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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §58 Abs2;Beachte
Serie (erledigt im gleichen Sinn):2007/18/0481 E 25. November 2010Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des M C in W, geboren 1982, vertreten durch Dr. Gerfried Höfferer, Rechtsanwalt in 1020 Wien, Franzensbrückenstraße 20/1/6b, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 10. November 2006, Zl. SD 1374/06, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen..
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 10. November 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 und § 63 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100, ein für die Dauer von acht Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei mit einem vom 9. Juli bis zum 20. Juli 2002 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist und habe hier am 6. November 2002 die österreichische Staatsbürgerin Romana W. geheiratet. Am 7. November 2002 habe er einen Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung mit dem Zweck "begünstigte Drittstaatsangehörige - § 49/1 FrG" gestellt. Die den Antrag entgegennehmende Beamtin habe in einem Aktenvermerk festgestellt, dass es sich um eine Scheinehe handeln dürfte, weil das Ehepaar mit einem Dolmetscher erschienen wäre und sich nur über diesen hätte verständigen können. Um zwischen dem Ablauf des Visums und der offensichtlich von vornherein ins Auge gefassten Eheschließung nicht unrechtmäßig im Bundesgebiet zu sein, habe der Beschwerdeführer am 15. Juli 2002 einen Asylantrag gestellt, den er am 15. November 2002 unmittelbar nach der Eheschließung wieder zurückgezogen habe. Im Hinblick auf den schon damals bestehenden Verdacht der Scheinehe sei Frau W. am 30. November 2002 einvernommen worden. Diese habe angegeben, es würde sich um eine Liebesheirat handeln, die nicht vermittelt worden wäre. Sie hätte den Beschwerdeführer Ende Juli 2002 in einem Lokal kennen gelernt, hätte sich aber auf Grund der Sprachprobleme nicht mit diesem unterhalten können. Im Oktober 2002 hätte er bei ihr gewohnt, im November 2002 jedoch schon bei seinem Bruder. Er hätte nichts gearbeitet und von ihr oder von seinem Bruder Unterhalt bezogen. Bei einer Erhebung im Wohnhaus hätten Wohnungsnachbarn angegeben, dass Frau W. allein bei ihren Kindern wohnen würde und noch nie in Begleitung eines Türken gesehen worden wäre.
Da der Verdacht der Scheinehe noch zu wenig gereift gewesen sei, sei dem Beschwerdeführer die beantragte Niederlassungsbewilligung gewährt worden. Anlässlich der Stellung eines Verlängerungsantrages am 15. Dezember 2004 habe sich die Erstbehörde entschlossen, dem - insbesondere wegen der getrennten Hauptwohnsitze des Ehepaares - nach wie vor bestehenden Scheineheverdacht weiter nachzugehen. Am 31. März 2005 habe Frau W. ausdrücklich zugegeben, dass die Ehe durch einen ihr namentlich nicht bekannten türkischen Staatsangehörigen vermittelt worden wäre. Zweck der Ehe wäre es gewesen, dem "Gatten" die entsprechenden fremden- und arbeitsmarktrechtlichen Bewilligungen zu verschaffen. Sie wäre die Scheinehe deshalb eingegangen, weil sie in einer finanziellen Notlage gewesen wäre. Für die Eheschließung hätte sie EUR 4.000,-- erhalten. Ein gemeinsamer Wohnsitz hätte nie bestanden. Abschließend habe Frau W. noch angegeben, dass sie sich gerne scheiden lassen würde, der Beschwerdeführer aber aus Angst vor dem Verlust des Aufenthaltstitels dagegen wäre und ihr laufend Geld anbieten würde.
Abgesehen von dieser Aussage spreche - so die belangte Behörde weiter - für das Vorliegen einer Scheinehe, dass sich die Ehepartner erst ca. einen Monat vor der Ehe kennen gelernt hätten, dass sie sich nur über Dolmetsch verständigen könnten, dass Frau W. um 13 Jahre älter als ihr Ehemann sei, dass das Ehepaar nicht zusammenlebe, dass Frau W. im Hochzeitszeitpunkt Notstandshilfe bezogen habe und in einer finanziellen Notlage gewesen sei und dass sie für die Eheschließung einen namhaften Geldbetrag bekommen habe. Es sei kein Grund zu erkennen, der Aussage von Frau W. den Glauben zu versagen. Die anders lautenden Angaben bei ihrer ersten Einvernahme könnten die Glaubwürdigkeit der zweiten Aussage nicht beeinträchtigen.
Der Beschwerdeführer sei Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 4 Z. 12 FPG, weil er Drittstaatsangehöriger und (noch) Ehemann einer nicht freizügigkeitsberechtigten österreichischen Staatsbürgerin sei. Das Aufenthaltsverbot sei gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG zulässig. Das Verhalten des Beschwerdeführers, eine Scheinehe zwecks Erlangung aufenthalts- und beschäftigungsrechtlicher Vorteile einzugehen, laufe öffentlichen Interessen zuwider und stelle eine grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung insbesondere auf dem Gebiet eines geordneten Ehe- und Fremdenwesens dar. Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei daher dringend geboten. Das im Eingehen einer Aufenthaltsehe liegende Verhalten, welches mit der Täuschung staatlicher Organe über den wahren Ehewillen beginne und sich bis zum dadurch bewirkten Erschleichen staatlicher Berechtigungen und Befugnisse fortsetze, stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die das Grundinteresse der Gesellschaft an einer gesetzlich gesteuerten Zuwanderung berühre. Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG falle der nunmehr über vierjährige Aufenthalt des Beschwerdeführers sowie der Aufenthalt der Eltern und Geschwister im Bundesgebiet erheblich ins Gewicht. Eine von diesem Aufenthalt ausgehende Integration in Österreich werde in ihrer Bedeutung dadurch entscheidend gemindert, dass sowohl die Niederlassungsbewilligung als auch die Arbeitsbewilligung auf Grund des Eingehens einer Scheinehe erteilt worden sei. Den starken persönlichen bzw. privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich stehe gegenüber, dass er durch die rechtsmissbräuchliche Eingehung der Ehe und die Berufung darauf für seinen Antrag auf eine Niederlassungsbewilligung maßgebliche öffentliche Interessen im Sinn des Art. 8 Abs. 2 EMRK (Wahrung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens) erheblich beeinträchtigt habe. Das Aufenthaltsverbot sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers wögen nicht schwerer als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.
Die fünfjährige Befristung des Aufenthaltsverbotes durch die Erstbehörde sei nach Ansicht der belangten Behörde insoweit nicht gerechtfertigt, als seit dem 1. Jänner 2006 die (gesetzliche) Höchstdauer unter anderem auch in Fällen von Aufenthaltsehen von fünf auf zehn Jahre hinaufgesetzt worden sei. Im Hinblick auf das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers könne ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch seinen Aufenthalt im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen eines achtjährigen Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. Die Beschwerde bringt vor, die belangte Behörde hätte gem. § 6 AVG von Amts wegen ihre Unzuständigkeit (iSd. § 9 Abs. 1 Z. 1 FPG) wahrnehmen müssen. Sie hätte die Ehefrau des Beschwerdeführers zur Zuständigkeit befragen müssen. Im Übrigen sei der Beschwerdeführer türkischer Staatsangehöriger, der seit 20. Jänner 2003 durch ständige Arbeitstätigkeit dem regulären österreichischen Arbeitsmarkt angehöre.
1.2. Dem ist zu erwidern, dass auch in der Beschwerde keine Umstände vorgebracht werden, die den Schluss zuließen, dass die österreichische Ehefrau des Beschwerdeführers ihre Freizügigkeit in Anspruch genommen hätte. Der Beschwerdeführer hat damit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargetan. Im Übrigen wäre zwar für türkische Staatsangehörige, denen die Rechtstellung nach Art. 6 oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukommt, § 9 Abs. 1 FPG anzuwenden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0138, sowie das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 13. Oktober 2006, G 26/06 ua). Eine durch eine Scheinehe herbeigeführte Täuschung der Behörden, die zur Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung sowie eines Befreiungsscheines geführt hat, steht jedoch der Anwendung des Art. 6 ARB entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 98/18/0100).
2.1. Der Beschwerdeführer macht weiters geltend, er sei sozial integriert und berufstätig. Er habe seinen privaten und wirtschaftlichen Lebensmittelpunkt seit fast fünf Jahren im Bundesgebiet. Seine Eltern und zwei seiner Brüder würden in Wien leben und in seiner Nähe wohnen. Zu ihnen bestünde ein intensiver familiärer Kontakt. Er habe sich seit seiner Eheschließung seit über vier Jahren wohl verhalten. Diese Umstände seien bei der Ermessensübung zu berücksichtigen. Die belangte Behörde habe dazu weder Feststellungen getroffen noch sonst ihr Ermessen begründet.
2.2. § 86 Abs. 1 iVm § 60 Abs. 1 FPG räumt der Behörde insofern Ermessen ein, als sie diese ermächtigt, von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes trotz Vorliegens der in den §§ 60, 61, 66 und 86 FPG normierten Tatbestandsvoraussetzungen abzusehen. Nach Art. 130 Abs. 2 B-VG hat die Behörde von dem besagten Ermessen "im Sinne des Gesetzes" Gebrauch zu machen. Sie hat hiebei in Erwägung zu ziehen, ob und gegebenenfalls welche Umstände im Einzelfall vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung gegen die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sprechen, und sich hiebei insbesondere von den Vorschriften des FPG leiten zu lassen. Es könnten etwa - anders als bei der Beurteilung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 66 FPG - öffentliche Interessen zugunsten eines Fremden berücksichtigt werden und bei entsprechendem Gewicht eine Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes im Rahmen der Ermessensentscheidung rechtfertigen. Aber auch persönliche, schon im Rahmen der Prüfung der Zulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes nach § 66 FPG zu berücksichtigende Interessen sind bei der Handhabung des Ermessens nach § 60 Abs. 1 FPG dann zu beachten, wenn dies erforderlich ist, um den besonderen im Einzelfall gegebenen Umständen gerecht zu werden (vgl. das zu § 36 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 24. April 2001, Zl. 98/18/0183).
Die belangte Behörde hat sich im angefochtenen Bescheid mit der Frage der Ermessensübung nicht auseinandergesetzt. Der Beschwerdeführer hat - unvorgreiflich des Ergebnisses der behördlichen Ermessensübung - die Relevanz dieses Verfahrensmangels aufgezeigt, indem er - wenngleich inhaltlich unter Heranziehen der bereits für die Beurteilung nach § 66 Abs. 1 FPG bedeutsamen Umstände - dargelegt hat, aus welchen Gründen die belangte Behörde zu seinen Gunsten Ermessen zu üben gehabt hätte.
Bezüglich ihrer Ermessensentscheidung hätte die Behörde in der Begründung ihres Bescheides die für die Ermessensübung maßgeblichen Umstände und Erwägungen insoweit aufzuzeigen gehabt, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes auf seine Übereinstimmung mit dem Gesetz erforderlich ist. (Vgl. zum Ganzen eingehend den hg. Beschluss vom 24. April 1998, Zl. 96/21/0490.)
3. Da es die belangte Behörde unterlassen hat, eine dem Beschwerdeführer die Verfolgung seiner subjektiven Rechte vor dem Verwaltungsgerichtshof einerseits und dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmäßigkeit des Bescheids andererseits ermöglichende Begründung für ihre Ermessensentscheidung im Sinn der vorstehenden Ausführungen zu geben, leidet der angefochtene Bescheid an einem wesentlichen Verfahrensmangel. Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.
4. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 15. Mai 2007
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelVerfahrensbestimmungen ErmessenErmessen VwRallg8ErmessenBegründung von ErmessensentscheidungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006180445.X00Im RIS seit
20.06.2007Zuletzt aktualisiert am
16.02.2011