TE OGH 2003/11/26 13Os138/03

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Veröffentlicht am 26.11.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Zoran M* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 8. April 2003, GZ 41 Hv 116/02v-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung denDer Oberste Gerichtshof hat am 26. November 2003 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Brustbauer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Ratz, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Kirchbacher als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Zoran M* wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach Paragraph 206, Absatz eins, StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Jugendschöffengericht vom 8. April 2003, GZ 41 Hv 116/02v-25, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Zoran M* wurde von der Anklage, „er habe in G* im Sommer 1995

1. dadurch, dass er sich in zumindest fünf selbständigen Angriffen von dem am * 1986 geborenen * F* mit dem Mund befriedigen ließ, mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlung unternommen;

2. * F* durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib und Leben, indem er wiederholt drohte, wenn * F* die im Punkt 1. beschriebenen geschlechtlichen Handlungen nicht durchführe, werde er ihn schlagen, zur Vornahme der im Punkt 1. beschriebenen geschlechtlichen Handlungen (mit Ausnahme des ersten Vorfalles) genötigt“

und hiedurch die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (2) begangen, nach § 259 Z 3 StPO freigesprochen.und hiedurch die Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach Paragraph 206, Absatz eins, StGB (1) und der Vergewaltigung nach Paragraph 201, Absatz 2, StGB (2) begangen, nach Paragraph 259, Ziffer 3, StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die nominell aus Z 5 zweiter und vierter Fall des § 281 Abs 1 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt - auch nach Ansicht der Generalprokuratur - ihr Ziel. Unvollständig (Z 5 zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (§ 258 Abs 1 StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ. Die fehlende Erörterung dieser Verfahrensergebnisse macht die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft. Eine Wertung des Rechtsmittelgerichtes findet trotzdem statt. Nur wird nicht in die Bewertung der vom Erstgericht berücksichtigten Verfahrensergebnisse, maW in die Würdigung des herangezogenen Beweismaterials (des Bezugspunktes der Beweiswürdigung), eingegriffen, sondern in die Auswahl des für diese Bewertung heranzuziehenden Beweismaterials. Dem Rechtsmittelgericht obliegt also nur die Kontrolle, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte erwogen wird, nicht aber des Inhaltes dieser Erwägungen (Ratz in WK-StPO § 281 Rz 421; vgl auch Foregger/Fabrizy StPO8 § 281 Rz 43).Die nominell aus Ziffer 5, zweiter und vierter Fall des Paragraph 281, Absatz eins, StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verfehlt - auch nach Ansicht der Generalprokuratur - ihr Ziel. Unvollständig (Ziffer 5, zweiter Fall) ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene (Paragraph 258, Absatz eins, StPO) Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ. Die fehlende Erörterung dieser Verfahrensergebnisse macht die in Hinsicht auf entscheidende Tatsachen getroffenen Feststellungen aus formalen Gründen mangelhaft. Eine Wertung des Rechtsmittelgerichtes findet trotzdem statt. Nur wird nicht in die Bewertung der vom Erstgericht berücksichtigten Verfahrensergebnisse, maW in die Würdigung des herangezogenen Beweismaterials (des Bezugspunktes der Beweiswürdigung), eingegriffen, sondern in die Auswahl des für diese Bewertung heranzuziehenden Beweismaterials. Dem Rechtsmittelgericht obliegt also nur die Kontrolle, ob alles aus seiner Sicht Erwägenswerte erwogen wird, nicht aber des Inhaltes dieser Erwägungen (Ratz in WK-StPO Paragraph 281, Rz 421; vergleiche auch Foregger/Fabrizy StPO8 Paragraph 281, Rz 43).

Indem die Staatsanwaltschaft den Tatrichtern die vollständige Ausschöpfung des in der Hauptverhandlung vorgeführten Beweismaterials ohnehin konzediert, erweist sich die Mängelrüge insoweit als unschlüssig.

Offenbar unzureichend (Z 5 vierter Fall) hinwieder ist eine Begründung, welche den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht. Einen Unterfall stellt die logisch oder empirisch unhaltbare Begründung dar, wenn also der Mangel nicht in einem „Zu wenig“, sondern in einem offenen Widerspruch zwischen der Feststellung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache und der dazu gegebenen Begründung - nach Maßgabe von Logik und grundlegendem Erfahrungswissen - besteht. Sowohl das „Zu wenig“ als auch der beschriebene offene Widerspruch führen dazu, eine so getroffene Feststellung im Vergleich zu ihrer Begründung als willkürlich zu werten (Ratz in WK-StPO § 281 Rz 444 mwN).Offenbar unzureichend (Ziffer 5, vierter Fall) hinwieder ist eine Begründung, welche den Gesetzen folgerichtigen Denkens oder grundlegenden Erfahrungssätzen widerspricht. Einen Unterfall stellt die logisch oder empirisch unhaltbare Begründung dar, wenn also der Mangel nicht in einem „Zu wenig“, sondern in einem offenen Widerspruch zwischen der Feststellung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache und der dazu gegebenen Begründung - nach Maßgabe von Logik und grundlegendem Erfahrungswissen - besteht. Sowohl das „Zu wenig“ als auch der beschriebene offene Widerspruch führen dazu, eine so getroffene Feststellung im Vergleich zu ihrer Begründung als willkürlich zu werten (Ratz in WK-StPO Paragraph 281, Rz 444 mwN).

Von Willkür der Tatrichter, welche angesichts des zwischen den angeblichen Taten und deren Anzeige verstrichenen Zeitraumes von sechs Jahren, des geringen Alters des Zeugen F* im Jahr 1985 und dessen - in den Entscheidungsgründen (US 2) näher dargelegter - als verhaltensauffällig beurteilter Entwicklung sowie schließlich der "in sich geschlossenen" Aussage des Angeklagten, welcher die Vorwürfe strikt in Abrede gestellt hatte, nicht zur vollen subjektiven Überzeugung von dessen Täterschaft gelangt waren, kann jedoch keine Rede sein.

Soweit die Beschwerde zuletzt den Hinweis des Schöffengerichtes, wonach es sich von * F* keinen unmittelbaren Eindruck habe verschaffen können, weil dieser angesichts vorangegangener kontradiktorischer Vernehmung (§ 162a StPO) auf das ihm zustehende Entschlagungsrecht nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO nicht verzichtet hatte (sodass in der Hauptverhandlung nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO nur die technische Aufnahme dieser Vernehmung vorgeführt worden war; S 487), als unzulässig kritisiert, weil der Gesetzgeber sich bewusst für ein derartiges Beweis-(erhebungs-)verbot entschieden habe, missachtet sie den aus § 258 Abs 2 zweiter Satz StPO erhellenden Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung, der es verbietet, subjektive richterliche Zweifel durch abstrakte Vermutungen hinsichtlich der Überzeugungskraft gesetzförmig aufgenommener Beweise - sogenannte Beweisregeln – zu beseitigen. Vielmehr hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 14 Os 100/98 (= EvBl 1999/45) darauf hingewiesen, dass der Inhalt nach § 252 Abs 1 Z 2a StPO vorgekommener Protokolle und technischer Aufnahmen von kontradiktorischen Vernehmungen angesichts nachträglicher Veränderungen von Verdachtslage oder Prozessgegenstand unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit problematisch sein kann (Z 5 vierter Fall; näher Ratz in WK-StPO § 281 Rz 233). Hätte das Erstgericht unter Berufung auf die im Rechtsmittel verlangte Beweisregel bestehende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten (mangels eines unmittelbaren Eindrucks vom Zeugen F*) als unerheblich abgetan, diese maW "im Zweifel festgestellt", so hätte es in Wahrheit eine solche Feststellung gerade nicht getroffen. Dass übrigens mit der Erlassung von Beweisverboten der richterlichen Wahrheitsfindung Schranken gesetzt werden, liegt geradezu in der Natur eines Gutteils von Beweisverbotsnormen (vgl Schmoller, Beweise, die hypothetisch nicht existieren, JRP 2002, 251), weshalb die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes denn auch stets bemüht war, sorgloser Überinterpretation derartiger Vorschriften entgegenzutreten (vgl auch Burgstaller, Wohin geht unser Strafprozess?, JBl 2002, 274 [280] und Matscher, Nachholbedarf im österreichischen Strafverfahrensrecht?, ÖJZ 2002, 741 [748 f]).Soweit die Beschwerde zuletzt den Hinweis des Schöffengerichtes, wonach es sich von * F* keinen unmittelbaren Eindruck habe verschaffen können, weil dieser angesichts vorangegangener kontradiktorischer Vernehmung (Paragraph 162 a, StPO) auf das ihm zustehende Entschlagungsrecht nach Paragraph 152, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO nicht verzichtet hatte (sodass in der Hauptverhandlung nach Paragraph 252, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO nur die technische Aufnahme dieser Vernehmung vorgeführt worden war; S 487), als unzulässig kritisiert, weil der Gesetzgeber sich bewusst für ein derartiges Beweis-(erhebungs-)verbot entschieden habe, missachtet sie den aus Paragraph 258, Absatz 2, zweiter Satz StPO erhellenden Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung, der es verbietet, subjektive richterliche Zweifel durch abstrakte Vermutungen hinsichtlich der Überzeugungskraft gesetzförmig aufgenommener Beweise - sogenannte Beweisregeln – zu beseitigen. Vielmehr hat der Oberste Gerichtshof bereits zu 14 Os 100/98 (= EvBl 1999/45) darauf hingewiesen, dass der Inhalt nach Paragraph 252, Absatz eins, Ziffer 2 a, StPO vorgekommener Protokolle und technischer Aufnahmen von kontradiktorischen Vernehmungen angesichts nachträglicher Veränderungen von Verdachtslage oder Prozessgegenstand unter dem Gesichtspunkt der Begründungstauglichkeit problematisch sein kann (Ziffer 5, vierter Fall; näher Ratz in WK-StPO Paragraph 281, Rz 233). Hätte das Erstgericht unter Berufung auf die im Rechtsmittel verlangte Beweisregel bestehende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten (mangels eines unmittelbaren Eindrucks vom Zeugen F*) als unerheblich abgetan, diese maW "im Zweifel festgestellt", so hätte es in Wahrheit eine solche Feststellung gerade nicht getroffen. Dass übrigens mit der Erlassung von Beweisverboten der richterlichen Wahrheitsfindung Schranken gesetzt werden, liegt geradezu in der Natur eines Gutteils von Beweisverbotsnormen vergleiche Schmoller, Beweise, die hypothetisch nicht existieren, JRP 2002, 251), weshalb die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes denn auch stets bemüht war, sorgloser Überinterpretation derartiger Vorschriften entgegenzutreten vergleiche auch Burgstaller, Wohin geht unser Strafprozess?, JBl 2002, 274 [280] und Matscher, Nachholbedarf im österreichischen Strafverfahrensrecht?, ÖJZ 2002, 741 [748 f]).

Textnummer

E71641

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0130OS00138.03.1126.000

Im RIS seit

26.01.2004

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2023
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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