Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei R***** reg Genossenschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Kurt Lechner, Rechtsanwalt in Neunkirchen, wider die beklagten Parteien 1) Brigitte R***** (2 C 144/96z), 2) Gerhild O***** (2 C 153/96y), 3) Eduard K***** (2 C 154/96w), 4) Dr. Beatrix F***** (2 C 158/96h), 5) a) Helmut M*****, b) Gabriele M*****, beide ***** (2 C 159/96f), 6) Karl G***** (2 C 164/96s), 7) Josefine J***** (2 C 165/96p), und 8) Günther W***** (2 C 203/96a), alle vertreten durch Hofstätter & Kohlfürst Rechtsanwälte OEG in Graz, wegen Aufkündigung infolge außerordentlicher Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 18. Juni 2003, GZ 3 R 51/03x-146, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. In jüngerer Zeit wurde etwa in der Entscheidung 7 Ob 587, 588/92 (= MietSlg 44.204/40) in Fortschreibung der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ausgesprochen, der Einzelrechtsnachfolger sei an einen Kündigungsverzicht des Rechtsvorgängers gegenüber dem Bestandnehmer nach § 1120 ABGB nicht gebunden und ein "Volleintritt" des Erwerbers in einen Mietvertrag sei nicht schon dann anzunehmen, wenn der Erwerber das Bestandverhältnis nicht zum nächsten Termin aufgekündigt habe. Es bedürfe keiner besonderen Äußerung des Erwerbers, einen bestehenden Kündigungsverzicht nicht anzuerkennen; schon gar nicht sei die bloße Kenntnis vom Kündigungsverzicht von Bedeutung.
In der Entscheidung 1 Ob 344/99s (= SZ 73/102), der die Kündigung von Mietverhältnissen über bestimmte Grundflächen an dem hier wiederum maßgebenden Badesee zugrunde liegen, wurde betont, § 1121 ABGB dehne die Regelung des § 1120 ABGB auf den Ersteher im Zwangsversteigerungsverfahren aus. Letztere Norm sei im Einklang mit beachtlichen Argumenten im Schrifttum gegen die (bisherige) Rechtsprechung so zu verstehen, dass der Erwerber sein gesetzliches Kündigungsrecht innerhalb angemessener Frist ausüben müsse, widrigenfalls er an vertragliche Kündigungsbeschränkungen gebunden bleibe. Dieser Grundsatz wurde in der Entscheidung 1 Ob 122/02a fortgeschrieben. Danach soll § 1120 ABGB dem Erwerber die Beendigung von Bestandverhältnissen frühestens zum nächsten gesetzlichen Kündigungstermin ermöglichen, sofern er das Bestandobjekt selbst nutzen oder anderweitig verwerten wolle. Werde jedoch von der Kündigungsmöglichkeit in zeitlicher Nähe zum Erwerbszeitpunkt nicht Gebrauch gemacht, sei fraglich, ob der Gesetzeszweck noch eine Jahre später erfolgende Kündigung durch den nunmehrigen Vermieter - aber allenfalls auch durch den Mieter - trage. Ersterer befinde sich dann typischerweise in keiner wesentlich anderen Situation als ein Vermieter, der ein Bestandverhältnis ohne eine Erwerbsvorgang wegen geänderter Umstände vorzeitig beenden wolle, daran aber infolge einer vereinbarten Befristung gehindert sei. Eine unter Umständen mehrere Jahrzehnte andauernde Rechtsunsicherheit sei nicht nur für den Mieter, sondern auch für den Veräußerer (oder dessen Erben) problematisch, müsste letzterer doch auf unabsehbare Zeit mit Schadenersatzansprüchen iSd § 1120 zweiter Satz ABGB rechnen.
2. Der klagenden Partei wurden die hier bedeutsamen Liegenschaften am 14. 2. 1996 als Ersteherin in einem Zwangsversteigerungsverfahren zugeschlagen. Die Grundverkehrsbehörde genehmigte den Zuschlag am 10. 4. 1996. Der Beschluss über die Zuschlagserteilung erwuchs am 28. 5. 1996 in Rechtskraft. Die streitverfangenen gerichtlichen Aufkündigungen wurden im November 1996 eingebracht. Nach weiteren Feststellungen der Vorinstanzen, die im Revisionsverfahren noch von Bedeutung sind, führte die Ersteherin gleich nach Erteilung des Zuschlags Verhandlungen über ein Verkaufsanbot mit dem Beklagtenvertreter. Mit Schreiben vom 16. 9. 1996 forderte die Ersteherin "die einzelnen Mieter" schließlich auf, "eine Erklärung abzugeben, ob bis 15. 10. 1996 geräumt werde oder Interesse am Ankauf des Liegenschaftsanteils bestehe" (Ersturteil ON 131 S 32). Angesichts dieser Tatsachen wäre in der Ansicht des Berufungsgerichts, die Ersteherin habe von ihrem gesetzlichen Kündigungsrecht innerhalb angemessener Frist Gebrauch gemacht, zumindest keine gravierende Fehlbeurteilung als Voraussetzung der Zulässigkeit der Revision zu erblicken. Die Beklagten müssten mit ihrem Rechtsmittel daher selbst dann scheitern, wenn der Oberste Gerichtshof im erörterten Punkt nunmehr die bereits in den Entscheidungen 1 Ob 344/99s und 1 Ob 122/02a angekündigte Änderung der Rechtsprechung vollzöge.
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist nach den getroffenen Feststellungen auch nicht erkennbar, dass die klagende Partei von ihrem gesetzlichen Kündigungsrecht aus besonderen Gründen rechtsmissbräuchlich Gebrauch gemacht hätte. Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Kündigungen seien nicht sittenwidrig gewesen, kann daher - nach den hier maßgebenden Umständen - nicht auf einer groben Verkennung der Rechtslage als Voraussetzung der Zulässigkeit der Revision beruhen. Die Beklagten behaupten insofern auch gar nicht, dass dem Berufungsgericht eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen sei.
Die außerordentliche Revision ist somit gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.Die außerordentliche Revision ist somit gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels Vorliegens der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückzuweisen.
Textnummer
E71469European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00248.03G.1118.000Im RIS seit
18.12.2003Zuletzt aktualisiert am
09.02.2011