TE Vwgh Beschluss 2007/4/25 2004/08/0071

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Veröffentlicht am 25.04.2007
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Index

E1E;
E3R E05204020;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
59/04 EU - EWR;
62 Arbeitsmarktverwaltung;
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze;

Norm

11997E039 EG Art39;
11997E234 EG Art234;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art10 Abs1;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art4 Abs1 litb;
31971R1408 WanderarbeitnehmerV Art4 Abs1 litg;
61992CJ0066 Genaro Acciardi VORAB;
AlVG 1977 §16 Abs1 litg;
AlVG 1977 §16 Abs3;
AlVG 1977 §23;
AlVG 1977 §7;
VwGG §38b;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* EU-Register: EU 2007/0004 11. September 2008 * EuGH-Zahl: C-228/07 * Ausgesetzte Beschwerde gemäß §38 AVG iVm §62 VwGG:2004/08/0266 B 25. April 2007 * EuGH-Entscheidung:EuGH 62007CJ0228 11. September 2008 * Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren: 2008/08/0189 E 26. November 2008 VwSlg 17579 A/2008 * Fortgesetztes Verfahren im VwGH nach EuGH-Entscheidung: 2008/08/0190 E 26. November 2008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Köller, Dr. Moritz und Dr. Lehofer als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Müller, in der Beschwerdesache des J in T, vertreten durch Mag. Ulrich Seamus Hiob, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Margaretenstraße 22, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 28. Oktober 2003, Zl. LGS NÖ/JUR/12181/2003, betreffend vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld gemäß § 23 AlVG, den Beschluss gefasst:

Spruch

Dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften werden nach Art. 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Handelt es sich bei einer Geldleistung der Arbeitslosenversicherung, welche Arbeitslosen, die die Zuerkennung einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung beantragt haben, bis zur Entscheidung über ihren Antrag als Vorschuss auf diese Leistungen gegen spätere Verrechnung mit diesen gewährt wird, wobei dafür zwar die Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit und der Erfüllung der Anwartschaft vorliegen müssen, nicht aber die sonst für den Bezug von Arbeitslosengeld weiters vorausgesetzte Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft, und die weiters nur dann gewährt wird, wenn mit der Zuerkennung der Leistungen aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung im Hinblick auf die vorliegenden Umstände zu rechnen ist, um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder um eine Leistung bei lnvalidität im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b dieser Verordnung?

2. Für den Fall, dass die erste Frage dahingehend beantwortet wird, dass es sich bei der darin genannten Leistung um eine Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe g der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 handelt:

Steht Artikel 39 EG einer Bestimmung des nationalen Rechts entgegen, wonach der Anspruch auf diese Leistung - abgesehen vom Fall einer nur auf Antrag des Arbeitslosen bei Vorliegen von berücksichtigungswürdigen Umständen bis zu drei Monaten zu erteilenden Nachsicht - ruht, wenn sich der Arbeitslose im Ausland (in einem anderen Mitgliedstaat) aufhält?

Begründung

I. Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist ein in Österreich als Arbeitnehmer beschäftigt gewesener deutscher Staatsangehöriger. Er stellte am 14. April 2000 bei der österreichischen Pensionsversicherungsanstalt einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension aus der gesetzlichen Pensionsversicherung und erhob in der Folge gegen die Abweisung dieses Antrags Klage.

2. Während des laufenden gerichtlichen Verfahrens über den vom Beschwerdeführer geltend gemachten Anspruch aus der gesetzlichen Pensionsversicherung wurde ihm vom Arbeitsmarktservice nach den Bestimmungen des § 23 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 vorschussweise Arbeitslosengeld gewährt. Der Beschwerdeführer, der zu diesem Zeitpunkt seinen Wohnsitz noch in Österreich hatte, beabsichtigte sodann, seinen Wohnsitz nach Deutschland zurückzuverlegen, und beantragte beim Arbeitsmarktservice die Weitergewährung des vorschussweisen Arbeitslosengeldes auch nach der Verlegung seines Wohnsitzes nach Deutschland.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid hat die belangte Behörde diesen Antrag in zweiter Instanz abgewiesen. Der Beschwerdeführer erhob dagegen Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Für die Entscheidung über diese Beschwerde ist aus den nachfolgend dargelegten Gründen die Beantwortung der Vorlagefragen erforderlich.

II. Die maßgeblichen Bestimmungen des nationalen Rechts:

Die für die Entscheidung maßgebenden Bestimmungen des Arbeitslosenversicherungsgesetzes 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 71/2003, lauten:

"Arbeitslosengeld

Voraussetzungen des Anspruches

§ 7. (1) Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, wer

1.

der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht,

2.

die Anwartschaft erfüllt und

3.

die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat.

(2) Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist.

(3) Eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf eine Person,

1. die sich zur Aufnahme und Ausübung einer auf dem Arbeitsmarkt üblicherweise angebotenen, den gesetzlichen und kollektivvertraglichen Vorschriften entsprechenden zumutbaren versicherungspflichtigen Beschäftigung bereithält,

2. die aufenthaltsrechtlich berechtigt ist, eine unselbständige Beschäftigung aufzunehmen und auszuüben, und

3. die nicht den Tatbestand des § 34 Abs. 3 Z 2 des Fremdengesetzes 1997 (FrG), BGBl. I Nr. 75, unter Berücksichtigung des § 34 Abs. 4 FrG erfüllt.

(4) Von der Voraussetzung der Arbeitsfähigkeit ist bei Arbeitslosen abzusehen, denen Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation gewährt wurden, die das Ziel dieser Maßnahmen (§ 300 Abs. 1 und 3 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes) erreicht und die erforderliche Anwartschaft nach dieser Maßnahme zurückgelegt haben.

(5) Während des Bezuges von Kinderbetreuungsgeld liegt die Voraussetzung des Abs. 3 Z 1 nur dann vor, wenn das Kind von einer anderen geeigneten Person oder in einer geeigneten Einrichtung betreut wird.

...

§ 16 Ruhen des Arbeitslosengeldes

     § 16. (1) Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht während

     ...

g) des Aufenthaltes im Ausland, soweit nicht Abs. 3 oder Regelungen auf Grund internationaler Verträge anzuwenden sind,

...

(3) Auf Antrag des Arbeitslosen ist das Ruhen des Arbeitslosengeldes gemäß Abs. 1 lit. g bei Vorliegen berücksichtigungswürdigen Umständen nach Anhörung des Regionalbeirates bis zu drei Monate während eines Leistungsanspruches (§ 18) nachzusehen. Berücksichtungswürdige Umstände sind Umstände, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit gelegen sind, insbesondere wenn sich der Arbeitslose ins Ausland begibt, um nachweislich einen Arbeitsplatz zu suchen oder um sich nachweislich beim Arbeitgeber vorzustellen oder um sich einer Ausbildung zu unterziehen, oder Umstände, die auf zwingenden familiären Gründen beruhen.

...

Bevorschussung von Leistungen aus der Pensionsversicherung

§ 23. (1) Arbeitslosen, die die Zuerkennung

1. einer Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit oder eines Übergangsgeldes aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung oder

2. einer Leistung aus einem der Versicherungsfälle des Alters aus der Pensionsversicherung nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz, dem Gewerblichen Sozialversicherungsgesetz, dem Bauern-Sozialversicherungsgesetz oder eines Sonderruhegeldes nach dem Nachtschwerarbeitsgesetz

beantragt haben, kann bis zur Entscheidung über ihren Antrag auf diese Leistungen vorschußweise Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe gewährt werden.

(2) Für die vorschußweise Gewährung von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe ist erforderlich, daß

1. abgesehen von der Arbeitsfähigkeit, Arbeitswilligkeit und Arbeitsbereitschaft gemäß § 7 Abs. 3 Z 1, die übrigen Voraussetzungen für die Inanspruchnahme dieser Leistungen vorliegen,

2. im Hinblick auf die vorliegenden Umstände mit der Zuerkennung der Leistungen aus der Sozialversicherung zu rechnen ist und

3. im Falle des Abs. 1 Z 2 überdies eine Bestätigung des Pensionsversicherungsträgers vorliegt, daß voraussichtlich eine Leistungspflicht dem Grunde nach binnen zwei Monaten nach dem Stichtag für die Pension nicht festgestellt werden kann.

(3) Arbeitslosigkeit ist bei Beantragung einer Leistung nach Abs. 1 Z 1 auch anzunehmen, wenn aus einem aufrechten Dienstverhältnis kein Entgeltanspruch mehr besteht und der Anspruch auf Krankengeld erschöpft ist.

(4) Der Vorschuss ist in der Höhe des gebührenden Arbeitslosengeldes (der gebührenden Notstandshilfe) bis zur Obergrenze eines Dreißigstels der durchschnittlichen Höhe der Leistungen einschließlich der Kinderzuschüsse nach Abs. 1 Z 1 bzw. nach Abs. 1 Z 2 zu gewähren. Sofern der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice auf Grund einer schriftlichen Mitteilung des Sozialversicherungsträgers bekannt ist, daß die zu erwartende Leistung niedriger sein wird, ist die Vorschußleistung entsprechend zu vermindern. Der Vorschuß ist im Falle des Abs. 1 Z 2 rückwirkend ab dem Stichtag für die Pension zu gewähren, sofern der Pensionswerber den Antrag binnen 14 Tagen nach Ausstellung der Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 3 gestellt hat.

(5) Hat eine regionale Geschäftsstelle einen Vorschuß nach Abs. 1 oder Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe gewährt, so geht ein Anspruch des Arbeitslosen auf eine Leistung gemäß Abs. 1 Z 1 oder Abs. 1 Z 2 für denselben Zeitraum auf den Bund zugunsten der Gebarung Arbeitsmarktpolitik in der Höhe der von der regionalen Geschäftsstelle gewährten Leistung, mit Ausnahme der Krankenversicherungsbeiträge, über, sobald die regionale Geschäftsstelle beim Träger der Sozialversicherung den Übergang des Anspruches geltend macht (Legalzession). Der Übergang des Anspruches wird nur bis zur Höhe der nachzuzahlenden Beträge wirksam und ist vorrangig zu befriedigen.

(6) Die Krankenversicherungsbeiträge, die aus den Mitteln der Arbeitslosenversicherung (§ 42 Abs. 3) für den im Abs. 5 bezeichneten Zeitraum geleistet wurden, sind von den Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung im Wege des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger zu erstatten, und zwar mit dem nach § 73 Abs. 2 ASVG festgelegten Prozentsatz von jenen Beträgen, die von den Pensionsversicherungsträgern gemäß Abs. 5 rückerstattet wurden.

(7) Wird eine Pension gemäß Abs. 1 nicht zuerkannt, so gilt der Vorschuß in der geleisteten Dauer und Höhe als Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe, dh. daß insbesondere keine allfällige Differenznachzahlung erfolgt und die Bezugsdauer gemäß § 18 verkürzt wird."

III. Die maßgeblichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes:

1. Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: VO 1408/71) lautet:

"(1) Diese Verordnung gilt für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die folgende Leistungsarten betreffen:

...

b) Leistungen bei Invalidität einschließlich der Leistungen, die zur Erhaltung oder Besserung der Erwerbsfähigkeit bestimmt sind,

...

g) Leistungen bei Arbeitslosigkeit,

..."

2. Artikel 10 Absatz 1, Unterabsatz 1, der VO 1408/71 lautet:

"(1) Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat."

IV. Der Verwaltungsgerichtshof ist ein Gericht im Sinne des Art. 234 EG, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechtes angefochten werden können.

V. Erläuterungen zu den Vorlagefragen:

1. Anspruch auf Arbeitslosengeld hat nach dem österreichischen Arbeitslosenversicherungsrecht, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht, die Anwartschaft erfüllt (d.h. im Wesentlichen bestimmte Mindestbeschäftigungszeiten zurückgelegt hat) und die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes noch nicht erschöpft hat. Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf, sowie ferner arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos ist (§ 7 AlVG). Der Anspruch auf Arbeitslosengeld ruht (unter anderem) während des Aufenthaltes im Ausland; liegen berücksichtigungswürdige Umstände vor, die im Interesse der Beendigung der Arbeitslosigkeit liegen oder auf zwingenden familiären Gründen beruhen, so kann das Ruhen des Anspruches nachgesehen werden.

2. Während das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit im Allgemeinen die Gewährung von Arbeitslosengeld ausschließt, sieht § 23 AlVG in einem solchen Fall unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit einer "vorschussweisen" Gewährung des Arbeitslosengeldes vor. Für diese Leistung sind zunächst die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug von Arbeitslosengeld zu erfüllen. Der Arbeitslose muss sich aber nicht auf einen Arbeitsplatz vermitteln lassen (also nicht arbeitswillig sein) und sich daher auch nicht zur Aufnahme einer Beschäftigung bereithalten. Wesentliche Voraussetzung der Gewährung bleibt jedoch neben dem Vorliegen der Arbeitslosigkeit, dass eine bestimmte Mindestdauer arbeitslosenversicherungspflichtiger Beschäftigung innerhalb näher festgelegter Zeiträume vor Geltendmachung des Anspruchs vorgelegen haben muss.

3. Die Bestimmung des § 23 AlVG steht im Zusammenhang mit Leistungen aus der gesetzlichen Pension- und Unfallversicherung:

Weitere Voraussetzung für die Gewährung des "vorschussweisen Arbeitslosengeldes" ist nämlich, dass der Arbeitslose eine Leistung aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung beantragt hat und dass nach den Umständen mit der Zuerkennung der Leistung zu rechnen ist. In diesem Fall erfolgt durch das vorschussweise Arbeitslosengeld eine Bevorschussung von Leistungen, welche der Arbeitslose aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung erwartet. Die Höhe des vorschussweisen Arbeitslosengeldes ist (zusätzlich) gemäß dem oben wiedergegebenen § 23 Abs. 4 AlVG mit einem an die durchschnittliche Pensionshöhe gebundenen Wert begrenzt.

4. Wird in der Folge die Pension zuerkannt, so geht gemäß § 23 Abs. 5 AlVG der Anspruch des Arbeitslosen auf die Pension für den Zeitraum und in der Höhe der geleisteten Zahlungen des vorschussweisen Arbeitslosengeldes auf den Bund (als Träger der Arbeitslosenversicherung) über, sodass im Ergebnis eine Verrechnung zwischen dem Träger der Pensionsversicherung und dem Bund erfolgt. Wird die Pension jedoch nicht zuerkannt, so gilt das geleistete vorschussweise Arbeitslosengeld in der geleisteten Dauer und Höhe als ("reguläres") Arbeitslosengeld.

5. Die auf den Beschwerdefall anzuwendende VO 1408/71 gilt gemäß ihrem Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit betreffen. Besondere Vorschriften für Leistungen bei Arbeitslosigkeit enthält Kapitel 6 der Verordnung, wobei lediglich in Artikel 69 vorgesehen ist, dass ein Leistungsanspruch aus der Arbeitslosenversicherung unter bestimmten engen Voraussetzungen bis zu höchstens drei Monaten aufrechterhalten werden kann, wenn sich der Arbeitslose in einen anderen Mitgliedstaat begibt. Wesentlichste Voraussetzung für diese Aufrechterhaltung des Leistungsanspruches ist, dass der Aufenthalt im anderen Mitgliedstaat dem Zweck der Arbeitssuche dient. Ist die verfahrensgegenständliche Leistung von "vorschussweisem Arbeitslosengeld" daher als Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe g der VO 1408/71 zu qualifizieren, so käme eine Weitergewährung nach den engen Voraussetzungen des Artikels 69 der VO 1408/71 mangels Arbeitssuche nicht in Betracht.

6. Hingegen sieht Artikel 10 der VO 1408/71 eine unbeschränkte "Exportverpflichtung" für Leistungen (unter anderem) bei Invalidität vor. Der Beschwerdeführer könnte mit seiner Beschwerde vor dem Verwaltungsgerichtshof daher dann Erfolg haben, wenn die verfahrensgegenständliche vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld nicht als Leistung bei Arbeitslosigkeit, sondern als Leistung bei Invalidität im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Buchstabe b der VO 1408/71 anzusehen wäre.

7. Die im Arbeitslosenversicherungsgesetz geregelte vorschussweise Gewährung von Arbeitslosengeld enthält sowohl Elemente einer Leistung bei Arbeitslosigkeit als auch - durch die Verzahnung mit Leistungen der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung - einer Leistung bei Invalidität: Die Leistung wird aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung gezahlt, setzt Arbeitslosigkeit und Erfüllung der Anwartschaft voraus und knüpft damit unmittelbar an Anspruchsvoraussetzungen der Arbeitslosenversicherung an. Nimmt der Arbeitslose eine Beschäftigung an, so erlischt sein Anspruch auf das vorschussweise Arbeitslosengeld. Die Leistung setzt jedoch nicht voraus, dass der Arbeitslose arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitsbereit ist. Es trifft ihn somit keine Verpflichtung, die Wiedereingliederung in das Erwerbsleben anzustreben und dazu der Arbeitsvermittlung zur Verfügung zu stehen bzw. sich der Kontrolle der Arbeitsverwaltung zu unterwerfen, wie dies bei Leistungen bei Arbeitslosigkeit in der Regel sonst der Fall ist und auch in Artikel 69 der VO 1408/71 vorausgesetzt wird.

8. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat in der Rechtssache C-66/92, Acciardi, Slg. 1993, I-04567, eine Leistung, die nur für ältere oder teilweise arbeitsunfähige Arbeitslose und gegebenenfalls deren Ehegatten bestimmt ist, sich an die Arbeitslosenunterstützung anschließt, nur bis zum Erreichen des gesetzlichen Rentenalters gewährt wird und voraussetzt, dass der Empfänger bereit ist, eine Arbeit anzunehmen, als Leistung bei Arbeitslosigkeit im Sinne der VO 1408/71 qualifiziert. In diesem Urteil war die Abgrenzung der zu beurteilenden Leistung von der Sozialhilfe fraglich.

9. Demgegenüber kann im hier gegenständlichen Fall nicht zweifelhaft sein, dass eine Leistung der sozialen Sicherheit im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der VO 1408/71 vorliegt, zumal sowohl der Anspruch auf eine Pension auf Grund geminderter Arbeitsfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit ebenso wie der Anspruch auf Arbeitslosengeld unabhängig von jeder Ermessensausübung auf Grund einer gesetzlich umschriebenen Stellung beruht und sich auf eines der in Artikel 4 Absatz 1 der VO 1408/71 genannten Risiken bezieht. Anders als bei der in der Rechtssache Acciardi zu beurteilenden Leistung besteht für den Empfänger des vorschussweisen Arbeitslosengeldes gemäß § 23 AlVG jedoch keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Beschäftigung. Da zudem das vorschussweise Arbeitslosengeld zwar nur bei Vorliegen von Arbeitslosigkeit und Erfüllung der Anwartschaft nach dem Arbeitslosenversicherungsrecht gebührt, andererseits aber auch die (zu erwartende) Zuerkennung einer Leistung aus der gesetzlichen Pensions- oder Unfallversicherung voraussetzt und im Fall der tatsächlichen Zuerkennung der Pension mit dieser Leistung verrechnet wird, erfordert die Zuordnung dieser Leistung zu

Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe g oder aber zu Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der VO 1408/71 die Auslegung dieser Bestimmungen des Gemeinschaftsrechtes. Die zu beurteilende Rechtsfrage ist weder durch Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ausreichend geklärt noch erscheint sie derart offenkundig, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bliebe, sodass gemäß Art. 234 EG die eingangs unter Punkt 1 formulierte Frage mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt wird.

10. Ist die Gewährung des vorschussweisen Arbeitslosengeldes als Leistung bei Arbeitslosigkeit zu beurteilen, so stellt sich weiters die Frage, ob die im nationalen Recht vorgesehene Regelung, wonach der Anspruch beim Aufenthalt im Ausland - von der hier nicht relevanten Ausnahme eines vorübergehenden, auf "berücksichtigungswürdige Umstände" zurückzuführenden Aufenthaltes abgesehen - ruht, mit dem Grundsatz der Freizügigkeit gemäß

Artikel 39 EG vereinbar ist, zumal (anders als in dem ausdrücklich in Artikel 69 der VO 1408/71 geregelten Fall einer Arbeitssuche in einem anderen Mitgliedstaat) eine Unterwerfung unter die Kontrolle der Arbeitsverwaltung - im Hinblick auf die Bereitschaft, eine Beschäftigung aufzunehmen - weder in Österreich noch im anderen Mitgliedstaat erforderlich ist. Aus diesem Grund wird auch die unter Punkt 2 formulierte Frage mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung vorgelegt.

Wien, am 25. April 2007

Gerichtsentscheidung

EuGH 61992CJ0066 Genaro Acciardi VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2004080071.X00

Im RIS seit

19.06.2007

Zuletzt aktualisiert am

20.04.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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