TE OGH 2003/11/18 1Ob37/03b

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Veröffentlicht am 18.11.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Gesellschaft mbH, ***** vertreten durch Thiery & Ortenburger, Rechtsanwaltssozietät in Wien, wider die beklagte Partei Dr. Werner S*****, Rechtsanwalt in Wien, als Masseverwalter im Konkurs über das Vermögen der Alexandra Helena S*****, wegen 5.813,83 EUR sA infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 20. November 2002, GZ 2 R 133/02x-20, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 18. März 2002, GZ 13 Cg 121/01y-13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 499,39 EUR (darin 83,23 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Gemeinschuldnerin war Hauptmieterin eines Geschäftslokals und Untermieterin eines unmittelbar anschließenden Geschäftslokals, dessen Hauptmieterin die klagende Partei war. Unbestrittenermaßen steht fest, dass die Gemeinschuldnerin nach Konkurseröffnung ohne Zustimmung des beklagten Masseverwalters an die klagende Partei anfechtbare Zahlungen im Ausmaß von 80.000 S (= 5.813,83 EUR) leistete. Am 28. 12. 2000 vereinbarten der Beklagte, die klagende Partei und die künftige Hauptmieterin der beiden Geschäftslokale an Ablöse für die Mietrechte einen Betrag von 300.000 S für das Geschäftslokal, an dem die Gemeinschuldnerin die Hauptmietrechte hatte, und von 650.000 S für das andere Lokal. Die Ablösebeträge sollten auf ein separates Masseanderkonto überwiesen werden. Der beklagte Masseverwalter wurde ermächtigt - und verpflichtet -, die Beträge einerseits für die Masse zu vereinnahmen bzw andererseits an die klagende Partei weiterzuleiten, sobald bestimmte Bedingungen erfüllt seien. Der Beklagte überwies der klagenden Partei am 23. 1. 2002 lediglich 570.000 S, weil er die von der Gemeinschuldnerin geleisteten 80.000 S in Abzug brachte. Die Kanzleileiterin des Beklagten, die die Verhandlungen mit den an der Ablösevereinbarung beteiligten Parteien führte, hatte der klagenden Partei mitgeteilt, dass seitens der Gemeinschuldnerin anfechtbare Mietzahlungen von 80.000 S geleistet worden seien, und die Vorinstanzen konnten einen Verzicht auf die Anfechtung dieser Zahlungen nicht feststellen.

Die klagende Partei begehrte die Zahlung von 5.813,83 EUR, weil der Beklagte als Masseverwalter die mit Treuhandauftrag übernommene Verpflichtung zur Zahlung von 650.000 S nur teilweise, nämlich durch Zahlung von 570.000 S, erfüllt habe.

Der Beklagte wendete insbesondere ein, die Gemeinschuldnerin habe ohne sein Wissen und Einverständnis anfechtbare Zahlungen von 80.000 S erbracht, weshalb er zum Einbehalt dieses Betrags berechtigt sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Kanzleileiterin des beklagten Masseverwalters habe kein Zugeständnis im Sinne eines Verzichts auf die Anfechtung der von der Gemeinschuldnerin erbrachten Leistungen im Ausmaß von 80.000 S gemacht; überdies sei sie nicht zu verbindlichen rechtsgeschäftlichen Erklärungen seitens des Masseverwalters bevollmächtigt gewesen. Dieser habe auch keine Handlungen gesetzt, die auf eine derartige Bevollmächtigung schließen lassen könnten. Verstehe man die am 28. 12. 2000 geschlossene Vereinbarung als Treuhandverhältnis, so sei der Masseverwalter wegen der anfechtbaren Zahlung dennoch befugt, die Gegenforderung von dem der klagenden Partei zustehenden Ablösebetrag in Abzug zu bringen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Die Kanzleileiterin des Masseverwalter sei nicht berechtigt gewesen, für diesen rechtsgeschäftlich verbindlich tätig zu werden. Der Masseverwalter habe auch keinen Anschein erweckt, dass er eine derartige Vollmacht erteilt habe. Ein Verzicht auf die Anfechtung der von der Gemeinschuldnerin geleisteten Zahlungen im Ausmaß von 80.000 S sei nicht erfolgt. Der Masseverwalter habe zwar in Ansehung der an ihn überwiesenen Teilablöse von 650.000 S die Pflichten eines Treuhänders übernommen, er sei aber dennoch zur Aufrechnung berechtigt gewesen, weil die klagende Partei mit der Geltendmachung dieser Gegenansprüche habe rechnen müssen, zumal sie über die Aufrechnungslage schon vor Begründung des Treuhandverhältnisses Bescheid gewusst habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Vorweg ist dem von der beklagten Partei in der Revisionsbeantwortung erhobenen Einwand, mit Punkt IV der Vereinbarung vom 28. 12. 2000 (Beilage A) sei kein Treuhandverhältnis begründet worden, entgegenzuhalten, dass diese Vereinbarung, nach der der Masseverwalter "berechtigt" sei, den Betrag von 650.000 S - nach Eintritt verschiedener Bedingungen - an die klagende Partei weiterzuleiten, als Treuhandverpflichtung anzusehen ist. Der Wortlaut der zitierten Vertragsbestimmung ist ohne jeden Zweifel nicht nur als "Berechtigung", sondern eindeutig auch als Verpflichtung des Masseverwalters zu verstehen, den auf dem von ihm eingerichteten Masseanderkonto einlangenden Teilbetrag an die klagende Partei auszuzahlen. Das folgt nicht zuletzt aus der Formulierung, der Masseverwalter "ist ... berechtigt, die genannten Beträge erst dann ... (an die klagende Partei) ... weiterzuleiten, wenn ...". Dass er dazu verpflichtet war, wurde, da es sich schließlich um Fremdgelder handelte, wie selbstverständlich vorausgesetzt, wogegen die Befugnis hiezu (arg "erst dann") an zwei Bedingungen geknüpft wurde.

Richtig ist, dass der Obersten Gerichtshof in der älteren Rechtsprechung die Ansicht vertrat, ein Treuhandverhältnis stehe der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts bzw der Aufrechnung entgegen, zumal das Treugut ein selbständiges Sondervermögen des Treuhänders sei und der zweite Satz des § 1440 ABGB auch den Schutz des Vertrauens des Gläubigers bezwecke (SZ 26/156). In der Entscheidung SZ 36/151 führte der Oberste Gerichtshof aus, der aus § 1012 ABGB abgeleitete "Ausschluss des § 1440 ABGB" gelte nur für das Bevollmächtigungsverhältnis, nicht aber auch für sonstige Rechtsbeziehungen zwischen Machtgeber und Machthaber. Dieser dürfe "Forderungen, die er aus sonstigen Rechtsbeziehungen mit dem Machtgeber gegen diesen behaupte, nicht mit dem kompensieren, was er nach Abrechnung des Bevollmächtigungsverhältnisses für den Machtgeber in Verwahrung" habe. Bereits in der Entscheidung SZ 38/17 vertrat das Höchstgericht aber schon die Ansicht, es hänge von den Umständen des einzelnen Falls ab, ob bei einer Treuhandschaft analog zu § 1440 ABGB ein Retentionsrecht des Treuhänders für Aufwendungen auf das Treugut ausgeschlossen sei. Dennoch urteilte der Oberste Gerichtshof in der Folge unter Berufung auf SZ 26/156 abermals, dass ein Treuhandverhältnis der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts entgegen stehe, und zwar auch dann, wenn das Rechtsverhältnis zwischen den betroffenen Parteien nicht ausschließlich als Bevollmächtigungsvertrag beurteilt werden könne (JBl 1966, 364).

In der Entscheidung EvBl 1971/249 vertrat das Höchstgericht die Auffassung, die für den Machthaber nach § 1012 ABGB geltende Ausnahme vom Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsverbot des § 1440 ABGB reiche nicht über die Abrechnung aus dem Bevollmächtigungsvertrag hinaus. In SZ 55/147 wurde auf die bisherige Judikatur (teilweise) Bezug genommen und auf den Einzelfall bezogen zum Ausdruck gebracht, dass eine Ausnahme vom Aufrechnungsverbot des § 1440 ABGB nicht vorliege, weil "weder die gesetzlichen Bestimmungen noch die Parteienvereinbarung und die tatsächliche Übung" eine solche Ausnahme rechtfertigten.

In der Entscheidung JBl 1999, 659 sprach der Oberste Gerichtshof schließlich aus, die Kritik der Lehre an der Rechtsprechung, die eine Aufrechnung beim Mandats- und Treuhandvertrag grundsätzlich ablehne, sei zumindest in jenen Fällen überzeugend, in denen der Rückforderungsgläubiger typischerweise mit Gegenansprüchen des Beauftragten rechnen müsse, sie also für ihn nicht überraschend kämen. In solchen Fällen sei eine Aufrechnung zulässig.

In Anlehnung an dieses Erkenntnis führte der erkennende Senat aus, aufgrund des dem zweiten Satz des § 1440 ABGB immanenten Gesetzeszwecks komme es vor allem darauf an, ob dem Gläubiger angesichts des jeweiligen Rechtsverhältnisses insoweit eine uneingeschränkte Rück- bzw Herausgabeerwartung zuzubilligen sei, als er mit (zur Aufrechnung geeigneten) Gegenansprüchen des anderen nicht rechnen müsse. Erblicke man den Grundgedanken des § 1440 Satz 2 ABGB in der Versagung des Zurückbehaltungs- bzw Kompensationsrechts bei Verhältnissen, unter denen der Missbrauch geradezu als Vertrauensbruch empfunden werde, so bestehe keine Veranlassung, das Kompensationsverbot auch auf solche Rechtsverhältnisse zu übertragen, in denen dem Anspruch des einen Vertragsteils auf Ausfolgung inkassierter Gelder Gegenansprüche des anderen Vertragsteils aus demselben Rechtsverhältnis gegenüber stünden (JBl 2003, 121).

In der Entscheidung 6 Ob 16/02z (ZIK 2002, 129) musste sich das Höchstgericht mit der Frage, ob dem Treuhänder im Konkurs des Treugebers ein Aufrechnungs- und Zurückbehaltungsrecht für seine Aufwands- und Entgeltansprüche zustehe, nicht weiter befassen, weil ein Zurückbehaltungsrecht und eine Aufrechnung mit anderen Honorarforderungen der dort klagenden Partei schon nach dem Inhalt der Treuhandvereinbarung und der darin enthaltenen Zweckwidmung der Beträge ausgeschlossen war.

Strasser führt - in Rummel, ABGB3 § 1002 Rz 42j - aus, die Rechtsprechung verwehre überwiegend (zu Recht) dem Treuhänder Aufrechnung und Zurückbehaltung in Bezug auf das Treugut, ohne allerdings eine eigenständige Begründung für diese Meinung zu liefern. Hingegen vertritt Jabornegg (Zurückbehaltungsrecht und Einrede des nicht erfüllten Vertrags [1982], 241 f), die Ansicht, es bestehe kein Anlass, das Treuhandverhältnis anders zu behandeln als das Mandat. Der Hinweis auf Verwahrungstreuhand oder Verwahrungselemente bei Treuhandverhältnissen könne nur dort von Bedeutung sein, wo Ansprüche in Frage stünden, mit denen der Treugeber von vornherein nicht zu rechnen brauchte. Dieser Ansicht schloss sich Dullinger (in Rummel aaO § 1440 Rz 15 f bzw im Handbuch der Aufrechnung, 110 ff) an. Umlauft (in Apathy, Die Treuhandschaft, 43 ff) stellt darauf ab, ob für das Treugut eine uneingeschränkte Rückgabeerwartung bestehe bzw ob von vornherein mit Gegenansprüchen des Verwahrers zu rechnen sei.

Unter Bedachtnahme auf diese Lehrmeinungen und die Judikatur gelangt der erkennende Senat zum Schluss, dass ein Treuhänder mit einer ihm gegen den aus dem Treuhandverhältnis Begünstigten zustehenden Forderung - ganz allgemein - aufrechnen darf, sofern der Begünstigte mit diesem Gegenanspruch des Treuhänders rechnen muss und ihn diese Gegenforderung daher nicht überrascht. Der Grundgedanke des § 1440 Satz 2 ABGB liegt - wie schon in der Vorentscheidung JBl 2003, 121 ausgeführt - darin, dass ein Zurückbehaltungs- bzw Kompensationsrecht dann zu versagen ist, wenn die Zurückbehaltung bzw Aufrechnung als Missbrauch bzw Vertrauensbruch zu werten wäre. Dies ist aber stets dann nicht der Fall, wenn der Begünstigte von einer berechtigten und an sich kompensablen Gegenforderung des Treuhänders definitive Kenntnis hat. Ein solcher Gegenanspruch des Treuhänders muss nicht demselben Rechtsverhältnis entstammen (was freilich in JBl 2003, 121 bzw JBl 1999, 659 der Fall war); vielmehr fällt das Kompensationsverbot des § 1440 Satz 2 ABGB in allen Fällen, in denen der aus dem Treuhandverhältnis Begünstigte mit einem Gegenanspruch des Treuhänders jedenfalls rechnen muss, insbesondere aber dann, wenn er diese Gegenforderung konkret kennt, dahin. Die gegenteilige Auffassung liefe der Bestimmung des § 1440 Satz 2 ABGB, bei dessen richtigem Verständnis nachgerade zuwider, zöge überflüssige Rechtsstreite nach sich, und ist auch vom Wesen der Treuhandschaft her nicht zu rechtfertigen.

Der Revision ist ein Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Textnummer

E71478

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00037.03B.1118.000

Im RIS seit

18.12.2003

Zuletzt aktualisiert am

13.01.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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