Kopf
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer III, Beschwerdesache Walter Egger und Adelheid Egger gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 9.10.2003, Bsw. 74159/01.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch III, Beschwerdesache Walter Egger und Adelheid Egger gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 9.10.2003, Bsw. 74159/01.
Spruch
§ 73 AVG, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 35 Abs. 1 EMRK - Devolutionsantrag und Erschöpfung des Instanzenzuges.Paragraph 73, AVG, Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Artikel 35, Absatz eins, EMRK - Devolutionsantrag und Erschöpfung des Instanzenzuges.
Zurückweisung der Beschwerde wegen Nichterschöpfung des Instanzenzuges (einstimmig).
Text
Begründung:
Sachverhalt:
Die Bf. beantragten 1985 eine Baubewilligung für ein Ferienhaus in der Gemeinde Predlitz-Turrach, die vom Bürgermeister am 3.6.1989 erteilt wurde. Am 30.8.1989 wurde die Bewilligung von der Steiermärkischen Landesregierung mit der Begründung behoben und für nichtig erklärt, dass sie dem Flächenwidmungsplan widerspreche. Der Bürgermeister ordnete mit Bescheid vom 28.2.1993 die Einstellung der Bauarbeiten und die Abtragung der bereits errichteten Teile des Gebäudes binnen sieben Monaten an. In ihrer dagegen am 27.7.1993 erhobenen Berufung brachten die Bf. vor, dass die Bauarbeiten bereits im August 1989 abgeschlossen worden seien und die Nichtigerklärung der Baubewilligung erst nach der Errichtung ihres Ferienhauses erfolgt sei. Mit Berufungsbescheid vom 18.3.1999 trug der Gemeinderat den Bf. in teilweiser Stattgebung ihrer Berufung auf, ihr Gebäude innerhalb einer Frist von fünf Monaten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Bescheides zu beseitigen.
Die dagegen erhobene Vorstellung wurde von der Steiermärkischen Landesregierung als unbegründet abgewiesen. Sie stellte fest, dass die Errichtung des Gebäudes gesetzwidrig gewesen und die Aufhebung der Baubewilligung bereits drei Monate nach ihrer rechtswidrigen Erteilung erfolgt sei. Der VfGH lehnte die Behandlung der von den Bf. erhobenen Bsw. mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab und trat sie dem VwGH zur Entscheidung ab. Der VwGH stellte die Rechtmäßigkeit des Beseitigungsauftrags fest und wies die Bsw. ab.
Rechtliche Beurteilung
Rechtsausführungen:
Die Bf. behaupten eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).Die Bf. behaupten eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK (hier: Recht auf angemessene Verfahrensdauer).
Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:
Die Bf. bringen vor, das Verfahren über den Beseitigungsauftrag sei
nicht in angemessener Frist durchgeführt worden.
Wie der GH bereits im Fall Bryan/GB festgestellt hat, ist Art. 6 EMRK auf Verfahren über die Beseitigung unrechtmäßig errichteter Gebäude anwendbar. Die in Betracht zu ziehende Dauer des Verfahrens begann mit der Erlassung des Bescheids durch den Bürgermeister am 28.2.1993 und endete mit der Zustellung des Erkenntnisses des VwGH am 2.1.2001.Wie der GH bereits im Fall Bryan/GB festgestellt hat, ist Artikel 6, EMRK auf Verfahren über die Beseitigung unrechtmäßig errichteter Gebäude anwendbar. Die in Betracht zu ziehende Dauer des Verfahrens begann mit der Erlassung des Bescheids durch den Bürgermeister am 28.2.1993 und endete mit der Zustellung des Erkenntnisses des VwGH am 2.1.2001.
Gemäß Art. 35 (1) EMRK kann sich der GH mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe befassen. Der GH sieht sich daher veranlasst zu prüfen, ob die Erhebung eines Devolutionsantrages nach § 73 AVG ein wirksames Rechtsmittel darstellt, was Bsw. über die unverhältnismäßig lange Dauer eines Verwaltungsverfahrens betrifft.Gemäß Artikel 35, (1) EMRK kann sich der GH mit einer Angelegenheit erst nach Erschöpfung aller innerstaatlichen Rechtsbehelfe befassen. Der GH sieht sich daher veranlasst zu prüfen, ob die Erhebung eines Devolutionsantrages nach Paragraph 73, AVG ein wirksames Rechtsmittel darstellt, was Bsw. über die unverhältnismäßig lange Dauer eines Verwaltungsverfahrens betrifft.
Der GH hat im Fall Tomé Mota/P einen Antrag auf Beschleunigung des Verfahrens nach §§ 108 und 109 der portugiesischen Strafprozessordnung als wirksamen Rechtsbehelf iSv. Art. 35 (1) EMRK angesehen. Eine Säumnisbeschwerde nach Art. 132 B-VG wurde als wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer qualifiziert (Basic/A). § 73 AVG sieht Fristen vor, innerhalb derer jede Stufe des Verfahrens abgeschlossen sein muss. Wird dieser Frist von sechs Monaten nicht entsprochen, kann jede Partei bei der Oberbehörde einen Devolutionsantrag einbringen. Wird ihm stattgegeben, muss die Oberbehörde binnen sechs Monaten in der Sache entscheiden. Angesichts der strikten Fristen, in denen die Behörden über einen Devolutionsantrag entscheiden müssen, trägt dieser Rechtsbehelf selbst nicht zur Verzögerung des Verfahrens bei. Der GH sieht keine grundlegenden Unterschiede, die es erlauben würden, zwischen dem im vorliegenden Fall zu prüfenden Devolutionsantrag nach § 73 AVG und den in den Fällen Tomé Mota/P und Basic/A geprüften Rechtsbehelfen zu unterscheiden. Angesichts der Tatsache, dass nach österreichischem Recht Verwaltungsbehörden generell verpflichtet sind, binnen sechs Monaten über den Antrag einer Partei zu entscheiden, und dass die Erhebung eines Devolutionsantrages gewöhnlich keine weitere Verfahrensverzögerung bewirkt, gelangt der GH zu dem Ergebnis, dass dieser Antrag grundsätzlich einen wirksamen Rechtsbehelf darstellt, was eine Bsw. über die Verfahrensdauer betrifft.Der GH hat im Fall Tomé Mota/P einen Antrag auf Beschleunigung des Verfahrens nach Paragraphen 108 und 109 der portugiesischen Strafprozessordnung als wirksamen Rechtsbehelf iSv. Artikel 35, (1) EMRK angesehen. Eine Säumnisbeschwerde nach Artikel 132, B-VG wurde als wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer qualifiziert (Basic/A). Paragraph 73, AVG sieht Fristen vor, innerhalb derer jede Stufe des Verfahrens abgeschlossen sein muss. Wird dieser Frist von sechs Monaten nicht entsprochen, kann jede Partei bei der Oberbehörde einen Devolutionsantrag einbringen. Wird ihm stattgegeben, muss die Oberbehörde binnen sechs Monaten in der Sache entscheiden. Angesichts der strikten Fristen, in denen die Behörden über einen Devolutionsantrag entscheiden müssen, trägt dieser Rechtsbehelf selbst nicht zur Verzögerung des Verfahrens bei. Der GH sieht keine grundlegenden Unterschiede, die es erlauben würden, zwischen dem im vorliegenden Fall zu prüfenden Devolutionsantrag nach Paragraph 73, AVG und den in den Fällen Tomé Mota/P und Basic/A geprüften Rechtsbehelfen zu unterscheiden. Angesichts der Tatsache, dass nach österreichischem Recht Verwaltungsbehörden generell verpflichtet sind, binnen sechs Monaten über den Antrag einer Partei zu entscheiden, und dass die Erhebung eines Devolutionsantrages gewöhnlich keine weitere Verfahrensverzögerung bewirkt, gelangt der GH zu dem Ergebnis, dass dieser Antrag grundsätzlich einen wirksamen Rechtsbehelf darstellt, was eine Bsw. über die Verfahrensdauer betrifft.
Im vorliegenden Fall kam es zu einer substantiellen Verzögerung nach der am 27.7.1993 erhobenen Berufung gegen den Beseitigungsauftrag, über die der Gemeinderat erst am 18.3.1999 entschied. Den Bf. stand daher mehr als fünf Jahre lang die Möglichkeit offen, einen Devolutionsantrag zu stellen. Sie machten davon jedoch keinen Gebrauch und es liegen keine Umstände vor, die die Bf. von der Erschöpfung dieses Rechtsbehelfs befreit hätten. Die Bsw. ist daher gemäß Art. 35 (1) und (4) EMRK wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges zurückzuweisen.Im vorliegenden Fall kam es zu einer substantiellen Verzögerung nach der am 27.7.1993 erhobenen Berufung gegen den Beseitigungsauftrag, über die der Gemeinderat erst am 18.3.1999 entschied. Den Bf. stand daher mehr als fünf Jahre lang die Möglichkeit offen, einen Devolutionsantrag zu stellen. Sie machten davon jedoch keinen Gebrauch und es liegen keine Umstände vor, die die Bf. von der Erschöpfung dieses Rechtsbehelfs befreit hätten. Die Bsw. ist daher gemäß Artikel 35, (1) und (4) EMRK wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges zurückzuweisen.
Vom GH zitierte Judikatur:
Bryan/GB v. 22.11.1995, A/335-A (= NL 1995, 222).
Basic/A v. 30.1.2001.
Tomé Mota/P v. 2.12.1999.
Hinweis:
Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 9.10.2003, Bsw. 74159/01, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2003, 303) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.
Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut
(pdf-Format):
www.menschenrechte.ac.at/orig/03_6/Egger.pdf
Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.
Anmerkung
EGM00470 Bsw74159.01-ZEDokumentnummer
JJT_20031009_AUSL000_000BSW74159_0100000_000