Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz S*****, vertreten durch Dr. Helmut Paul, Rechtsanwalt in Krems, gegen die beklagte Partei Verlassenschaft nach dem am 1. August 1997 verstorbenen Franz W*****, vertreten durch Dr. Othmar Slunsky und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 24.628,28 s. A., über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 24. März 2003, GZ 14 R 72/02i-91, womit das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 28. Dezember 2001, GZ 18 Cg 67/93t-87, abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird aufgehoben. Die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der Kläger kaufte beim inzwischen verstorbenen ehemals Beklagten (im folgenden kurz: Beklagter) am 7. 4. 1992 einen LKW um S 300.000. Am 27. 4. 1992 kam es zu einem Verkehrsunfall, weil der linke Vorderreifen des LKWs platzte. Der LKW geriet von der Fahrbahn ab und erlitt einen Totalschaden.
Der Kläger begehrte Schadenersatz in Höhe von S 338.892,50 (EUR 24.628,28). Er warf dem Beklagten vor, der LKW sei entgegen dessen Zusage links vorne nicht mit einem betriebssicheren Reifen ausgestattet gewesen, was zum Unfall geführt habe.
Der Beklagte bestritt insbesondere, dass der linke Vorderreifen sich bei der Übergabe in einem nicht betriebssicheren Zustand befunden hätte.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren im dritten Rechtsgang ab. Es traf dazu unter anderem folgende Feststellungen:
Der Kläger, ein Gartengestalter, beabsichtigte im Feber 1992 einen LKW für seinen Betrieb anzukaufen. Der Beklagte bot ein gebrauchtes Fahrzeug Marke Mercedes Benz 1638/48 Baujahr 1982 in mittelmäßigem Zustand an, zur Umgestaltung des Aufbaus verwendete er ein weiteres Gebrauchtfahrzeug. Vor dem Abschluss des Kaufvertrages wurden nach Gesprächen zwischen den Streitteilen über den Zustand der Bereifung des Fahrzeuges vier runderneuerte Zwillingsreifen auf der Hinterachse aufgezogen, weil die ursprünglichen in schadhaftem Zustand waren. Die Arbeiten führte ein Reifenunternehmen durch. Die beiden Reifen an der Vorderachse blieben bis zum Abschluss des Kaufvertrages auf dem Fahrzeug. Am 7. 4. 1992 wurde der Kaufvertrag geschlossen und eine Überprüfung des Fahrzeuges im Sinne des § 57 Abs 1 KFG beurkundet, die keine Beanstandung der Verkehrssicherheit oder Mängel an den Vorderreifen ergab. Der Kläger bestätigte im Kaufvertrag, den LKW genauest besichtigt und Probe gefahren zu haben; es wurde der Passus aufgenommen, dass der Verkäufer keinerlei Gewähr und Haftung für eine bestimmte Beschaffenheit oder Eignung des kaufgegenständlichen Fahrzeuges übernehme. Kurz nach Inbetriebnahme des Fahrzeuges berichtete ein Fahrer dem Kläger, dass er nach einer Woche Gebrauch Schwierigkeiten mit den Bremsen bekommen habe, welche "nicht richtig zogen". Das Fahrzeug wurde in der Folge zur Reparatur der Bremsen zum Beklagten gebracht, der die Beläge überprüfte und nachstellen ließ, worauf sich das Bremsverhalten besserte.
Am 27. 4. 1992 lenkte ein Angestellter des Klägers den mit etwa drei Tonnen beladenen LKW auf der B 3 von Wien in Richtung Krems. Kurz vor dem Straßenkilometer 89,0 explodierte der linke Vorderreifen, der Lenker verlor die Herrschaft über das Fahrzeug, das nach links querend über die Böschung auf tieferes Gelände abstürzte. Die beiden Vorderreifen des Fahrzeuges waren zum Zeitpunkt des Unfalls wegen der von außen erkennbaren Mängel (deutlich erkennbare Rissstellen an den Laufflächen für fachkundige Personen leicht erkennbar) und durch das nachgeschnittene Profil nicht verkehrs- und betriebssicher, wodurch es zum plötzlichen Druckverlust kam. Die damals montierten Räder waren "nachgeschnitten" und hatten die Dimension 13 R 22,5. Der geplatzte Reifen wies mehrere tiefreichende mechanische Beschädigungen auf, die bis in das Stahlgürtelpaket reichten, wodurch Feuchtigkeit und Luft eindringen und zu Rostnestern im Stahlgürtel und zur Beschädigung des Unterbaus führen konnten. Bei jeder Umdrehung des Reifens vergrößerten sich diese Stellen der Karkassenablösung, schließlich führte die Zentrifugalkraft zum Wegfliegen des zunehmend abgelösten Protektors und zum Platzen des Reifens. Durch die ungenügende Belagstärke der Bremsbeläge bei den vorderen Reifen befand sich das Fahrzeug bereits vor dem Verkehrsunfall in nicht verkehrs- und betriebssicherem Zustand. Die Feststellung, dass sich die selben Reifen bereits am 7. 4. 1992 auf dem gebrauchten LKW befanden, konnte vom Erstgericht nicht getroffen werden. Die dem Kläger entstandenen Schäden wurden mit insgesamt S 338,892,50 (EUR 24.628,28) festgestellt.
Rechtlich gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass zwar der Beklagte sich nach § 1298 ABGB freibeweisen müsste, der Gläubiger aber die Nichterfüllung und den durch sie verursachten Schaden zu beweisen hätte. Dem Kläger sei es nicht gelungen zu beweisen, dass der schadhafte Reifen bereits bei der Übergabe des Fahrzeuges am 7. 4. 1992 montiert gewesen sei und daher Kausalität vorliege. Eine Bindung an die Verurteilung des Gutachters wegen Amtsmissbrauchs durch Nichtuntersuchung des Kfz bestehe nicht.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil im klagsstattgebenden Sinne ab; nur ein Zinsenmehrbegehren wurde abgewiesen. Es sprach aus, dass die ordentliche Revision - mangels über den Einzelfall hinausreichender erheblicher Rechtsfragen - nicht zulässig sei und führte im Wesentlichen folgendes aus:
Wenngleich die Beweisrüge durchaus Bedenken gegen die erstgerichtlichen Feststellungen, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Vorderreifen bereits im Übergangszeitpunkt am LKW montiert waren, erwecken könnte und diese Feststellungen von der beklagten Partei nicht bekämpft würden, obwohl sich die klagende Partei ersichtlich auf sie beziehe, erweise sich eine Beweiswiederholung deshalb als nicht erforderlich, weil der Berufung bereits auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts Erfolg beschieden sein müsse.
Die Einschätzung der Beweislastverteilung durch das Erstgericht treffe nämlich nicht zu. Da es nicht festgestellt habe, dass die Reifen ausgetauscht worden seien, sei schon allein aufgrund des zumindest prinzipiell anerkannten Grundsatzes "negativa non sunt probanda" davon auszugehen, dass die selben Reifen bereits im Übergabszeitpunkt montiert gewesen seien. Es gebe keinen vernünftigen Anhaltspunkt dafür, dass das Gegenteil der Fall gewesen wäre. Die beklagte Partei habe sich mit der Negativfeststellung begnügt. Der Beweis, dass die Reifen nicht ausgetauscht worden seien, sei vom Kläger schlechthin nicht zu führen. Es sei daher davon auszugehen, dass nach Beweislastregeln der Nichtaustausch der Reifen zu unterstellen sei. Mit anderen Worten sei aus Gründen der Beweislastverteilung davon auszugehen, dass die die Ursache für den schadenstiftenden Verkehrsunfall bildenden Reifen bereits bei Übergabe des LKWs montiert gewesen seien. Damit sei es dem Kläger durchaus gelungen, die Kausalität und Rechtswidrigkeit des Verhaltens der beklagten Partei zu beweisen. Hätte der Beklagte keine derart verkehrsuntauglichen und gefährlichen Reifen geliefert, wäre der Verkehrsunfall unterblieben. Aus der Feststellung, dass die Verkehrsuntauglichkeit der Reifen vor Fahrtantritt für einen Fachmann leicht erkennbar gewesen sei, sei für ein allfälliges Mitverschulden des Klägers, der unbestritten kein solcher Fachmann sei, nichts gewonnen.
Ein Gewährleistungsverzicht sei als Aufgabe von Rechten im Zweifel restriktiv zu interpretieren. "Wie besichtigt und Probe gefahren" bedeute nur Verzicht auf Geltendmachung erkennbarer Mängel; die (schlüssige) Zusage bestimmter Eigenschaften überspiele einen allgemeinen Verzicht. Damit bestehe aber kein Anlass, von der grundsätzlich zu bejahenden Haftung der beklagten Partei wieder abzugehen.
Gegen diese Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.
Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision entweder zurückzuweisen oder ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht in der Frage der Beweislastverteilung die Rechtslage verkannt hat; sie ist im Sinne des im Abänderungsantrag enthaltenen Aufhebungsantrages auch berechtigt.
Die beklagte Partei macht im Wesentlichen geltend, dem Kläger sei der Beweis nicht gelungen, dass der LKW am 7. 4. 1992 mit mangelhaften, weil nachgeschnittenen Vorderreifen übergeben worden sei. Auf die bestehende "non liquet" - Situation sei zu Unrecht die Hilfsregel "negativa non sunt probanda" angewendet worden. Sache der beklagten Partei wäre es gewesen zu beweisen, dass die mangelhafte Bereifung am 7. 4. 1992 bereits vorhanden gewesen sei, nicht hingegen, dass die Reifen nach dem 7. 4. 1992 nicht ausgetauscht worden seien. Beweisthema sei nicht der Nichtaustausch durch den Kläger, sondern die Übergabe eines mangelhaft bereiften LKWs gewesen. Da der Kläger diese Beweislast nicht erfüllt habe, könne der Zusammenhang zum nachfolgenden Verkehrsunfall nicht hergestellt werden.
Rechtliche Beurteilung
Hiezu wurde erwogen:
Nach allgemeinen Regeln trägt jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtnorm (Rechberger in Rechberger2 vor § 266 ZPO Rz 11 mwN). Auch bei vertraglichen Schadenersatzansprüchen sind Schaden und Kausalzusammenhang vom Geschädigten zu beweisen (RIS-Justiz RS0022686; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 16/27 mwN). Die Schlechterfüllung (Lieferung eines LKWs mit mangelhaften Vorderreifen) und die Kausalität der Schlechterfüllung für den Unfall war daher vom Kläger zu beweisen (vgl Reischauer in Rummel2 § 1298 ABGB Rz 2). Dieser Beweis ist ihm nicht gelungen, weil nicht feststeht, dass sich die am Unfalltag montierten Vorderreifen schon bei Übergabe des LKWs an diesem befunden haben. Trotz umfangreicher Beweiswürdigung mit Abwägung aller pro- und contra-Argumente konnte das Erstgericht hier zu keinem Ergebnis gelangen. Diese "non liquet"-Situation wirkt sich zu Lasten des Klägers aus. Um den Beweis eines negativen Tatbestandsmerkmales geht es im vorliegenden Fall nicht, weshalb der Grundsatz "negativa non sunt probanda" (vgl hiezu Rechberger aaO Rz 11) hier - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - keine Bedeutung hat. Es bleibt also dabei, dass die Mangelhaftigkeit einer gekauften Sache und die Kausalität für einen allfälligen Mangelfolgeschaden vom Käufer zu beweisen ist.Nach allgemeinen Regeln trägt jede Partei die Beweislast für das Vorliegen aller tatsächlichen Voraussetzungen der ihr günstigen Rechtnorm (Rechberger in Rechberger2 vor § 266 ZPO Rz 11 mwN). Auch bei vertraglichen Schadenersatzansprüchen sind Schaden und Kausalzusammenhang vom Geschädigten zu beweisen (RIS-Justiz RS0022686; Koziol, Haftpflichtrecht I3 Rz 16/27 mwN). Die Schlechterfüllung (Lieferung eines LKWs mit mangelhaften Vorderreifen) und die Kausalität der Schlechterfüllung für den Unfall war daher vom Kläger zu beweisen vergleiche Reischauer in Rummel2 § 1298 ABGB Rz 2). Dieser Beweis ist ihm nicht gelungen, weil nicht feststeht, dass sich die am Unfalltag montierten Vorderreifen schon bei Übergabe des LKWs an diesem befunden haben. Trotz umfangreicher Beweiswürdigung mit Abwägung aller pro- und contra-Argumente konnte das Erstgericht hier zu keinem Ergebnis gelangen. Diese "non liquet"-Situation wirkt sich zu Lasten des Klägers aus. Um den Beweis eines negativen Tatbestandsmerkmales geht es im vorliegenden Fall nicht, weshalb der Grundsatz "negativa non sunt probanda" vergleiche hiezu Rechberger aaO Rz 11) hier - entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes - keine Bedeutung hat. Es bleibt also dabei, dass die Mangelhaftigkeit einer gekauften Sache und die Kausalität für einen allfälligen Mangelfolgeschaden vom Käufer zu beweisen ist.
In seiner Revisionsbeantwortung will der Kläger hiefür die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises in Anspruch nehmen. Ob ein solcher zulässig ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0022624; Rechberger aaO Rz 22 mwN). Richtig ist, dass der Kausalzusammenhang Gegenstand eines Anscheinsbeweises sein kann (RIS-Justiz RS0106890; Rechberger aaO Rz 22). Im vorliegenden Fall besteht aber kein Beweisnotstand, der nur durch Gewährung einer Beweismaßreduzierung zu bewältigen wäre (vgl Rechberger aaO Rz 22). Wie schon das Erstgericht dagestellt hat, liegen zugunsten des Klägers durchaus Beweismittel vor. Ob man diese nun für ausreichend überzeugend hält oder (wie das Erstgericht) wegen anderer Beweismittel nicht, ist von den Tatsacheninstanzen, letztlich vom Berufungsgericht zu beurteilen. Die Erledigung der in der Berufung enthaltenen Beweisrüge erweist sich daher als unumgänglich. Da das Berufungsgericht dies - von einer anderen rechtlichen Beurteilung der Beweislastverteilung ausgehend - unterlassen hat, war die Rechtssache unter Aufhebung seiner Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.In seiner Revisionsbeantwortung will der Kläger hiefür die Beweiserleichterung des Anscheinsbeweises in Anspruch nehmen. Ob ein solcher zulässig ist, ist eine Frage der rechtlichen Beurteilung (RIS-Justiz RS0022624; Rechberger aaO Rz 22 mwN). Richtig ist, dass der Kausalzusammenhang Gegenstand eines Anscheinsbeweises sein kann (RIS-Justiz RS0106890; Rechberger aaO Rz 22). Im vorliegenden Fall besteht aber kein Beweisnotstand, der nur durch Gewährung einer Beweismaßreduzierung zu bewältigen wäre vergleiche Rechberger aaO Rz 22). Wie schon das Erstgericht dagestellt hat, liegen zugunsten des Klägers durchaus Beweismittel vor. Ob man diese nun für ausreichend überzeugend hält oder (wie das Erstgericht) wegen anderer Beweismittel nicht, ist von den Tatsacheninstanzen, letztlich vom Berufungsgericht zu beurteilen. Die Erledigung der in der Berufung enthaltenen Beweisrüge erweist sich daher als unumgänglich. Da das Berufungsgericht dies - von einer anderen rechtlichen Beurteilung der Beweislastverteilung ausgehend - unterlassen hat, war die Rechtssache unter Aufhebung seiner Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 52 ZPO.Die Kostenentscheidung beruht auf Paragraph 52, ZPO.
Textnummer
E70137European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0020OB00131.03H.0710.000Im RIS seit
09.08.2003Zuletzt aktualisiert am
19.04.2011