Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über die Beschwerde der Dr. C in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 7. Juli 2006, Zl. LGSW/Abt.3-AlV/05661/2006-9226, betreffend Behebung eines Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde erster Instanz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 16. Mai 2006 wurde festgestellt, dass der Beschwerdeführerin Notstandshilfe gemäß § 38 iVm § 17 Abs. 1 und gemäß § 58 iVm den §§ 44 und 46 AlVG ab dem 7. April 2006 gebührt. Begründend wurde ausgeführt, die Beschwerdeführerin habe ab 16. Jänner 2006 den Kurs "Kompetenzen sichtbar machen für Frauen" nicht mehr besucht und sich erst am 7. April 2006 wieder bei der regionalen Geschäftsstelle persönlich gemeldet. Demnach gebühre ihr vom 16. Jänner 2006 bis 6. April 2006 keine Leistung.
Auf Grund der dagegen erhobenen Berufung der Beschwerdeführerin behob die belangte Behörde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG den Bescheid vom 16. Mai 2006 und wies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurück. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:
"Aufgrund Ihrer Antragstellung mit 9.4.2005 wurde Ihnen die Notstandshilfe - zunächst als Bevorschussung einer Leistung aus der Pensionsversicherung - grundsätzlich bis 7.4.2006 zuerkannt. Aufgrund der Beendigung des Pensionsverfahrens erklärten Sie sich am 15.11.2005 für arbeitsfähig und es wurde ein Betreuungsplan erstellt. Laut Betreuungsplan war als nächster Vorsprachetermin beim Arbeitsmarktservice der 19.1.2006 vorgeschrieben. Am 15.12.2005 wurde Ihnen ein Einladungsschreiben zur Schulungsmaßnahme 'Kompetenzen sichtbar machen für Frauen' bei Venetia zugesendet, Beginn der Maßnahme wäre der 16.1.2006 gewesen. Da Sie den Termin am 16.1.2006 nicht wahrgenommen haben, wurde die Notstandshilfe ab diesem Tag eingestellt. Ihre nächste persönliche Vorsprache beim Arbeitsmarktservice erfolgte am 7.4.2006, an diesem Tag stellten Sie neuerlich einen Antrag auf Notstandshilfe. Die Leistung wurde ab diesem Tag wieder angewiesen.
Nach der Aktenlage findet sich kein Hinweis darauf, dass Sie vor der Zuweisung zur Maßnahme nachweislich darüber informiert wurden, welche Kenntnisse und Fähigkeiten für Ihre Vermittlung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes nicht ausreichend seien und durch den Besuch der Maßnahme erlangt werden sollen. Weiters wurden Sie nach den übermittelten Unterlagen nicht nachweislich über die Rechtsfolgen bei Nichtteilnahme informiert. Es ist auch nicht nachvollziehbar, ob der Termin des Beginns der Maßnahme am 16.1.2006 zugleich eine Kontrollmeldung war. Eine mit Ihnen zur Klärung des Sachverhalts aufgenommene Niederschrift findet sich nicht im Akt. Es ist daher festzustellen, aus welchem Rechtsgrund eine Einstellung der Leistung ab dem 16.1.2006 bis zum 6.4.2006 erfolgte, wodurch ein Anspruch erst wieder ab dem 7.4.2006 bestand."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der Unzuständigkeit der belangten Behörde, Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden mit dem Antrag, den Bescheid kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig als unbegründet abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Es trifft zu, dass die Behörde erster Instanz dadurch, dass sie Notstandshilfe erst ab 7. April 2006 zuerkannt hat, eine negative Entscheidung über die Zuerkennung von Notstandshilfe in dem davor liegenden Zeitraum getroffen hat, wie sich insbesondere auch aus der Begründung des erstinstanzlichen Bescheides ergibt (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. März 2003, Zl. 98/08/0145 u. a.).
Im Hinblick auf die weiteren Darlegungen der belangten Behörde in der Bescheidbegründung ist zunächst darauf hinzuweisen, dass von einer ungerechtfertigten Weigerung des Arbeitslosen, an Maßnahmen zur Schulung, Umschulung oder Wiedereingliederung teilzunehmen, nur dann gesprochen werden kann, wenn sich die Zuweisung auf eine zulässige Maßnahme bezieht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 2000, Zl. 99/08/0027) und die Weigerung in objektiver Kenntnis des Inhaltes, der Zumutbarkeit und der Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme erfolgt. Dazu muss die Behörde die Voraussetzungen für eine solche Zuweisung in tatsächlicher Hinsicht ermittelt und das Ergebnis ihres Ermittlungsverfahrens dem Arbeitslosen - unter Hinweis auf die Rechtsfolgen einer Weigerung - zur Kenntnis gebracht haben. Ein Arbeitsloser, dem Maßnahmen im Sinne des § 9 Abs. 1 AlVG ohne nähere Spezifikation und ohne Vorhalt jener Umstände zugewiesen werden, aus denen sich das Arbeitsmarktservice zur Zuweisung berechtigt erachtet, kann im Falle der Weigerung, einer solchen Zuweisung Folge zu leisten, nicht vom Bezug der Geldleistung aus der Arbeitslosenversicherung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG ausgeschlossen werden (vgl. z.B. zur Zuweisung zu einem "Renovierungsprojekt" ausschließlich unter dem Gesichtspunkt des "Arbeitstrainings" das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0215). Diesbezügliche Versäumnisse anlässlich der Zuweisung des Arbeitslosen zur Schulungsmaßnahme können im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden. Verweigert der Arbeitslose hingegen die Teilnahme an einer solchen Maßnahme in objektiver Kenntnis ihres Inhaltes sowie ihrer Zumutbarkeit und Erforderlichkeit, liegt eine ungerechtfertigte Weigerung vor, die den Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld nach sich zieht (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 21. April 2004, Zl. 2002/08/0262).
Die Zulässigkeit einer Zuweisung zu einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt setzt somit voraus, dass das Arbeitsmarktservice davor seiner Verpflichtung nachgekommen ist, dem Arbeitslosen die Gründe, aus denen das Arbeitsmarktservice eine solche Maßnahme für erforderlich erachtet, zu eröffnen, ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und den Arbeitslosen über die Rechtsfolgen einer Weigerung, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, zu belehren (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 96/08/0042).
Die Voraussetzungen für die Zuweisung zu einer Maßnahme der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt müssen aber nicht notwendigerweise im Bescheid über die Verhängung einer Sperrfrist genannt werden. Es ist ausreichend, wenn dem Arbeitslosen die objektive Notwendigkeit der in Rede stehenden Maßnahme anlässlich der Zuweisung zu derselben, das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens in Ansehung seiner fehlenden Kenntnisse und Fähigkeiten für die Vermittlung einer zumutbaren Beschäftigung nach Lage des in Betracht kommenden Arbeitsmarktes und die Erforderlichkeit gerade dieser Maßnahme zur Wiedereingliederung dargelegt werden und er auf die Rechtsfolgen einer Weigerung aktenkundig hingewiesen wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0035, mwN).
Was den von der belangten Behörde in ihrer Bescheidbegründung erwähnten Kontrolltermin gemäß § 49 AlVG betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Sanktion des § 9 iVm § 10 AlVG für ein Verhalten bei einem Termin ausscheidet, wenn dieser (auch) als Kontrolltermin vorgeschrieben worden ist. Die beiden Tatbestände sind scharf voneinander abzugrenzen, sodass die Nichteinhaltung eines Kontrolltermines im Sinne des § 49 AlVG nicht einem Verhalten im Sinne des § 10 AlVG gleichgestellt werden kann (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2006, Zl. 2005/08/0159).
§ 66 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 158/1998 lautet:
"§ 66. (1) Notwendige Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens hat die Berufungsbehörde durch eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde durchführen zu lassen oder selbst vorzunehmen.
(2) Ist der der Berufungsbehörde vorliegende Sachverhalt so mangelhaft, daß die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint, so kann die Berufungsbehörde den angefochtenen Bescheid beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an eine im Instanzenzug untergeordnete Behörde zurückverweisen.
(3) Die Berufungsbehörde kann jedoch die mündliche Verhandlung und unmittelbare Beweisaufnahme auch selbst durchführen, wenn hiemit eine Ersparnis an Zeit und Kosten verbunden ist.
(4) Außer dem in Abs. 2 erwähnten Fall hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern."
Ausgehend von den obigen Ausführungen ist nun Folgendes festzuhalten:
Eine Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG, die die belangte Behörde hier getroffen hat, setzt voraus, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint (vgl. dazu die bei Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze I, 2. Auflage, S. 1307 f unter E 355 ff wiedergegebene hg. Judikatur). Dabei ist es zwar gleichgültig, ob eine kontradiktorische Verhandlung oder nur eine Vernehmung erforderlich ist (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 1309 unter E 359 zitierte hg. Rechtsprechung). Voraussetzung ist aber, dass sich der Mangel des erstinstanzlichen Bescheides nicht anders als mit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung oder Vernehmung beheben lässt (vgl. die bei Walter/Thienel, a. a.O., S. 1309 unter E 361 zitierte hg. Rechtsprechung). Wegen bloßer Begründungsmängel oder einer Verletzung des Parteiengehörs ist die Zurückverweisung nicht zulässig (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 1311 f unter E 375 wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
In der Begründung eines Bescheides nach § 66 Abs. 2 AVG ist darzulegen, warum die Fortsetzung des Verfahrens nicht im Zuge des Berufungsverfahrens, sondern nur im Wege der Durchführung einer mündlichen Verhandlung durch die Behörde erster Instanz vorgenommen werden kann (vgl. die bei Walter/Thienel, a.a.O., S. 1313 f unter E 383 ff wiedergegebene hg. Rechtsprechung).
Diesbezüglich lässt der angefochtene Bescheid jegliche Ausführungen vermissen. Es ist auch weder aus der Aktenlage noch aus den sonstigen Darlegungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ersichtlich, weshalb eine mündliche Verhandlung im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG zur Klärung des Sachverhaltes erforderlich sein sollte. Die Voraussetzungen der §§ 9 und 10 AlVG für die Verhängung einer Sperrfrist, insbesondere ob die Beschwerdeführerin vor der Maßnahme entsprechende Belehrungen erhalten hat, müssen sich vielmehr grundsätzlich aus der Aktenlage ergeben (vgl. § 18 Abs. 2 AVG). Gleiches gilt für den Umstand, ob bzw. für welche Zeit ein Kontrolltermin nach § 49 AlVG vorgeschrieben worden ist und ob die Beschwerdeführerin diesem Termin Folge geleistet hat. Dass und weshalb die Aktenlage gerade bezüglich der genannten relevanten Punkte unvollständig sein und somit ein weiteres Ermittlungsverfahren im Sinne des § 66 Abs. 2 AVG notwendig sein sollte, wird in der Bescheidbegründung nicht erklärt. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass eine Rückverweisung nach § 66 Abs. 2 AVG jedenfalls nicht dazu dienen kann, "festzustellen, aus welchem Rechtsgrund eine Einstellung der Leistung" erfolgte, da es sich dabei um eine - im Berufungsfall von der belangten Behörde zu entscheidende - Rechtsfrage handelt.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Auf das weitere Beschwerdevorbringen muss daher nicht mehr eingegangen werden.
Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.
Der Kostenzuspruch beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 25. April 2007
Schlagworte
Sachverhalt SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006080328.X00Im RIS seit
24.05.2007Zuletzt aktualisiert am
31.07.2009