TE OGH 2004/1/13 10ObS265/03y

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Veröffentlicht am 13.01.2004
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Schramm sowie die fachkundigen Laienrichter Prof. Mag. Dr. Günther Schön (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Ing. Wilhelm Sturm (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz Johann J*****, ohne Beschäftigung, *****, vertreten durch Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist-Straße 1, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30. September 2003, GZ 8 Rs 161/03k-16, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.Die außerordentliche Revision wird gemäß Paragraph 508 a, Absatz 2, ZPO mangels der Voraussetzungen des Paragraph 502, Absatz eins, ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger, der für das Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Benützung eines Rollstuhls angewiesen ist, macht in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels geltend, das Berufungsgericht habe zwar entsprechend seinen Ausführungen in der Berufung die Verkehrssituation im Wiener Raum erhoben, dabei aber ausschließlich eine Betrachtung des U-Bahn-Netzes vorgenommen. Das Berufungsgericht sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass das - nach den Feststellungen offenkundig überwiegend behindertengerechte (= den Erfordernissen der Verwendung eines Rollstuhls entsprechende) - U-Bahn-Netz einen gesicherten Anmarschweg des Klägers zu wenigstens 100 behindertengerechten Arbeitsplätzen gewährleiste. Dabei habe das Berufungsgericht jedoch nicht berücksichtigt, dass die U-Bahn das Stadtgebiet keineswegs vollständig erschließe. Die behindertengerechte Ausstattung weiterer öffentlicher Verkehrsmittel wie Straßenbahnen und Busse sei nicht überprüft worden. Bei der Frage der Gerichtsnotorietät der behindertengerechten Ausstattung des Wiener U-Bahn-Netzes sei zu berücksichtigen, dass weder der nicht in Wien wohnhafte Kläger noch das Erstgericht aufgrund amtlicher Wahrnehmung über entsprechende Kenntnisse verfügten. Es liege daher insoweit auch eine Verletzung der Anleitungs- und Aufklärungspflicht (§ 182 ZPO) durch das Berufungsgericht vor.Der Kläger, der für das Erreichen des Arbeitsplatzes auf die Benützung eines Rollstuhls angewiesen ist, macht in seinen Ausführungen zur Zulässigkeit seines Rechtsmittels geltend, das Berufungsgericht habe zwar entsprechend seinen Ausführungen in der Berufung die Verkehrssituation im Wiener Raum erhoben, dabei aber ausschließlich eine Betrachtung des U-Bahn-Netzes vorgenommen. Das Berufungsgericht sei dabei zu dem Ergebnis gelangt, dass das - nach den Feststellungen offenkundig überwiegend behindertengerechte (= den Erfordernissen der Verwendung eines Rollstuhls entsprechende) - U-Bahn-Netz einen gesicherten Anmarschweg des Klägers zu wenigstens 100 behindertengerechten Arbeitsplätzen gewährleiste. Dabei habe das Berufungsgericht jedoch nicht berücksichtigt, dass die U-Bahn das Stadtgebiet keineswegs vollständig erschließe. Die behindertengerechte Ausstattung weiterer öffentlicher Verkehrsmittel wie Straßenbahnen und Busse sei nicht überprüft worden. Bei der Frage der Gerichtsnotorietät der behindertengerechten Ausstattung des Wiener U-Bahn-Netzes sei zu berücksichtigen, dass weder der nicht in Wien wohnhafte Kläger noch das Erstgericht aufgrund amtlicher Wahrnehmung über entsprechende Kenntnisse verfügten. Es liege daher insoweit auch eine Verletzung der Anleitungs- und Aufklärungspflicht (Paragraph 182, ZPO) durch das Berufungsgericht vor.

Diesen Ausführungen ist folgendes entgegenzuhalten:

Rechtliche Beurteilung

Der Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes unabhängig davon, ob der körperliche und geistige Zustand des Versicherten noch den mit der Berufstätigkeit selbst verbundenen Anforderungen entspricht, auch dann eingetreten, wenn der Versicherte nicht mehr im Stande ist, in zumutbarer Weise einen Arbeitsplatz zu erreichen. Ob diese Voraussetzung besteht, ist eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Tatsachenfeststellungen über die körperlichen und geistigen Einschränkungen des Versicherten zu klären ist. Dabei kommt es allerdings nicht auf die Verhältnisse am Wohnort des Versicherten, sondern auf die Verhältnisse am allgemeinen Arbeitsmarkt an, weil der Versicherte sonst durch die Wahl seines Wohnortes die Voraussetzungen für die Gewährung einer Pension beeinflussen könnte. Sofern nicht medizinische Gründe entgegenstehen, muss der Versicherte daher auch einen Wechsel seines Wohnortes in Kauf nehmen. Ferner ist vom Versicherten zu verlangen, dass er ein öffentliches Verkehrsmittel benützt, wenn ihm dies aufgrund seines körperlichen und geistigen Zustandes zugemutet werden kann (SSV-NF 2/105 ua).

Es wird auch vom Revisionswerber nicht in Abrede gestellt, dass im Sinne dieser dargelegten Grundsätze die Frage der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes daher auf der Grundlage der Verhältnisse im großstädtischen Bereich zu prüfen ist. Das Berufungsgericht hat in der von ihm anberaumten mündlichen Berufungsverhandlung mit den Parteien die Frage erörtert, inwieweit die in Wien bestehenden U-Bahn-Haltestellen mit Lift oder Rollstuhlrampe ausgestattet sind und wieviele Arbeitsplätze in den für den Kläger noch in Betracht kommenden Verweisungsberufen im Wiener Bereich zur Verfügung stehen. Das Berufungsgericht hat den Parteien seine Auffassung dargelegt, wonach bei den in Wien bestehenden 86 U-Bahn-Haltestellen lediglich 4 nicht mit Lift oder Rollstuhlrampe ausgestattet seien und damit im Wiener Bereich 100 Arbeitsplätze in den für den Kläger noch in Betracht kommenden Verweisungsberufen zur Verfügung stehen. Das Berufungsgericht hat mit dieser Vorgangsweise der in der aktuellen Rechtsprechung des erkennenden Senates vertretenen Auffassung entsprochen, wonach es dem Berufungsgericht ohne vorherige Erörterung mit den Parteien nicht gestattet ist, allein mit dem Hinweis auf Allgemeinkundigkeit offenkundige Tatsachen ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde zulegen, sofern nicht die Tatsache völlig unzuweifelhaft ist. In diesem Sinn muss den Parteien bei bezweifelbarer Offenkundigkeit Gelegenheit geboten werden, den Beweis der Unrichtigkeit einer vom Gericht als offenkundig beurteilten Tatsache anzutreten (10 ObS 389/02g; 10 ObS 355/02g; 10 ObS 273/02y mwN ua; insoweit noch anders SSV-NF 14/7). Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser vom Berufungsgericht als offenkundig beurteilten Tatsachen wurden in der mündlichen Berufungsverhandlung nach dem Inhalt des hierüber aufgenommenen Protokolls nicht erhoben. Das Berufungsgericht konnte daher von der Richtigkeit dieser von ihm zu Recht als offenkundig (vgl dazu SSV-NF 14/7) beurteilten Tatsachen ausgehen. Die Richtigkeit dieser Feststellungen kann im Revisionsverfahren auch nicht deshalb bekämpft werden, weil die Feststellungen vom Berufungsgericht unter Anwendung des § 269 ZPO getroffen wurden (SSV-NF 14/7 ua; RIS-Justiz RS0040046). Eine Verletzung der Anleitungs- und Belehrungspflicht (§ 182 ZPO) gegenüber dem auch in der mündlichen Berufungsverhandlung bereits durch einen Rechtsanwalt qualifiziert vertreten gewesenen Kläger liegt ebenfalls nicht vor.Es wird auch vom Revisionswerber nicht in Abrede gestellt, dass im Sinne dieser dargelegten Grundsätze die Frage der Erreichbarkeit des Arbeitsplatzes daher auf der Grundlage der Verhältnisse im großstädtischen Bereich zu prüfen ist. Das Berufungsgericht hat in der von ihm anberaumten mündlichen Berufungsverhandlung mit den Parteien die Frage erörtert, inwieweit die in Wien bestehenden U-Bahn-Haltestellen mit Lift oder Rollstuhlrampe ausgestattet sind und wieviele Arbeitsplätze in den für den Kläger noch in Betracht kommenden Verweisungsberufen im Wiener Bereich zur Verfügung stehen. Das Berufungsgericht hat den Parteien seine Auffassung dargelegt, wonach bei den in Wien bestehenden 86 U-Bahn-Haltestellen lediglich 4 nicht mit Lift oder Rollstuhlrampe ausgestattet seien und damit im Wiener Bereich 100 Arbeitsplätze in den für den Kläger noch in Betracht kommenden Verweisungsberufen zur Verfügung stehen. Das Berufungsgericht hat mit dieser Vorgangsweise der in der aktuellen Rechtsprechung des erkennenden Senates vertretenen Auffassung entsprochen, wonach es dem Berufungsgericht ohne vorherige Erörterung mit den Parteien nicht gestattet ist, allein mit dem Hinweis auf Allgemeinkundigkeit offenkundige Tatsachen ohne Beweisaufnahme ergänzend seiner Entscheidung zugrunde zulegen, sofern nicht die Tatsache völlig unzuweifelhaft ist. In diesem Sinn muss den Parteien bei bezweifelbarer Offenkundigkeit Gelegenheit geboten werden, den Beweis der Unrichtigkeit einer vom Gericht als offenkundig beurteilten Tatsache anzutreten (10 ObS 389/02g; 10 ObS 355/02g; 10 ObS 273/02y mwN ua; insoweit noch anders SSV-NF 14/7). Einwendungen gegen die Richtigkeit dieser vom Berufungsgericht als offenkundig beurteilten Tatsachen wurden in der mündlichen Berufungsverhandlung nach dem Inhalt des hierüber aufgenommenen Protokolls nicht erhoben. Das Berufungsgericht konnte daher von der Richtigkeit dieser von ihm zu Recht als offenkundig vergleiche dazu SSV-NF 14/7) beurteilten Tatsachen ausgehen. Die Richtigkeit dieser Feststellungen kann im Revisionsverfahren auch nicht deshalb bekämpft werden, weil die Feststellungen vom Berufungsgericht unter Anwendung des Paragraph 269, ZPO getroffen wurden (SSV-NF 14/7 ua; RIS-Justiz RS0040046). Eine Verletzung der Anleitungs- und Belehrungspflicht (Paragraph 182, ZPO) gegenüber dem auch in der mündlichen Berufungsverhandlung bereits durch einen Rechtsanwalt qualifiziert vertreten gewesenen Kläger liegt ebenfalls nicht vor.

Ausgehend von den Feststellungen des Berufungsgerichtes ist der Kläger wegen seiner Gehbehinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausgeschlossen. Der Frage der behindertengerechten Ausstattung der weiteren öffentlichen Verkehrsmittel in Wien wie Straßenbahnen und Busse kommt daher keine entscheidungswesentliche Bedeutung mehr zu. Ist ein Versicherter in der Lage eine Verweisungstätigkeit ohne Einschränkung zu verrichten, so ist davon auszugehen, dass er den vollen kollektivvertraglichen Lohn und damit auch die sogenannte "Lohnhälfte" iSd §§ 255 Abs 1 und 273 Abs 1 ASVG erzielen kann (stRsp SSV-NF 1/11; 1/54; 3/157 uva).Ausgehend von den Feststellungen des Berufungsgerichtes ist der Kläger wegen seiner Gehbehinderung vom allgemeinen Arbeitsmarkt nicht ausgeschlossen. Der Frage der behindertengerechten Ausstattung der weiteren öffentlichen Verkehrsmittel in Wien wie Straßenbahnen und Busse kommt daher keine entscheidungswesentliche Bedeutung mehr zu. Ist ein Versicherter in der Lage eine Verweisungstätigkeit ohne Einschränkung zu verrichten, so ist davon auszugehen, dass er den vollen kollektivvertraglichen Lohn und damit auch die sogenannte "Lohnhälfte" iSd Paragraphen 255, Absatz eins und 273 Absatz eins, ASVG erzielen kann (stRsp SSV-NF 1/11; 1/54; 3/157 uva).

Da der Revisionswerber somit keine für die Entscheidung des Verfahrens relevante Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen vermag, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.Da der Revisionswerber somit keine für die Entscheidung des Verfahrens relevante Rechtsfrage iSd Paragraph 502, Absatz eins, ZPO aufzuzeigen vermag, ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.

Textnummer

E72032

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2004:010OBS00265.03Y.0113.000

Im RIS seit

12.02.2004

Zuletzt aktualisiert am

07.02.2013
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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