TE OGH 2004/4/6 Bsw67950/01

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Veröffentlicht am 06.04.2004
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Kopf

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer I, Beschwerdesache Stefan Rosza gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 6.4.2004, Bsw. 67950/01.Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Kammer römisch eins, Beschwerdesache Stefan Rosza gegen Österreich, Zulässigkeitsentscheidung vom 6.4.2004, Bsw. 67950/01.

Spruch

Art. 6 Abs. 1 EMRK, § 66 FinStrG, § 68 FinStrG - Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Finanzstrafbehörden.Artikel 6, Absatz eins, EMRK, Paragraph 66, FinStrG, Paragraph 68, FinStrG - Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Finanzstrafbehörden.

Zurückweisung der Beschwerde (einstimmig).

Text

Begründung:

Sachverhalt:

Als der Bf. am 20.2.1996 aus Ungarn kommend nach Österreich einreiste, wurde bei der Grenzkontrolle eine größere Anzahl von Zigaretten in seinem Auto gefunden, die er bei den Zollbehörden nicht deklariert hatte. Die Tabakwaren wurden beschlagnahmt und ein Strafverfahren eingeleitet. Den Angaben der Reg. zufolge wurde der Bf. bei seiner Verhaftung schriftlich dahingehend belehrt, dass er eine mündliche Verhandlung vor einem Spruchsenat der Finanzstrafbehörde erster Instanz beantragen könne. Die Finanzstrafbehörde verhängte am 13.3.1996 eine Geldstrafe wegen versuchten Schmuggels und versuchten Eingriffs in das Recht des Tabakmonopols. Die Strafverfügung enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach der Bf. einen Einspruch erheben und eine Entscheidung des Berufungssenats der Finanzlandesdirektion beantragen könne. Der Bf. erhob Einspruch gegen die Strafverfügung, stellte aber keinen Antrag auf Verhandlung vor dem Berufungssenat. Am 7.12.1997 fand eine Verhandlung vor dem Hauptzollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz statt. Am 26.2.1998 verhängte das Hauptzollamt eine Geldstrafe von ATS 28.000,-- (EUR 2.035,--) wegen versuchten Schmuggels und versuchten Eingriffs in das Recht des Tabakmonopols und ordnete die Beschlagnahme der Zigaretten an. Das Straferkenntnis enthielt eine Belehrung über die Möglichkeit der Berufung, über die die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz entscheiden würde. Auf Antrag des Bf. würde der Berufungssenat dieser Behörde über die Berufung entscheiden. Am 25.4.1998 erhob der Bf. Berufung gegen das Straferkenntnis. Eine Entscheidung durch den Berufungssenat begehrte er nicht. Das Rechtsmittel wurde am 18.9.2000 von der Finanzlandesdirektion abgewiesen. Daraufhin stellte der Bf. beim VfGH einen Antrag auf Verfahrenshilfe, um eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Finanzlandesdirektion einbringen zu können. Er brachte vor, dass keine der mit seinem Fall betrauten Behörden als Tribunal iSv. Art. 6 EMRK qualifiziert werden könnte. Zudem hätte das Verfahren übermäßig lange gedauert. Der Präsident des VfGH wies den Verfahrenshilfeantrag wegen Aussichtslosigkeit der Bsw. ab. Der Beschluss enthielt den Hinweis, dass es dem Bf. freistehe, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. Der Bf. erhob keine Bsw. an den VfGH.Als der Bf. am 20.2.1996 aus Ungarn kommend nach Österreich einreiste, wurde bei der Grenzkontrolle eine größere Anzahl von Zigaretten in seinem Auto gefunden, die er bei den Zollbehörden nicht deklariert hatte. Die Tabakwaren wurden beschlagnahmt und ein Strafverfahren eingeleitet. Den Angaben der Reg. zufolge wurde der Bf. bei seiner Verhaftung schriftlich dahingehend belehrt, dass er eine mündliche Verhandlung vor einem Spruchsenat der Finanzstrafbehörde erster Instanz beantragen könne. Die Finanzstrafbehörde verhängte am 13.3.1996 eine Geldstrafe wegen versuchten Schmuggels und versuchten Eingriffs in das Recht des Tabakmonopols. Die Strafverfügung enthielt eine Rechtsmittelbelehrung, wonach der Bf. einen Einspruch erheben und eine Entscheidung des Berufungssenats der Finanzlandesdirektion beantragen könne. Der Bf. erhob Einspruch gegen die Strafverfügung, stellte aber keinen Antrag auf Verhandlung vor dem Berufungssenat. Am 7.12.1997 fand eine Verhandlung vor dem Hauptzollamt Wien als Finanzstrafbehörde erster Instanz statt. Am 26.2.1998 verhängte das Hauptzollamt eine Geldstrafe von ATS 28.000,-- (EUR 2.035,--) wegen versuchten Schmuggels und versuchten Eingriffs in das Recht des Tabakmonopols und ordnete die Beschlagnahme der Zigaretten an. Das Straferkenntnis enthielt eine Belehrung über die Möglichkeit der Berufung, über die die Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland als Finanzstrafbehörde zweiter Instanz entscheiden würde. Auf Antrag des Bf. würde der Berufungssenat dieser Behörde über die Berufung entscheiden. Am 25.4.1998 erhob der Bf. Berufung gegen das Straferkenntnis. Eine Entscheidung durch den Berufungssenat begehrte er nicht. Das Rechtsmittel wurde am 18.9.2000 von der Finanzlandesdirektion abgewiesen. Daraufhin stellte der Bf. beim VfGH einen Antrag auf Verfahrenshilfe, um eine Beschwerde gegen die Entscheidung der Finanzlandesdirektion einbringen zu können. Er brachte vor, dass keine der mit seinem Fall betrauten Behörden als Tribunal iSv. Artikel 6, EMRK qualifiziert werden könnte. Zudem hätte das Verfahren übermäßig lange gedauert. Der Präsident des VfGH wies den Verfahrenshilfeantrag wegen Aussichtslosigkeit der Bsw. ab. Der Beschluss enthielt den Hinweis, dass es dem Bf. freistehe, eine Verfassungsbeschwerde zu erheben. Der Bf. erhob keine Bsw. an den VfGH.

Rechtliche Beurteilung

Rechtsausführungen:

Der Bf. behauptet eine Verletzung von Art. 6 (1) EMRK. Er macht zum einen die überlange Verfahrensdauer geltend, zum anderen bringt er vor, weder das Hauptzollamt noch die Finanzlandesdirektion wäre ein Tribunal iSv. Art. 6 EMRK.Der Bf. behauptet eine Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK. Er macht zum einen die überlange Verfahrensdauer geltend, zum anderen bringt er vor, weder das Hauptzollamt noch die Finanzlandesdirektion wäre ein Tribunal iSv. Artikel 6, EMRK.

Zur behaupteten Verletzung von Art. 6 (1) EMRK:Zur behaupteten Verletzung von Artikel 6, (1) EMRK:

1.) Zur behaupteten überlangen Verfahrensdauer:

Der GH hat bereits in seinem Urteil Basic/A festgestellt, dass eine Säumnisbeschwerde auch in Finanzstrafverfahren ein wirksames Rechtsmittel darstellt, welches in Verfahren, in denen ein Devolutionsantrag ausgeschlossen ist, nicht nur bei Säumnis der obersten Instanz, sondern auch der Unterbehörden erhoben werden kann. Der GH sieht keinen Grund, im vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Bf. hätte daher eine Säumnisbeschwerde gemäß Art. 132 B-VG erheben müssen. Dieser Beschwerdepunkt ist daher wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges zurückzuweisen.Der GH hat bereits in seinem Urteil Basic/A festgestellt, dass eine Säumnisbeschwerde auch in Finanzstrafverfahren ein wirksames Rechtsmittel darstellt, welches in Verfahren, in denen ein Devolutionsantrag ausgeschlossen ist, nicht nur bei Säumnis der obersten Instanz, sondern auch der Unterbehörden erhoben werden kann. Der GH sieht keinen Grund, im vorliegenden Fall von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Der Bf. hätte daher eine Säumnisbeschwerde gemäß Artikel 132, B-VG erheben müssen. Dieser Beschwerdepunkt ist daher wegen Nichterschöpfung des innerstaatlichen Instanzenzuges zurückzuweisen.

2.) Zur Qualität der Finanzstrafbehörden als Tribunal iSv. Art. 62.) Zur Qualität der Finanzstrafbehörden als Tribunal iSv. Artikel 6,

EMRK:

Sowohl das Hauptzollamt als auch die Finanzlandesdirektion sind zweifellos Verwaltungsbehörden. Nach st. Rspr. ist es nicht grundsätzlich unvereinbar mit der Konvention, wenn die Verfolgung und Bestrafung von geringfügigen Straftaten in erster Linie Angelegenheit der Verwaltungsbehörden ist, solange die Möglichkeit besteht, deren Entscheidung von einem Gericht oder einer Behörde überprüfen zu lassen, die den Anforderungen des Art. 6 (1) EMRK genügt. Der Bf. hatte die Möglichkeit, seinen Fall vor den Spruchsenat des Hauptzollamts oder vor den Berufungssenat der Finanzlandesdirektion zu bringen. Der GH hat daher zu prüfen, ob diese Organe als Tribunal anzusehen sind.Sowohl das Hauptzollamt als auch die Finanzlandesdirektion sind zweifellos Verwaltungsbehörden. Nach st. Rspr. ist es nicht grundsätzlich unvereinbar mit der Konvention, wenn die Verfolgung und Bestrafung von geringfügigen Straftaten in erster Linie Angelegenheit der Verwaltungsbehörden ist, solange die Möglichkeit besteht, deren Entscheidung von einem Gericht oder einer Behörde überprüfen zu lassen, die den Anforderungen des Artikel 6, (1) EMRK genügt. Der Bf. hatte die Möglichkeit, seinen Fall vor den Spruchsenat des Hauptzollamts oder vor den Berufungssenat der Finanzlandesdirektion zu bringen. Der GH hat daher zu prüfen, ob diese Organe als Tribunal anzusehen sind.

Nach st. Rspr. des GH ist ein Tribunal iSv. Art. 6 (1) EMRK in materiellrechtlicher Hinsicht durch seine richterliche Funktion charakterisiert. Seine Aufgabe besteht also darin, die seiner Zuständigkeit unterliegenden Fragen auf der Grundlage von Rechtsnormen und nach einem in gesetzlich vorgeschriebener Weise geführten Verfahren zu entscheiden. Es muss außerdem eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen – Unabhängigkeit, insb. von der Exekutive, Unparteilichkeit, Dauer der Amtsperiode seiner Mitglieder und Verfahrensgarantien – von denen einige im Text des Art. 6 (1) EMRK genannt werden.Nach st. Rspr. des GH ist ein Tribunal iSv. Artikel 6, (1) EMRK in materiellrechtlicher Hinsicht durch seine richterliche Funktion charakterisiert. Seine Aufgabe besteht also darin, die seiner Zuständigkeit unterliegenden Fragen auf der Grundlage von Rechtsnormen und nach einem in gesetzlich vorgeschriebener Weise geführten Verfahren zu entscheiden. Es muss außerdem eine Reihe weiterer Bedingungen erfüllen – Unabhängigkeit, insb. von der Exekutive, Unparteilichkeit, Dauer der Amtsperiode seiner Mitglieder und Verfahrensgarantien – von denen einige im Text des Artikel 6, (1) EMRK genannt werden.

Gemäß § 66 (2) Finanzstrafgesetz (FinStrG) bestehen die Spruchsenate aus drei, die Berufungssenate aus vier Mitgliedern, nämlich einem Richter des Dienststandes als Vorsitzendem, einem Beamten des höheren Finanzdienstes und einem bzw. zwei Laienbeisitzern. Die Mitglieder werden für eine Amtsperiode von sechs Jahren bestellt und sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. § 68 FinStrG sieht vor, dass die Anzahl und Zusammensetzung der Spruch- und Berufungssenate sowie die Geschäftsverteilung jeweils für die Dauer eines Jahres im Voraus zu bestimmen ist.Gemäß Paragraph 66, (2) Finanzstrafgesetz (FinStrG) bestehen die Spruchsenate aus drei, die Berufungssenate aus vier Mitgliedern, nämlich einem Richter des Dienststandes als Vorsitzendem, einem Beamten des höheren Finanzdienstes und einem bzw. zwei Laienbeisitzern. Die Mitglieder werden für eine Amtsperiode von sechs Jahren bestellt und sind in Ausübung ihres Amtes an keine Weisungen gebunden. Paragraph 68, FinStrG sieht vor, dass die Anzahl und Zusammensetzung der Spruch- und Berufungssenate sowie die Geschäftsverteilung jeweils für die Dauer eines Jahres im Voraus zu bestimmen ist.

Angesichts seiner Rechtsprechung zu vergleichbaren Organen erachtet der GH die Spruch- und Berufungssenate als Tribunale iSv. Art. 6 (1) EMRK. Der Bf. brachte keine Gegenargumente vor, sondern behauptete nur, nicht ausreichend über die Möglichkeit informiert gewesen zu sein, seinen Fall vor einen Spruch- bzw. Berufungssenat zu bringen. Die Behörden belehrten den Bf. wiederholt über dieses Recht und es wäre ihm zuzumuten gewesen, sich weitere Informationen zu beschaffen, wenn ihm die Belehrung unklar war. Der Bf. versuchte aber weder, sich zu informieren, noch brachte er Gründe vor, die ihn daran gehindert hätten, eine mündliche Verhandlung vor einem Spruch- oder Berufungssenat zu verlangen. Unter diesen Umständen gelangt der GH zu der Ansicht, dass dem Bf. der Zugang zu einem Gericht offen stand, er jedoch verabsäumte, sich dessen zu bedienen. Die Bsw. ist daher wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Art. 35 (3) und (4) EMRK zurückzuweisen (einstimmig).Angesichts seiner Rechtsprechung zu vergleichbaren Organen erachtet der GH die Spruch- und Berufungssenate als Tribunale iSv. Artikel 6, (1) EMRK. Der Bf. brachte keine Gegenargumente vor, sondern behauptete nur, nicht ausreichend über die Möglichkeit informiert gewesen zu sein, seinen Fall vor einen Spruch- bzw. Berufungssenat zu bringen. Die Behörden belehrten den Bf. wiederholt über dieses Recht und es wäre ihm zuzumuten gewesen, sich weitere Informationen zu beschaffen, wenn ihm die Belehrung unklar war. Der Bf. versuchte aber weder, sich zu informieren, noch brachte er Gründe vor, die ihn daran gehindert hätten, eine mündliche Verhandlung vor einem Spruch- oder Berufungssenat zu verlangen. Unter diesen Umständen gelangt der GH zu der Ansicht, dass dem Bf. der Zugang zu einem Gericht offen stand, er jedoch verabsäumte, sich dessen zu bedienen. Die Bsw. ist daher wegen offensichtlicher Unbegründetheit gemäß Artikel 35, (3) und (4) EMRK zurückzuweisen (einstimmig).

Vom GH zitierte Judikatur:

Stallinger & Kuso/A v. 23.4.1997 (= NL 1997, 89).

Malige/F v. 23.9.1998 (= ÖJZ 1999, 654).

Basic/A v. 30.1.2001.

Baischer/A v. 20.12.2001 (= NL 2002, 9 = ÖJZ 2002, 394).

Hinweis:

Das vorliegende Dokument über die Zulässigkeitsentscheidung des EGMR vom 6.4.2004, Bsw. 67950/01, entstammt der Zeitschrift „ÖIM-Newsletter" (NL 2004, 64) bzw. der entsprechenden Datenbank des Österreichischen Institutes für Menschenrechte, Salzburg, und wurde von diesem dem OGH zur Aufnahme in die Entscheidungsdokumentation Justiz im RIS zur Verfügung gestellt.

Die Zulässigkeitsentscheidung im englischen Originalwortlaut

(pdf-Format):

www.menschenrechte.ac.at/orig/04_2/Rosza_A_ZE.pdf

Das Original der Zulässigkeitsentscheidung ist auch auf der Website des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (www.echr.coe.int/hudoc) abrufbar.

Anmerkung

EGM00486 Bsw67950.01-ZE

Dokumentnummer

JJT_20040406_AUSL000_000BSW67950_0100000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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