TE Vwgh Beschluss 2007/4/25 2007/08/0054

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Veröffentlicht am 25.04.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §46 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Moritz als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, über den Antrag des S in O, vertreten durch Dr. Bernhard Wörgötter, Rechtsanwalt in 6380 St. Johann in Tirol, Mag. Ed. Angererweg 14, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einbringung einer Beschwerde gegen den Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 20. November 2006, Zl. BMSG- 323383/0003-II/A/3/2006, betreffend Pflichtversicherung nach dem GSVG, den Beschluss gefasst:

Spruch

Gemäß § 46 VwGG wird dem Antrag stattgegeben.

Begründung

Der im Spruch genannte Bescheid der Bundesministerin für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz wurde dem Beschwerdeführer am 24. November 2006 zugestellt.

Mit Schriftsatz vom 5. Jänner 2007 erhob der Beschwerdeführer dagegen eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof mit dem Eventualantrag auf Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG. Auf dieser Beschwerde befindet sich der Eingangsstempel des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 9. Jänner 2007 und der Eingangsstempel des Verfassungsgerichtshofes vom 10. Jänner 2007.

Mit Schriftsatz vom 18. Jänner 2007 stellte der Beschwerdeführer an den Verfassungsgerichtshof den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Darin führte er im Wesentlichen aus, durch ein Versehen einer Mitarbeiterin der Kanzlei seines Rechtsvertreters sei das Kuvert (worin sich die Beschwerde befunden habe) nicht an den Verfassungsgerichtshof, sondern an das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz adressiert worden. Die Beschwerde sei erst am 10. Jänner 2007 und daher verspätet beim Verfassungsgerichtshof eingelangt, da die Beschwerdefrist am 5. Jänner 2007 geendet habe. Die falsche Adressierung des Kuverts sei dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers durch das Schreiben des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Jänner 2007, zugestellt am 15. Jänner 2007, erstmals bekannt geworden.

Des Weiteren wurde dargelegt, schon vor den Weihnachtsfeiertagen sei die Beschwerde als Entwurf im Wesentlichen fertiggestellt worden. Am 5. Jänner 2007 sei die Beschwerde nochmals vom Rechtsvertreter des Beschwerdeführers überarbeitet, gelesen, korrigiert sowie in dreifacher Ausfertigung für den Gerichtshof nochmals ausgedruckt worden. Seitens des Rechtsvertreters seien alle drei Beschwerdeausfertigungen unterschrieben und auf Vollständigkeit, auch hinsichtlich der Beilagen und des Einzahlungsbeleges, kontrolliert worden. Die solcherart kontrollierte und sodann unterschriebene Beschwerde sei Frau F. mit dem Auftrag übergeben worden, das Kuvert zu beschriften. F. sei vom Rechtsvertreter angewiesen worden, ein entsprechend großes Kuvert mit der Postanschrift an den Verfassungsgerichtshof, 1010 Wien, Judenplatz 11, zu beschriften und alle drei Beschwerdeausfertigungen einzupacken. Aus einem nicht mehr nachvollziehbaren Irrtum habe F. in der Folge weisungswidrig als Adressat das Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz angeführt und die Sendung abgefertigt, indem sie das Poststück zu zahlreichen weiteren Briefen in eine Tasche gegeben, zur Mitnahme zum Postamt bereitgestellt, in der Folge zum Postamt gebracht und noch am 5. Jänner 2007 aufgegeben habe. F. arbeite seit 1. Oktober 2006 in der Kanzlei des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers und habe sich bisher als außerordentlich tüchtige und verantwortungsbewusste Mitarbeiterin erwiesen. Sie habe bereits zuvor jeweils in den Sommerferien 2003, 2004, 2005 und 2006 bei einer Versicherungsgesellschaft gearbeitet und sei schon vor Eintritt in die Kanzlei mit bürotypischen Abläufen nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch bestens vertraut gewesen. In der Kanzlei sei sie ständig mit Büroabläufen wie Aktenverwaltung, Schreiben von Diktaten, Eintragung von Terminen und Fristen und insbesondere auch mit der Abfertigung der Post befasst. F. habe zahllose Kuverts vor allem auch mit fristgebundenen Eingaben aller Art an die verschiedensten Gerichte, sonstigen Behörden und Personen adressiert, ohne dass ihr dabei jemals ein Fehler unterlaufen sei. F. sei mit dieser Arbeit, insbesondere dem Beschriften von Kuverts, bestens vertraut. Es handle sich um eine von ihr beherrschte Routinearbeit. Bis zu diesem ihr erstmals unterlaufenen Missgeschick sei sie als äußerst verlässliche Mitarbeiterin des Rechtsvertreters bekannt. Frist- und Verhandlungseintragungen im Kalender würden lückenlos vom jeweils zuständigen Juristen und vom Rechtsvertreter kontrolliert, hinsichtlich der Kuverts fänden Kontrollen in einer Dichte statt, die letztlich auch fast als lückenlos zu bezeichnen sei, weil der Rechtsvertreter häufig die Post selbst zum Postamt mitnehme oder sie doch meist abschließend nochmals durchsehe. Bisher sei noch nie eine falsche Beschriftung eines Kuverts durch F. oder eine sonstige Mitarbeiterin vorgekommen. Dass die Adressen verwechselt worden seien, bedeute ein "echtes Versehen". Am gegenständlichen Nachmittag habe der Beschwerdevertreter noch einen steuerlichen Besprechungstermin gehabt, sodass er nach Rückfrage bei F., ob die Beschwerde bereits zum Postversand fertig sei, was bejaht wurde, mit dem Hinweis, dass das Schriftstück unbedingt noch heute zur Post müsse, die Kanzlei habe verlassen müssen und daher auch die Richtigkeit der Kuvertanschrift nicht mehr habe überprüfen können.

Der Verfassungsgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 26. Februar 2007, Zl. B 58/07-5, die Behandlung der Beschwerde ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof ab. In der Begründung wurde ausdrücklich erwähnt, dass auf den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht einzugehen gewesen sei.

In einem Fall wie dem vorliegenden ist der Verwaltungsgerichtshof berufen, über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu entscheiden (vgl. den hg. Beschluss vom 26. Juni 1992, Zl. 88/17/0207).

Der Beschwerdeführer hat mit an den Verwaltungsgerichtshof gerichtetem Schriftsatz vom 14. März 2007 seinen Antrag auf Wiedereinsetzung wiederholt und im obigen Sinne nochmals näher ausgeführt. Unter einem wurde die Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof verbessert, sodass sie den Anforderungen des VwGG entspricht.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einer Partei, die durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, auf Antrag zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich um einen minderen Grad des Versehens handelt.

Die Wiedereinsetzung ist nach der ständigen hg. Rechtsprechung auch zu bewilligen, wenn eine Frist durch ein Verhalten von Angestellten des Bevollmächtigten der Partei versäumt wurde, es sei denn, es läge ein Verschulden der Partei vor. Dem Verschulden der Partei selbst ist das Verschulden ihres Vertreters gleichzustellen. Ein Versehen einer Kanzleibediensteten stellt für einen Rechtsanwalt und damit für die von diesem vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber seinen Angestellten hinreichend nachgekommen ist. Zu prüfen ist also, ob ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden des einschreitenden Rechtsanwaltes im Hinblick auf seine Aufsichts- und Kontrollpflichten vorliegt (vgl. z.B. den hg. Beschluss vom 3. September 2003, Zl. 2003/03/0164, mwN).

Der Verwaltungsgerichtshof geht von dem im Wiedereinsetzungsantrag in sich widerspruchsfrei dargestellten und in den wesentlichen Punkten mit einer dem Wiedereinsetzungsantrag beigelegten eidesstättigen Erklärung der Kanzleikraft übereinstimmenden Sachverhalt aus.

In seiner Rechtsprechung hat es der Verwaltungsgerichtshof nicht als zweckmäßige und zumutbare Kontrollmaßnahme angesehen, dass sich der Rechtsanwalt nach Übergabe sämtlicher Schriftstücke an die bisher bewährte Kanzleikraft in jedem Fall noch von der tatsächlichen Durchführung der Expedierung der Sendung überzeugt. Die Überwachungspflicht des Parteienvertreters geht also nicht so weit, jede einzelne einfache Arbeitsverrichtung wie die Kuvertierung und Aufgabe von Postsendungen zu kontrollieren.

Einem manipulativen Vorgang dieser Art ist es gleichzuhalten, wenn der vom Anwalt kontrollierte Schriftsatz den richtigen Adressaten aufweist, jedoch der bislang verlässlichen Kanzleikraft ein Versehen bei der Beschriftung des Kuverts passiert. Auch in einem solchen Fall liegt dem Rechtsanwalt - unter dem Gesichtspunkt einer rationellen und arbeitsteiligen, die Besorgung abgegrenzter Aufgabenbereiche delegierenden Betriebsführung - keine Verletzung der Sorgfaltspflicht dadurch zur Last, dass er nach Kontrolle des Schriftstückes und seiner Adressierung sich nicht in jedem Fall auch von der richtigen Adressierung auf dem Kuvert, etwa durch nochmalige Vorlage des Schriftsatzes mit dem Kuvert, überzeugt (vgl. den zitierten hg. Beschluss vom 3. September 2003, mwN).

Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher stattzugeben.

Wien, am 25. April 200725. April 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2007080054.X00

Im RIS seit

29.08.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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