Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 22. April 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dau K***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 31 Ur 290/03x des Landesgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (= ON 29), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:Der Oberste Gerichtshof hat am 22. April 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Dau K***** wegen des Verbrechens des räuberischen Diebstahls nach Paragraphen 127,, 131 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung, AZ 31 Ur 290/03x des Landesgerichtes Innsbruck, über die vom Generalprokurator gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (= ON 29), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Seidl, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (= ON 29), verletzt das Gesetz in § 180 Abs 1 zweiter Satz und Abs 2 Z 3 lit a StPO.Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (= ON 29), verletzt das Gesetz in Paragraph 180, Absatz eins, zweiter Satz und Absatz 2, Ziffer 3, Litera a, StPO.
Text
Gründe:
Gegen den am 22. November 2003 festgenommenen Beschuldigten, der auf der Basis unbestätigter Personenangaben in den Akten als der am 1. Jänner 1988 geborene georgische Staatsangehörige Dau K***** bezeichnet wird, ist dem Landesgericht Innsbruck (AZ 31 Ur 290/03x) am 24. November 2003 eine Voruntersuchung eingeleitet worden. Der Genannte ist dringend verdächtig, am 20. November 2003 den Verfügungsberechtigten der Firma H***** ein Paar Turnschuhe gestohlen und anschließend daran zwei Personen unter Verwendung einer Faustfeuerwaffe mit dem Tode gefährlich bedroht zu haben, um diese zur Unterlassung seiner weiteren Verfolgung zu nötigen. Am 24. November 2003 verhängte die Untersuchungsrichterin über den Beschuldigten die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1, 2 und 3 lit a StPO mit Wirksamkeit bis 9. Dezember 2003 (ON 9). In der Haftverhandlung vom 9. Dezember 2003 wurde die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bereits genannten Haftgründen mit Wirksamkeit bis längstens 9. Jänner 2004 angeordnet (ON 14 und 15). Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten hat das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (GZ 31 Ur 290/03x-29 des Landesgerichtes Innsbruck), Folge gegeben und die Untersuchungshaft aufgehoben. In seiner Begründung führte das Beschwerdegericht aus, dass Dau K***** auf Grund der Erhebungen der Bundespolizeidirektion Innsbruck dringend verdächtig sei, am 20. November 2003 in Innsbruck das Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach §§ 127, 131 StGB begangen zu haben. Er habe, beim Diebstahl von Turnschuhen im Geschäft der Firma H***** in Innsbruck auf frischer Tat betreten, die ihn verfolgenden Angestellten dieses Geschäftes durch Vorhalten einer "echten Faustfeuerwaffe" mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bedroht, um sie zur Abstandnahme von der Verfolgung zu zwingen und sich die weggenommenen Sachen zu erhalten. Darüber hinaus sei er dringend verdächtig (und geständig) das Vergehen nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG begangen zu haben.Gegen den am 22. November 2003 festgenommenen Beschuldigten, der auf der Basis unbestätigter Personenangaben in den Akten als der am 1. Jänner 1988 geborene georgische Staatsangehörige Dau K***** bezeichnet wird, ist dem Landesgericht Innsbruck (AZ 31 Ur 290/03x) am 24. November 2003 eine Voruntersuchung eingeleitet worden. Der Genannte ist dringend verdächtig, am 20. November 2003 den Verfügungsberechtigten der Firma H***** ein Paar Turnschuhe gestohlen und anschließend daran zwei Personen unter Verwendung einer Faustfeuerwaffe mit dem Tode gefährlich bedroht zu haben, um diese zur Unterlassung seiner weiteren Verfolgung zu nötigen. Am 24. November 2003 verhängte die Untersuchungsrichterin über den Beschuldigten die Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht-, Verdunkelungs- und Tatbegehungsgefahr nach Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer eins,, 2 und 3 Litera a, StPO mit Wirksamkeit bis 9. Dezember 2003 (ON 9). In der Haftverhandlung vom 9. Dezember 2003 wurde die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus den bereits genannten Haftgründen mit Wirksamkeit bis längstens 9. Jänner 2004 angeordnet (ON 14 und 15). Der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschuldigten hat das Oberlandesgericht Innsbruck mit Beschluss vom 7. Jänner 2004, AZ 6 Bs 477/03 (GZ 31 Ur 290/03x-29 des Landesgerichtes Innsbruck), Folge gegeben und die Untersuchungshaft aufgehoben. In seiner Begründung führte das Beschwerdegericht aus, dass Dau K***** auf Grund der Erhebungen der Bundespolizeidirektion Innsbruck dringend verdächtig sei, am 20. November 2003 in Innsbruck das Verbrechen des räuberischen Diebstahls nach Paragraphen 127,, 131 StGB begangen zu haben. Er habe, beim Diebstahl von Turnschuhen im Geschäft der Firma H***** in Innsbruck auf frischer Tat betreten, die ihn verfolgenden Angestellten dieses Geschäftes durch Vorhalten einer "echten Faustfeuerwaffe" mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben bedroht, um sie zur Abstandnahme von der Verfolgung zu zwingen und sich die weggenommenen Sachen zu erhalten. Darüber hinaus sei er dringend verdächtig (und geständig) das Vergehen nach Paragraph 50, Absatz eins, Ziffer eins, WaffG begangen zu haben.
Das Erstgericht habe zu Recht die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 1 und 2 StPO angenommen, der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO liege jedoch nicht vor. Es sei auch nicht von einer Anlasstat mit schweren Folgen auszugehen.Das Erstgericht habe zu Recht die Haftgründe der Flucht- und Verdunkelungsgefahr nach Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer eins und 2 StPO angenommen, der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a, StPO liege jedoch nicht vor. Es sei auch nicht von einer Anlasstat mit schweren Folgen auszugehen.
Ungeachtet des Vorliegens von Haftgründen sei jedoch die Aufhebung der Untersuchungshaft geboten, weil deren weitere Aufrechterhaltung zu der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stünde. Im Hinblick auf das "junge Alter" des Beschuldigten, seine bisherige Unbescholtenheit und das teilweise Geständnis sei trotz bestehender Erschwerungsgründe im Fall der Verurteilung auf der Grundlage der Verdachtslage nicht mit einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe zu rechnen und habe der Freiheitsentzug im Hinblick auf eine mögliche bedingte Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB (ergänze: iVm § 17 JGG) bisher schon mehr als die Hälfte erreicht.Ungeachtet des Vorliegens von Haftgründen sei jedoch die Aufhebung der Untersuchungshaft geboten, weil deren weitere Aufrechterhaltung zu der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafe außer Verhältnis stünde. Im Hinblick auf das "junge Alter" des Beschuldigten, seine bisherige Unbescholtenheit und das teilweise Geständnis sei trotz bestehender Erschwerungsgründe im Fall der Verurteilung auf der Grundlage der Verdachtslage nicht mit einer drei Monate übersteigenden Freiheitsstrafe zu rechnen und habe der Freiheitsentzug im Hinblick auf eine mögliche bedingte Entlassung gemäß Paragraph 46, Absatz eins, StGB (ergänze: in Verbindung mit Paragraph 17, JGG) bisher schon mehr als die Hälfte erreicht.
Rechtliche Beurteilung
Der Beschluss des Oberlandesgerichtes Innsbruck steht - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - in zweifacher Hinsicht mit dem Gesetz nicht im Einklang:
1. Der Begriff der schweren Folgen in § 180 Abs 2 Z 3 lit a StPO ist - nach seit Jahren gefestigter, vom Oberlandesgericht Innsbruck aber dennoch unbeachtet gebliebenen Judikatur - mit jenem der §§ 21 und 23 StGB ident; er umfasst nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen, ferner die Eignung, umfangreiche Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen; auch der soziale Störwert ist demnach zu berücksichtigen (Ratz WK² § 21 Rz 27 mwN; Fabrizy StPO9 § 180 Rz 8).1. Der Begriff der schweren Folgen in Paragraph 180, Absatz 2, Ziffer 3, Litera a, StPO ist - nach seit Jahren gefestigter, vom Oberlandesgericht Innsbruck aber dennoch unbeachtet gebliebenen Judikatur - mit jenem der Paragraphen 21 und 23 StGB ident; er umfasst nicht nur die tatbestandsmäßigen Folgen, sondern darüber hinaus alle konkreten Tatauswirkungen in der gesellschaftlichen Wirklichkeit, somit auch Art, Ausmaß und Wichtigkeit aller effektiven Nachteile sowohl für den betroffenen Einzelnen als auch für die Gesellschaft im Ganzen, ferner die Eignung, umfangreiche Abwehrmaßnahmen auszulösen und weitreichende Beunruhigung und Besorgnisse herbeizuführen; auch der soziale Störwert ist demnach zu berücksichtigen (Ratz WK² Paragraph 21, Rz 27 mwN; Fabrizy StPO9 Paragraph 180, Rz 8).
Davon ausgehend ist aber die Anlasstat sinnfällig als eine strafbare Handlung mit schweren Folgen anzusehen, weil die Flucht eines Diebes mit der Beute unter Bedrohung von Verfolgern auf offener Straße mit einer Faustfeuerwaffe durchaus geeignet war, eine weitreichende und nachhaltige Beunruhigung und Besorgnis insbesondere bei den Tatopfern herbeizuführen. Dass der soziale Störwert des dem Beschuldigten angelasteten Verhaltens daher als erheblich zu beurteilen ist, liegt auf der Hand.
Nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Bedeutung der Sache "oder der zu erwartenden Strafe" vorzunehmen. Unter der demnach maßgeblichen "zu erwartenden Strafe" ist - nach Wortlaut und Sinn der Bestimmung - die nach den Regeln des 4. Abschnitts des AT des StGB zu bemessende Strafe zu verstehen. Deren Höhe, die als exakte Messgröße eindeutige Aussagen ermöglicht, ist somit Gegenstand des Vergleichs mit der Dauer der Untersuchungshaft. Kein gesetzliches Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hingegen die im 5. Abschnitt des AT des StGB geregelte Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zum Vollzug der - solcherart bereits ausgesprochenen, also unabhängig davon bereits existenten - Strafe kommt. Ob eine Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wird oder nicht, spielt daher nach nunmehr ständiger - vom Oberlandesgericht Innsbruck abermals ignorierter - Judikatur (etwa 13 Os 29/02 mwN) für die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 180 Abs 1 letzter Satz StPO keine Rolle. Anders als in den Fällen, in denen überhaupt keine Strafe zu erwarten ist (vgl § 6 Abs 1 und 3 JGG, § 7 JGG [§ 90b StPO], §§ 12, 13 JGG), sodass jede Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre (13 Os 92/03), kann somit bei jeder zu erwartenden Strafe, also auch einer Freiheitsstrafe, zu deren Vollzug es (zumindest vorerst: vgl § 53 Abs 1 und Abs 2 StGB) nicht kommt, die Untersuchungshaft verhängt und aufrecht erhalten werden (vgl Jerabek in WK² § 43 Rz 30).Nach Paragraph 180, Absatz eins, letzter Satz StPO ist die Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Bedeutung der Sache "oder der zu erwartenden Strafe" vorzunehmen. Unter der demnach maßgeblichen "zu erwartenden Strafe" ist - nach Wortlaut und Sinn der Bestimmung - die nach den Regeln des 4. Abschnitts des AT des StGB zu bemessende Strafe zu verstehen. Deren Höhe, die als exakte Messgröße eindeutige Aussagen ermöglicht, ist somit Gegenstand des Vergleichs mit der Dauer der Untersuchungshaft. Kein gesetzliches Kriterium der Verhältnismäßigkeitsprüfung ist hingegen die im 5. Abschnitt des AT des StGB geregelte Frage, ob und unter welchen Bedingungen es zum Vollzug der - solcherart bereits ausgesprochenen, also unabhängig davon bereits existenten - Strafe kommt. Ob eine Freiheitsstrafe bedingt nachgesehen wird oder nicht, spielt daher nach nunmehr ständiger - vom Oberlandesgericht Innsbruck abermals ignorierter - Judikatur (etwa 13 Os 29/02 mwN) für die Verhältnismäßigkeitsprüfung nach Paragraph 180, Absatz eins, letzter Satz StPO keine Rolle. Anders als in den Fällen, in denen überhaupt keine Strafe zu erwarten ist vergleiche Paragraph 6, Absatz eins und 3 JGG, Paragraph 7, JGG [§ 90b StPO], Paragraphen 12,, 13 JGG), sodass jede Untersuchungshaft unverhältnismäßig wäre (13 Os 92/03), kann somit bei jeder zu erwartenden Strafe, also auch einer Freiheitsstrafe, zu deren Vollzug es (zumindest vorerst: vergleiche Paragraph 53, Absatz eins und Absatz 2, StGB) nicht kommt, die Untersuchungshaft verhängt und aufrecht erhalten werden vergleiche Jerabek in WK² Paragraph 43, Rz 30).
Um den mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten, verpflichtet jedoch § 193 Abs 1 StPO sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden, darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere.Um den mit der Untersuchungshaft verbundenen Grundrechtseingriff möglichst gering zu halten, verpflichtet jedoch Paragraph 193, Absatz eins, StPO sämtliche am Strafverfahren beteiligten Behörden, darauf hinzuwirken, dass die Haft so kurz wie möglich dauere.
Anmerkung
E7304012Os39.04Schlagworte
Kennung XPUBL - XBEITRDiese Entscheidung wurde veröffentlicht inAnwBl 2004,567 (Venier)XPUBLENDEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2004:0120OS00039.04.0422.000Zuletzt aktualisiert am
25.02.2009