Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fatos S*****, vertreten durch Dr. Hans Kaska und Dr. Christian Hirtzberger, Rechtsanwälte in St. Pölten, wider die beklagte Partei Urim B*****, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wegen 11.550 EUR sA und Feststellung (Streitwert 60 EUR) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 3. April 2003, GZ 36 R 111/03x-35, womit das Urteil des Bezirksgerichts St. Pölten vom 24. Jänner 2003, GZ 4 C 74/01d-28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 686,88 EUR (darin 114,48 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu zahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte und drei weitere Männer planten detailliert einen Raubüberfall auf den Kläger. Sie fertigten gemeinsam Strumpfmasken für die Mittäter des Beklagten, der im Fluchtauto verbleiben und dieses bereithalten sollte, an. Unter Mitnahme von Schnüren - zur Fesselung -, von Knebelungswerkzeug und einer Schusswaffe begaben sich die drei Mittäter zur Wohnung des Klägers, den sie fesselten, knebelten und ihm einen Plastiksack über den Kopf stülpten, nachdem ihm der Lauf der Pistole an die rechte Schläfe gedrückt worden war. Der Kläger bekam kaum Luft und meinte zu ersticken. Die Räuber entnahmen der Geldbörse des Klägers 2.400 S sowie dessen Bankomatkarte, mit deren Hilfe sie späterhin 5.000 S behoben. Bei dem Überfall erlitt der Kläger eine Schädelprellung sowie leichte Prellungen an den Hand- und Sprunggelenken. Die Knebelung - mit einem schmutzigen Socken - hatte eine Infektion des Mundhöhlenbereichs zur Folge. Das brutale Vorgehen der Täter bewirkte beim Kläger unmittelbare akute Todesangst; er leidet seit dem Vorfall an einer posttraumatischen Belastungsstörung. Den Überfall kann er bis heute nicht vergessen, seine Konzentration ist manchmal leicht beeinträchtigt. Er befürchtet die Wiederholung eines Raubüberfalls, ist verunsichert und verängstigt. Seit dem Raubüberfall leidet er an Ein- und Durchschlafstörungen sowie Alpträumen. Er gab seine Wohnung auf, weil er sich darin nicht mehr sicher fühlte. Die frühere Kontaktfreudigkeit ist drastisch gemindert und insgesamt sein Sozial- und Freizeitverhalten stark beeinträchtigt. Die psychischen Nachwirkungen des Raubüberfalls dauern nach wie vor an; durch eine entsprechende Therapie könnte Besserung erzielt werden. Der Beklagte wurde vom Strafgericht wegen des Verbrechens des schweren Raubes rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, wovon 16 Monate bedingt nachgesehen wurden, verurteilt. Nach dem Spruch des Strafurteils war der Beklagte Mittäter.
Der Kläger begehrte den Zuspruch eines Schmerzengeldes im Betrag von letztlich 11.550 EUR sowie die Feststellung, dass ihm der Beklagte für sämtliche zukünftigen Schäden aus dem Raubüberfall vom 19. 3. 2000 hafte. Der Beklagte sei Mittäter des Raubüberfalls gewesen und hafte solidarisch mit seinen Mittätern für die beim Kläger bewirkten physischen und psychischen Folgen der Tat.
Der Beklagte wendete ein, er selbst habe dem Kläger keine Verletzungen zugefügt; für das Verhalten der unmittelbaren Täter könne er nicht haftbar gemacht werden. Er bestritt auch die Höhe des begehrten Schmerzengeldes.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Aus dem Strafurteil ergebe sich, dass der Beklagte den Raub als Mittäter verübt habe. Der Vorsatz aller Täter sei auf die Verübung des Raubüberfalls gerichtet gewesen, weshalb gemäß §§ 1301 f ABGB auch der Beklagte für die Folgen der Tat hafte. Das begehrte Schmerzengeld sei unter Berücksichtigung der vom Kläger erlittenen körperlichen und psychischen Schmerzen angemessen. Es sei nicht absehbar, wie lange der Kläger noch an den psychischen Folgen des Raubes leiden werde, weshalb auch dem Feststellungsbegehren stattzugeben sei.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Der Beklagte hafte gemäß §§ 1301 und 1302 ABGB solidarisch mit den anderen Mittätern. Bei einem Raubüberfall müsse stets mit erheblichen psychischen Beeinträchtigungen des Opfers gerechnet werden. Wer sich an einem solchen Delikt beteilige, hafte daher für die gesamten Folgen. Es genüge, dass Einvernehmen über die gemeinsame Durchführung des Raubüberfalls bestanden habe; ob bei dessen Verwirklichung eine (vom Beklagten) nicht beabsichtigte Schädigung erfolgt sei, sei irrelevant. Schmerzengeld gebühre dem Kläger nicht nur für die von ihm erlittenen physischen Schmerzen, sondern auch wegen der massiven Einwirkung auf seine psychische Sphäre. Diese Einwirkungen besäßen Krankheitswert, seien quantifizierbar, und sei insgesamt der Zuspruch des begehrten Schmerzengeldes schon wegen der Dauer und Intensität des erlittenen Ungemachs berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Vorweg ist klarzustellen, dass sich der Beklagte nicht darauf berufen kann, die Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen zu haben. Insoweit bindet das Strafurteil das Zivilgericht (SZ 68/195), seine Mittätereigenschaft kann daher nicht in Zweifel gezogen werden.
Soweit der Revisionswerber meint, er sei "in völlig untergeordneter Bedeutung nur im Auto sitzen geblieben", er habe den Kläger nicht verletzt, und er habe "keinesfalls davon ausgehen können, ob und welche Handlungen die übrigen Mittäter gegen den Kläger setzten", ist ihm primär der von den Vorinstanzen - und auch im Strafurteil - festgestellte Sachverhalt entgegenzuhalten, wonach der Raubüberfall von allen Beteiligten detailliert geplant worden sei und dass sich auch der Beklagte an der Anfertigung der von seinen Mittätern verwendeten Strumpfmasken beteiligt habe. Auch das Bereithalten eines Fluchtautos ist bei der Verübung eines Raubüberfalls gewiss nicht von "völlig untergeordneter Bedeutung". Da der Beklagte vorsätzlich gemeinsam mit den drei anderen am Überfall beteiligten Personen ein unerlaubtes Ziel (= Raubüberfall) verfolgte, haftet er nach §§ 1301, 1302 ABGB auch für einen hiebei von den anderen Mittätern unmittelbar verursachten Schaden solidarisch mit diesen. "Gemeinschaftlich" im Sinne des § 1301 ABGB ist die Schadenszufügung auch dann, wenn zwischen den Tätern zwar kein Einvernehmen über die Schädigung gegeben war, wohl aber über die gemeinsame Durchführung eines bestimmten Vorhabens, bei dessen Verwirklichung die vom Beklagten allenfalls nicht beabsichtigte Schädigung erfolgte. Der Vorsatz im Sinne des § 1302 Satz 2 ABGB braucht sich nicht auf den vollen Schadenserfolg zu erstrecken, sondern muss nur auf eine Rechtsverletzung oder Schädigung gerichtet sein, um die Haftung auch für weitere, daraus entspringende Schäden zu begründen. Die Grenze der Folgenzurechnung liegt bei den adäquaten Wirkungen der in der Verfolgung des gemeinsamen Ziels gesetzten Handlungen. Dass es bei einem Raubüberfall sowohl zu körperlichen wie auch zu psychischen Beeinträchtigungen des Opfers kommen kann, ist geradezu deliktstypisch und stellt keineswegs eine atypische Wirkung der in Verfolgung des gemeinsamen Zieles von den Tätern gesetzten Handlung dar (SZ 72/156; SZ 71/22). Anders als in dem zu SZ 59/7 entschiedenen Fall hat auch der Beklagte einen Beitrag zum Eintritt des Schadens geleistet und war seine Beteiligung am Raubüberfall für den Schaden ursächlich. Sein Verhalten ist daher unter den Begriff des "gemeinschaftlichen Handelns" zu subsumieren, wie es die §§ 1301 und 1302 ABGB für eine Solidarhaftung sämtlicher Beteiligter voraussetzen (siehe auch Reischauer in Rummel ABGB2 Rz 2 zu § 1301 und Rz 2 zu § 1302).
Dass dem Kläger für das Erleiden der - nach Ansicht des Beklagten freilich nur geringfügigen - körperlichen Schmerzen Schmerzengeld gebührt, wird in der Revision nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Strittig ist lediglich, ob die aufgrund des Raubüberfalls beim Kläger aufgetretenen psychischen Schäden den Zuspruch von Schmerzengeld rechtfertigen. Dies ist in Übereinstimmung mit den Vorinstanzen zu bejahen:
Nach den Feststellungen leidet der Kläger aufgrund des an ihm begangenen Raubüberfalls an einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung mit Krankheitswert. Gemäß § 1325 ABGB hat der Geschädigte im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit Anspruch auf angemessenes Schmerzengeld und psychische Schmerzen, die nicht auf einer körperlichen Verletzung beruhen, sind nach § 1325 ABGB dann auszugleichen, wenn die psychische Beeinträchtigung eine Gesundheitsschädigung darstellt. Von einer ersatzfähigen Gesundheitsschädigung ist dann auszugehen, wenn körperliche Symptome vorliegen, die als Krankheit anzusehen sind. Entscheidend ist dabei, ob die psychische Beeinträchtigung behandlungsbedürftig oder wenigstens ärztlich diagnostizierbar und damit medizinisch fassbar ist (vgl 2 Ob 111/03t; JBl 2003, 118; 2 Ob 120/02i; JBl 2001, 659; 1 Ob 282/00b; vgl SZ 72/91). Die beim Kläger aufgetretenen psychischen Störungen stellen eine massive Einwirkung auf seine psychische Sphäre dar, die weit über bloßes Unbehagen und Unlustgefühle hinausgeht. Sie fällt daher unter den Begriff der Körperverletzung (vgl SZ 72/165) und ist nach den Feststellungen auch auf die Tathandlung des Beklagten zurückzuführen.Nach den Feststellungen leidet der Kläger aufgrund des an ihm begangenen Raubüberfalls an einer behandlungsbedürftigen posttraumatischen Belastungsstörung mit Krankheitswert. Gemäß § 1325 ABGB hat der Geschädigte im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit Anspruch auf angemessenes Schmerzengeld und psychische Schmerzen, die nicht auf einer körperlichen Verletzung beruhen, sind nach § 1325 ABGB dann auszugleichen, wenn die psychische Beeinträchtigung eine Gesundheitsschädigung darstellt. Von einer ersatzfähigen Gesundheitsschädigung ist dann auszugehen, wenn körperliche Symptome vorliegen, die als Krankheit anzusehen sind. Entscheidend ist dabei, ob die psychische Beeinträchtigung behandlungsbedürftig oder wenigstens ärztlich diagnostizierbar und damit medizinisch fassbar ist vergleiche 2 Ob 111/03t; JBl 2003, 118; 2 Ob 120/02i; JBl 2001, 659; 1 Ob 282/00b; vergleiche SZ 72/91). Die beim Kläger aufgetretenen psychischen Störungen stellen eine massive Einwirkung auf seine psychische Sphäre dar, die weit über bloßes Unbehagen und Unlustgefühle hinausgeht. Sie fällt daher unter den Begriff der Körperverletzung vergleiche SZ 72/165) und ist nach den Feststellungen auch auf die Tathandlung des Beklagten zurückzuführen.
Demnach hat der Kläger gemäß § 1325 ABGB Anspruch auf angemessenes Schmerzengeld sowohl für seine physischen wie auch die von ihm erlittenen psychischen Beeinträchtigungen. Bei der Ausmessung des Schadensbetrags stehen Dauer und Intensität des ausgestandenen Ungemachs im Vordergrund. Die für die Höhe des Schmerzengeldes bestimmenden Faktoren sind die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner Psyche (SZ 73/103). Eine allgemeine Aussage, welcher Intensität körperlicher Schmerzen das durch einen Raubüberfall bewirkte seelische Ungemach gleichzuhalten sei, kann nicht getroffen werden, vielmehr sind die Bemessungskriterien als "bewegliches System" zu verstehen, innerhalb dessen Grenzen ein weiter Spielraum für die den Erfordernissen des Einzelfalls jeweils gerecht werdende Ermessensausübung besteht (ZVR 2000/103; SZ 72/165). Das Zugrundelegen von Schmerzperioden - als Berechnungshilfe - begegnet auch bei der Abgeltung psychischer Schäden keinen Bedenken. Dass die vom Kläger erlittenen psychischen Schäden seine physischen Nachteile klar überwiegen, kann jedenfalls nicht dazu führen, dass das Schmerzengeld nicht auf der Basis der oben angeführten Kriterien ausgemittelt werden könnte bzw gar geringer ausgemessen werden müsste. Es ist keine Relation zwischen physischer und psychischer Beeinträchtigung herzustellen, vielmehr gebührt sowohl für die physische wie auch für die psychische Beeinträchtigung entsprechender Ersatz. Die Höhe des von den Vorinstanzen bemessenen Zuspruchs ist unbedenklich; eine Überschreitung des richterlichen Ermessens ist nicht erkennbar.
Zumal die psychische Beeinträchtigung des Klägers bis heute nicht abgeklungen ist und Spätfolgen nicht auszuschließen sind, ist auch das Feststellungsbegehren berechtigt.
Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO. Der Revisionsstreitwert rechtfertigt allerdings nur den Zuspruch eines Einheitssatzes von 50 % (§ 23 Abs 3 RATG).
Textnummer
E71072European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00200.03Y.1014.000Im RIS seit
13.11.2003Zuletzt aktualisiert am
09.02.2011