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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie den Hofrat Dr. Berger, die Hofrätin Dr. Pollak und die Hofräte Dr. Doblinger und MMag. Maislinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des H S in L, geboren 1959, vertreten durch Mag. Anna Kutos, Rechtsanwältin in 4020 Linz, Europaplatz 7, gegen den Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Oktober 2004, Zl. 240.635/0-XI/38/03, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein der kurdischen Volksgruppe zugehöriger türkischer Staatsangehöriger, gelangte am 6. Juli 2002 in das Bundesgebiet und beantragte am 16. Juli 2002 Asyl. Bei seiner Einvernahme durch das Bundesasylamt am 17. Dezember 2002 und 31. März 2003 gab er zu seinen Fluchtgründen an, er sei verhaftet worden, weil bei der Hochzeit seines Bruders kurdische Lieder gesungen worden seien. Es laufe ein Verfahren gegen ihn. Er habe Ladungen zu Gerichtsverhandlungen keine Folge geleistet und "habe Angst, dass die Gendarmen ... mich einsperren, weil ich zu Verhandlungen nicht erschienen bin". Auch sonst sei er von Gendarmen "immer wieder belästigt" worden.
Das Bundesasylamt hat den Asylantrag mit Bescheid vom 25. Juli 2003 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF BGBl. I Nr. 126/2002 abgewiesen und zugleich festgestellt, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei gemäß § 8 leg. cit zulässig sei.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung und brachte darin vor, aus seiner Aussage vor dem Bundesasylamt sei ersichtlich, dass er in der Türkei als Kurde "nicht ruhig leben" könne. Er sei "von der Militär mehrmals verprügelt (worden), weil ich kurdisch gesprochen habe". Seine Familie werde "jetzt noch terrorisiert". Darum sei es ihm "nicht möglich zurück zu gehen, weil sie mich sofort verhaften würden".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 in der Fassung BGBl. I Nr. 101/2003 (AsylG) fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei zulässig sei.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Die belangte Behörde hat die Berufung des Beschwerdeführers ohne Durchführung einer Berufungsverhandlung abgewiesen und in der Begründung des angefochtenen Bescheides ausgeführt, es könne dahingestellt bleiben, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers den Tatsachen entspreche, "weil diesem Vorbringen keine Asylrelevanz zukommt". Dass der Beschwerdeführer, weil er auf der Hochzeit seines Bruders kurdische Lieder gesungen habe, für eine Woche in Haft genommen worden sei, begründe "keine Verfolgung von Asylrelevanz erreichender Intensität". Dies gelte auch für das nicht näher konkretisierte Berufungsvorbringen. Überdies hätte der Beschwerdeführer sich, wie schon das Bundesasylamt im erstinstanzlichen Bescheid ausgeführt habe, den von ihm behaupteten Diskriminierungen und Übergriffen durch türkische staatliche Organe entziehen können, indem er in einem anderen Landesteil der Türkei - etwa in Istanbul - Aufenthalt genommen hätte. Mit seinem allgemein gehaltenen Vorbringen habe der Beschwerdeführer keine konkrete und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung von maßgeblicher Intensität dargetan.
Die belangte Behörde hat somit zur Fluchtgeschichte des Beschwerdeführers keine Sachverhaltsfeststellungen getroffen und - anders als das Bundesasylamt - keine auf die Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers bezogene Beweiswürdigung vorgenommen. Sie hat jedoch - obwohl sie dem angefochtenen Bescheid vorgeblich das Vorbringen des Beschwerdeführers zu Grunde gelegt hat - nicht dessen gesamtes Vorbringen gewürdigt:
Der Beschwerdeführer hat nämlich bei seiner Einvernahme am 17. Dezember 2002 auch behauptet, wegen des Singens kurdischer Lieder bei der Hochzeit seines Bruders laufe ein Verfahren gegen ihn, wobei er Vorladungen nicht Folge geleistet habe, und er hat in seiner Berufung vorgebracht, er würde im Falle einer Rückkehr in die Türkei verhaftet werden.
Indem die belangte Behörde dieses Vorbringen, dem die Asylrelevanz nicht von vornherein abgesprochen werden kann, in ihrer rechtlichen Beurteilung - ohne es einer Beweiswürdigung unterzogen zu haben - zur Gänze ausgeblendet hat, ist die Begründung des angefochtenen Bescheides nicht schlüssig (vgl. zu ähnlichen Fällen die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 21. April 2005, Zl. 2002/20/0397, und vom 23. Mai 2006, Zl. 2006/19/0292).
Mit dem in Rede stehenden Vorbringensteil lässt sich im Übrigen auch die Ansicht der belangten Behörde, es stünde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit offen, sich den behaupteten Diskriminierungen und Übergriffen durch türkische staatliche Organe durch Übersiedlung in einen anderen Landesteil zu entziehen, nicht in Einklang bringen. Bei Berücksichtigung der betreffenden Vorbringensteile - behauptete Verfolgungsmaßnahmen im Zuge eines gegen den Beschwerdeführer noch laufenden behördlichen Verfahrens - konnte die belangte Behörde ihn nicht auf Ausweichmöglichkeiten innerhalb der Türkei verweisen, ohne sich näher mit der Handhabung solcher Verfahren gegen Kurden in der Türkei auseinander gesetzt zu haben.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 25. April 2007
Schlagworte
Begründung Begründungsmangel Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher Verfahrensmangel Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005200020.X00Im RIS seit
26.06.2007