TE OGH 2003/12/16 1Ob213/03k

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Veröffentlicht am 16.12.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Univ. Doz. Dr. Bydlinski als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wiener G*****, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof & Dr. Damian Partnerschaft in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Reinhard R*****, vertreten durch Mag. Herwig Holzer, Rechtsanwalt in Wien, und 2) Ali G*****, vertreten durch Dr. Claudia Patleych, Rechtsanwältin in Wien, wegen 22.033,79 EUR sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Juni 2003, GZ 15 R 70/03d-23, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 18. September 2002, GZ 16 Cg 12/02f-9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das Ersturteil wiederhergestellt.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 6.111,42 EUR (darin 824,05 EUR Umsatzsteuer und 1.167,10 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Über eine Gesellschaft mbH wurde mit Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 25. August 2000 der Konkurs eröffnet. Diese Gesellschaft schuldet der klagenden Partei für den Zeitraum von Jänner bis Juli 2000 Dienstgeberanteile der Beiträge zur Sozialversicherung samt Verzugszinsen und Nebengebühren in der Höhe von insgesamt 22.033,79 EUR; dieser Betrag ergibt sich aus dem Rückstandsausweis der klagenden Partei vom 16. 1. 2002. Die Gesellschaft schuldete bereits 1999 Beitragszahlungen. Am 25. 2. 1999 unterfertigten die Beklagten als damals geschäftsführende Gesellschafter der Beitragsschuldnerin in den Räumen der klagenden Partei folgende schriftliche Erklärung (Auszug):

"Die wirtschaftliche Lage der Beitragsschuldnerin wurde erörtert. Wir erklären, dass wird diesbezüglich voll informiert sind und die Beitragsschuldnerin die Verbindlichkeiten voll erfüllen wird.

...

Über unsere Einkommens- und Vermögensverhältnisse befragt, geben wir nachstehendes an:

ausreichend ausreichend

Somit treten wir ... (die Beklagten) ... der Schuld der ... (Gesellschaft) ... an Sozialversicherungsbeiträgen einschließlich 1/99 auf den jeweiligen Beitragskonten in der Höhe von 712.307,79 S in Worten: ... zuzüglich der Nachtragsvorschreibungen, Beitragszuschläge und der nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz zu berechnenden Verzugszinsen sowie sämtlicher Nebengebühren als Bürge und Zahler vorbehaltlos und unwiderruflich bei. Gleichzeitig treten wir den 2/99 auf den Beitragskonten neuauflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen, Nachtragsvorschreibungen, Beitragszuschlägen und den Verzugszinsen nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz sowie sämtlichen Nebengebühren als Bürgen und Zahler vorbehaltlos und unwiderruflich bei.

Die Haftung erlischt, wenn keine wie immer gearteten Rückstände an Kapital und Nebengebühren einschließlich Verzugszinsen auf sämtlichen Beitragkonten aushaften (d. h. wenn Saldo Null eintritt).

Wir verpflichten uns, die Bürgschaftsschuld wie folgt zu bezahlen:

a) 380.000 S bis spätestens 5. 3. 1999

b) die restlichen Sozialversicherungsbeiträge einschließlich 1/99 zuzüglich der noch zu berechnenden Verzugszinsen und Nebengebühren, in aufeinanderfolgenden Monatsraten von je 55.000 S, beginnend mit 5. 4. 1999, bei einem Zahlungsrespiro von 3 Tagen,

c) die 2/99 neuauflaufenden Sozialversicherungsbeiträge, Nachtragsvorschreibungen und Beitragszuschläge pünktlich bei Fälligkeit.

....

Nebenabreden wurden mündlich nicht getroffen. Jede Änderung und Ergänzung dieses Vertrages bedarf der Schriftlichkeit.

...

Wir bestätigen mit unserer Unterschrift auch, dass diese Niederschrift uns vorgelesen und von uns genehmigt wurde."

Das Beitragskonto der Gesellschaft war in der Folge nie "ausgeglichen". Beim Ausscheiden des Zweitbeklagten als Gesellschafter am 3. 3. 2002 haftete noch ein Betrag von etwa 2.000 EUR aus.

Die klagende Partei begehrte den Zuspruch von 22.033,79 EUR sA an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen der Gesellschaft für Jänner bis Juli 2000 und stützte sich auf die Haftung der Beklagten als Bürgen und Zahler kraft deren schriftlichen Verpflichtungserklärung vom 25. 2. 1999. Danach seien die Beklagten der Beitragsschuld der Gesellschaft auch "ab 02/99 ... vorbehaltlos und unwiderruflich" beigetreten.

Die Beklagten wendeten ein, ihre Bürgschaft sei sittenwidrig, weil sie "auch die Haftung hinsichtlich neu auflaufender Rückstände" (ON 6 S. 1 = AS 23), nämlich "eine zeitlich unbegrenzte Haftung" übernommen (ON 6 S. 2 = AS 25) hätten. Sittenwidrig sei ferner der vereinbarte "Kündigungsausschluss", der "über die Beendigung der Geschäftsführereigenschaft" hinauswirke. Der Zweitbeklagte sei seit 3. 3. 2002 nicht mehr Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin. Damals habe die Beitragsschuld der Gesellschaft maximal 2.000 EUR betragen. Dessen Haftung sei daher "höchstens" auf diesen Betrag beschränkt.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es beurteilte die Verpflichtungserklärung der Beklagten dahin, dass, obgleich vor "2/99" das Wort "ab" ausgelassen worden sei, "aus dem gesamten Text" deren Absicht hervorgehe, sich auch für Beitragsverbindlicheiten der Gesellschaft "ab Februar 1999" als Bürgen und Zahler verpflichten zu wollen und daher "nicht nur das Monat Februar 1999 gemeint" gewesen sei. Die von den Beklagten übernommene Bürgschaft sei nicht sittenwidrig, könne doch die Haftung als Bürge und Zahler nach ständiger Rechtsprechung "auch für zukünftig erst entstehende Forderungen" übernommen werden. Das entspreche bei Dauerschuldverhältnissen überdies "der gängigen Praxis im Geschäftsleben". Soweit im Schrifttum die Kündbarkeit einer unwiderruflichen Bürgschaftsverpflichtung erörtert werde, hätte eine Kündigung nur die "Wirkung ex nunc". Eine Kündigung sei jedoch nicht erfolgt. Zum Nachweis der Behauptung, eine Kündigung sei nur wegen der vereinbarten Unwiderruflichkeit unterblieben, sei kein Beweisanbot erstattet worden. Der geltend gemachte Beitragsrückstand betreffe ferner einen lang vor dem Ausscheiden des Zweitbeklagten als Geschäftsführer der Beitragsschuldnerin liegenden Leistungszeitraum.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Nach dessen Ansicht muss die Bürgschaftserklärung bestimmt sein. Daher müsse ein ernstlicher Bürgschaftswille klar hervortreten. Es müsse auch verdeutlicht sein, für welche bestimmte Schulden gehaftet werde. Es könnten jedoch auch künftig entstehende Verbindlichkeiten - so etwa künftig fällig werdende Sozialversicherungsbeiträge - "verbürgt" werden. Nach § 1353 erster Satz ABGB dürfe jedoch die Bürgschaft über die ausdrückliche Erklärung des Bürgen hinaus nicht ausgedehnt werden. "Ausdrücklich" sei indes - unter Anlegung eines strengen Auslegungsmaßstabs - bloß als deutlich erkennbar zu verstehen. Im Zweifel sei allerdings anzunehmen, der Bürge habe sich eher die geringere als die schwerere Last auferlegen wollen. Die Haftung der Beklagten als Bürgen und Zahler sei nach dem Wortlaut ihrer Erklärung "klar auf den Februar 1999 bezogen". Diese Erklärung weise "nach dem objektiven Verständnis des Satzzusammenhangs keine sinnstörende Verkürzung auf". Es seien an zwei Stellen nur die Sozialversicherungsbeiträge für "2/99" erwähnt. Insofern gebe die Klage den Urkundenwortlaut nicht richtig wieder, sei doch dort das Wort "ab" eingefügt. Zwar gelte auch für eine formbedürftige Willenserklärung der Grundsatz, dass "eine bloße Falschbezeichnung" nicht schade und eine solche Erklärung - ungeachtet ihres Wortlauts - "entsprechend dem tatsächlich übereinstimmenden Verständnis der Beteiligten gültig" sei, insofern hätte jedoch die klagende Partei darlegen und beweisen müssen, dass die Verpflichtungserklärung der Beklagten im erörterten Punkt eine "falsa demonstratio" und der davon abweichende übereinstimmende Parteiwille "auf die Verbürgung hinsichtlich der in aller Zukunft fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge (bis zum Eintritt von Saldo Null) gerichtet" gewesen sei. Ein solches Vorbringen habe die klagende Partei nicht erstattet, sondern der Erklärung der Beklagten lediglich einen in Wahrheit nicht existenten Wortlaut unterstellt. Auch aus der "Saldo Null-Klausel" sei ein "deutlich erkennbarer Wille der Beklagten" nicht erschließbar, "für einen zukünftigen unbestimmten Zeitraum unkündbar für rückständige Sozialversicherungsbeiträge der Gesellschaft zu haften". Insofern belaste eine allfällige Unklarheit den Prozessstandpunkt der klagenden Partei, "die sich der von ihr formelhaft ausgearbeiteten Erklärung bedient" habe. Da die Auslegung einer Bürgschaftserklärung rechtliche Beurteilung sei, könne eine bestimmte Auslegungen - entgegen der Ansicht der klagenden Partei - "schon begrifflich" nicht unter das das Rechtsmittelverfahren beherrschende Neuerungsverbot fallen. Die ordentliche Revision sei nicht zulässig, weil "eine Rechtsfrage von den Einzelfall übersteigender Bedeutung" nicht zu lösen gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergeben wird, zulässig; sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

1. Bürgschaftsumfang - Parteiwille

1. 1. Unter Berufung auf eine gefestigte höchstgerichtliche Rechtsprechung betonte der erkennende Senat in der Entscheidung 1 Ob 163/00b (= ÖBA 2001, 477 [P. Bydlinski]), dass in einer Bürgschaftserklärung nicht der volle "Inhalt" der Haftung angegeben sein, sondern die Urkunde nur die wesentlichen Merkmale der Verpflichtung enthalten müsse. Das Formerfordernis gemäß § 1346 Abs 2 ABGB sei auch dann erfüllt, wenn sich in der Urkunde für den durch Auslegung zu ermittelnden Parteiwillen ein zureichender Anhaltspunkt finde, der Inhalt der Verpflichtung also dort irgendwie zum Ausdruck komme. Wie für den Bürgschaftsvertrag gelte daher auch für den Garantievertrag, dass die in § 1353 ABGB enthaltene Wendung "ausdrücklich erklärt" keine Formvorschrift sei, sondern lediglich bedeute, dass der Geschäftswille hinreichend deutlich zum Ausdruck gelangen müsse. Wohl so ist auch die Rechtsprechung zu verstehen, dass selbst eine formbedürftige Willenserklärung - ungeachtet ihres Wortlauts - entsprechend der tatsächlich übereinstimmenden Absicht der Beteiligten gültig, die Berücksichtigung von Begleitumständen und formlosen Nebenabreden aber dadurch begrenzt sei, dass sich in der Urkunde für den wahren Parteiwillen - nach der insofern maßgebenden "Andeutungstheorie" - irgendein, wenn auch noch so geringer, Anhaltspunkt finden müsse (7 Ob 215/01w = wobl 2002, 235 [Prader]; 4 Ob 2194/96t = MietSlg 48.326; 4 Ob 601/95 = MietSlg 47.329; Apathy in Schwimann, ABGB² § 886 Rz 7). Wegen dieser die Verpflichtungserklärung eines Bürgen beherrschenden Grundsätze (1 Ob 518, 519/85 = JBl 1985, 681; 4 Ob 546/79 = EvBl 1980/99; siehe ferner RIS-Justiz RS0032263; Apathy aaO; Mader in Schwimann, ABGB² § 1346 Rz 10, § 1353 Rz 4; Rummel in Rummel, ABGB² § 886 Rz 13) soll sich der übereinstimmende Parteiwille insbesondere auch gegen eine bloße Falschbezeichnung in der Bürgschaftserklärung durchsetzen (4 Ob 546/79 = EvBl 1980/99; Apathy aaO; Mader aaO § 1353 Rz 4).

1. 2. Im Kern auf die zuvor referierte Rechtsprechung gestützt, sprach das Berufungsgericht aus, die klagende Partei hätte darlegen und beweisen müssen, dass die Bürgschaftserklärung in dem in zweiter Instanz streitverfangenen Punkt eine "falsa demonstratio" enthalte, weil der übereinstimmende Parteiwille "auf die Verbürgung hinsichtlich der in aller Zukunft fällig werdenden Sozialversicherungsbeiträge (bis zum Eintritt von Saldo Null) gerichtet" gewesen sei.

1. 3. Die klagende Partei behauptete in erster Instanz ausdrücklich, die Beklagten hätten sich auch für die "ab 02/99" aufgelaufenen Beitragsschulden der Gesellschaft "vorbehaltlos und unwiderruflich" verbürgt. Die Beklagten leiteten gerade aus dieser - im Ergebnis daher auch von ihnen ausdrücklich behaupteten - Tatsache den Einwand der Sittenwidrigkeit ihrer Bürgschaften ab. Damit stellten sie aber ausdrücklich außer Streit, dass sich die - ihrer Meinung nach sittenwidrige - Haftung als Bürge und Zahler nach dem übereinstimmenden Parteiwillen auch auf die "ab 02/99" auflaufenden Beitragsschulden der Gesellschaft habe erstrecken sollen. Demgemäß bedurften jene Tatsachen, aus denen abzuleiten ist, dass die mit der Weglassung des Wortes "ab" sprachlich zum Ausdruck gelangte Begrenzung des Haftungsumfangs in Wahrheit nur eine vom übereinstimmenden Parteiwillen abweichende Falschbezeichnung ist, gemäß § 266 Abs 1 ZPO keines Beweises. Vor diesem Hintergrund wäre die Rechtssache - nach der vom Berufungsgericht sonst vertretenen Ansicht - im Sinne einer Klagestattgebung spruchreif gewesen. Die Brücke zwischen dem Formgebot nach § 1346 Abs 2 ABGB und einem in der Haftungsurkunde allenfalls nicht zureichend ausgedrückten Parteiwillen bedarf allerdings einer - die bisherige Rechtsprechung teils klarstellenden, teils aber auch ergänzenden - Erörterung. Das beeinflusst im Anlassfall, wie noch zu zeigen sein wird, auch das Ergebnis.

2. Auslegung und Andeutungstheorie

2. 1. Nach dem von SHaas (Auslegung und [Bürgschafts-]Form: Die Andeutungstheorie im Wandel, ÖBA 2001, 875) analysierten Meinungsstand dient die Andeutungstheorie einerseits als Methode, um schon die Auslegung eines schriftformbedürftigen Rechtsgeschäfts zu begrenzen, andererseits soll sie aber auch "als Maßstab für die Formgültigkeit einer Erklärung" fungieren. Der Formzweck sei indes nur für die Auslegung der Formvorschrift selbst von Belang. Die Absicht der Parteien eines formbedürftigen Rechtsgeschäfts sei dagegen mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln zu ermitteln. Erst nach einer solchen Klärung des Geschäftswillens sei zu prüfen, ob dieser Wille auch formgültig und daher rechtswirksam erklärt worden sei. Weder die Andeutungstheorie noch der Formzweck eigneten sich als Schranke für die Ermittlung der wahren Parteiabsicht. Die Andeutungstheorie sei in ihrer Funktion auf die Beurteilung beschränkt, inwieweit ein bestimmter Parteiwille auch formgültig erklärt worden sei. Danach müsse "so viel vom Rechtsgeschäft in der Urkunde (wenigstens andeutungsweise) enthalten" sein, dass der Formzweck - bei der Bürgschaft also die Warnung vor deren Übernahme - erfüllt sei. Aus der Haftungserklärung eines Bürgen gemäß § 1346 Abs 2 ABGB müsse daher das Ausmaß des übernommenen Risikos - nach objektiven Kriterien - "hinreichend deutlich" hervortreten. Aus der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs sei die Tendenz ablesbar, die Auslegung einer rechtsgeschäftlichen Willenserklärung nicht mehr anhand der Andeutungstheorie zu begrenzen. Das indizierten bereits die Entscheidungen 8 Ob 388/97k (= ÖBA 2000, 524 [Riedler]) und 1 Ob 83/00p, eindeutig folge ein solcherart geändertes Verständnis des methodischen Werts der Andeutungstheorie jedoch aus der Entscheidung 1 Ob 163/00b (= ÖBA 2001, 477 [P. Bydlinski]).

2. 2. Der erkennende Senat tritt der soeben referierten Ansicht von S. Haas bei. Deren Ergebnis ist bereits aus der von der Autorin rezensierten Rechtsprechung ableitbar, wurde doch in allen drei Fällen verdeutlicht, dass der durch Auslegung erforschte Parteiwille im Wortlaut der schriftlichen Haftungserklärung irgendeinde Grundlage haben müsse, um einer klagbaren Verpflichtung als Stütze dienen zu können. Insofern wurde klargestellt, die Absicht der Vertragsparteien sei nur maßgebend, soweit sie in der vom Gesetz vorgesehenen Form erklärt worden sei.

Bei der Entscheidung 1 Ob 83/00p ist zu beachten, dass der Oberste Gerichtshof die Revision der klagenden Partei zurückwies und sich dabei nach § 510 Abs 3 ZPO auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken konnte. Dort hatte im Übrigen bereits das Berufungsgericht betont, die Verpflichtungserklärung des Beklagten als Bürge und Zahler erstrecke sich nicht auf die schließlich eingeklagten Sozialversicherungsbeiträge. Diese Entscheidung "streitet daher" - entgegen SHaas - nicht nur "auf den ersten Blick für ein neues Verständnis der Andeutungstheorie".

Nach S. Haas ist der Sachverhalt der Entscheidung 1 Ob 163/00b (= ÖBA 2001, 477 [P. Bydlinski]) "leider ... nur sehr unvollständig wiedergegeben". Die Beurteilung deren Gehalts erfordere daher die Heranziehung des unveröffentlichten Urteils des Berufungsgerichts. Dazu ist anzumerken, dass der Oberste Gerichtshof mit dieser Entscheidung eine außerordentliche Revision zurückwies, was nach § 510 Abs 3 ZPO überhaupt keiner Begründung bedurft hätte. Die Wendung, es reiche "für die Erfüllung des Formerfordernisses des § 1346 Abs 2 ABGB ... aus, wenn sich für den durch Auslegung ermittelten Parteiwillen ein zureichender Anhaltspunkt in der Urkunde findet, der Inhalt der Verpflichtung also dort irgendwie zum Ausdruck kommt", weist jedoch bereits für sich in die Richtung des von S. Haas verfochtenen Standpunkts. Dessen Nutzen liegt vor allem in der Betonung, dass eine formbedürftige Willenserklärung eine klagbare Verbindlichkeit auf dem Boden der übereinstimmenden Absicht der Vertragsparteien nur soweit gültig begründen kann, als deren Geschäftswille auch in der gesetzlich gebotenen Form - in noch erkennbarer Weise - erklärt wurde. Findet sich etwa in der schriftlichen Haftungserklärung eines Bürgen eine dem übereinstimmenden Parteiwillen widersprechende Falschbezeichnung, so ist diese daher nur dann unbeachtlich, wenn sich für deren Vorliegen im Wortlaut der schriftlichen Verpflichtungserklärung zumindest eine Andeutung findet. Somit ist aber die Bürgschaftserklärung bei Vorliegen einer Falschbezeichnung nicht in jedem Fall nach dem wahren Parteiwillen - ungeachtet des Wortlauts der schriftlichen Erklärung - gültig.

Die Andeutungstheorie darf, wie S. Haas zutreffend ausführt, in ihren praktischen Auswirkungen überdies nicht überspannt werden. Ihre Reichweite wird durch den Formzweck begrenzt (siehe dazu etwa auch Apathy aaO § 868 Rz 7 f; Rummel aaO § 886 Rz 13). Danach muss der Umfang des Haftungsrisikos des Bürgen in einer § 1346 Abs 2 ABGB unterliegenden urkundlichen Verpflichtungserklärung nach objektiven Kriterien hinreichend angedeutet sein, um dem Warnzweck der Formvorschrift (siehe dazu im Licht der Gefahren einer Bürgschaft etwa 4 Ob 518/96 = SZ 69/40; PBydlinski, Die Bürgschaft im österreichischen und deutschen Handels-, Gesellschafts- und Wertpapierrecht [1991] 5 f) noch zu genügen.

Die bisherigen Erwägungen sind daher wie folgt zusammenzufassen:

Auch bei einem Rechtsgeschäft, das nach dem Gesetz der Schriftform bedarf, ist der Parteiwille mit Hilfe der allgemeinen Auslegungsregeln zu ergründen. Die Andeutungstheorie, deren Reichweite durch den Formzweck begrenzt wird, ist nur zur Lösung der weiteren Frage, ob - und bejahendenfalls inwieweit - der Parteiwille auch formgültig und daher rechtswirksam erklärt wurde, heranzuziehen.

In einer § 1346 Abs 2 ABGB unterliegenden Bürgschaftserklärung muss das Ausmaß des Haftungsrisikos in der Urkunde - nach objektiven Kriterien - hinreichend angedeutet sein, um dem Warnzweck der Formvorschrift zu genügen. Das gilt auch für die Frage nach dem Vorliegen einer Falschbezeichnung in der Bürgschaftserklärung.

Im Anlassfall wäre daher an Hand dieser Erwägungen zu beurteilen, ob die in der Haftungsurkunde gebrauchten Wendungen "gleichzeitig treten wir den 2/99 auf den Beitragskonten neuauflaufenden Sozialversicherungsbeiträgen, Nachtragsvorschreibungen, Beitragszuschlägen und den Verzugszinsen ... als Bürgen und Zahler vorbehaltlos und unwiderruflich bei" und "die 2/99 neuauflaufenden Sozialversicherungsbeiträge, Nachtragsvorschreibungen und Beitragszuschläge pünktlich bei Fälligkeit" das bei Bedachtnahme auf den wahren Parteiwillen der Streitteile fehlende Wort "ab" vor "2/99" in (noch) zureichender Weise andeuten. Dabei ist hervorzuheben, das jeweils von "Sozialversicherungsbeiträgen" - also einer Mehrzahl fällig werdender Monatsbeiträge - die Rede ist. Ob bereits eine solche Andeutung genügte, um die im Klageweg durchsetzbare Haftung der Beklagten auch für die nach "2/99" fällig gewordenen Sozialversicherungsbeiträge zu begründen, bedarf indes aus den noch zu erörternden Gründen keiner abschließenden Lösung.

3. Einwendung des Formmangels

3. 1. Nach herrschender Auffassung kann der Bürge alle rechtshindernden Einreden - darunter die Einrede des Formmangels - erheben (Gamerith in Rummel aaO § 1351 Rz 6 mwN; Mader aaO § 1346 Rz 11). Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Form begründet grundsätzlich Nichtigkeit (Berger, Gesetzliche Formvorschriften für Rechtsgeschäfte nach österreichischem Recht, Gutachten für die Fachveranstaltung des 3. Österreichischen Notariatskongresses 1986 "175 Jahre ABGB" [1986] 41, 48 ff; Rummel aaO § 886 Rz 14). Ein Formmangel ist im Allgemeinen auch von Amts wegen wahrzunehmen (4 Ob 29/84 = DRdA 1985, 123 [Holzer]; 7 Ob 567/84 = NZ 1984, 234; 7 Ob 155/57 = EvBl 1957/319; Berger, Gutachten 48; Rummel aaO § 886 Rz 14). Diese Rechtsfolge betrifft in der Praxis meist Fälle der Formpflicht nach dem Notariatszwangsgesetz (RIS-Justiz RS0070824). Der Mangel gesetzlich gebotener Form ist in anderen Fällen aber keineswegs immer von Amts wegen wahrzunehmen. Das gilt etwa für die Formungültigkeit letztwilliger Verfügungen, die ein Anfechtungsberechtigter geltend machen muss (6 Ob 602/86 = SZ 59/164; vgl ferner 7 Ob 637/87 = NZ 1988, 136).3. 1. Nach herrschender Auffassung kann der Bürge alle rechtshindernden Einreden - darunter die Einrede des Formmangels - erheben (Gamerith in Rummel aaO § 1351 Rz 6 mwN; MaderaaO § 1346 Rz 11). Die Nichteinhaltung der gesetzlichen Form begründet grundsätzlich Nichtigkeit (Berger, Gesetzliche Formvorschriften für Rechtsgeschäfte nach österreichischem Recht, Gutachten für die Fachveranstaltung des 3. Österreichischen Notariatskongresses 1986 "175 Jahre ABGB" [1986] 41, 48 ff; Rummel aaO § 886 Rz 14). Ein Formmangel ist im Allgemeinen auch von Amts wegen wahrzunehmen (4 Ob 29/84 = DRdA 1985, 123 [Holzer]; 7 Ob 567/84 = NZ 1984, 234; 7 Ob 155/57 = EvBl 1957/319; Berger, Gutachten 48; Rummel aaO § 886 Rz 14). Diese Rechtsfolge betrifft in der Praxis meist Fälle der Formpflicht nach dem Notariatszwangsgesetz (RIS-Justiz RS0070824). Der Mangel gesetzlich gebotener Form ist in anderen Fällen aber keineswegs immer von Amts wegen wahrzunehmen. Das gilt etwa für die Formungültigkeit letztwilliger Verfügungen, die ein Anfechtungsberechtigter geltend machen muss (6 Ob 602/86 = SZ 59/164; vergleiche ferner 7 Ob 637/87 = NZ 1988, 136).

3. 2. Die Beurteilung der Frage, ob der Gesamtumfang einer Bürgschaft dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprechend in der Haftungsurkunde - nach den unter 2. angestellten Erwägungen - gerade noch oder aber gerade nicht mehr zureichend angedeutet ist, wirft eine spezifische, auf den jeweiligen Einzelfall abzustellende Auslegungsfrage auf. Insofern ist - wie auch im Anlassfall - nicht etwa die Frage zu lösen, ob die nach § 1346 Abs 2 ABGB gebotene Schriftform an sich eingehalten wurde, sondern es gilt den in der Haftungsurkunde zumindest noch angedeuteten Haftungsumfang einzugrenzen. Im vorliegenden Fall wäre also die Frage zu klären, ob die durch Verwendung des Wortes "Sozialversicherungsbeitrag" im Plural semantisch angedeutete Erstreckung der Haftung auch auf die dem Beitrag für "2/99" folgenden Beiträge - noch - ausreicht, um die klagbare Bürgenhaftung der Beklagten nach dem Formzweck im Einklang mit dem übereinstimmenden Parteiwillen auf die Folgebeiträge auszudehnen. Es liegt somit eine Verletzung der Schriftform - anders als bei der Frage nach der Erfüllung einer im Einzelfall gebotenen Notariatsaktform - nicht geradezu auf der Hand. Unter dieser Voraussetzung hat aber der Bürge die Formungültigkeit seiner Haftungserklärung wegen Verletzung des Schriftformgebots nach § 1346 Abs 2 ABGB einzuwenden und zu behaupten, weshalb eine sprachliche Andeutung in der Haftungsurkunde den der Klage zugrunde gelegten und dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprechenden Bürgschaftsumfang nicht zureichend dokumentieren soll. Dass dabei nicht bloß rein semantische Gesichtspunkte eine Rolle spielen, sondern der jeweils maßgebende Sachverhalt - bei unterschiedlichen Lösungsmöglichkeiten - nach dem Zweck der Formvorschrift rechtlich zu beurteilen ist, belegen die von S. Haas (ÖBA 2001, 885 ff) besprochenen Entscheidungen 8 Ob 388/97k (= ÖBA 2000, 524 [Riedler]) und 1 Ob 163/00b (= ÖBA 2001, 477 [P. Bydlinski]), bei denen die Rezensentin die klageweise geltend gemachte Bürgschafts- bzw Garantiehaftung aus bestimmten, aus dem jeweiligen Sachverhalt abgeleiteten Gründen - entgegen dem Obersten Gerichtshof - verneinte.

Diese Ausführungen sind daher zur Frage nach dem Erfordernis der Einwendung eines Formmangels wie folgt zusammenzufassen:

Sind die Grenzen des in einer schriftlichen Bürgschaftserklärung nach § 1346 Abs 2 ABGB dokumentierten Haftungsumfangs aufgrund bestimmter sprachlicher Wendungen anhand der Andeutungstheorie zu ergründen, so muss der beklagte Bürge einwenden, aus welchen Gründen diese Wendungen der dem übereinstimmenden Parteiwillen entsprechenden streitverfangenen Haftungsumfang nicht ausreichend andeuten. Insofern ist auf eine allfällige Formungültigkeit daher jedenfalls dann nicht von Amts wegen Bedacht zu nehmen, wenn sich in der Haftungsurkunde irgendein, wenn auch noch so geringer, Anhaltspunkt für den klageweise geltend gemachten Bürgschaftsumfang findet.

4. Ergebnis im Anlassfall

4. 1. Die Beklagten wendeten im Verfahren erster Instanz nicht ein, dass ihre Bürgschaftserklärungen in Hinsicht auf den klageweise geltend gemachten Haftungsumfang an einem Formmangel leide. Soweit deren Berufungsausführungen als Einwendung der Formungültigkeit zu verstehen sind, handelt es sich um nach § 482 Abs 1 ZPO unzulässige Neuerungen. Den Einwand der Sittenwidrigkeit der Bürgschaften hielten die Beklagten schon in den Berufungen nicht mehr aufrecht. Sie kamen darauf auch in den Revisionsbeantwortungen nicht mehr zurück. Diese Frage bedarf daher keiner weiteren Erörterung. Insofern ist bloß anzumerken, dass die Übernahme einer Bürgschaft für künftig fällig werdende Sozialversicherungsbeiträge an sich zulässig und wirksam ist, weil sich deren Höhe und Fälligkeit aus dem Gesetz ergibt und nach dem überschaubaren Stand der Beschäftigten richtet (9 Ob 285/00b mwN).

4. 2. In der außerordentlichen Revision der klagenden Partei wurde eine Missachtung des Neuerungsverbots in zweiter Instanz im Ergebnis zutreffend gerügt (siehe allgemein zum Neuerungsverbot 4 Ob 79/99t = SZ 72/78). Das folgt aus den unter 3. erörterten Gründen. Nach allen bisherigen Erwägungen machte die klagende Partei - wenigstens im Ergebnis zutreffend - überdies geltend, dass das Berufungsgericht den Umfang der Haftung der Beklagten nach deren schriftlichen Bürgschaftserklärung rechtlich unrichtig beurteilte. Die Revisionsausführungen der klagenden Partei waren daher im erörterten Punkt kein Hindernis für eine allseitige Prüfung der Rechtslage.

5. Kosten

Die Entscheidung über die von der klagenden Partei richtig verzeichneten Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 41 iVm § 50 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E71810

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00213.03K.1216.000

Im RIS seit

15.01.2004

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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