TE Vwgh Erkenntnis 2007/5/31 2006/20/0393

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.05.2007
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §63 Abs5;
AVG §66 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofräte Dr. Berger und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, über die Beschwerde des K, vertreten durch Solicitor Edward W. Daigneault, 1170 Wien, Hernalser Gürtel 47/4, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Juli 2006, Zl. 256.140/6-XV/54/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 AsylG 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste am 22. Juli 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragte am selben Tag Asyl. Bei seinen Einvernahmen vor dem Bundesasylamt brachte er zu seinen Fluchtgründen vor, dass er vom OPC (Oodua People's Congress) verfolgt werde. Sein Vater sei von dieser Organisation umgebracht worden, er selbst sei drei Wochen festgehalten und gefoltert worden.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 7. Dezember 2004 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 idF der AsylG-Novelle 2003 (AsylG) ab und stellte gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, wobei er im Berufungsschriftsatz vom 22. Dezember 2005 ankündigte, dass eine "detaillierte Berufungsergänzung" nachgereicht werden würde.

Am 21. Jänner 2005 übermittelte der Beschwerdeführer dem Bundesasylamt eine mit 17. Jänner 2005 datierte Berufungsergänzung, in der er sich gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung wandte und u.a. ausführte, es seien laut Berichten von Human Rights Watch "hunderte Menschen ... durch OPC-Mitglieder verletzt oder getötet worden" und es sei "durchaus wahrscheinlich", dass der Beschwerdeführer durch seine "Zugehörigkeit zu einer von Repressionen betroffenen ethnischen Gruppe Verfolgungen durch die OPC ausgesetzt war". Auch eine Verfolgung durch die vigilante Gruppe des OPC könne asylrelevant sein, weil der Staat nicht in der Lage sei, den Beschwerdeführer ausreichend vor Verfolgung zu schützen. Dem Beschwerdeführer sei durch einen Polizisten einer namentlich genannten Polizeistation aus diesem Grund nahegelegt worden, zu fliehen. Das Bundesasylamt übermittelte diesen Schriftsatz am 21. Jänner 2005 an die belangte Behörde.

Die belangte Behörde beraumte für den 25. Juli 2006 eine mündliche Berufungsverhandlung an, zu der der Beschwerdeführer nicht erschien. Die Sendung mit der Ladung des Beschwerdeführers zu dieser Verhandlung war durch Hinterlegung zugestellt worden. Die Berufungsverhandlung wurde in Abwesenheit des Beschwerdeführers durchgeführt.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 Abs. 1 leg. cit. fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Nigeria zulässig sei; gemäß § 8 Abs. 2 AsylG wurde der Beschwerdeführer nach Nigeria ausgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde u.a. aus, sie schließe sich dem Bundesasylamt hinsichtlich der fehlenden Glaubwürdigkeit des Vorbringens an. In dem "sehr allgemein gehaltenen Berufungsschriftsatz" sei "nicht ansatzweise der Versuch unternommen (worden), die Feststellungen der belangten Behörde zu entkräften; die darin angekündigte Nachreichung eines ergänzenden Berufungsschriftsatzes ist unterblieben, so dass auch auf Grundlage dieser Eingabe eine andere Beurteilung des Sachverhaltes nicht möglich" gewesen sei. Auf Grund des Vorbringens des Beschwerdeführers, wonach er - nachdem er drei Wochen vom OPC festgehalten worden sei - von der Polizei befreit wurde, stehe "für die Berufungsbehörde die staatliche Schutzfähigkeit und -willigkeit fest", sodass auch bei Wahrunterstellung des Vorbringens des Beschwerdeführers keine Asylrelevanz erkannt werden könne.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die Beschwerde macht als Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem geltend, dass die belangte Behörde den ergänzenden Berufungsschriftsatz unbeachtet gelassen habe. Damit ist sie im Recht:

Der Beschwerdeführer hat vor der Entscheidung der belangten Behörde über die Berufung bei der Erstbehörde eine Berufungsergänzung eingebracht. Eine solche vor Erlassung des Berufungsbescheides bei der Erstbehörde eingelangte Berufungsergänzung ist von der Berufungsbehörde zu berücksichtigen (vgl. dazu, dass unaufgefordert erstattete Berufungsergänzungen gemäß § 63 Abs. 5 AVG bei der Erstbehörde einzubringen und von der Berufungsbehörde zu berücksichtigen sind, das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 30. September 2004, Zl. 2001/20/0140).

In der Berufungsergänzung hat der Beschwerdeführer zur erstinstanzlichen Beweiswürdigung konkret Stellung genommen und durch Hinweis auf Berichte auch auf einen möglichen realen Hintergrund der von ihm behaupteten Geschehnisse hingewiesen. Er hat zudem vorgebracht, dass die nigerianischen Behörden nicht in der Lage seien, ihn vor der befürchteten - von ihm auch in Zusammenhang mit der "Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe" gebrachten - Verfolgung durch den OPC zu schützen. Dass die belangte Behörde sich mit diesem Vorbringen nicht auseinander gesetzt, sondern vielmehr aktenwidrig ausgeführt hat, die angekündigte Nachreichung eines ergänzenden Berufungsschriftsatzes sei unterblieben, belastet den angefochtenen Bescheid mit einem wesentlichen Begründungsmangel.

Da somit Verfahrensvorschriften außer Acht gelassen wurden, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. a, b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 31. Mai 2007

Schlagworte

Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Beachtung einer Änderung der Rechtslage sowie neuer Tatsachen und Beweise

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006200393.X00

Im RIS seit

17.07.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten