TE OGH 2003/11/18 10ObS3/03v

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Veröffentlicht am 18.11.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Gustav Liebhart (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Thomas Albrecht (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Rudolf S*****, Pensionist, *****, Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Dr. Christian Zangerle, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Kriegsgefangenenentschädigung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 2. Oktober 2002, GZ 23 Rs 34/02z-16, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Dezember 2001, GZ 44 Cgs 183/01w-7, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen mit 242,80 EUR (davon 40,9 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Berufungsverfahrens und einen mit 166,56 EUR (davon 27,76 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Teil der Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der am 23. 2. 1923 geborene Kläger befand sich vom 22. 8. 1943 bis 26. 9. 1947 in russischer Kriegsgefangenschaft. Er ist österreichischer Staatsbürger; sein gewöhnlicher Aufenthalt liegt in der Bundesrepublik Deutschland.

Mit Bescheid vom 30. 7. 2001 hat die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten den Antrag des Klägers vom 27. 6. 2001 auf Gewährung einer Entschädigung nach dem KGEG wegen des Fehlens des gewöhnlichen Aufenthalts im Inland abgelehnt.

Mit Urteil vom 5. 12. 2001 (auch Tag des Schlusses der Verhandlung in erster Instanz) wies das Erstgericht die gegen diesen Bescheid erhobene Klage ab, wobei es sich dem im angefochtenen Bescheid vertretenen Standpunkt anschloss.

Nach Einbringung einer Berufung durch den Kläger erließ die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten am 29. 4. 2002 einen weiteren Bescheid, in dem es dem Kläger ab 1. 1. 2002 eine Kriegsgefangenenentschädigung in Höhe von monatlich 29,07 EUR zuerkannte. Dieser Bescheid blieb unangefochten.

Das Berufungsgericht stellte hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1. 1. 2002 im Hinblick auf eine entsprechende Klagseinschränkung die Wirkungslosigkeit des Ersturteils fest und gab der Berufung des Klägers hinsichtlich des strittig verbliebenen Zeitraums vom 1. 6. 2001 bis 31. 12. 2001 nicht Folge. Eine gesetzliche Regelung, die den Anspruch auf eine zur Entschädigung einer mit besonderen Härten verbundenen Situation dienende pauschalierte Leistung an eine Nahebeziehung des anspruchsberechtigten Personenkreises zum Inland binde und dabei auf dessen Aufenthalt abstelle, könne als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken erwecken. Nach Ansicht des Berufungsgerichts habe der Gesetzgeber auch nicht den ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten, weshalb kein Anlass bestehe, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Da die Verordnung (EWG) 1408/71 gemäß ihrem Art 4 Abs 4 nicht auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden sei, sehe sich das Berufungsgericht auch nicht veranlasst, ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof einzuleiten.Das Berufungsgericht stellte hinsichtlich des Zeitraums ab dem 1. 1. 2002 im Hinblick auf eine entsprechende Klagseinschränkung die Wirkungslosigkeit des Ersturteils fest und gab der Berufung des Klägers hinsichtlich des strittig verbliebenen Zeitraums vom 1. 6. 2001 bis 31. 12. 2001 nicht Folge. Eine gesetzliche Regelung, die den Anspruch auf eine zur Entschädigung einer mit besonderen Härten verbundenen Situation dienende pauschalierte Leistung an eine Nahebeziehung des anspruchsberechtigten Personenkreises zum Inland binde und dabei auf dessen Aufenthalt abstelle, könne als solche keine verfassungsrechtlichen Bedenken erwecken. Nach Ansicht des Berufungsgerichts habe der Gesetzgeber auch nicht den ihm eingeräumten rechtspolitischen Gestaltungsspielraum überschritten, weshalb kein Anlass bestehe, einen Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Da die Verordnung (EWG) 1408/71 gemäß ihrem Artikel 4, Absatz 4, nicht auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen anzuwenden sei, sehe sich das Berufungsgericht auch nicht veranlasst, ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof einzuleiten.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn eines Zuspruchs der begehrten Kriegsgefangenenentschädigung auch für den Zeitraum vom 1. 6. 2001 bis 31. 12. 2001. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, die in § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 normierte Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland verstoße gegen das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz (Art 7 B-VG, Art 2 StGG). Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde auch auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Art 12 EG-Vertrag verwiesen, gegen das § 3 KGEG idF BGBl I Nr 70/2001 unter dem Aspekt verstoße, dass die Mobilität von EG-Bürgern behindert werde, weil sie bei einem Wohnsitzwechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen den Verlust einer Entschädigung nach dem KGEG erleiden. Im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 18. 3. 2004, 10 ObS 3/03v, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, es möge ausgesprochen werden, dass die - mit Bundesgesetz BGBl I 2002/40 mit Ablauf des 31. 12. 2001 aufgehobene - Bestimmung des § 3 KGEG ("Die im § 1 genannten Personen haben Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.") verfassungswidrig war.Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt. In seiner Rechtsrüge vertritt der Kläger den Standpunkt, die in Paragraph 3, KGEG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 70 aus 2001, normierte Beschränkung des Kreises der Anspruchsberechtigten auf Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland verstoße gegen das Gebot der Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 7, B-VG, Artikel 2, StGG). Aus Gründen anwaltlicher Vorsicht werde auch auf das allgemeine Diskriminierungsverbot des Artikel 12, EG-Vertrag verwiesen, gegen das Paragraph 3, KGEG in der Fassung Bundesgesetzblatt Teil eins, Nr 70 aus 2001, unter dem Aspekt verstoße, dass die Mobilität von EG-Bürgern behindert werde, weil sie bei einem Wohnsitzwechsel von einem Mitgliedstaat in einen anderen den Verlust einer Entschädigung nach dem KGEG erleiden. Im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken hat der Oberste Gerichtshof mit Beschluss vom 18. 3. 2004, 10 ObS 3/03v, beim Verfassungsgerichtshof den Antrag gestellt, es möge ausgesprochen werden, dass die - mit Bundesgesetz BGBl römisch eins 2002/40 mit Ablauf des 31. 12. 2001 aufgehobene - Bestimmung des Paragraph 3, KGEG ("Die im Paragraph eins, genannten Personen haben Anspruch auf eine Leistung nach diesem Bundesgesetz, wenn sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.") verfassungswidrig war.

Mit Erkenntnis vom 8. 10. 2003, G 47/03-6, wies der Verfassungsgerichtshof den Antrag ab. Dem Gesetzgeber komme bei der Beurteilung, ob und in welchem Umfang er Kriegsgefangene entschädige, ein weiter Beurteilungsspielraum zu. Beschränke der Gesetzgeber bei Einführung der Kriegsgefangenenentschädigung den Kreis anspruchsberechtigter Personen vorweg auf eine bestimmte Gruppe von Kriegsgefangenen, um mit einem weiteren Schritt den Personenkreis auch auf andere Kriegsgefangene auszuweiten, könne dem Gesetzgeber aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegen getreten werden, Gleiches gelte, wenn der Gesetzgeber im Rahmen der stufenweisen Einführung zunächst (ua) nur jene Kriegsgefangenen bedacht habe, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hätten. Auch der verfassungsrechtlich zulässige Zeitraum, innerhalb dessen der anspruchsberechtigte Personenkreis auf Kriegsgefangenen mit (nunmehr) gewöhnlichem Aufenthalt im Inland beschränkt bleiben dürfe, sei im vorliegenden Fall nicht überschritten worden. In Anbetracht des Umstands, dass die angefochtene Anspruchsvoraussetzung bereits mit Wirkung vom 1. Jänner 2002, also nur ein Jahr nach Inkrafttreten des KGEG durch das Budgetbegleitgesetz 2001, weggefallen sei, könne dem Gesetzgeber insgesamt nicht vorgeworfen werden, er habe mit der stufenweisen Einführung seinen rechtspolitischen Gestaltungsspielraum verlassen.

Nach der Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich die Revisionsausführungen als nicht berechtigt. Strittig ist allein die Anspruchsberechtigung des Klägers für den Zeitraum vom 1. 6. 2001 bis 31. 12. 2001. In dieser Zeit band § 3 KGEG die Anspruchsberechtigung an einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers im Inland. Ein solcher lag beim Kläger nicht vor, sodass ein Anspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung für den genannten Zeitraum zu verneinen ist.Nach der Zustellung dieses Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs ist das Revisionsverfahren von Amts wegen fortzusetzen. Im Hinblick auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes erweisen sich die Revisionsausführungen als nicht berechtigt. Strittig ist allein die Anspruchsberechtigung des Klägers für den Zeitraum vom 1. 6. 2001 bis 31. 12. 2001. In dieser Zeit band Paragraph 3, KGEG die Anspruchsberechtigung an einen gewöhnlichen Aufenthalt des Antragstellers im Inland. Ein solcher lag beim Kläger nicht vor, sodass ein Anspruch auf Kriegsgefangenenentschädigung für den genannten Zeitraum zu verneinen ist.

Dieses Ergebnis begegnet auch keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. 9. 2003, 10 ObS 219/03h, näher dargelegt hat, ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, nach ihrem Art 4 Abs 4 auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen nicht anwendbar. Bei der vom Kläger begehrten Kriegsgefangenenentschädigung handelt es sich eindeutig - wie aus dem in § 1 KGEG normierten Anspruchsvoraussetzungen unzweifelhaft erhellt - um eine Leistung aus einem Leistungssystem für Opfer des Krieges und seiner Folgen im Sinn des Art 4 Abs 4 der Verordnung Nr 1408/71.Dieses Ergebnis begegnet auch keinen gemeinschaftsrechtlichen Bedenken. Wie der Oberste Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 16. 9. 2003, 10 ObS 219/03h, näher dargelegt hat, ist die Verordnung (EWG) Nr 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, nach ihrem Artikel 4, Absatz 4, auf Leistungssysteme für Opfer des Krieges und seiner Folgen nicht anwendbar. Bei der vom Kläger begehrten Kriegsgefangenenentschädigung handelt es sich eindeutig - wie aus dem in Paragraph eins, KGEG normierten Anspruchsvoraussetzungen unzweifelhaft erhellt - um eine Leistung aus einem Leistungssystem für Opfer des Krieges und seiner Folgen im Sinn des Artikel 4, Absatz 4, der Verordnung Nr 1408/71.

Die im Gemeinschaftsrecht verankerte Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Eine Regelung wie § 3 KGEG in der hier anzuwendenden Fassung ist aber unabhängig von der Staatsangehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anwendbar, weshalb sie nicht die Freizügigkeit beschränkend angesehen werden kann (vgl EuGH 16. 9. 1999, C-190/98, Graf/Filzmoser uva). Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.Die im Gemeinschaftsrecht verankerte Freizügigkeit der Arbeitnehmer umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige Arbeitsbedingungen. Eine Regelung wie Paragraph 3, KGEG in der hier anzuwendenden Fassung ist aber unabhängig von der Staatsangehörigkeit des betroffenen Arbeitnehmers anwendbar, weshalb sie nicht die Freizügigkeit beschränkend angesehen werden kann vergleiche EuGH 16. 9. 1999, C-190/98, Graf/Filzmoser uva). Der Revision ist somit ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Wegen der rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens (die klagende Partei legte in ihrem Rechtsmittel ausführlich - vom Senat geteilte - Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 3 KGEG dar) entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen klagenden Partei die Hälfte der Kosten ihres Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 2/29 ua).Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera b, ASGG. Wegen der rechtlichen Schwierigkeiten des Verfahrens (die klagende Partei legte in ihrem Rechtsmittel ausführlich - vom Senat geteilte - Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des Paragraph 3, KGEG dar) entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen klagenden Partei die Hälfte der Kosten ihres Vertreters zuzusprechen (SSV-NF 2/29 ua).

Anmerkung

E71561 10ObS3.03v-2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:010OBS00003.03V.1118.000

Dokumentnummer

JJT_20031118_OGH0002_010OBS00003_03V0000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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