TE Vfgh Beschluss 2002/11/25 G357/02

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.11.2002
beobachten
merken

Index

66 Sozialversicherung
66/01 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
ASVG §587 idF Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000, BGBl I 43/2000, und Sozialrechts-ÄnderungsG 2000, BGBl I 92/2000 bzw 101/2000
ASVG §253d
Sozialversicherungs-ÄnderungsG 2000 Art1 Z6

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Mit Art1 Z6 des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000 - SVÄG 2000, BGBl. I Nr. 43/2000 (ausgegeben am 7. Juli 2000), wurde

§253d des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes - ASVG, BGBl. Nr. 189/1955, aufgehoben.

§587 ASVG (idF Art1 Z28 SVÄG 2000) trifft hiezu - auszugsweise - folgende Bestimmungen:

"(1) ...

(2) Die §§[...] 253d, [...] treten mit Ablauf des 30. Juni 2000 außer Kraft.

(3) Die §§[...] 253d, [...] in der am 30. Juni 2000 geltenden Fassung sind auf Personen, die Anspruch auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vorzeitige Knappschaftsalterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) mit Stichtag vor dem 1. Juli 2000 haben, weiterhin anzuwenden.

(4) Auf männliche Versicherte, die nach dem 22. Mai 1943 geboren wurden und die die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vorzeitige Knappschaftsalterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit) nach dem 22. Mai 2000 beantragt haben, ist §253d (§276d) nicht mehr anzuwenden.

(5)-(8) ..."

Mit Art1 Z52c des Sozialrechts-Änderungsgesetzes 2000 - SRÄG 2000, BGBl. I Nr. 92/2000 (ausgegeben am 11. August 2000), wurde §587 Abs4 ASVG folgende neue Fassung gegeben:

"(4) Anträge auf vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (vorzeitige Knappschaftsalterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit), die nach dem 23. Mai 2000 und vor dem 2. Juni 2000 gestellt wurden, sind als Anträge auf Invaliditäts-(Berufunfähigkeits-)Pension mit Stichtag 1. Juni 2000 zu werten, wobei §255 Abs4 in der Fassung des Sozialversicherungs-Änderungsgesetzes 2000, BGBl. I Nr. 43, anzuwenden ist."

2. Der am 13. Juli 1945 geborene Antragsteller hatte am 29. Mai 2000 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten einen Antrag auf Zuerkennung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (§253d ASVG) gestellt. Mit Bescheid vom 5. Dezember 2001 wurde dieser Antrag abgewiesen. Dagegen erhob der Antragsteller Klage an das Landesgericht Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht, das die Klage als unbegründet abwies. Nach Angaben des Antragstellers ist das Verfahren derzeit beim Oberlandesgericht Innsbruck (als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen) anhängig.

3. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2002 begehrt der Antragsteller - gestützt auf Art140 Abs1 letzter Satz B-VG -, der Verfassungsgerichtshof möge einzelne Bestimmungen des ASVG (nämlich jene, welche die Aufhebung des §253d ASVG zum Gegenstand haben) als verfassungswidrig aufheben.

Dem Antragsteller sei zwar bekannt, daß der Oberste Gerichtshof bereits einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt habe. Falls der Verfassungsgerichtshof diesem Antrag des Obersten Gerichtshofes Folge geben sollte, sei es indes "denkmöglich", daß der Antragsteller von der Anlaßfallwirkung des aufhebenden Erkenntnisses ausgeschlossen bliebe. Insofern lägen "besondere Umstände" vor, sodaß es kein "Sakrileg" sein könne, an den Verfassungsgerichtshof mit dem "Ansinnen heranzutreten", von einer "als nicht befriedigend empfundenen Judikatur" abzugehen. Sodann heißt es wörtlich:

"Es kann nicht Sinn der Verfassungsordnung sein, Rechtsunterworfene, die in einem Verwaltungsverfahren mittels Beschwerde nach Art144 B-VG den Verfassungsgerichtshof noch rechtzeitig und vor allem aus eigener Initiative anrufen können, vor allem in einer derartigen Sonderkonstellation gegenüber Rechtsunterworfenen zu bevorzugen, die auf den Gerichtsweg verwiesen sind. Vom Verfassungsgesetzgeber selbst muss man, wenn dies auch nicht positiviert ist, mangels überzeugende[n] Differenzierungskriteriums Gleichbehandlung erwarten."

4. Der Antrag ist unzulässig:

Wie der Verfassungsgerichtshof seit seinem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung ausführt, setzt die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 letzter Satz B-VG voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen, und daß die durch Art140 Abs1 bzw. Art139 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumten Rechtsbehelfe dazu bestimmt sind, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 10.481/1985, 11.684/1988).

Es ist nach der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (s. zuletzt zB VfSlg. 14.310/1995, 15.030/1997, 15.217/1998, 15.343/1998) weiters prinzipiell zumutbar, den Klagsweg zu beschreiten, im folgenden gerichtlichen Rechtsstreit Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften vorzubringen und vor dem in zweiter Instanz zur Entscheidung berufenen Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages beim Verfassungsgerichtshof anzuregen (vgl. zB VfSlg. 8979/1980, 9394/1982, 9695/1983, 9926/1984, 10.445/1985, 10.785/1986, 11.551/1987, 11.759/1988, 12.046/1989). Wollte man wegen des Prozeßrisikos und der damit verbundenen Kostenfolgen oder wegen der damit verbundenen Zeitdauer grundsätzlich davon ausgehen, daß die Beschreitung des Gerichtsweges unzumutbar sei, so verlöre die in Art140 Abs1 letzter Satz B-VG enthaltene Einschränkung "sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung ... für diese Person wirksam geworden ist" ihren hauptsächlichen Anwendungsbereich (vgl. VfSlg. 10.785/1986, 11.759/1988, 11.889/1988 ua.).

Nur in besonderen Fällen ist es dem Antragsteller nicht zumutbar, die ordentlichen Gerichte anzurufen, so etwa dann, wenn von ihm ein verbotenes Handeln gesetzt werden müßte, um ein gerichtliches Verfahren zu provozieren (zB VfSlg. 13.659/1993 mwN). Eine solche Konstellation liegt hier aber nicht vor: Die bloße Ungewißheit darüber, wann der Verfassungsgerichtshof über einen bei ihm anhängigen Gesetzesprüfungsantrag entscheiden und welchen Ausgang dieses Verfahren nehmen werde, vermag dem Antragsteller keine gleichsam subsidiäre Antragslegitimation zu vermitteln.

Angesichts der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen - vom Standpunkt des Betroffenen aus - zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, kommt es dagegen nicht auf die Erfolgschancen des Antragstellers im Gerichtsverfahren, sondern bloß darauf an, daß sich im Zuge eines derartigen Verfahrens Gelegenheit bietet, verfassungsrechtliche Bedenken gegen präjudizielle Vorschriften über die ordentlichen Gerichte an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen (vgl. VfSlg. 9170/1981, 9285/1981, 10.592/1985, 11.889/1988). Andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Charakter eines Individualantrages als eines subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. zB VfSlg. 9939/1984, 11.454/1987). Ob und inwieweit allerdings das Gericht auf die Kritik der Partei des Gerichtsverfahrens an der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzesbestimmungen eingeht, ist hiebei nicht ausschlaggebend (vgl. VfSlg. 11.890/1988, 12.046/1989, 13.659/1993).

Aus alledem ergibt sich, daß der Antragsteller über einen - ihm auch zumutbaren - Weg verfügt, seine verfassungsrechtlichen Bedenken anders als mit einem unmittelbaren Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen. Der Antragsteller hat diesen Weg auch beschritten, indem er - nach eigenen Angaben - die ordentlichen Gerichte als Arbeits- und Sozialgerichte angerufen hat. Es steht ihm offen, im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Innsbruck anzuregen, daß dieses Gericht einen entsprechenden Gesetzesprüfungsantrag an den Verfassungsgerichtshof richten möge. Falls dieses Gericht die vom Antragsteller vorgebrachten Bedenken teilt oder aus eigenem Bedenken hegt, wäre es verpflichtet, einen derartigen Antrag zu stellen (Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG).

Der Antrag war somit mangels Legitimation des Antragstellers als unzulässig zurückzuweisen.

Bei diesem Ergebnis konnte offenbleiben, ob das Aufhebungsbegehren des vorliegenden Antrags in allen Punkten den - strengen - Formerfordernissen des §62 Abs1 erster Satz VfGG (s. zB VfGH 26. November 2001, G197/01 mwN) entspricht.

5. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung und ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Übergangsbestimmung, Sozialversicherung, Pensionsversicherung, Arbeitsfähigkeit geminderte, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G357.2002

Dokumentnummer

JFT_09978875_02G00357_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten