TE OGH 2003/10/1 7Ob213/03d

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Veröffentlicht am 01.10.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Stefan S*****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei G***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Michael Brunner und Dr. Elmar Reinitzer, Rechtsanwälte in Wien, wegen EUR 9.866,06 sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 8. November 2002, GZ 5 R 199/02z-47, womit das Zwischenurteil des Handelsgerichtes Wien vom 11. Juli 2002, GZ 37 Cg 45/99t-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der Kläger, dem anlässlich einer bei der beklagten Partei gebuchten Flugpauschalreise in London diverse technische Geräte aus seinem Hotelzimmer gestohlen wurden, begehrt im vorliegenden Prozess, der sich bereits im zweiten Rechtsgang befindet, von der Beklagten den mit EUR 9.866,06 bezifferten Schaden ersetzt, weil der Hotelier, für den die Beklagte gemäß § 1313a ABGB hafte, seine Obhutspflicht verletzt habe. Wie der Oberste Gerichtshof in der in dieser Rechtssache bereits ergangenen Entscheidung 7 Ob 237/01f (der der bisherige Verfahrensgang, insbesondere auch Ausführungen zur - bereits geklärten - Problematik der Aktivlegitimation des Klägers und das Vorbringen der Parteien im Detail entnommen werden kann) ausgesprochen hat, unterliegt die Beklagte der verschuldensabhängigen vertraglichen Haftung als Reiseveranstalter; sie hat dem Kläger also so weit zu haften, als der Reiseveranstaltungsvertrag auch eine Obhutspflicht für dessen Sachen (als Nebenpflicht) umfasst. Streitentscheidend ist demnach, ob die Beklagte bzw der betreffende Hotelier als ihr Erfüllungsgehilfe, der reisevertraglichen Nebenpflicht, nach dem Maßstab eines entsprechend pflichtbewussten Hoteliers für die ausreichend sichere Verwahrung der Sachen des Klägers im Hotelzimmer zu sorgen, mit der erforderlichen Sorgfalt nachgekommen ist, oder nicht. Strittig ist in diesem Zusammenhang im Wesentlichen noch, ob das Hotelfenster durch das der Dieb in das im 5. Stockwerk unmittelbar unter dem Dach gelegene Hotelzimmer des Klägers eingestiegen ist, in ordnungsgemäßem Zustand war.Der Kläger, dem anlässlich einer bei der beklagten Partei gebuchten Flugpauschalreise in London diverse technische Geräte aus seinem Hotelzimmer gestohlen wurden, begehrt im vorliegenden Prozess, der sich bereits im zweiten Rechtsgang befindet, von der Beklagten den mit EUR 9.866,06 bezifferten Schaden ersetzt, weil der Hotelier, für den die Beklagte gemäß Paragraph 1313 a, ABGB hafte, seine Obhutspflicht verletzt habe. Wie der Oberste Gerichtshof in der in dieser Rechtssache bereits ergangenen Entscheidung 7 Ob 237/01f (der der bisherige Verfahrensgang, insbesondere auch Ausführungen zur - bereits geklärten - Problematik der Aktivlegitimation des Klägers und das Vorbringen der Parteien im Detail entnommen werden kann) ausgesprochen hat, unterliegt die Beklagte der verschuldensabhängigen vertraglichen Haftung als Reiseveranstalter; sie hat dem Kläger also so weit zu haften, als der Reiseveranstaltungsvertrag auch eine Obhutspflicht für dessen Sachen (als Nebenpflicht) umfasst. Streitentscheidend ist demnach, ob die Beklagte bzw der betreffende Hotelier als ihr Erfüllungsgehilfe, der reisevertraglichen Nebenpflicht, nach dem Maßstab eines entsprechend pflichtbewussten Hoteliers für die ausreichend sichere Verwahrung der Sachen des Klägers im Hotelzimmer zu sorgen, mit der erforderlichen Sorgfalt nachgekommen ist, oder nicht. Strittig ist in diesem Zusammenhang im Wesentlichen noch, ob das Hotelfenster durch das der Dieb in das im 5. Stockwerk unmittelbar unter dem Dach gelegene Hotelzimmer des Klägers eingestiegen ist, in ordnungsgemäßem Zustand war.

Das Erstgericht stellte im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil fest, dass der Anspruch des Klägers dem Grunde nach zu Recht bestehe. Den von ihm auf den Seiten 6 bis 15 des Ersturteiles festgestellten Sachverhalt beurteilte es rechtlich im Wesentlichen dahin, im Hinblick darauf, dass das betreffende Hotelzimmerfenster einen Sicherheits- bzw Konstruktionsmangel aufgewiesen habe und reparaturbedürftig gewesen sei, liege ein Sorgfaltsverstoß des Hoteliers vor, zumal dem Fenster ein Gesims vorgelagert sei und vom Dach kommende Einsteigdiebe daher von außen am Fenster manipulieren hätten können. Der Einwand, man könne die Fenster grundsätzlich nicht verändern, da das Hotel in einem historischen Ensemble stehe, vermöge das Hotel nicht entlasten, da es einfache, aber dennoch wirkungsvolle, für jedermann einsichtige technische Möglichkeiten gebe, das Fenster so zu gestalten, dass es von außen ohne Gewalt nicht geöffnet werden könne. Eine Sorglosigkeit des Erfüllungsgehilfen der Beklagten liege auch darin, dass - obwohl man seit nahezu vier Jahren wisse, dass hier ein Einbruchsdiebstahl geschehen sei - am Fenster keine weiteren Sicherungsmaßnahmen vorgenommen worden seien. Die Einvernahme der (von der Beklagten insbesondere zum Beweis dafür, dass die Fensterverriegelung ordnungsgemäß gewesen sei und dem englischen Standard entsprochen habe) namhaft gemachten Zeugen Dave M***** und Daniel O********** sei nicht notwendig gewesen, da die Beweisthemen, wozu die Zeugen geführt worden seien, irrelevant seien.

Das Berufungsgericht teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes und bestätigte daher dessen Entscheidung. Der von der Beklagten im Unterbleiben der beantragten Zeugenvernehmungen erblickte Verfahrensmangel liege nicht vor, da die Beklagte widersprüchliches Vorbringen zur Verriegelbarkeit des Fensters erstattet habe.

Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch aber über Antrag des Klägers gemäß § 508 Abs 3 ZPO dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch nach § 502 Abs 1 ZPO für zulässig erklärte. Die Revisionswerberin habe in ihrem Zulassungsantrag aufgezeigt, dass ihr betreffendes Vorbringen zur Verriegelbarkeit falsch interpretiert worden sei. Auch der Oberste Gerichtshof habe in seiner, einen wegen der gegenständlichen Berufungsentscheidung gegen den Berufungssenat erhobenen Ablehnungsantrag der beklagten Partei betreffenden Entscheidung 7 Ob 109/03k deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er ebenfalls von einer Fehlinterpretation durch das Berufungsgericht ausgehe.Das Berufungsgericht sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, änderte diesen Ausspruch aber über Antrag des Klägers gemäß Paragraph 508, Absatz 3, ZPO dahin ab, dass es die ordentliche Revision doch nach Paragraph 502, Absatz eins, ZPO für zulässig erklärte. Die Revisionswerberin habe in ihrem Zulassungsantrag aufgezeigt, dass ihr betreffendes Vorbringen zur Verriegelbarkeit falsch interpretiert worden sei. Auch der Oberste Gerichtshof habe in seiner, einen wegen der gegenständlichen Berufungsentscheidung gegen den Berufungssenat erhobenen Ablehnungsantrag der beklagten Partei betreffenden Entscheidung 7 Ob 109/03k deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er ebenfalls von einer Fehlinterpretation durch das Berufungsgericht ausgehe.

Die beklagte Partei macht in der Revision Mangelhaftigkeit der vorinstanzlichen Verfahren sowie unrichtige rechtliche Beurteilung geltend und beantragt, die Urteile der Vorinstanzen dahin abzuändern, dass das Klagebegehren abgewiesen werde; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Urteil des Berufungsgerichtes zu bestätigen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und berechtigt.

Zu Recht wird von der Revisionswerberin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darin erblickt, dass das Gericht zweiter Instanz dem von der Beklagten in der Berufung gerügten Verfahrensmangel der Unterlassung der Vernehmung der von ihr zum Beweis des ordnungsgemäßen Zustandes des betreffenden Hotelfensters namhaft gemachten Zeugen Dave M***** und Daniel O**********, mit der Begründung verneint hat, die Beklagte habe zur Verriegelbarkeit des Fenstern Widersprüchliches vorgebracht. Zwar kann ein Mangel erster Instanz, der in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, nach stRsp nicht mehr in der Revision gerügt werden (Kodek in Rechberger2 Rz 3 zu § 503 ZPO mwN, uva). Dieser Grundsatz ist jedoch unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen (SZ 53/12 = JBl 1981, 268 mwN, uva) oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (SZ 38/120; RIS-Justiz RS0043166, zuletzt etwa 7 Ob 20/03x). Letzteres trifft, wie die Revisionswerberin mit Recht geltend macht, hier zu:Zu Recht wird von der Revisionswerberin eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens darin erblickt, dass das Gericht zweiter Instanz dem von der Beklagten in der Berufung gerügten Verfahrensmangel der Unterlassung der Vernehmung der von ihr zum Beweis des ordnungsgemäßen Zustandes des betreffenden Hotelfensters namhaft gemachten Zeugen Dave M***** und Daniel O**********, mit der Begründung verneint hat, die Beklagte habe zur Verriegelbarkeit des Fenstern Widersprüchliches vorgebracht. Zwar kann ein Mangel erster Instanz, der in der Berufung geltend gemacht, vom Berufungsgericht aber verneint wurde, nach stRsp nicht mehr in der Revision gerügt werden (Kodek in Rechberger2 Rz 3 zu Paragraph 503, ZPO mwN, uva). Dieser Grundsatz ist jedoch unanwendbar, wenn das Berufungsgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen (SZ 53/12 = JBl 1981, 268 mwN, uva) oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat (SZ 38/120; RIS-Justiz RS0043166, zuletzt etwa 7 Ob 20/03x). Letzteres trifft, wie die Revisionswerberin mit Recht geltend macht, hier zu:

Das Berufungsgericht hat die in der Verhandlung am 17. 4. 2002 an ein Vorbringen der klagenden Partei anschließende Protokollpassage (AS 309) "BV (= Beklagtenvertreter) bestreitet, das Fenster sei verriegelbar gewesen und sei von der Polizei geschlossen worden" dahin verstanden, dass damit die Verriegelbarkeit des Fensters bestritten worden sei. Wie der erkennende Senat bereits in der erwähnten Entscheidung 7 Ob 109/03k dazu ausgeführt hat, ist dem Berufungsgericht damit eine Fehlinterpretation des Vorbringens der Beklagten unterlaufen. Nach den Gesetzen der Grammatik und im Lichte des gesamten übrigen Prozessvorbringens kann von widersprüchlichen Angaben der Beklagten zur Verriegelbarkeit des Fensters gar keine Rede sein.

Da das Berufungsgericht demnach den von der Beklagten gerügten Mangel des erstinstanzlichen Verfahrens mit einer unrichtigen, durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat, kann auf die das erstinstanzliche Verfahren betreffenden Mängelrüge eingegangen werden, die sich ebenfalls als berechtigt erweist: Die Vernehmung der beiden Zeugen M***** und O********** wurde zum Beweis dafür beantragt, dass das in Rede stehende Hotelfenster entgegen der Behauptung des Klägers verriegelbar und insgesamt in einem ordnungsgemäßen Zustand war. Das Erstgericht hat unter Würdigung anderer Beweise im Sinne des Vorbringens des für diesen Umstand beweispflichtigen Klägers Feststellungen getroffen, wonach das Fenster reparaturbedürftig und seine Konstruktion mangelhaft gewesen sei. Der Beweisantrag der Beklagten, die durch die beiden genannten Zeugen das Gegenteil, dass sich also das Fenster in einem ordnungsgemäßen, sicheren Zustand befand, nachweisen will, wurde als "irrelevant" abgetan. Die Unrichtigkeit dieser Ansicht liegt auf der Hand. Das demnach mangelhaft gebliebene erstinstanzliche Verfahren ist im Sinne der betreffenden Rüge der Revisionswerberin ergänzungsbedürftig.

Die Beklagte macht unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens auch noch als Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes geltend, dass das Berufungsgericht unterstellt habe, das betreffende Fenster sei bereits durch frühere Einbruchsdiebstähle beschädigt und dann bis zum gegenständlichen Vorfall nicht repariert worden. Dieser Rüge kommt insofern Berechtigung zu, als es nach den erstgerichtlichen Feststellungen zwar bereits im Jänner 1997 im betreffenden Hotel zu Einsteigdiebstählen gekommen war, aber nicht feststeht, dass auch schon damals das Hotelzimmer des Klägers betroffen gewesen wäre.

In ihrer Rechtsrüge vertritt die Revisionswerberin die Auffassung, welche Maßnahmen von einem Hotel zur Verhinderung von Diebstählen objektiv zu verlangen seien, richte sich danach, was tatsächlich und rechtlich möglich, ortsüblich und zumutbar sei. Dabei sei nicht auf abstrakt konstruierte Sicherheitsstandards, sondern auf die vor Ort geltenden Normen und Standards abzustellen. Sie habe dazu mehrfach vorgebracht, dass eine Veränderung an den Fenstern aus rechtlichen Gründen unzulässig sei und sich zum Beweis dafür ua auf die Zeugen M***** und O********** berufen.

An diesen Ausführungen ist grundsätzlich richtig, dass die Überlegungen, welche Sicherheitsmaßnahmen von einem Hotelier - insbesondere zur Vermeidung weiterer Einsteigdiebstähle - zu verlangen sind, auch baupolizeiliche Vorschriften und Standards mitzuberücksichtigen haben, weshalb eine diesbezügliche Beweisaufnahme durchaus sachgerecht erscheint. Dass allerdings solche Vorschriften die Vornahme von - wirtschaftlich vertretbaren und daher von einem Hotelier zu fordernden - Sicherheitsmaßnahmen überhaupt verhindern bzw unmöglich machen könnten, erscheint aber von vornherein kaum vorstellbar.

Dies alles ins Kalkül ziehend wird das Erstgericht demnach im aufgezeigten Sinn eine Verfahrensergänzung vorzunehmen und sodann neuerlich zu entscheiden haben.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 ZPO.Der Kostenvorbehalt beruht auf Paragraph 52, ZPO.

Textnummer

E71110

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0070OB00213.03D.1001.000

Im RIS seit

31.10.2003

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2012
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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