wenn Umstände vorliegen, die auf Grund der Verwerflichkeit und Gefährlichkeit der strafbaren Handlung die Prognose der Verkehrsunzuverlässigkeit für einen darüber hinausreichenden Zeitraum rechtfertigen und somit die Festsetzung einer längeren Entziehungsdauer erforderlich machen (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 30. Mai 2001, Zl. 2001/11/0138, und vom 28. Oktober 2003, Zl. 2003/11/0144, mwN). Ein solcher Umstand liegt nach den beiden zitierten Erkenntnissen etwa dann vor, wenn der für die Erfüllung des Tatbestandes des § 99 Abs. 1 lit. a StVO 1960 maßgebliche Wert des Blutalkoholgehaltes von 1,6 Promille (bzw. des Atemluftalkoholgehaltes von 0,8 mg/l) weit überschritten wird. Dies war gegenständlich der Fall, weil, wie erwähnt, der Blutalkoholgehalt des Beschwerdeführers (rückgerechnet) 2,2 Promille betrug. Bei vergleichbar hohen Blutalkoholwerten wie diesem hat der Verwaltungsgerichtshof in den beiden zitierten Erkenntnissen eine Dauer der Entziehung der Lenkberechtigung von fünf bzw. sechs Monaten bestätigt.
Im Beschwerdefall ist daher zu klären, ob auch die weiteren von der belangten Behörde gegen die Verkehrszuverlässigkeit des Beschwerdeführers ins Treffen geführten Umstände vorliegen.
Was dabei die Gefährlichkeit der 2,5 km langen Fahrt des Beschwerdeführers mit "aufgerissenen" Reifen betrifft, so zeigt sich, dass diese Sachverhaltsannahme mit der Aktenlage nicht in Einklang zu bringen ist. Der Beschwerdeführer hat nämlich, anders als die belangte Behörde festgestellt hat, in der Verhandlung nicht erklärt, dass die Reifen beim Aufprall an der Gehsteigkante "aufgerissen" seien, sondern dass aus den Reifen, nachdem diese den Randstein gestreift und ein Loch gehabt hätten, "in weiterer Folge allmählich" die Luft entwichen sei. Er habe daher, als die Lenkung schwerer zu betätigen gewesen sei, das Kraftfahrzeug auf einem Parkplatz abgestellt. Dass die belangte Behörde diese Darstellung durch von ihr aufgenommene Beweise widerlegt hätte, ist nicht ersichtlich. Besonders gefährliche Verhältnisse (im Sinne des § 7 Abs. 3 Z. 3 FSG) sind in diesem vom Beschwerdeführer geschilderten Verhalten entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht zu erkennen. Schon deshalb erweisen sich sowohl die Entziehung der Lenkberechtigung für mehr als das Doppelte der gesetzlichen Mindestentziehungsdauer als auch die (auf derselben Wertung beruhende) Dauer des Lenkverbotes bei Berücksichtigung der Unbescholtenheit des Beschwerdeführers mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet.
Was im Übrigen den von der belangten Behörde ins Treffen geführten Verkehrsunfall betrifft, so könnte dieser von vornherein nur dann relevant sein, wenn den Beschwerdeführer ein Verschulden an diesem Unfall getroffen hätte (vgl. zur Zulässigkeit der Überschreitung der in § 26 Abs. 2 FSG festgesetzten Mindestentziehungsdauer im Falle eines verschuldeten Verkehrsunfalls etwa das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 2005, Zl. 2003/11/0170). Der Beschwerdeführer hat aber sein Verschulden am Verkehrsunfall im Verwaltungsverfahren bestritten, sodass die belangte Behörde ein solches nur auf der Grundlage schlüssiger Feststellungen zum Unfallhergang, die im angefochtenen Bescheid aber fehlen, hätte bejahen dürfen.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid daher wegen der vom Verwaltungsgerichtshof vorrangig wahrzunehmenden inhaltlichen Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 24. April 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2004110001.X00Im RIS seit
29.05.2007