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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §7;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Mag. Nedwed und Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des W, vertreten durch Mag. Hannes Havranek, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Daffingerstraße 4/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 4. Februar 2004, Zl. 240.638/1-VIII/23/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, eigenen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Weißrussland, gelangte am 17. Dezember 2002 nach Österreich und beantragte am selben Tag Asyl.
Zu seinen Fluchtgründen gab der Beschwerdeführer in einer Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 8. April 2003 im Wesentlichen an, dass er seit 1992 Mitglied der Nationalen Volksfront in Weißrussland gewesen sei. Er habe an diese Organisation monatliche Mitgliedsbeiträge bezahlt, deren Publikationen verteilt und an Demonstrationen teilgenommen. Nach der Teilnahme an einer Demonstration in Borisov im Frühjahr 1995 sei er erstmals für 15 Tage unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert worden. Im Dezember 1997 habe er schriftliche Vorladungen der Miliz, welchen er auf Grund von Ortsabwesenheit nicht nachkommen hätte können, erhalten. Dies habe in weiterer Folge zu Hausdurchsuchungen durch die Miliz geführt. Wegen des Verdachts der Teilnahme an "nicht genehmigten" Streiks sei er erneut für 15 Tage in Borisov inhaftiert worden. Im Jahre 2001 sei er bei einer Kundgebung der Nationalen Volksfront verhaftet und für 27 Tage in Borisov inhaftiert worden. Nach Entlassung aus dieser Haft habe er erfahren, dass er - offensichtlich auf Druck der Behörden - von seinem Arbeitgeber entlassen worden sei. Nachdem er in Minsk Arbeit gefunden hätte, habe er sich auch im September 2002 an einem Treffen der Nationalen Volksfront beteiligt. Die Miliz habe ihn daraufhin für drei Tage in Haft genommen. Man habe ihm vorgeworfen, in seiner Wohnung in Minsk Drogen zu verstecken. Im November 2002 sei er schließlich aus Weißrussland geflohen.
Mit Bescheid vom 8. August 2003 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers vom 17. Dezember 2002 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in das vom Beschwerdeführer "behauptete Herkunftsland Weißrussland" gemäß § 8 AsylG für zulässig.
Begründend führte das Bundesasylamt aus, dass der Beschwerdeführer entgegen jeglicher allgemeiner Lebenserfahrung als angeblicher weißrussischer Staatsangehöriger nicht einmal einfachste Dinge des täglichen Lebens in Weißrussland gekannt habe. So habe er etwa nicht gewusst, in wie viele Provinzen Weißrussland organisatorisch eingeteilt sei. Er habe nicht gewusst, auf welches Datum der weißrussische Unabhängigkeitstag falle. Auch sei es nicht möglich gewesen, vom Beschwerdeführer über die weißrussische Währung substantiiert Auskunft zu erhalten. Als angeblich oppositioneller Weißrusse - mit daraus resultierender behördlicher Verfolgung - habe der Beschwerdeführer über weißrussische Oppositionszeitungen nur höchst oberflächlich Auskunft erteilen können. Darüber hinaus habe er trotz angeblicher Teilnahme an Demonstrationen und Veranstaltungen der Nationalen Volksfront nicht einmal gewusst, wie deren Abzeichen aussehe. Über die Organisationsstruktur und die geschichtliche Entwicklung dieser Partei habe der Beschwerdeführer nicht Auskunft erteilen können. Als angeblich Oppositioneller habe der Beschwerdeführer zudem über einfachste politische Alltagsgegebenheiten nicht Bescheid gewusst. Die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen und zu der von ihm behaupteten weißrussischen Staatsangehörigkeit würden sich als nicht glaubwürdig erweisen. Zudem seien keine Gründe für die Gewährung von Refoulementschutz ersichtlich.
In der dagegen erhobenen Berufung führt der Beschwerdeführer u. a. aus, dass er im Laufe der gesamten Einvernahme vor dem Bundesasylamt ständig unterbrochen und mit Zwischenfragen konfrontiert worden sei. Der Einvernehmende habe es nicht zugelassen, dass er sich konzentrieren und umfassend auf die gestellten Fragen antworten habe können. Er sei gar nicht dazu gekommen, die territorialen Verwaltungseinheiten Weißrusslands aufzuzählen, da sofort eine weitere Frage gestellt worden sei. Auch könne er infolge seines schon länger andauernden Aufenthaltes in Österreich nicht über den Geldumlauf Bescheid wissen. Als "ein normales Mitglied der Organisation" sei es ihm nicht möglich, die gesamte Personalstruktur der Nationalen Volksfront mit allen Details zu kennen, da diese nur einem engen Kreis führender Funktionäre der Organisation bekannt sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung ohne Durchführung einer Verhandlung "gemäß §§ 7, 8 AsylG" ab. In ihrer Begründung verwies sie auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Bescheid. Die Angaben des Beschwerdeführers würden - wie schon die Erstbehörde zutreffend ausführe - hinsichtlich der Fluchtgründe vollständig unglaubwürdig erscheinen. Dieser Beweiswürdigung der Erstbehörde sei nichts hinzuzufügen. Auch könnte die Berufung keine neuen Umstände aufzeigen, welche die belangte Behörde "zu einem Abgehen von der erstinstanzlichen Beweiswürdigung bewegen hätten können".
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In seiner Berufung verwies der Beschwerdeführer auf die angebliche Mangelhaftigkeit seiner Vernehmung durch das Bundesasylamt und auf dadurch hervorgerufene Konzentrationsschwierigkeiten, die eine umfassende Beantwortung der gestellten Fragen verunmöglicht hätten.
Auch trat er den beweiswürdigenden Erwägungen im erstinstanzlichen Bescheid - wie etwa die ihm vorgehaltene Unkenntnis der Personal- bzw. Organisationsstruktur der Nationalen Volksfront sowie der weißrussischen Währung - substantiiert entgegen.
Angesichts dessen hätte die belangte Behörde im Rahmen einer mündlichen Verhandlung den Beschwerdeführer zu jenen Punkten, die vom Bundesasylamt als Grundlage für dessen Unglaubwürdigkeit herangezogen wurden, vernehmen müssen (vgl. dazu bereits das hg. Erkenntnis vom 19. April 2001, Zl. 99/20/0433).
Da nicht auszuschließen ist, dass bei Einhaltung der außer Acht gelassenen Verfahrensvorschriften für den Beschwerdeführer ein anderes Verfahrensergebnis zu erzielen gewesen wäre, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333. Ein
gesonderter Zuspruch der in der Beschwerde verzeichneten Umsatzsteuer findet in diesen Bestimmungen keine Deckung, weshalb das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war.
Wien, am 30. Mai 2007
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006190317.X00Im RIS seit
13.07.2007