TE OGH 2003/12/16 1Ob235/03w

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Veröffentlicht am 16.12.2003
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer, Dr. Zechner und Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Reinhard G*****, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in Maria Enzersdorf, gegen die beklagte Partei Republik Österreich, vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen 16.074,50 EUR sA und Feststellung (Streitwert 7.267,28 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 22. Juli 2003, GZ 14 R 15/03h-20, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).Die außerordentliche Revision der klagenden Partei wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter muss das Urteil gegen sich gelten lassen und kann sich im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber nicht darauf berufen, dass er eine Tat, derentwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe (SZ 68/195). Das bedeutet aber nicht, dass es ihm verwehrt wäre, aus einem rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteil Amtshaftungsansprüche abzuleiten. Bejahte man dies, dann wäre damit die Strafgerichtsbarkeit - also ein Bereich der Vollziehung, dem besonders weitreichende Eingriffe in die persönliche Rechtssphäre des Einzelnen überantwortet sind - von der Amtshaftung im Ergebnis so weit ausgenommen, als Ersatzansprüche aus der rechtskräftigen Verurteilung abgeleitet werden. Eine solche Ausnahme kann aber weder § 1 AHG noch dessen verfassungsgesetzlicher Grundlage, dem Art 23 Abs 1 B-VG, entnommen werden (SZ 63/223). Amtshaftungsansprüche können somit grundsätzlich auch aus einem rechtskräftigen strafgerichtlichen Urteil abgeleitet werden. Ob ein strafgerichtlich rechtskräftig Verurteilter von einem Sachverständigen, auf dessen Gutachten sich das Urteil stützte, Schadenersatz wegen unrichtiger Begutachtung begehren kann - was die Entscheidung 7 Ob 180/02z = RdW 2003, 79 verneinte -, muss hier nicht geprüft werden.

2. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in Strafsachen ist ein Privatgutachten als Beweismittel unzulässig und hat keinen Anspruch auf strafprozessuale Beachtung. Es kann nur den Zweck haben, dem Angeklagten oder seinem Verteidiger über erhebliche Umstände des Straffalles Aufklärung zu verschaffen, um auf diese Weise zweckdienliche Anträge und Fragen an gerichtliche Sachverständige zu ermöglichen. Nur in Ausnahmsfällen, insbesondere dann, wenn der gerichtlich bestellte Sachverständige gar nicht mehr in der Lage ist, jenen Befund zu erheben, den der allenfalls schon vor ihm von einer Prozesspartei privat beigezogene Sachverständige noch erheben konnte, sind die Befunde und Gutachten der von einem Prozessbeteiligten privat in Anspruch genommenen Sachverständigen grundsätzlich als für die Entscheidung der Strafsache bedeutsame Urkunden anderer Art im Sinne des § 252 Abs 2 StPO anzusehen (Mayerhofer, StPO4 E 106 bis 111 zu § 118). Im Sinne dieser Ausführungen wurde dem Kläger nicht die Möglichkeit genommen, mittels Privatgutachtens zu beweisen, die Operation lege artis durchgeführt zu haben.

3. Allein der Umstand, dass der Gerichtssachverständige Operationen nach der hier maßgeblichen laparoskopischen Operationsmethode nie vorgenommen hat, besagt noch keineswegs, dass es ihm an der nötigen Sachkenntnis mangelte. Aus diesem Grunde allein ergibt sich keinesfalls die Unvertretbarkeit der Beibehaltung des bereits bestellten gerichtlichen Sachverständigen bzw die Unvertretbarkeit der Nichtzuziehung eines zweiten Sachverständigen gemäß § 118 Abs 2 StPO.

Gemäß § 120 StPO ist von der Wahl des Sachverständigen auch der Beschuldigte in Kenntnis zu setzen, und zwar vor der Vornahme des Augenscheins. Werden erhebliche Einwendungen vorgebracht, so sind - außer bei Gefahr im Verzug - andere Sachverständige beizuziehen. Ein Vorbringen, das zur Beiziehung eines anderen Sachverständigen führen soll, muss also Umstände enthalten, die die Person des vom Gericht ausgewählten Sachverständigen als von vornherein ungeeignet erscheinen lassen, insbesondere auch wegen mangelnden fachlichen Wissens (Mayerhofer aaO E 1 f zu § 120). Die Verletzung der Verständigungspflicht bewirkt keine Nichtigkeit (Mayerhofer aaO E 12 zu § 120). Im vorliegenden Fall sahen die Strafgerichte den Sachverständigen, selbst nach ausdrücklicher Kritik durch den Kläger als Angeklagten, als fachlich geeignet an. Demgemäß hielten sie sie die Einwendungen des Klägers gegen die Auswahl des Sachverständigen nicht für erheblich; demnach bewirkte der Verstoß gegen § 120 StPO, wonach bereits der Beschuldigte vor der Vornahme des Augenscheins von der Wahl des Sachverständigen in Kenntnis zu setzen ist, keine Mangelhaftigkeit des Strafverfahrens; ein anderer Sachverständiger wäre eben nicht bestellt worden.

4. Gemäß § 118 Abs 2 StPO sind zwei Sachverständige nur dann beizuziehen, wenn es wegen der Schwierigkeit der Beobachtung oder Begutachtung erforderlich ist. Die Strafgerichte haben in durchaus vertretbarer Weise die Beiziehung eines zweiten Sachverständigen abgelehnt, zumal sie den gerichtlich bestellten Sachverständigen für ausreichend geeignet hielten. Im Übrigen ist auf die unter Punkt 2 angestellten Erwägungen zu verweisen.

5. Die unterbliebene Einvernahme des Zeugen Dr. Függer stellt keinen relevanten Verfahrensmangel dar. Der Revisionswerber führte selbst aus, die Angaben dieses Zeugen in dessen Operationsbericht würden nicht in Zweifel gezogen, sondern nur die daraus gezogenen unrichtigen Schlüsse des gerichtlich bestellten Sachverständigen (S 6 der Revision). Damit erweist sich aber die Einvernahme dieses Zeugen als entbehrlich.

6. Soweit der gerichtlich bestellte Sachverständige ausführte, es gebe für eine bestimmte Vorgangsweise keinen Beweis, wurde damit die Vermutung der Unschuld des Angeklagten keinesfalls missachtet. Damit brachte der Sachverständige nur zum Ausdruck, dass für die vom Kläger aufgezeigte und vom Sachverständigen als seltene Komplikation bezeichnete Möglichkeit kein Beweis vorliege; es blieb allein dem Gericht vorbehalten, diese Möglichkeit als gegeben anzunehmen oder nicht.

7. Schon das Berufungsgericht hat in durchaus nachvollziehbarer Weise ausgeführt, das Strafgericht erster Instanz habe bei der Fassung des ersten - in der Folge als nichtig aufgehobenen - Urteils in vertretbarer Weise der Meinung sein dürfen, die Vorschriften des § 260 Abs 1 Z 1 und 2 sowie des § 270 Abs 2 Z 5 StPO ausreichend beachtet zu haben (S 19 f des Berufungsurteils). Diese Ausführungen sind logisch einwandfrei; ein Amtshaftungsanspruch kann daher aus diesem ersten, aufgehobenen Strafurteil nicht abgeleitet werden.

8. Es ist nicht ersichtlich, warum die Verhängung einer unbedingten Geldstrafe unvertretbar gewesen sein sollte: Das berufungsgerichtliche Strafurteil führt spezialpräventive Gründe ins Treffen, derentwegen die Rechtswohltat des § 43 Abs 1 StGB nicht gewährt werden könnte (S 12 des Urteils vom 15. 7. 1999 zu 14 Bl 4/99 des LG Wr. Neustadt). Diese Argumentation stellt keinen Missbrauch bei der Entscheidungsfindung dar; die fehlende Schuldeinsicht eines Angeklagten kann durchaus den Vollzug einer Strafe erfordern.

Textnummer

E71919

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2003:0010OB00235.03W.1216.000

Im RIS seit

15.01.2004

Zuletzt aktualisiert am

09.02.2011
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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