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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FrPolG 2005 §76 Abs2 Z3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des D, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 6. Februar 2006, Zl. Senat-FR-06-1005, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der vom Beschwerdeführer, einem Staatsangehörigen von "Serbien und Montenegro", gegen die über ihn mit Bescheid vom 16. Jänner 2006 angeordnete Schubhaft erhobenen Beschwerde gemäß § 83 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, keine Folge und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
In ihrer Begründung stellte die belangte Behörde fest, über den Beschwerdeführer sei mit Bescheid vom 24. Juni 2002 (rechtskräftig - und zwar auf Grund einer wegen Betrugs verhängten zweieinhalbjährigen Freiheitsstrafe) ein auf 10 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt worden. In der Nacht zum 7. Jänner 2006 sei er dessen ungeachtet in das Bundesgebiet eingereist und habe am 16. Jänner 2006 einen Asylantrag gestellt. Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Baden vom 16. Jänner 2006 sei über ihn die Schubhaft zur Sicherung der Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG und der Abschiebung verhängt worden.
Die dagegen erhobene Beschwerde erweise sich als unberechtigt, weil auf Grund des rechtskräftigen Bescheides vom 24. Juni 2002 die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG erfüllt seien, der die Verhängung der Schubhaft über einen Asylwerber ermögliche, gegen den vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot verhängt worden sei. Da der Beschwerdeführer mittellos und im Bundesgebiet bereits einmal straffällig geworden sei, könnte davon ausgegangen werden, dass seine Anhaltung in Schubhaft im Interesse der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gerechtfertigt wäre.
Das Fehlen des Nachweises der Mittel zur Bestreitung des Unterhalts rechtfertige darüber hinaus die Annahme, der Fremde werde sich dem Verfahren entziehen, und reiche aus, um die Schubhaft anzuordnen. Aus diesem Grund komme auch die Anwendung gelinderer Mittel gemäß § 77 FPG nicht in Betracht, obwohl sich "die Ehefrau und die Kinder in Österreich befinden". Die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft sei somit erforderlich.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Vorauszuschicken ist, dass Aufenthaltsverbote, deren Gültigkeitsdauer bei In-Kraft-Treten des FPG noch nicht abgelaufen sind, gemäß § 125 Abs. 3 FPG als nach diesem Bundesgesetz erlassene Aufenthaltsverbote mit derselben Gültigkeitsdauer gelten. Besteht gegen einen Fremden, der am 1. Jänner 2006 Asylwerber ist, ein Aufenthaltsverbot, so gilt dieses Aufenthaltsverbot als Rückkehrverbot.
Inhaltlich ist zunächst anzumerken, dass die belangte Behörde einem Rechtsirrtum unterlegen ist, soweit sie in der Begründung des angefochtenen Bescheides auf eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit abstellt. Eine derartige Überlegung ist nämlich lediglich für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, nicht jedoch für die Prüfung der Erforderlichkeit der Schubhaft relevant (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2006/21/0311 m.w.N.).
Gemäß § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft (v.a.) zur Sicherung der Abschiebung anordnen, wenn gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54 FPG) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60 FPG) verhängt worden ist.
Diese Ermächtigung ist im Licht des Gebotes der Verhältnismäßigkeit auszulegen. Weiters ist eine verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung des Verfahrens und der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen, was ein ausreichendes Eingehen auf die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel im Sinn des § 77 Abs. 1 FPG erfordert (vgl. das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2006, B 362/06, sowie das zitierte hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007).
Zur Begründung eines Sicherungserfordernisses müssten Umstände (wie z.B. eine mangelnde familiäre oder soziale Verankerung im Inland) festgestellt werden, die die Befürchtung rechtfertigten, es bestehe das Risiko eines Untertauchens.
Einer derartigen Annahme steht im Beschwerdefall entgegen, dass der Beschwerdeführer bereits bei seiner Einvernahme am 16. Jänner 2006 ausgeführt hat, neben seiner Schwester und seinem Bruder hielten sich seine Ehefrau, der Sohn und zwei Enkelkinder in Österreich auf (Blatt 37 des Verwaltungsaktes). Weiters hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, ein schweres Herzleiden aufzuweisen, bereits einen Herzinfarkt erlitten zu haben und der Pflicht zur ständigen Einnahme von Medikamenten zu unterliegen (Blatt 37 sowie 155 ff des Verwaltungsaktes), ohne dass die belangte Behörde darauf eingegangen wäre, auf Grund welcher Überlegungen trotz der familiären Bindungen und der Krankheit mit seinem Untertauchen zu rechnen sein sollte. Ebenso ist eine nähere Abklärung unterblieben, was unter den vom Beschwerdeführer in seiner an die belangte Behörde gerichteten Schubhaftbeschwerde angeführten geringen finanziellen Mittel zu verstehen sei, über die er verfüge (vgl. dazu die (nachträglich abgegebene, für sich allein betrachtet daher eine unzulässige Neuerung darstellende) auf Unterhaltspflichten beruhende Haftungserklärung seiner Ehefrau vom 15. Februar 2006 - Blatt 115 des Verwaltungsaktes).
Insgesamt liegt nach dem Gesagten keine ausreichende Begründung dafür vor, dass die Annahme gerechtfertigt wäre, der Beschwerdeführer wollte sich seiner Abschiebung entziehen und untertauchen. Somit hat die belangte Behörde, indem sie allein aus den dargestellten Umständen einen Sicherungsbedarf ableitete, die Rechtslage verkannt. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 22. Mai 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006210052.X00Im RIS seit
20.06.2007Zuletzt aktualisiert am
31.03.2011