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33 BewertungsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch die angefochtenen Bescheide wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt worden.
Die Bescheide werden aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Finanzen) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 4.285,68 bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist am 9. März 1920 geboren und hat in den Jahren 1989, 1990, 1995 und 1996 bei verschiedenen Versicherungsunternehmen Rentenverträge abgeschlossen, die ihr nach Hingabe bestimmter Einmalzahlungen einen lebenslänglichen Rentenanspruch gewährten. Aus diesen Versicherungsverträgen wurden ihr in den Jahren 1999 bis 2001 Rentenzahlungen erbracht.
Mit Bescheiden der Finanzlandesdirektion für Oberösterreich wurde der Beschwerdeführerin für diese Jahre Einkommensteuer (u.a. für sonstige Einkünfte) vorgeschrieben; zur Begründung führt die belangte Behörde hiezu im wesentlichen aus, daß die Rentenzahlungen den kapitalisierten Wert der Rente gemäß §16 Abs2 BewG 1955 inzwischen erreicht hätten und daher Einkommensteuerpflicht nach §29 Z1 EStG 1988 gegeben sei.
2. In den dagegen erhobenen Beschwerden wird die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der bekämpften Bescheide begehrt.
3. Die belangte Behörde legte innerhalb der ihr gesetzten Frist die Akten der Verwaltungsverfahren vor. Unter Verweis auf die im hg. Verfahren B1200/01 erbrachte Äußerung sah die belangte Behörde zwar von der Erstattung einer Gegenschrift ab, beantragte aber die Abweisung der Beschwerden.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen.
1. Mit Erkenntnis vom 9. Oktober 2002, G112, 113/02, hat der Verfassungsgerichtshof den Klammerausdruck "(§16 Abs2 und 4 des Bewertungsgesetzes 1955)" im 4. Satz des §29 Z1 EStG 1988, BGBl. 400, in der Fassung BGBl. I 106/1999, sowie §16 Abs2 und 3 BewG 1955, BGBl. 148, in der Fassung BGBl. 172/1971, als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
3. Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10.616/1985, 11.711/1988).
4. Die nichtöffentliche Beratung des Verfassungsgerichtshofes im Gesetzesprüfungsverfahren fand am 9. Oktober 2002 statt. Die vorliegenden Beschwerden sind beim Verfassungsgerichtshof am 29. Oktober 2001 bzw. am 9. August 2002 eingelangt, waren also zum Zeitpunkt der nichtöffentlichen Beratung schon anhängig; der ihnen (jeweils) zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.
5. Die belangte Behörde wendete bei Erlassung der angefochtenen Bescheide die als verfassungswidrig aufgehobenen Gesetzesbestimmungen an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetzesbestimmungen in ihren Rechten verletzt.
6. Im übrigen wird auf die - dieselbe Beschwerdeführerin betreffende - hg. Entscheidung vom heutigen Tag, B1200/01, verwiesen.
7. Die Bescheide waren daher - wegen Untrennbarkeit ihres (jeweiligen) Spruches zur Gänze - aufzuheben.
III. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Eingabegebühr iHv € 361,68 und Umsatzsteuer iHv € 654,-- enthalten.
IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Bescheid Trennbarkeit, Einkommensteuer, Sonderausgaben, VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B1494.2001Dokumentnummer
JFT_09978988_01B01494_00